OGH 7Ob215/98p

OGH7Ob215/98p28.4.1999

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich, Dr. Tittel, Dr. Huber und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Hannes R*****, und 2. Elisabeth R*****, beide vertreten durch Dr. Gert Ragossnig, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei S***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr. Alfred Lind und Dr. Klaus Rainer, Rechtsanwälte in Graz, wegen S

293.948 sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom 30. April 1998, GZ 2 R 59/98h-50, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 22. Jänner 1998, GZ 23 Cg 300/96s-44, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien die mit S

13.414 (darin enthalten S 2.235,75 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die beklagte Partei wurde mit Bauarbeiten für die Wohnanlage "H*****" beauftragt. Im Zuge der Errichtung des Kellergeschosses und der Tiefgarage hob die beklagte Partei eine Baugrube von 3 m Tiefe und einem Fassungsvermögen von 10.000 m3 aus. Entlang der Westgrenze des Baugrundes verläuft der P*****bach. Südlich der Baustelle befindet sich die E*****siedlung.

Der P*****bach entwässert das P*****tal in westliche Richtung. Er führt durch ein schmales Bachbett mit steilen Uferböschungen, die an einzelnen Stellen durch Steinschlichtungen und Bohlenwände gesichert sind. Die Uferdämme bzw Uferkronen reichen bis über 1 m über das angrenzende Gelände. Im Bereich der Baugrube verblieb am linken Bachufer kein Damm im Sinn einer baulichen Anlage, sondern ein Erdkörper, der zwischen der Baugrubenböschung und der Uferböschung lediglich 1,10 m breit war. Das Ufergelände war durch die Abgrabung der Bachböschung wesentlich verschmälert worden.

Am 15. 8. 1996 kam es aufgrund wolkenbruchartiger Regenfälle zu einem Anstieg des Bachwasserspiegels. Aufgrund der anhaltenden starken Niederschläge wurde in den frühen Abendstunden die Feuerwehr verständigt, weil der P*****bach über die Ufer zu treten drohte. Kurz danach, zwischen 17,30 Uhr und 18,00 Uhr, jedenfalls noch vor dem Eintreffen der Feuerwehr, ist die noch verbliebene Naturböschung zwischen Bach und Baugrube auf eine Länge von ca 8 cm bis 10 m geborsten. Das gesamte Bachwasser trat in die Baugrube über. Nach Auffüllung der Baugrube strömten die Wassermassen auf das tieferliegende benachbarte Gelände und in die E*****siedlung, wo unter anderem der Keller der Kläger unter Wasser gesetzt wurde. Eine völlige Abdichtung der Bruchstelle gelang erst in den frühen Morgenstunden des 16. 8. 1996.

Im Bereich der Bruchstelle reichte die Baugrube am nächsten an den P*****bach heran. Die beklagte Partei hatte an dieser Stelle einen Sickerschlitz unmittelbar außerhalb der Bodenplatte ausgehoben, wobei die Minimalentfernung zur benetzten Bachsohle 6 m betrug. Weiters war am Rand der Baugrube ein Sickerschacht mit einem Durchmesser von 2,5 m und einer Tiefe von 7 m ausgeführt worden.

Der Unterlauf des P*****baches war nach der Bruchstelle leer. Der Bach wurde gleichsam in die Baugrube umgeleitet. Der Dammbruch erfolgte, weil der zwischen dem P*****bach und der Baugrube verbleibende Erdkörper und die Baugrubenböschung sowohl für eine Wasserführung bei vollem Querschnitt ohne Überflutung (ca 5 m3 pro Sekunde) als auch für die Möglichkeit einer Überflutung (maximal 7 m3 pro Sekunde Wasserführung) nicht ausreichend stabil dimensioniert war. Geht man von einer halbstündigen Uferüberströmung und einem Gelände im Urzustand, also vor der Baugrubenaushebung, aus, hätten sich ca 2 m3 pro Sekunde an Wasser linksseitig und rechtsseitig des P*****baches über das Gelände ergossen. Geht man weiters davon aus, daß die Uferüberströmung allein in östliche Richtung, also linksseitig des Baches, erfolgt wäre, wären ca 3600 m3 Wasser über das Ufer getreten. Diese Wassermassen wären von der Feuerwehr gut kontrollierbar gewesen. Bei Annahme derselben Voraussetzungen (eine halbstündige Uferüberströmung) und einer anschließenden mittleren Wasserführung von ca 3 m3 pro Sekunde bis zum Abdichten der Bruchstelle wären bei einem Dammbruch ca 132.200 m3 Wasser ausgeströmt. Im direkten Vergleich würde dies bedeuten, daß die Überflutung im Urzustand ca 3 % der durch den Bruch des Erddammes eingetretenen Überflutung betragen hätte. Die erdstatischen Berechnungen zeigen überdies, daß es infolge des Baugrubenaushubes auch bereits bei ansteigendem Bachwasserspiegel ohne extremes Hochwasserereignis und einem Festigkeitsabbau infolge Durchnässung zu einem Dammbruch kommen hätte können.

