OGH 1Ob168/99h

OGH1Ob168/99h29.6.1999

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Peter Josef M*****, vertreten durch DDr. Peter Stern, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17 - 19, wegen S 70.000 sA infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 22. Februar 1999, GZ 14 R 178/98v-34, womit das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau vom 10. Juli 1998, GZ 27 Cg 54/97y-29, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit S 4.059,20 bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu bezahlen.

Text

Begründung

Der Kläger begehrte von der beklagten Partei ein Schmerzengeld von S 70.000 aus dem Titel der Amtshaftung, weil zwei Gendarmeriebeamte von ihrer Dienstwaffe Gebrauch gemacht hätten, ohne daß die Voraussetzungen für einen "lebensgefährlichen Waffengebrauch" vorgelegen seien; durch die von den Beamten abgegebenen Schüsse habe der Kläger Verletzungen erlitten.

Die beklagte Partei wendete im wesentlichen ein, die Gendarmeriebeamten hätten von der Schußwaffe im Sinne der Bestimmungen des Waffengebrauchsgesetzes (WaffGG) in Anbetracht des Verhaltens des Klägers, der sich einer Kontrolle bzw Festnahme beharrlich widersetzt habe, Gebrauch machen dürfen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte fest, der Kläger habe in stark alkoholisiertem Zustand einen PKW gelenkt und ein Beamter habe im Zuge einer Verkehrskontrolle versucht, den Kläger mit deutlich sichtbarem Rotlicht anzuhalten. Der Kläger sei beschleunigend auf diesen Beamten zugefahren, der von der Fahrbahn habe wegsteigen müssen, um nicht angefahren zu werden. Die Gendarmeriestreife habe die Verfolgung aufgenommen und weitere Streifen zur Unterstützung herbeigerufen. Der Kläger sei mit einer Geschwindigkeit von 100 bis 140 km/h durch mehrere Ortsgebiete gefahren. Er habe eine Straßensperre - Einsatzfahrzeug mit eingeschaltetem Blaulicht quer zur Fahrbahn - ohne Rücksicht auf einen Haltezeichen gebenden Beamten mißachtet; dieser habe sich nur durch einen Sprung zur Seite in Sicherheit bringen können. Der Kläger sei weiterhin mit extrem überhöhter Geschwindigkeit gerast, habe "Kurven geschnitten", in unübersichtlichen Kurven überholt und sei auch gegen die Einbahn gefahren. Als ihn eine Streife überholt und zum Anhalten aufgefordert habe, sei er kurz stehengeblieben, jedoch dann im Rückwärtsgang so schnell zurückgefahren, daß er die nachfolgende Streife beinahe gerammt habe; er habe seine Flucht fortgesetzt. Einer weiteren Straßensperre, einem Einsatzfahrzeug mit eingeschaltetem Blaulicht, habe sich der Kläger die Geschwindigkeit drosselnd genähert, sei aber dann beschleunigend auf die Sperre zugefahren, obwohl ein Gendarmeriebeamter deutliche Haltezeichen mit dem Rotlicht seiner Stablampe gegeben habe. Auch die Abgabe von Warnschüssen in die Luft habe den Kläger nicht zum Anhalten bewegen können. Er sei auf diesen Beamten zugefahren, der sich nur durch einen Sprung in den Straßengraben habe in Sicherheit bringen können. Dabei habe sich der Beamte verletzt. Die beiden bei dieser Straßensperre tätigen Gendarmeriebeamten hätten Warnschüsse abgegeben und schließlich aus einer Entfernung von 10 bis 20 m zwei- bis dreimal gezielt auf die hinteren Reifen des Fahrzeugs des Klägers geschossen. Das Heck des PKW sei gut sichtbar gewesen. Nach 2 km weiterer Fahrt habe der Kläger sein Fahrzeug angehalten und sei festgenommen worden. Infolge der auf das Fahrzeug des Klägers abgegebenen Schüsse habe der Kläger einen Steckschuß und einen Durchschuß im Bereich der rechten Schulter erlitten. Er sei wegen des Vergehens des versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt nach den §§ 15, 269 Abs 1 StGB und des Vergehens der schweren Körperverletzung nach den §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 Z 4 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von acht Monaten, bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren, verurteilt worden. Die beiden Gendarmeriebeamten, die die Schüsse auf den PKW abgegeben hatten, seien eher mittelmäßige Schützen.

In rechtlicher Hinsicht beurteilte das Erstgericht den Sachverhalt dahin, daß die Voraussetzungen für einen Waffengebrauch nach § 7 Z 3 WaffGG erfüllt gewesen seien; die beiden Beamten hätten auch die erforderliche Eignung zum Gebrauch der Schußwaffe aufgewiesen. Es sei dem Kläger selbst anzulasten, daß er verletzt worden sei.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Die Gendarmeriebeamten hätten den Waffengebrauch nicht gegen die Person des Klägers, sondern nur gegen dessen Fahrzeug richten wollen. Es seien aber auch die Voraussetzungen des § 7 Z 3 WaffGG für einen mit Lebensgefährdung verbundenen Gebrauch einer Waffe gegeben gewesen. Durch sein Verhalten habe der Kläger durchaus als gefährlich angesehen werden können, habe er doch mehrmals Gendarmeriebeamte in ihrer körperlichen Sicherheit gefährdet. Der Waffengebrauch sei durch die Abgabe von Warnschüssen angedroht worden, die beiden Beamten seien für den Waffengebrauch durchaus geeignet gewesen.

