OGH 2Ob175/99w

OGH2Ob175/99w24.6.1999

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Silvia W*, vertreten durch Dr. Romana Zeh‑Gindl, Rechtsanwältin in Wien, wider die beklagte Partei *Versicherung*, vertreten durch die Partnerschaft der Rechtsanwälte Dr. Kreinhöfner ‑ Dr. Mader in Wien, wegen S 57.532 sA, infolge Revision beider Parteien gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 10. März 1999, GZ 36 R 27/99h‑32, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 9. November 1998, GZ 40 C 1517/97d‑28, zum Teil bestätigt und zum Teil abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1999:E54372

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Den Revisionen wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei an Kosten des Revisionsverfahrens den Betrag von S 810,24 binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

 

Am 2. 6. 1998 ereignete sich auf dem Parkplatz des Grenzüberganges Berg auf österreichischer Seite ein Verkehrsunfall, an dem ein der Klägerin gehöriger PKW Porsche 911 sowie ein LKW mit slowakischem Kennzeichen, für den die beklagte Partei anstelle der Haftpflichtversicherung einzustehen hat, beteiligt waren.

Die Klägerin begehrt den Ersatz von S 56.532 an Reparaturkosten und S 1.000 an unfallskausalen Fahrt- und Telefonspesen mit der Begründung, das Verschulden an dem Unfall treffe ausschließlich den Lenker des Beklagtenfahrzeuges, weil er gegen die linke Seite ihres stehenden Fahrzeuges gefahren sei.

Die beklagte Partei wendete ein, das Verschulden treffe den Lenker des Klagsfahrzeuges, der von einer LKW‑Parkfläche kommend, versucht habe, vor dem fahrenden Beklagtenfahrzeug auf den PKW‑Parkplatz zu gelangen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, wobei im wesentlichen folgende Feststellungen getroffen wurden:

Die zur Grenzstation führende Straße weist rechts eine Fahrspur für LKW, links eine solche für PKW auf. Rechts daran befindet sich ein Schrägparkplatz für LKW, links von der Straße eine Parkfläche für PKW. Die Parkfläche für LKW ist mit einer Schrägparkplatzmarkierung ausgestattet, sie hat eine Breite von 16 m.

Der Lenker des Fahrzeuges der Klägerin hatte dieses zunächst auf der 16 m breiten LKW‑Parkfläche geparkt. Der Lenker des Beklagtenfahrzeuges hat dieses auf dem rechten Fahrstreifen der Straße mit einem Abstand von 3 m hinter einem anderen Fahrzeug geparkt. Der Kläger fuhr aus der zunächst eingehaltenen Parkposition los und wollte zwischen dem geparkten Beklagtenfahrzeug und einem weiteren in seiner Fahrtrichtung rechts geparkten Fahrzeug durchfahren, wobei er zu dem geparkten Beklagtenfahrzeug einen Seitenabstand von einem halben Meter einhalten wollte. Der Lenker des Beklagtenfahrzeuges hatte vor auszuparken, indem er in einem Linkszug nach vor fahren wollte. Als der mit Schrittgeschwindigkeit fahrende Lenker des Fahrzeuges der Klägerin, der sich zu diesem Zeitpunkt noch ca 1,6 m vor der späteren Kollisionsstelle entfernt befand, erkannte, daß das Beklagtenfahrzeug losfahren wollte, bremste er und hielt an, wobei er mit seinem Fahrzeug einen Meter in den Fahrstreifen ragte. Der losfahrende Beklagtenlenker konnte auf das Klagsfahrzeug nicht mehr reagieren und stieß an diese. Er hatte vor dem Losfahren nicht nach rechts geschaut. Die Kollisionsgeschwindigkeit betrug ca 3 km/h.

Die Reparaturkosten am Fahrzeug der Klägerin betragen S 22.401,60.

In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Ansicht, das Alleinverschulden treffe den Lenker des Klagsfahrzeuges, weil er dieses zunächst unzulässig auf einem LKW‑Parkplatz abgestellt und in weiterer Folge versucht habe, zwischen zwei geparkten LKW durchzufahren, ohne die erforderliche Sorgfalt aufzuwenden. Der Lenker des Beklagtenfahrzeuges habe nicht damit rechnen müssen, daß sich von rechts ein PKW annähere.

Eine von der klagenden Partei geltend gemachte Befangenheit des gerichtlich bestellten Sachverständigen verneinte das Erstgericht.

Das von der klagenden Partei angerufene Berufungsgericht änderte die angefochtene Entscheidung dahin ab, daß es die beklagte Partei zur Zahlung von S 11.450,80 sA verurteilte; das Begehren auf Zahlung weiterer S 46.081,20 wurde abgewiesen; es sprach aus, die ordentliche Revision sei zulässig.