Die Kläger sind Wohnungseigentumswerber einer Wohnung im Haus E*****weg 41 und zur Nutzung des dazugehörenden Kellerabteiles berechtigt. Durch die Überflutung und Verschlammung der Kellerräume der Kläger bis zu einer Höhe von 1,80 m wurden die dort gelagerten Gegenstände unbrauchbar. Die Kläger wendeten insgesamt 119 Arbeitsstunden für Aufräum- und Wiederherstellungsarbeiten im Keller auf.

Die Kläger begehrten S 293.948 sA als Ersatz für den ihnen durch das Hochwasser verursachten Schaden. Die beklagte Partei habe die Baugrube viel zu nahe bei der Böschung des P*****baches angelegt. Sie habe es unterlassen, zweckdienliche Maßnahmen zur Befestigung der Böschung zu setzen. Die beklagte Partei habe daher schuldhaft die ihr obliegenden Verkehrssicherungspflichten verletzt und hafte aus dem Titel des Schadenersatzes. Zudem werde ein verschuldensunabhängiger Ausgleichsanspruch in Analogie zu § 364a ABGB geltend gemacht. Des weiteren werde der Anspruch auch auf § 1319 ABGB gestützt.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Die Überschwemmung sei ausschließlich auf die sintflutartigen Regenfälle zurückzuführen. Die beklagte Partei habe die seitens des Straßen- und Brückenbauamtes erteilten Auflagen eingehalten. Der Schaden wäre auch ohne die Bauführung der beklagten Partei eingetreten. Die Baugrube habe vielmehr die Wirkung eines Zurückhaltebeckens gehabt, das die Überschwemmung reduziert habe.

Das Erstgericht sprach den Kläger S 243.170 sA zu und wies das Mehrbegehren von S 50.878 sA unbekämpft ab. Den Klägern stehe ein verschuldensunabhängiger Ersatzanspruch nach den §§ 364 f ABGB zu. Da die beklagte Partei durch das Ausheben der Baugrube nahe dem Bachbett auch die Instabilität der Böschung hervorgerufen habe, hafte sie zudem aus dem Titel des Schadenersatzes.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Der Bauunternehmer hafte zwar nicht nachbarrechtlich, weil ihm aufgrund des Werkvertrages keine Benützungsbefugnis des Nachbargrundes eingeräumt sei. Die beklagte Partei hafte aber nach dem Ingerenzprinzip, weil sie dadurch eine Gefahrenquelle geschaffen habe, daß sie eine 3 m tiefe Baugrube unmittelbar neben dem P*****bach ausgehoben, nur einen 1, 1 m breiten Erdwall belassen und die Grundsohle unter dem Bachbettniveau angelegt habe. Die Beweislast für die Einhaltung der objektiv gebotenen Sorgfalt habe daher die beklagte Partei als zur Sorgfalt verpflichtete Partei getroffen. Die beklagte Partei habe keine zielführenden Maßnahmen gegen die später verwirklichte Gefahr gesetzt. Zudem hafte sie nach § 1319 ABGB. Die Kläger hätten die Mangelhaftigkeit des Werkes als Schadensursache erwiesen, weil feststehe, daß der verbliebene Erddamm nicht ausreichend stabil dimensioniert gewesen sei. Die Revision sei zulässig, weil in der Lehre Meinungsdifferenzen zur Rechtsprechung hinsichtlich der Störereigenschaft bei der nachbarrechtlichen Haftung, der Beweislastumkehr zu Lasten des die Gefahrenquelle Schaffenden und zur Reichweite des § 1319 ABGB bestünden.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der beklagten Partei ist zulässig. Sie ist aber nicht berechtigt.

