OGH 1Ob165/99t

OGH1Ob165/99t29.6.1999

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Silvia G*****, vertreten durch Dr. Johann Paul Cammerlander, Dr. Harald Vill und Dr. Helfried Penz, Rechtsanwälte in Innsbruck, wider die beklagte Partei Siegfried S*****, vertreten durch Dr. Gerhard Ebner und Dr. Joachim Tschütscher, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen Räumung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 4. Februar 1999, GZ 1 R 675/98s-16, womit das Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck vom 30. September 1998, GZ 11 C 1024/97y-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit S 2.436,48 (darin S 406,08 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu bezahlen.

Text

Begründung

Das Erstgericht wies das Begehren der Klägerin auf Räumung bestimmter, im ersten Obergeschoß eines Hauses gelegener Räume im wesentlichen mit der Begründung ab, daß der Beklagte diese Räumlichkeiten als Mieter und somit nicht titellos benütze. Durch den Erwerb von Miteigentumsanteilen an dem Haus, in dem sich die vom Beklagten gemieteten Räume befänden, sei dieser seiner Mietrechte nicht verlustig gegangen.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstands S 52.000, nicht aber S 260.000 übersteige; die ordentliche Revision wurde letztlich für zulässig erklärt. Es vertrat gleichfalls die Ansicht, daß der Beklagte nach wie vor Mieter des gesamten ersten Obergeschoßes des Hauses sei.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin ist unzulässig.

Der Vorwurf, das Berufungsgericht habe die aus einem Vorverfahren (AZ 17 C 203/98h des Erstgerichts) abzuleitende Bindungswirkung der dort erflossenen Entscheidung nicht beachtet, weshalb das angefochtene Urteil an einer Nichtigkeit leide, ist schon deshalb nicht berechtigt, weil - wie der Beklagte in seiner Revisionsbeantwortung zutreffend aufzeigt - die im vorliegenden Verfahren angefochtene Entscheidung des Berufungsgerichts vom 4. 2. 1999 stammt, während die im Parallelverfahren ergangene Entscheidung des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 9. 2. 1999 datiert. Schon deshalb kann das Berufungsgericht an die erst später ergangene Entscheidung im Parallelverfahren nicht gebunden gewesen sein. Auf den Zeitpunkt der Zustellung der Entscheidung des Berufungsgerichts im hier anhängigen Rechtsstreit kommt es dabei nicht an, ist es doch für die Entfaltung einer Bindungswirkung allein maßgeblich, ob bereits im Zeitpunkt der Urteilsfällung eine bindende, rechtskräftige Entscheidung vorlag.

Die Klägerin verkennt den Anwendungsspielraum des § 273 ZPO. Das Gericht kann nach dieser Gesetzesstelle den streitigen Betrag unter anderem einer Forderung unter bestimmten Voraussetzungen nach freier Überzeugung festsetzen. Dies enthebt den Kläger aber nicht seiner im § 226 Abs 1 ZPO verankerten Verpflichtung, ein bestimmtes Begehren zu erheben. Auch ein Räumungsbegehren muß klar zum Ausdruck bringen, welche Objekte geräumt werden sollen. Die Festlegung der Forderung selbst, also die Formulierung eines bestimmten Begehrens, kann nicht dem Gericht überlassen werden. Dem hat der Kläger schließlich auch insoweit Rechnung getragen, als er bestimmte Räumlichkeiten von seinem Räumungsbegehren umfaßt wissen wollte und dezidiert bezeichnete. Die Bezugnahme auf § 2 Abs 2 Z 2 WEG scheitert schon daran, daß ein Begehren auf Neueinräumung von Wohnungseigentum nie gestellt wurde. Bei der Einräumung von Wohnungseigentum im Sinne des § 2 Abs 2 WEG handelt es sich um eine Sonderform der Naturalteilung, die unter bestimmten Voraussetzungen stattfinden kann. Die Klägerin bleibt jeden vernünftigen Grund dafür schuldig, warum eine Sonderform der Naturalteilung bei einem Räumungsbegehren analoge Anwendung finden sollte.

Das Gericht zweiter Instanz hat die Vereinbarung vom 23. 4. 1985 logisch einwandfrei ausgelegt. Soweit es dabei zum Ergebnis gelangte, der Beklagte habe beim Erwerb der Miteigentumsanteile auf das bereits bestehende Mietrecht an den Räumlichkeiten des ersten Obergeschoßes nicht verzichtet, ist dieses Ergebnis mangels wesentlicher Verkennung der Rechtslage und damit mangels unvertretbaren Auslegungsergebnisses irrevisibel, weil keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung vorliegt (Kodek in Rechberger ZPO Rz 5 zu § 502 mwN). Es entspricht auch ständiger Rechtsprechung, daß beim Erwerb bloß eines Miteigentumsanteils am Haus des Bestandgebers durch den Mieter mangels ausdrücklicher gegenteiliger Vereinbarung das Bestandrecht des nunmehrigen Miteigentümers nicht erlischt (SZ 67/72; SZ 64/93).

Die Revision ist demnach mangels Vorliegens und Aufzeigens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen. An den gegenteiligen Ausspruch des Berufungsgerichts ist der Oberste Gerichtshof gemäß § 508a ZPO nicht gebunden.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO. Der Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen. Die Kostenbemessungsgrundlage für den vorliegenden Räumungsstreit beträgt allerdings gemäß § 10 Z 2 lit c RATG S 6.000.

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