OGH 7Ob90/99g

OGH7Ob90/99g12.5.1999

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Hradil und Dr. Schaumüller als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Helmut M*****, vertreten durch Dr. Stefan Vargha und Dr. Herbert Waltl, Rechtsanwälte in Salzburg, gegen die beklagte Partei S***** AG, ***** vertreten durch Mag. Bernd Moser, Rechtsanwalt in Saalfelden, wegen S 93.894,20 sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Berufungsgericht vom 15. Februar 1999, GZ 53 R 451/98z‑17, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Saalfelden vom 22. Oktober 1998, GZ 2 C 958/98x‑11, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichtes wird dahin abgeändert, daß das Urteil des Gerichtes erster Instanz zur Gänze wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 8.873,76 (darin enthalten S 1.478,96 USt) und die mit S 13. 723,20 (darin enthalten S 1.187,20 USt und S 6.620,‑- Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungs‑ und des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger, der seinen bei der beklagten Partei kaskoversicherten PKW lenkte, kollidierte am 22. 10. 1997 in Saalfelden mit einer Diesellokomotive einer Werksbahn (Schmalspurbahn). Er begehrt von der Beklagten aus der Kaskoversicherung seinen unfallskausalen PKW - Schaden (abzüglich eines Selbstbehalts) in Höhe von S 93.894,20 (sA) ersetzt.

Die Beklagte wendet ein, gemäß § 61 VersVG leistungsfrei zu sein, weil der Kläger den Unfall grob fahrlässig herbeigeführt habe.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Der Kläger näherte sich auf der Z*****straße mit einer Geschwindigkeit von 40 km/h dem mit einem Andreaskreuz gekennzeichneten Bahnübergang, auf den aus 100 m Sicht bestand. Der aus der Lokomotive und 12 Wagen bestehende Zug der Werksbahn näherte sich dem Bahnübergang mit 10 bis 11 km/h aus Fahrtrichtung des Klägers gesehen von rechts. Der Kläger hätte den betreffenden Gleisabschnitt aus 57 m erstmals einsehen können. Durch einen sich auf einer rechts einmündenden Straße nähernden, von Josef B***** gelenkten PKW wurde ihm aber teilweise die Sicht wieder genommen. B***** bemerkte den noch 10 m vom Bahnübergang entfernten Zug und blieb stehen, wobei sein Fahrzeug geringfügig in den vom Kläger benützten rechten Fahrstreifen der Z*****straße hineinragte. Der Kläger, der ortskundig war und das Andreaskreuz gesehen hatte, lenkte seinen PKW mit gleichbleibender Geschwindigkeit etwas nach links, passierte den PKW des Zeugen B***** und wollte die Schienen überqueren. Sein PKW wurde von der Lokomotive, deren Führer noch vor dem Anhalten B*****s ein Pfeifsignal abgegeben hatte, erfaßt und beschädigt.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt dahin, dem Kläger sei aufgrund der Mißachtung von Verhaltensvorschriften der Eisenbahnkreuzungsverordnung und einer Summe von Sorglosigkeiten insgesamt ein grob fahrlässiges Verhalten bei der Herbeiführung des gegenständlichen Unfalls anzulasten, das der Mißachtung des Gebotszeichens „Halt“ oder dem Einfahren in eine ampelgeregelte Kreuzung bei Rotlicht gleichkomme. Die Beklagte sei daher gemäß § 61 VersVG von ihrer Pflicht zum Schadenersatz befreit.

Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung in klagsstattgebendem Sinn ab und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Vergleiche man den dem Kläger anzulastenden Verstoß gegen § 17 EisbKrV mit Fällen, in denen von der Rechtsprechung grobe Fahrlässigkeit angenommen wurde, sei festzustellen, daß es sich hier nicht um eine so „auffällige Situation“ gehandelt habe, wie zB in jenem Fall, in dem ein Fahrzeuglenker vor einem unbeschrankten Bahnübergang die auf diesen deutlich hinweisenden Warnzeichen einschließlich mehrerer rot aufleuchtender Blinkanlagen übersehen habe. Das Verhalten des Klägers sei auch nicht mit jenen Fällen grober Fahrlässigkeit vergleichbar, bei denen der Fahrzeuglenker eine Stopptafel mißachtet habe oder bei Rotlicht in eine ampelgeregelte Kreuzung eingefahren sei. Sein Sorgfaltsverstoß gleiche eher der minder schwer zu beurteilenden Mißachtung des Gebotszeichens „Vorrang geben“. Beurteile man das gesamte Verhalten des Klägers unter Berücksichtigung seiner Sichtbehinderung durch das Fahrzeug des Zeugen B*****, handle es sich im Ergebnis um eine Sorgfaltsverletzung, die gerade noch nicht als grob fahrlässig im Sinne des § 61 VersVG einzustufen sei. Die Voraussetzungen für die Zulassung der ordentlichen Revision nach § 502 Abs 1 ZPO lägen vor, da der Kläger eine nicht unerhebliche Fahrlässigkeit zu verantworten habe und keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes im Sinne des § 61 VersVG bei vergleichbarem Sachverhalt vorliege.