Es entspricht zwar der ungeachtet der Ansicht Oberhammers (in Schwimann, ABGB2 II, Rz 8 zu § 364 ABGB) aufrechterhaltenen Rechtsprechung des OGH, daß ein Bauführer, der aufgrund eines Werkvertrages Bauarbeiten auf dem Nachbargrund durchführt, mangels Benützung des Grundstückes für eigene Zwecke nicht nachbarrechtlich haftet, weil ihm aufgrund des Werkvertrages keine Benützungsbefugnis eingeräumt ist und eine Ausdehnung der nachbarrechtlichen Haftung auf solche Unternehmer mit dem Sinn und Zweck des Nachbarrechts nicht in Einklang gebracht werden kann (SZ 44/140; 1 Ob 22/88; 1 Ob 568/94; 1 Ob 2337/96z; 1 Ob 71/97s ua).

Die beklagte Partei haftet jedoch, wie das Berufungsgericht ebenfalls zutreffend ausgeführt hat, nach § 1319 ABGB. Die beklagte Partei war vom Liegenschaftseigentümer mit der Herstellung eines Werkes beauftragt. "Werk" im Sinn des § 1319 ABGB ist jeder künstliche Aufbau, aber auch jede künstliche Bodenvertiefung oder willkürliche Gestaltung der natürlichen Boden- und Geländebeschaffenheit (4 Ob 2334/96f). Hiezu zählt insbesondere auch eine Baugrube zur Herstellung einer Tiefgarage (ZVR 1963, 104; EvBl 1970/224; SZ 40/136; 5 Ob 87/75 = MietSlg 27.235). Koziol (Österreichisches Haftpflichtrecht2 II, 397) meint, daß die Verschärfung der Haftung durch § 1319 ABGB wegen der Gefährlichkeit von Bauwerken infolge ihrer Höhe angeordnet wurde. Der Oberste Gerichtshof hat sich jedoch in neueren Entscheidungen dieser Auffassung nicht angeschlossen und vielmehr die Ansicht Reischauers (in Rummel, ABGB2 II, Rz 2 zu § 1319 ABGB) geteilt, daß nach dem Gesetzeszweck mit dem Begriff "Einsturz oder Ablösung" auch alle anderen Gefahren, die sich aus der Statik und Dynamik eines Werkes ergeben, umfaßt sein sollen (4 Ob 2334/96 f ua). Ungeachtet dessen liegt hier ohnedies ein Fall des "Einsturzes" bzw der "Ablösung", nämlich des nach Schaffung der 3 m tiefen Baugrube verbliebenen Erdreiches vor, so daß es auf die aufgezeigte strittige Interpretation des § 1319 ABGB im hier vorliegenden Fall nicht entscheidend ankommt (vgl JBl 1986, 523).

Als "Besitzer" im Sinn des § 1319 ABGB ist zu betrachten, wer die Sache auf eigene Rechnung in Gebrauch hat, aus ihr Vorteile zieht und über sie so weit disponieren kann, daß ihm Maßnahmen zur Vorbeugung gegen die von der Sache ausgehenden Gefahren möglich und zumutbar sind. Nach moderner Terminologie ist darunter der "Halter" zu verstehen, wie ihn § 1320 ABGB erstmals erwähnte, der wiederum Vorbild zur Lösung vergleichbarer Haftungsprobleme wurde. Es kommt nicht auf das rechtliche, sondern auf das tatsächliche und wirtschaftliche Verhältnis an, in dem der Besitzer bzw Halter zur Sache steht. Maßgebend ist eine Sachbeziehung, die den Besitzer in die Lage versetzt und nach der Verkehrsanschauung auch dazu verpflichtet, Gefahren rechtzeitig vorzubeugen. In diesem Sinn wurde bereits in den Gesetzesmaterialien zur 3. Teilnovelle die Möglichkeit der Gefahrenabwehr als wesentliches Begriffsmerkmal des "Besitzers" genannt. Dies deckt sich mit den in neueren Entscheidungen des OGH zu den entscheidenden Kriterien der Halterhaftung nach § 1319 ABGB entwickelten Grundsätzen (5 Ob 77/97b mwN). Diese entscheidende Möglichkeit der zumutbaren Gefahrenabwehr trifft auf den Bauführer zu, der insbesondere deshalb während der Herstellung seines Werkes als Besitzer im Sinn des § 1319 ABGB anzusehen ist (5 Ob 77/97b; SZ 40/136 ua).

