OGH 8ObA324/98z

OGH8ObA324/98z12.8.1999

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer und Dr. Rohrer und die fachkundigen Laienrichter Dr. Raimund Kabelka und Herbert Böhm als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Zoran D*****, vertreten durch Dr. Wolf-Georg Schärf, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Republik Österreich *****, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen S 40.000,-- sA, infolge Revisionsrekurses und Revision der klagenden Partei gegen den Beschluß und das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 9. Oktober 1998, GZ 10 Ra 196/98m-20, mit dem infolge Rekurses und Berufung der klagenden Partei der Beschluß und das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 2. Oktober 1997, GZ 17 Cga 58/97s-14, bestätigt wurde,

1. den Beschluß

gefaßt:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben;

2. zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 3.382,40 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war ab Oktober 1994 in der Volksoper als Bühnenarbeiter und zwar (zunächst) als sogenannter "Tagesaushelfer" später in einem provisorischen Dienstverhältnis beschäftigt und bezog ein monatliches Bruttoentgelt von rund S 17.000,--.

Dem Kläger wurde wie allen Tagesaushelfern - bis zum Inkrafttreten einer inzwischen geschaffenen Neuregelung - anläßlich der Aufnahme mitgeteilt, daß sie zur Arbeit in Arbeitskleidung, dh enganliegenden und unempfindlichen Kleidungsstücken und festen Schuhen erscheinen sollen. Zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt verlangte der Kläger vom Bühnenmeister die Zurverfügungstellung von Sicherheitsschuhen; es wurde ihm aber mitgeteilt, daß ihm solche erst später zugeteilt würden.

Am 29. 1. 1995 war der Kläger gemeinsam mit drei anderen Bühnenarbeitern zur Arbeit an einem Kulissenstück eingeteilt. Dabei hielten drei Mitarbeiter, darunter auch der Kläger, das rund 300 kg schwere Stück, während der vierte Mitarbeiter mit dem Zusammenbau beschäftigt war. Im Zuge dieser Tätigkeit kam es zu einer Gewichtsverlagerung des Kulissenstücks, wodurch es dem Kläger aus den Fingern rutschte. Das Kulissenstück fiel dem Kläger auf die rechte große Zehe und riß den Zehennagel weg. Im Unfallszeitpunkt trug der Kläger Sportschuhe. Er wurde mit der Rettung ins AKH gebracht, wo die Verletzung unter lokaler Betäubung genäht wurde. Eine stationäre Aufnahme erfolgte nicht. Der Kläger erhielt einen Verband und befand sich bis 20. 2. 1995 in Krankenstand.

Mit Klage vom 26. 3. 1997 begehrt der Kläger Schmerzengeld in Höhe von S 40.000,--, weil er am 29. 1. 1995 den erwähnten Unfall erlitten habe, der lediglich dadurch entstanden sei, daß ihm sein Arbeitgeber nicht eine entsprechende Schutzbekleidung zur Verfügung gestellt habe. Im gegenständlichen Fall finde die Richtlinie 89/391/EWG Anwendung. Diese sehe lediglich eine Einschränkung der Verantwortung des Arbeitgebers bei Vorkommnissen vor, die auf nicht von diesem zu vertretende anormale und unvorhersehbare Umstände oder außergewöhnliche Ereignisse zurückzuführen seien, deren Folgen trotz aller Sorgfalt nicht hätten vermieden werden können. Demgemäß sei die Einschränkung der Dienstgeberhaftung des § 333 ASVG gemeinschaftswidrig.

Die beklagte Partei beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Der Kläger habe den Unfall infolge Unaufmerksamkeit selbst verschuldet; anderen Dienstnehmern könne an diesem Vorfall kein Verschulden zugerechnet werden. Es liege auch kein Organisationsverschulden vor, zumal genügend Dienstnehmer für diesen Arbeitsvorgang eingesetzt worden wären. Eine Unvereinbarkeit des § 333 ASVG mit dem EU-Recht bestehe nicht. Im übrigen sei das begehrte Schmerzengeld überhöht. Das Erstgericht wies, nach dem das Verfahren streitanhängig geworden war, das Klagebegehren, soweit es sich auf den Rechtsgrund der Haftung der Republik Österreich für die nicht ordnungsgemäße Umsetzung der Richtlinie 89/391/EWG stützt, wegen sachlicher Unzuständigkeit zurück und wies das Klagebegehren ab. Das Gericht zweiter Instanz wies den Rekurs gegen die Zurückweisung des obengenannten Teiles des Klagebegehrens zurück und gab der Berufung des Klägers mit jeweils ausführlicher Begründung keine Folge. Die ordentliche Revision an den Obersten Gerichtshof ließ es zu, weil in der Frage der Durchsetzbarkeit von Ansprüchen auf Schmerzengeld unter den Blickwinkel der Richtlinie 89/391/EWG wie auch des § 333 ASVG eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung vorliege.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des Klägers mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß aufzuheben, und die Revision mit dem Antrag auf Abänderung der vorinstanzlichen Entscheidung im Sinn der Klagsstattgebung; hilfsweise stellt er auch einen Aufhebungsantrag.