Die Revision ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Grobe Fahrlässigkeit ist im Bereich des Versicherungsvertragsrechtes dann gegeben, wenn schon einfachste naheliegende Überlegungen nicht angestellt und Maßnahmen nicht ergriffen werden, die jedermann einleuchten müssen (VR 1994, 315; RIS‑Justiz RS0080371 ua). Insbesondere hat der Lenker eines Kraftfahrzeuges grob fahrlässige Herbeiführung eines Verkehrsunfalles als Versicherungsfall in der Kaskoversicherung nach der Rechtsprechung (VR 1991, 325 uva) dann zu verantworten, wenn sich sein Verhalten aus der Menge der auch für den Sorgsamsten nie ganz vermeidbaren Fahrlässigkeitshandlungen des täglichen Lebens als eine auffallende Sorglosigkeit heraushebt; grobe Fahrlässigkeit im Sinne des § 61 VersVG setzt demnach ein Verhalten voraus, von dem der Versicherungsnehmer wußte oder wissen mußte, daß es geeignet sei, die Gefahr des Eintrittes eines Versicherungsfalles herbeizuführen oder zu vergrößern (7 Ob 22/93 ua). Auch einzelne, für sich genommen nicht grob fahrlässige Fehlhandlungen können in ihrer Gesamtheit den Vorwurf grober Fahrlässigkeit begründen. Voraussetzung hierfür ist aber, daß sie in ihrer Gesamtheit als den Regelfall weit übersteigende Sorglosigkeit anzusehen sind (RIS‑Justiz RS0030372).

Eine Häufung in ihrer Gesamtheit als grob fahrlässig zu beurteilender Fehlverhalten unter Umständen, die besondere Aufmerksamkeit erfordert hätten, liegt hier vor: Der Kläger, der aufgrund des von ihm wahrgenommenen Andreaskreuzes zu besonderer überdurchschnittlicher Aufmerksamkeit und Vorsicht verpflichtet gewesen wäre (vgl ZVR 1960/353), hat weder auf das wohl nicht überhörbare Pfeifsignal des Zuges geachtet, noch sich in irgendeiner Weise darüber vergewissert, ob ein Zug herannahte. Insbesondere hat er auch seine Fahrgeschwindigkeit in Annäherung an den Bahnübergang nicht herabgesetzt, wodurch im Hinblick auf die Unmöglichkeit eines rasches Abbremens des Zuges eine gravierende Gefahrensituation entstand. Einem Lenker, der sich mit 40 km/h einem Bahnübergang (und sei es auch nur einer Werksbahn) derart sorglos nähert, muß grobe Fahrlässigkeit vorgeworfen werden (vgl 2 Ob 209/82: in dieser Entscheidung hat der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, daß einem Buslenker, der sich einem Eisenbahnübergang nähert, der mit einem Andreaskreuz, nicht jedoch mit einem Schranken abgesichert ist, ohne darauf zu achten, ob ein gefahrloses Übersetzen möglich ist, ein schwerer Verstoß zur Last fällt).

An der dem Kläger demnach vorzuwerfenden groben Fahrlässigkeit kann eine geringe (ein PKW deckt nur ganz geringfügig einen Zug mit 12 Waggons ab) Sichtbehinderung durch den PKW B***** nichts ändern. Dies auch dann, wenn die von der Beklagten angestrebte Sachverhaltskorrektur vorgenommen worden wäre. Es erübrigt sich daher, auf die Mängelrüge der Revision einzugehen, wonach sich das Berufungsgericht mit der betreffenden Feststellungsrüge zu Unrecht nicht auseinandergesetzt habe.

In Stattgebung der Revision war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

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