OGH 1Ob32/99h

OGH1Ob32/99h27.4.1999

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden Parteien 1. Erwin P*****, und 2. Peter S*****, beide vertreten durch Dr. Anton Gradischnig, Dr. Peter Gradischnig, Dr. Gerhard Gradischnig und Dr. Margit Niederleitner-Gradischnig, Rechtsanwälte in Villach, wider die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1., Singerstraße 17-19, und den Nebenintervenienten Dr. Dieter V*****, vertreten durch Dr. Erwin Gstirner, Rechtsanwalt in Graz, wegen 1. S 76.300,-- sA, und 2. S 319.368,-- sA, infolge ordentlicher Revision der erstklagenden und außerordentlicher Revision der zweitklagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 7. Juli 1998, GZ 5 R 67/98g-26, womit das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 16. Jänner 1998, GZ 24 Cg 36/97v-15 (24 Cg 80/97i), abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Beide Revisionen werden zurückgewiesen.

Die beklagte Partei und der Nebenintervenient haben die Kosten ihrer Revisionsbeantwortungen selbst zu tragen.

Text

Begründung

Vorauszuschicken ist, daß das von einem weiteren (ursprünglich Zweit-)Kläger gegen die beklagte Partei erhobene Klagebegehren rechtskräftig abgewiesen wurde, weshalb darauf nicht mehr weiter einzugehen ist.

Der Erstkläger begehrt die Zahlung von S 76.300 sA, der Zweitkläger S

319.368 sA. Die Kläger hätten am 22. 12. 1994 gemeinsam mit anderen Landwirten zehn Schwarzbuntzuchtrinder von Deutschland nach Österreich importiert. Bereits in Deutschland seien die erforderlichen Blutuntersuchungen durchgeführt und vorsichtshalber eine zweimalige Untersuchung auf IBR/IPV (= infektiöse bovine Rhinotracheitis/infektiöse pustulöse Vulvovaginitis) vorgenommen worden. Nach der negativen Befundung seien die Tiere drei Wochen lang in Österreich in einem Quarantänestall gewesen. Der Amtstierarzt der zuständigen Bezirkshauptmannschaft habe die Tiere an dem der Ankunft folgenden Tag (23. 12. 1994) untersucht. Das hiebei abgenommene Blut sei untersucht und, soweit es IBR/IPV betraf, negativ befundet worden. Die Tiere seien nach Ablauf der dreiwöchigen Quarantäne auf die Importeure aufgeteilt worden. Der Erstkläger habe ein Rind, der Zweitkläger habe zwei Rinder erworben. Kurze Zeit nach Freigabe der Rinder aus der Quarantäne sei in einem Betrieb festgestellt worden, daß die Tiere positiv auf IBR/IPV reagierten und andere Tiere angesteckt hätten. Die Schlachtung der erkrankten Tiere sei behördlich verfügt worden. Die Amtshaftungsansprüche stützten sich darauf, daß der Amtstierarzt die importierten Tiere bereits am zweiten Tag nach deren Einstellung im Quarantänestall der erforderlichen Blutuntersuchung unterzogen habe, obwohl ihm hätte bekannt sein müssen, daß die IBR/IPV-Infektion eine "Latentinfektion" sei, bei der die Krankheitserscheinungen erst nach 21 Tagen aufträten. Bei Vornahme der Blutuntersuchung am Ende der Quarantänezeit wäre eine positive Reaktion der importierten Tiere auf IBR/IPV festgestellt worden; dann wäre eine Auslieferung in den Stall der Kläger und damit die Ansteckung anderer Rinder unterblieben. Damit wäre aber auch der Schaden auf die Importtiere beschränkt gewesen. Weiters sei dem Amtstierarzt als Organ der beklagten Partei anzulasten, daß er trotz der für IBR/IPV typischer Krankheitserscheinungen keine weiteren Untersuchungen zur Feststellung von IBR/IPV veranlaßt habe. Beim Erstkläger seien vier und beim Zweitkläger 22 Tiere infiziert worden. Der Schaden der Kläger errechne sich aus dem Schätzwert der geschlachteten Tiere abzüglich des Schlachterlöses, der staatlichen Ausmerzprämie und der Leistungen aus dem Tierseuchenfonds bzw der Kärntner Bauernhilfe und - nur den Zweitkläger betreffend - unter Hinzurechnung des "Milchentgangs" und von "Beschaffungskosten".