Die beklagte Partei beantragt dem Rechtsmittel keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs und die Revision sind nicht berechtigt.

1. Zum Revisionsrekurs

Der Kläger meint, die Auffassung des Erstgerichtes, daß zur Geltendmachung eines Staatshaftungsanspruches nach Gemeinschaftsrechts allein das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien zuständig sei, sei unrichtig, weil im Hinblick auf das rechtsstaatliche Prinzip und der gebotenen engen Interpretation des Art 18 Abs 1 B-VG der Schluß zu ziehen sei, daß eine analoge Anwendung des AHG und somit die Alleinzuständigkeit des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien nicht verfassungskonform sei. In diesem Zusammenhang regt der Kläger an, den Europäischen Gerichtshof in verschiedenen verfahrensrechtlichen Fragen anzurufen. Hiezu sieht sich der Oberste Gerichtshof schon deshalb nicht veranlaßt und erübrigt sich auch eine Auseinandersetzung mit der sachlichen Richtigkeit des erstgerichtlichen Zurückweisungsbeschlusses, weil - wie bereits das Zweitgericht zutreffend dargelegt hat - nach Eintritt der Streitanhängigkeit getroffene Entscheidungen, mit denen das Gericht seine sachliche Zuständigkeit verneint hat, nach § 45 JN idF ZVN 1983 nicht anfechtbar sind, wenn das Gericht, das nach dieser Entscheidung sachlich zuständig wäre, seinen Sitz in der selben Gemeinde hat. Dies gilt auch im Verhältnis zwischen dem Arbeits- und Sozialgericht Wien und anderen ordentlichen Gerichten mit Sitz in Wien. Der Rekurs muß daher erfolglos bleiben.

Zur Revision des Klägers

Dieser stützt seinen Schmerzengeldanspruch ausschließlich auf die angeblich nicht ordnungsgemäße Umsetzung des Art 5 Abs 4 Richtlinie des Rates 89/391/EWG.

Es ist zwar richtig, daß nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes nicht fristgerecht oder nicht ordnungsgemäß umgesetzte Richtlinien unter bestimmten Umständen als Anspruchsgrundlage für individuelle Rechtsansprüche gegen den Staat herangezogen werden können, obwohl sich Richtlinien definitionsgemäß an die Mitgliedsstaaten wenden und diese zu ihrer Umsetzung im innerstaatlichen Bereich verpflichtet sind (Art 189 Abs 3 EGV). Voraussetzung für eine unmittelbare Wirkung ist, daß die Richtlinie für eine individuelle Anwendung zureichend bestimmt ist und den Mitgliedsstaaten keinen besonderen Ermessenspielraum gewährt (grundlegend EuGH 4. 12. 1974, Rs 41/74 -Yvonne van Duyn/Home Office, Slg 1974, 1337). Ist dies der Fall, kann dann, wenn der (Arbeits-)Vertragspartner des Individuums der "Staat" selbst ist, die Richtlinie unmittelbare Wirkung im Verhältnis zwischen Individuum und Staat entfalten (Gudrun Schmidt in Groeben/Thiesing/Ehlermann, Komm EU-/EG Vertrag5 IV 1052 ff mwN; zuletzt Rotter, Unmittelbare Wirksamkeit von Richtlinien, ZUV 1998, H 3, 9 ff [14]; 8 ObA 221/98b).

Im vorliegenden Fall richtet sich zwar der Anspruch des Klägers aus seinem Arbeitsunfall gegen den Staat als seinen Dienstgeber, doch kann aus der zitierten Bestimmung der Richtlinie (Art 5 Abs 4) kein Verbot des Haftungsausschlusses des § 333 ASVG abgeleitet werden, wie das Berufungsgericht ausführlich (S 10 bis 15) unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Richtlinie, der Stellung des Art 5 Abs 4 innerhalb der Richtlinie und des Vergleichs mit anderen Richtlinien, die sich mit Schadenersatz befassen, dargelegt hat; auf diese Ausführungen wird zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen. Zusammenfassend ist den Revisionsausführungen folgendes entgegenzuhalten:

Der Kläger will seinen Anspruch ausschließlich daraus ableiten, daß in Art 5 Abs 4 der Richtlinie das Wort "Verantwortung" in der deutschen Übersetzung unzutreffend sei und es unter Heranziehung des authentischen französischen und englischen Textes, die das Wort "responsabilit‚" bzw "resonsibility" verwenden, welches auch "Haftung" bedeuten könne, als "Haftung" verstanden wissen und will daraus die Unzulässigkeit der Einschränkung des Haftungsausschlusses ableiten.