Um die Haftung der beklagten Partei in Anspruch zu nehmen, hatten die Kläger nur den Besitz der beklagten Partei am Bauwerk und dessen Mangelhaftigkeit als Schadensursache zu beweisen. Beide Nachweise sind ihnen gelungen. Zur Befreiung von dieser Haftung hätte die beklagte Partei nachweisen müssen, daß sie alle zur Abwendung der Gefahr erforderliche Sorgfalt aufgewendet hat. Der Gesetzgeber stellt hiebei auf einen objektiven Sorgfaltsbegriff ab. Der Entlastungsbeweis ist dann erbracht, wenn der Besitzer beweist, daß er Vorkehrungen getroffen hat, die vernünftigerweise nach der Auffassung des Verkehrs erwartet werden können (4 Ob 2334/96f mwN). Das Maß der Zumutbarkeit geeigneter Vorkehrungen gegen den Schadenseintritt läßt sich nur in einem durch die Auffassung der Allgemeinheit und die Vernunft bestimmten Rahmen finden. Erforderlichkeit und Zumutbarkeit der Maßnahmen bestimmen sich unter Berücksichtigung der Umstände des Falles nach Größe und Schwere der drohenden Gefahr (1 Ob 277/97k mwN).

Mit der Behauptung, sie habe alle dem Bauwerber seitens der Baubehörde vorgeschriebene Auflagen eingehalten, kann sich die beklagte Partei schon deshalb nicht vom Vorwurf der Verletzung der ihr als Bauführer obliegenden Sorgfaltspflicht befreien, weil sich diese von der beklagten Partei im einzelnen behaupteten Bauauflagen auf das fertige Gesamtprojekt, nicht aber auf die Herstellung des Bauwerkes beziehen. Lediglich der Sicherheitsschlitz mußte bis zur Fertigstellung des Rohbaues funktionstüchtig sein. Die Phase der Baudurchführung wird im übrigen durch die Auflagen nicht betroffen. Es sind darin keine Richtlinien zur Sicherung der Böschung der an das Bachbett angrenzenden Baugrube und der Künettenwende während der Bauarbeiten enthalten.

Der von der beklagten Partei angelegte Sickerschlitz war, wie das Berufungsgericht zutreffend ausführte, zur Abwehr von Hochwasserschäden völlig ungeeignet und konnte nur eine Vorkehrung gegen eine Durchfeuchtung des zu errichtenden Bauwerkes darstellen.

Die Mangelhaftigkeit des Werkes muß nicht die alleinige Ursache für den Einsturz oder die Ablösung sein. Vielmehr spricht ein solches Ereignis, das durch - wenn auch seltene - Witterungseinflüsse, mit denen gerechnet werden muß, hervorgerufen wird, gerade für die Mangelhaftigkeit des Werkes (RZ 1988/44; 5 Ob 77/97b). Ein plötzlicher heftiger Sommerregen und ein dadurch hervorgerufenes starkes Anschwellen eines Baches und selbst das Übertreten eines unregulierten Baches aus seinem ohnehin nur knapp dimensionierten Bachbett stellt kein außergewöhnliches Naturereignis, sondern eine den klimatischen Gegebenheiten entsprechende und vorhersehbare Situation dar. Ein solches Ereignis ist bei der Durchführung eines Bauwerkes in unmittelbarer Nähe eines Bachbettes durchaus einzukalkulieren. Warum die Gefahr, daß ein bloß 1,1 m schmaler, ungestützter und unverstärkter Erdwall bei einer entsprechend starken Wasserführung eines Baches brechen könnte, der beklagten Partei als fachkundigen Bauunternehmer nicht erkennbar gewesen sein sollte, konnte von ihr nicht dargetan werden.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen waren daher zu bestätigen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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