Die beklagte Partei wendete ein, die Tiere seien aufgrund eines Bescheids des Bundesministeriums für Gesundheit und Konsumentenschutz nach Österreich eingeführt worden. Mit dem Importbescheid sei die Verpflichtung verbunden gewesen, daß die Tiere innerhalb der letzten 40 Tage vor der Absendung nach Österreich oder seit ihrer Geburt im Herkunftsbetrieb gehalten, daß sämtliche Rinder des Herkunftsbestands innerhalb der letzten zwei Jahre und daß die Tiere selbst innerhalb der letzten 30 Tage vor der Absendung serologisch auf IBR/IPV mit negativem Ergebnis untersucht worden seien. Die Erfüllung dieser Verpflichtung sei durch die zuständigen staatlichen Veterinärämter bestätigt und damit die Seuchenfreiheit der Tiere von den staatlichen Kontrollinstanzen des Exportlands festgestellt worden. Der österreichische Amtstierarzt sei nicht verpflichtet gewesen, mehr als eine Blutabnahme vorzunehmen, zumal keine Anhaltspunkte dafür vorgelegen seien, daß sich die Tiere in der Inkubationsphase befinden könnten. Zweck des IBR/IPV-Gesetzes, BGBl 1989/636, sei die erfolgreiche Bekämpfung der genannten Krankheiten, nicht aber die Abgabe einer Garantie der Seuchenfreiheit der importieren Tiere gegenüber dem Importeur. Anzeichen einer Erkrankung seien für den Amtstierarzt nicht erkennbar gewesen.

Das Erstgericht gab beiden Klagebegehren statt.