Die Richtlinie des Rates vom 12. 6. 1989 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit (98/391/EWG, ABlNrL 183 vom 29. 6. 1989) wird allgemein als "Grundgesetz" des betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutzes in der Gemeinschaft verstanden. Sie setzt die wesentlichen Rahmenbedingungen für die gemeinschaftsrechtliche (Einzelrichtlinien) und innerstaatliche (Umsetzung) Rechtsetzung. Die Arbeitgeber werden darin im wesentlichen verpflichtet, sich über den neuesten Stand der Technik und der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu informieren und diese Kenntnisse an die Arbeitnehmervertreter weiterzugeben und beim Gesundheitsschutz den Stand der Technik zu berücksichtigen. In der Richtlinie finden sich grundsätzliche Regelungen über die Verpflichtungen der Arbeitgeber, die Unterrichtung der Arbeitnehmer, die Anhörung und Beteiligung der Arbeitnehmer bzw deren Vertreter, die Unterweisung der Arbeitnehmer, die präventivmedizinische Überwachung und den Schutz besonders gefährdeter Gruppen (Lörcher in Internationale Arbeits- und Sozialordnung2 1193; Mosler in Koppensteiner, Österreichisches und Europäisches Wirtschaftsrecht, Teil 5: Arbeitsrecht 262 ff; Tomandl, Rechtsfragen des technischen Arbeitnehmerschutzes 84 ff; Kohte, Die Umsetzung der Richtlinie 89/391 in den Mitgliedsstaaten der EU, Zeitschrift für ausländisches und internationales Arbeitsrecht und Sozialrecht, Jänner bis März 1999, 85 ff ua).

Von schadenersatzrechtlichen Bestimmungen, insbesondere Haftungsausschlüssen oder -einschränkungen ist in der Richtlinie nicht die Rede; auch in der zahlreichen Literatur zu dieser Richtlinie wurde nie ein derartiger Gedanke auch nur erwogen. Der vom Revisionswerber in Anspruch genommene Art 5 Abs 4 lautet wie folgt:

"Diese Richtlinie steht nicht der Befugnis der Mitgliedsstaaten entgegen, den Ausschluß oder die Einschränkung der Verantwortung des Arbeitgebers bei Vorkommnissen vorzusehen, die auf nicht von diesen zu vertretende anormale oder unvorhersehbare Umstände oder auf außergewöhnliche Ereignisse zurückzuführen sind, deren Folgen trotz aller Sorgfalt nicht hätten vermieden werden können."

Abgesehen davon, daß die Richtlinie wie erwähnt einen ganz anderen Regelungsinhalt und -zweck hat, nämlich einheitliche Mindestrahmenbedingungen für den Arbeits- und Gesundheitsschutz zu schaffen, zeigt auch die zutreffende Untersuchung des Berufungsgerichtes, daß eine systematische Interpretation des Art 5 der Richtlinie die vom Revisionswerber gewünschte Interpretation verbietet:

Nach Art 5 Abs 1 ist der Arbeitgeber verpflichtet, für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer in Bezug auf alle Aspekte, die die Arbeit betreffen, zu sorgen. In den Absätzen 2 f wird normiert, daß die Zuziehung von außerbetrieblichen Fachleuten (Art 7 Abs 3) den Arbeitgeber nicht von seiner diesbezüglichen Verantwortung enthebt. Demgemäß ist unter Verantwortung im Sinn der Richtlinie und insbesondere des Art 5 die Pflicht des Arbeitgebers, für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer zu sorgen, zu verstehen. Eine Auslegung des Wortes "Verantwortung" in Abs 4 in Richtung einer Verpflichtung auf Schmerzengeld - bzw Schadenersatzleistung, wie sie der Revisionswerber in seiner Revision geltend macht, findet daher in dem zitierten Art 5 der Richtlinie keinesfalls eine Deckung. Dies ist so eindeutig, daß sich eine Anrufung des Europäischen Gerichtshofs im Hinblick auf die acte clair - Doktrin verbietet, sodaß sich der erkennende Senat nicht veranlaßt sieht, der Anregung des Revisionswerbers, dem Europäischen Gerichtshof die von diesem formulierten Fragen zur Beantwortung vorzulegen, nachzukommen.

Die Kostentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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