Auch das Berufungsgericht verneinte die Befangenheit des Sachverständigen.

Im übrigen führte es in rechtlicher Hinsicht aus, daß auch den Lenker des Fahrzeuges der klagenden Partei eine Teilschuld an dem Unfall treffe. Grundsätzlich sei davon auszugehen, daß sich das Fahrzeug der Klägerin von einem Parkplatz kommend in den Fließverkehr einordnen habe wollen. Es habe sich somit auf einer untergeordneten Verkehrsfläche im Sinne des § 19 Abs 6 StVO befunden. Allerdings könne sich der Lenker des Beklagtenfahrzeuges nicht auf diese Vorrangregelung berufen, weil sich sein Fahrzeug noch im Ausparken befunden habe, also noch nicht in den Fließverkehr eingeordnet gewesen sei. Die Voraussetzungen für einen Rechtsvorrang des Klagsfahrzeuges nach § 19 Abs 1 StVO seien ebenfalls nicht gegeben gewesen, weil eine Vorrangsituation nach dieser Gesetzesstelle nur dann gegeben sei, wenn Fahrzeuge aus verschiedenen Straßen aufeinander zukämen (ZVR 1972/89; 1979/157; 1984/72). Bei Ausfahrten von Parkplätzen fehle es regelmäßig am Merkmal einer "Straße" (2 Ob 283/98a), weshalb sich aus dem Gesetz keine Regelung dafür finden lasse, welches Fahrzeug im konkreten Fall zuerst anfahren hätte dürfen. Bei dieser unklaren Verkehrssituation wäre auch der Lenker des Klagsfahrzeuges zu besonderer Vorsicht verpflichtet gewesen und hätte sich nur zentimeterweise in die Parklücke vortasten dürfen, um in der Lage zu sein, mit dem Lenker des Beklagtenfahrzeuges durch gegenseitige Kontaktaufnahme einen Verkehrskonflikt zu vermeiden. Die Einhaltung einer Fahrgeschwindigkeit von 5 km/h habe diesen Erfordernissen nicht entsprochen und rechtfertige eine Verschuldensteilung im Verhältnis 1 : 1 (vgl ZVR 1983/302).

Dem Kläger gebühre daher der Ersatz der Hälfte der angemessenen Reparaturkosten sowie der Fahrt- und Telefonspesen die vom Berufungsgericht gemäß § 273 Abs 2 ZPO mit insgesamt S 500 festgesetzt wurden.

Die ordentliche Revision erachtete das Berufungsgericht für zulässig, weil einschlägige Entscheidungen des Höchstgerichtes zur Frage, ob eines der beteiligten Fahrzeuge den Vorrang beanspruchen hätte können, nicht gegeben seien.

Gegen den klagsabweisenden Teil dieser Entscheidung richtet sich die Revision der klagenden Partei mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanzen zurückzuverweisen; hilfsweise wird ein Abänderungsantrag gestellt.

Gegen den gesamten Inhalt des Urteiles des Berufungsgerichtes (gemeint wohl: nur gegen seinen klagsstattgebenden Teil) richtet sich die Revision der beklagten Partei mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt werde.

Beide Parteien haben Revisionsbeantwortungen erstattet; die klagende Partei hat in dieser beantragt, dem Klagebegehren vollinhaltlich stattzugeben und das Urteil des Berufungsgerichtes in seinem klagsabweisenden Teil aufzuheben und diesbezüglich abzuändern; die beklagte Partei hat beantragt, die Revision der klagenden Partei als unzulässig zurückzuweisen.

Die Revisionen sind zulässig, aber nicht berechtigt.

Die Klägerin macht in ihrem Rechtsmittel neuerlich geltend, der vom Erstgericht bestellte Sachverständige sei befangen gewesen. Im übrigen vertritt sie die Ansicht, den Lenker des Beklagtenfahrzeuges treffe das Alleinverschulden am Unfall. Er habe vor dem Losfahren nicht nach rechts geschaut und daher ihr Fahrzeug nicht gesehen. Ihr PKW habe sich zwar auf einem Parkplatz befunden, doch sei er vorerst in Bewegung gewesen, um sich in den fließenden Verkehr einzuordnen. Der Lenker eines Fahrzeuges auf einem Parkplatz müsse nicht damit rechnen, daß geparkte Fahrzeuge plötzlich losfahren. Vielmehr treffe den Lenker eines Fahrzeuges, das sich aus einer Stillhalteposition heraus in Bewegung setze, erhöhte Aufmerksamkeit.