Es stellte fest, den importierten Tieren sei am 8. bzw 16. 12. 1994 Blut abgenommen worden. Gemäß der Bestätigung des zuständigen Tiergesundheitsamts in Deutschland sei die Untersuchung auf IBR/IPV negativ verlaufen. Die Einfuhr der Rinder sei mit Bescheid des Bundesministeriums für Gesundheit, Sport und Konsumentenschutz vom 22. 12. 1994 bewilligt worden. Diesem Bescheid zufolge sei von einem staatlich ermächtigten Tierarzt zu bestätigen, daß die Tiere in den letzten 40 Tagen vor der Absendung nach Österreich oder seit ihrer Geburt im Herkunftsbetrieb gehalten, daß sämtliche Rinder des Herkunftsbestands im Alter von zwei Jahren und darüber innerhalb der letzten zwei Jahre einer serologischen Untersuchung auf IBR/IPV mit negativem Ergebnis unterzogen und nach dieser Bestanduntersuchung keine klinischen Erscheinungen in diesem Sinne erhoben und daß die Tiere innerhalb der letzten 30 Tage vor der Absendung serologisch auf IBR/IPV mit negativem Ergebnis untersucht worden seien. In den von deutschen Stellen ausgestellten veterinärbehördlichen Ursprungs- und Gesundheitszeugnissen sei bescheinigt worden, daß jedes einzelne Tier bei der Verladung untersucht worden sei und keine klinischen Anzeichen einer Krankheit aufgewiesen habe, daß im Herkunftsbetrieb der Tiere während der letzten 30 Tage vor der Absendung amtlich keine "auf Rinder anzeigepflichtigen" Tierseuchen festgestellt und daß die Tiere in den letzten 40 Tagen vor der Absendung nach Österreich oder seit ihrer Geburt im Herkunftsbetrieb gehalten worden seien sowie daß die bereits oben angeführten serologischen Untersuchungen auf IBR/IPV negativ geendet hätten. Die 13 Kalbinnen und ein Stier seien am 22. 12. 1994 nach Österreich gebracht und in einem Betrieb in Quarantäne gestellt worden. Am 23. 12. 1994 habe sie der Nebenintervenient als Amtstierarzt untersucht und den Tieren Blut abgenommen, wobei sich für IBR/IPV negative Befundungen ergeben hätten. Nach Abschluß der Quarantäne und Aufteilung der Tiere auf die einzelnen Besitzer seien bei zwei der importierten Tiere IBR/IPV-positive Befunde erhoben worden. Dies habe zu (neuerlichen) Blutproben bei allen importierten Rindern geführt; dabei seien weitere IBR/IPV-Reagenten ermittelt worden, was im Betrieb des Erstklägers die Schlachtung von vier Tieren und im Betrieb des Drittklägers die Tötung von 22 Tieren zur Folge gehabt. IBR sei klinisch von der sogenannten Rindergrippe nicht zu unterscheiden. Ein Rind stecke sich mit IBR/IPV hauptsächlich durch Kontakt mit infizierten Tieren an. In einem unverseuchten Bestand werde diese Krankheit fast immer durch die Einstellung eines angesteckten Rindes eingeschleppt. Diese Tiere, die zur Verseuchung eines ganzen Bestands beitragen können, schienen selbst häufig gesund zu sein. Sie seien entweder latent infiziert (trugen also den Krankheitserreger in sich, ohne selbst krank zu sein, könnten die Krankheit aber auf andere Tiere übertragen) oder befänden sich in einer Inkubationsphase, also in einem Zeitraum zwischen der Ansteckung mit dem Krankheitserreger und dem Ausbruch der Krankheit. Die Krankheit könne oft erst nach einiger Zeit im neuen Bestand festgestellt werden. Die Inkubationszeit erstrecke sich von zwei Tagen bis zu mehreren Wochen. Die Krankheit sei durch hohes Fieber, Freßlustverminderung, vermehrte Atemfrequenz, Schweratmigkeit und Husten gekennzeichnet. Es könne wäßrig-schleimiger bis eitriger Nasenausfluß beobachtet werden. Meist begleiteten Entzündungen der Atemschleimhäute mit Augenausfluß die Erkrankung. Der Nachweis einer derartigen Infektion erfolge mittels Blutuntersuchung, die vom 9. Krankheitstag ab dem Ausbruch der Krankheit an zielführend sei. Bei latenter Infektion könne man allerdings nicht sagen, wieviel Zeit von der tatsächlichen Infektion bis zu dem Zeitpunkt verstreichen müsse, in dem der Antikörperspiegel eine nachweisbare Grenze überschreite. Im vorliegenden Fall habe es sich um eine latente Infektion gehandelt. Entweder sei eine der in Deutschland attestierten Untersuchungen nicht ordnungsgemäß gemacht worden, oder die Tiere stammten nicht aus IBR-freien Beständen. In Deutschland habe sich damals der Verseuchungsgrad auf etwa 16 % belaufen, in Österreich habe er nahezu 0 % betragen. Es sei aber auch möglich, daß die Untersuchung innerhalb der letzten Tage korrekt durchgeführt worden sei, die Nachweisgrenze aber nicht gegeben gewesen sei. Bei mehreren der importierten Tiere sei Husten und schleimig-rotziger Nasenausfluß festgestellt worden, als die Landwirte die Tiere abholten. Auch dem Nebenintervenienten sei ein Husten bei diesen Tieren aufgefallen. Er habe dies aber rindergrippeartigen Symptomen zugeordnet. Hätte der Nebenintervenient Verdacht auf IBR gehegt, dann hätte er jedenfalls weitere Untersuchungen veranlassen müssen. Die infizierten Tiere hätten geschlachtet werden müssen; es sei ein Schaden in Höhe der eingeklagten Beträge entstanden.

In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Ansicht, den Nebenintervenienten treffe ein Verschulden, weil ihm der Husten einiger Tiere aufgefallen sei, was ihm im Hinblick auf eine Verseuchung mit IBR hätte verdächtig erscheinen müssen. Er hätte schon deshalb, weil in Deutschland der Verseuchungsgrad etwa 16 % betragen habe und weil die serologischen Untersuchungen, die in Deutschland durchgeführt worden seien, keinen verläßlichen Ausschluß von Krankheitserregern dokumentierten, noch weitere Untersuchungen, zumindest aber eine weitere Blutabnahme gegen Ende der Quarantänezeit anordnen müssen.