Die Revision des Klägers ist unzulässig.

Rechtliche Beurteilung

Nach § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision nur zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist. Bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision ist das Revisionsgericht an einen Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO nicht gebunden (§ 508a Abs 1 ZPO). Eine relevante erhebliche Rechtsfrage ist nicht ersichtlich und wird in der Revision auch nicht aufgezeigt:

Der Kläger moniert, es hätten die Voraussetzungen des § 7 Z 3 WaffGG vorliegen müssen, damit die beiden Gendarmeriebeamten von der Waffe hätten Gebrauch machen dürfen; diese Voraussetzungen seien nicht gegeben gewesen. Bei Bedachtnahme auf den festgestellten Sachverhalt, nach dem der Kläger mehrmals in rücksichtsloser Weise und unter konkreter Gefährdung der körperlichen Sicherheit der einschreitenden Gendarmeriebeamten Straßensperren mißachtet und durchbrochen hat, kann kein Zweifel daran bestehen, daß die einschreitenden Beamten den Kläger als einen für die Sicherheit von Personen allgemein gefährlichen Menschen ansehen durften. Daß er sich des Vergehens des versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt nach den §§ 15, 269 Abs 1 StGB und damit eines mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedrohten Delikts schuldig gemacht hat, wird vom Kläger auch nicht in Zweifel gezogen. Damit sind aber alle Voraussetzungen, die für den mit Lebensgefährdung verbundenen Gebrauch einer Waffe gegen Menschen erforderlich sind (§ 7 Z 3 WaffGG) erfüllt. Es ist nicht nachzuvollziehen, daß erst "weit krassere Verstöße gegen die Rechtsordnung", als sie vom Kläger begangen wurden, die Annahme rechtfertigten, es handle sich um einen "allgemein gefährlichen Menschen". Es mag schon sein, daß allein der Umstand, daß sich ein Verdächtiger der Festnahme widersetzt oder Anstalten zur Flucht trifft, diesen allein noch nicht als allgemein gefährlichen Verbrecher erscheinen läßt, und zwar selbst dann noch nicht, wenn sich der Verdächtige auf eine Verfolgungsjagd mit Streifenwagen einläßt und er eines Vergehens verdächtig ist (Mayerhofer, Das österreichische Strafrecht, 3. Teil, Nebenstrafrecht4 1758; derselbe, der Gebrauch der Schußwaffe durch Sicherheitsorgane, in ÖJZ 1977, 449 ff), doch war im hier vorliegenden Einzelfall die Annahme, es handle sich beim Kläger um einen "allgemein gefährlichen Menschen", nach den Umständen, die sich den Gendarmeriebeamten darboten, durchaus gerechtfertigt. Die Vorinstanzen haben die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze, von der Schußwaffe dürfe nur nach Versagen gelinderer Mittel und mit möglichster Schonung Gebrauch gemacht werden, im Zweifel sei aufgrund des Stellenwerts des Menschenlebens in der gesellschaftlichen Wertskala vom Gebrauch der Schußwaffe Abstand zu nehmen, das Gesetz stufe indes die Sicherstellung eines gefährlichen Verbrechers und damit den Schutz der Allgemeinheit oder einer einzelnen Person höher ein als das Leben und die Gesundheit des Verbrechers, der durch sein Verhalten zu erkennen gibt, daß er gar nicht daran denkt, sich in die Gemeinschaft einzuordnen (SZ 68/155; SZ 59/113; Schragel AHG2 Rz 337 mwN), richtig angewandt. Es läßt sich nur im jeweiligen Einzelfall beurteilen, ob ein Waffengebrauch gerechtfertigt war oder nicht (vgl 497 BlgNR 11. GP 6).

Den beiden einschreitenden Beamten ist auch nicht die Eignung zum Gebrauch ihrer Schußwaffen abzusprechen. Geht man davon aus, daß der Gebrauch von Schußwaffen gegen einen fahrenden PKW gerichtet und damit eine Bewegungssituation gegeben war, so kann nicht erwartet werden, daß in jedem Fall eine exakte Treffergenauigkeit erreicht werden kann. Die Streuung der Schüsse, die schließlich auch zur Verletzung des Klägers geführt haben, liegt durchaus in einem der Situation entsprechenden Bereich.

Die vom Kläger gerügte Mangelhaftigkeit des Verfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO). Der Kläger vermag auch gar nicht darzustellen, inwiefern aufgrund des von ihm gerügten Verfahrensmangels (mangelnde Verlesung des Strafakts) unrichtige Feststellungen getroffen worden wären und inwiefern der behauptete Mangel tatsächlich relevant gewesen wäre. Von einer Verletzung des ihm zustehenden rechtlichen Gehörs kann keine Rede sein. Im übrigen könnte sich der Kläger als strafgerichtlich Verurteilter auch gar nicht darauf berufen, die Tat, deretwegen er verurteilt wurde, nicht begangen zu haben (SZ 68/195), wobei der Kläger die tatsächlichen Begebenheiten auch gar nicht bestritten hat. Schließlich wurde die vom Kläger geltend gemachte Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens bereits vom Gericht zweiter Instanz verneint, weshalb er dies im Revisionsverfahren nicht mehr geltend machen kann (1 Ob 318/97i; SZ 62/157 uva).

Die Revision ist demnach mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO. Die beklagte Partei hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen; der Höhe nach gebührt allerdings nur ein Einheitssatz von 60 % (§ 23 RATG).

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