Die beklagte Partei macht in ihrem Rechtsmittel geltend, gemäß § 9 Abs 7 StVO hätte das Fahrzeug der Klägerin nicht auf dem LKW‑Parkplatz geparkt werden dürfen. Die Übertretung dieser Bestimmung sei für den eingetretenen Unfall auch kausal gewesen. Ein Nachweis, daß ohne Übertretung dieses Verbotes der Unfall auch eingetreten wäre, sei von der klagenden Partei nicht geführt worden. Der Beklagtenlenker hätte nicht erwarten können, daß die Verkehrsfläche, welche für LKWs bestimmt sei, von einem PKW, der den Versuch unternehme, zwischen zwei abgestellten Großfahrzeugen durchzufahren, benutzt werde.

Er hätte im Sinne des Vertrauensgrundsatzes damit rechnen können, daß er nur für jene Gefahren seine Aufmerksamkeit aufwenden müsse, welche üblicherweise in der gegenständlichen Situation aufträten, das sei das Herannahen eines LKWs, der möglicherweise auch den Versuch unternehme, einen Zwischenraum von 3 m für die Durchfahrt zu verwenden. Dem Lenker des Beklagtenfahrzeuges sei überdies der Vorrang nach § 19 Abs 6 StVO zugekommen, weil das Fahrzeug der Klägerin aus einem Parkplatz gekommen sei.

Rechtliche Beurteilung

Hiezu wurde erwogen:

Grundsätzlich kann gemäß § 510 Abs 3 ZPO auf die zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichtes verwiesen werden.

Insoweit in der Revision der Klägerin neuerlich ausgeführt wird, der vom Erstgericht bestellte Sachverständige sei befangen, wird damit eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens erster Instanz geltend gemacht (vgl Rechberger in Rechberger, ZPO Rz 6 zu § 356), deren Vorliegen das Berufungsgericht bereits verneint hat und die daher nicht mehr mit Revision geltend gemacht werden kann (Kodek in Rechberger, ZPO Rz 3 zu § 503 mwN).

Im übrigen hat das Berufungsgericht zutreffend dargelegt, daß dem Beklagtenfahrzeug nicht der Vorrang nach § 19 Abs 6 StVO zugekommen ist. Im fließenden Verkehr befindet sich nämlich nur ein solches Fahrzeug, das weder hält noch parkt, noch sich nach einem Halten oder Parken in den entsprechenden Fahrbahnteil einordnet (RIS‑Justiz RS0073664; ZVR 1980/336).

Dem Fahrzeug der Klägerin ist allerdings auch nicht der Rechtsvorrang nach § 19 Abs 1 StVO zugekommen. Eine konkrete Vorrangsituation ist nämlich nur dann gegeben, wenn Fahrzeuge aus verschiedenen Straßen aufeinander zukommen (RIS‑Justiz RS0074848; ZVR 1992/102). Bei Ausfahrten von Häusern oder Grundstücken, Garagen, Parkplätzen und Tankstellen fehlt es hingegen regelmäßig am Merkmal einer "anderen" Straße (2 Ob 283/98a).

Ob dem Kläger ein Verstoß gegen § 9 Abs 7 StVO anzulasten ist, kann für die Beurteilung des vorliegenden Falles dahingestellt bleiben, weil der Schutzzweck dieser Bestimmung jedenfalls nicht darin besteht, Unfälle mit Fahrzeugen zu verhindern, die sich gar nicht mehr auf der mit Bodenmarkierungen versehenen Fläche befinden.

Der erkennende Senat schließt sich auch der Ansicht des Berufungsgerichtes, der Lenker des Beklagtenfahrzeuges hätte vor dem Losfahren sein Augenmerk auch auf die Parklücke vor sich und die angrenzenden Bereiche richten müssen, um die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen, an. Aber auch der Lenker des Fahrzeuges der Klägerin hätte nicht ohne weiteres in die zwischen den beiden LKW offene Lücke von nur 3 m einfahren dürfen; dies vor allem deshalb, weil er von einem LKW‑Parkplatz kam und ihm daher klar sein mußte, daß ein wegfahrender LKW‑Lenker seine Aufmerksamkeit nicht primär darauf richten werde, ob von diesem Parkplatz ein PKW komme. Dieser Verkehrssituation hätte durch besondere Vorsicht und Aufmerksamkeit begegnet werden müssen, weshalb auch die Teilung des Verschuldens im Verhältnis 1 : 1 zutreffend ist (s RIS‑Justiz RS0027025; ZVR 1982/88).

Es war daher beiden Revisionen kein Erfolg zu geben.

Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die Kosten der Revisionsbeantwortung der klagenden Partei betragen S 3.248,64 (darin enthalten Umsatzsteuer von S 541,44), weil lediglich von einem Streitwert von S 11.450,80 auszugehen ist. Die Kosten der Revisionsbeantwortung der beklagten Partei betragen S 4.058,88 (darin enthalten Umsatzsteuer von S 676,48). Daraus folgt eine Kostenersatzpflicht der klagenden Partei in der Höhe von insgesamt S 810,24.

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