Das Berufungsgericht wies die Klagebegehren ab. Es sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei, änderte diesen Ausspruch aber später dahin ab, daß es im Verfahren des Erstklägers die ordentliche Revision doch als zulässig erklärte. Ziel des IBR/IPV-Gesetzes sei die Bekämpfung der dort genannten Krankheiten. Daran habe sich der Importbescheid des zuständigen Ministeriums orientiert. Der Nebenintervenient als Amtstierarzt habe sich an diesen Importbescheid gehalten, die erforderlichen Proben genommen und zur Untersuchung eingesandt. Daß er die bei den Tieren aufgetretenen Krankheitssymptome auf eine reisebedingte Erkältung zurückgeführt habe, sei ihm nicht vorzuwerfen, weil die deutschen veterinärmedizinischen Zeugnisse eine serologische Untersuchung der in den letzten 40 Tagen im Herkunftsbetrieb gehaltenen Rinder mit negativem Ergebnis innerhalb der letzten 30 Tage vor Absendung der Tiere bestätigt hätten und auch die von ihm bei den importierten Rindern gezogenen Proben negativ gewesen seien. Ein veterinärmedizinisches Fehlverhalten des Nebenintervenienten liege daher nicht vor. Die von der zuständigen Verwaltungsbehörde im Zuge der Importgenehmigung ergriffenen Maßnahmen seien als fehlerfrei anzusehen. Es sei aber auch der Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen dem Inhalt des Importbescheids und dem eingetretenen Schaden zu verneinen. Die relevanten veterinärmedizinischen Vorschriften, die beim Tierimport zu beachten seien, dienten nicht den einzelnen wirtschaftlichen Interessen des Viehimporteurs bzw Viehkäufers. Ein amtshaftungsbegründendes Verhalten des Amtstierarztes und auch der zuständigen Verwaltungsbehörden sei demnach zu verneinen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revisionen beider Kläger sind unzulässig.

Nach § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision nur zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist. Bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision ist das Revisionsgericht an einen Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO nicht gebunden (§ 508a Abs 1 ZPO). Eine erhebliche Rechtsfrage ist bei beiden Revisionen nicht ersichtlich und wird in den Rechtsmittelschriftsätzen auch nicht aufgezeigt:

Gewiß ist der für den Nebenintervenienten, der für die beklagte Partei tätig geworden ist, maßgebliche Haftungsmaßstab an der Sorgfalt eines Sachverständigen im Sinne des § 1299 ABGB zu messen. Die Haftung der im § 1 Abs 1 AHG genannten Rechtsträger ist aber nur dann zu bejahen, wenn der Schaden schuldhaft von einem Organ des Rechtsträgers zugefügt wurde. Davon kann im vorliegenden Fall keine Rede sein. Die Vorinstanzen haben festgestellt, daß dem Nebenintervenienten veterinärmedizinisches Fehlverhalten nicht zur Last fällt; hat doch der dem erstinstanzlichen Verfahren beigezogene Sachverständige bekundet, das Verhalten des Amtstierarztes sei fachlich richtig gewesen, weil die beschriebenen Krankheitsbilder unter Berücksichtigung des Vorberichts und des negativen serologischen IBR/IPV-Untersuchungsergebnisses vom 23. 12. 1994 als Rindergrippe oder rindergrippeähnliche Erkrankung im Zusammenhang mit dem Transport zu werten gewesen seien. Die von den Klägern geforderte "zweite Blutuntersuchung" am Ende der Quarantänezeit ist weder im Gesetz vorgesehen, noch war sie durch die vom Nebenintervenienten wahrgenommenen Krankheitssymptome der Tiere geboten. Davon, daß der Nebenintervenient die Krankheitssymptome "vollkommen negiert" habe, kann deshalb keine Rede sein. Der in Deutschland damals herrschende Verseuchungsgrad von IBR/IPV hätte den Amtstierarzt aufgrund des sonstigen, ihm bekannten Sachverhalts nicht dazu veranlassen müssen, trotz fehlender Verdachtsmomente das Vorliegen von IBR/IPV anzunehmen und weitere, durch nichts indizierte Untersuchungen in Auftrag zu geben. Mag nunmehr eine zweimalige IBR/IPV-Untersuchung von den Behörden für zweckmäßig erachtet werden, so gab es damals hiefür weder eine gesetzliche Grundlage noch einen fachlich begründeten Anhaltspunkt. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Quarantänebestimmungen unter anderem auch verhindern sollen, daß die IBR/IPV-Tierseuche nach Österreich eingeschleppt wird, mangelt es doch im vorliegenden Fall schon am Verschulden des für die beklagte Partei tätig gewordenen Organs (des Nebenintervenienten), sodaß die Amtshaftung zu verneinen ist.

Beide Revisionen sind zurückzuweisen.

Die beklagte Partei und der Nebenintervenient haben in ihren Revisionsbeantwortungen auf die Unzulässigkeit der Revision des Erstklägers nicht hingewiesen, sodaß sie die Kosten dieser Rechtsmittelschriftsätze gemäß §§ 40, 50 ZPO selbst zu tragen haben.

Stichworte