OGH 15Os18/99

OGH15Os18/9911.3.1999

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. März 1999 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder, Dr. Schmucker, Dr. Zehetner und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Matz als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Robert B***** wegen des Verbrechens nach § 28 Abs 2 vierter Fall, Abs 3 erster Fall und Abs 4 Z 3 SMG und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 22. September 1998, GZ 6 a Vr 7745/98-61, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Gemäß § 390a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Robert B***** des Verbrechens nach § 28 Abs 2 vierter Fall, Abs 3 erster Fall und Abs 4 Z 3 SMG (1.) und des Vergehens nach § 27 Abs 1 erster und zweiter Fall SMG (2.) schuldig erkannt.

Danach hat er in Wien den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgifte, und zwar

1. in einer großen Menge gewerbsmäßig in Verkehr gesetzt, indem er von Juni 1997 bis März 1998 eine nicht mehr genau feststellbare, 1 kg jedenfalls übersteigende Menge an Heroin (gemeint:) und Kokain an die abgesondert verfolgten Robert M***** und Heinz G***** sowie an weitere unbekannt gebliebene, von M***** vermittelte Abnehmer verkaufte, wobei er die Taten mit Beziehung auf ein Suchtgift beging, dessen Menge zumindest das Fünfundzwanzigfache der im § 28 Abs 6 SMG angeführten Menge ausmacht;

2. von Ende Oktober 1997 bis Anfang Feber 1998 Heroin und Kokain wiederholt erworben und besessen.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen vom Angeklagten aus Z 3, 5 und 10 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde ist nicht im Recht.

Die Verfahrensrüge (Z 3) behauptet eine Urteilsnichtigkeit, weil Heinz G***** in der Hauptverhandlung am 22. September 1998, ohne vorher über sein Entschlagungsrecht nach § 152 Abs 1 Z 1 StPO belehrt worden zu sein, als Zeuge vernommen und seine Aussage im Urteil auch verwertet wurde. Sie übersieht, daß dieser Zeuge nicht berechtigt war, die Aussage zu verweigern. Das Erstgericht hat auf Grund der Erklärungen dieses Zeugen zu Beginn der Vernehmung, er sei im Umfang seines Geständnisses rechtskräftig verurteilt worden und was er bei der polizeilichen Vernehmung gesagt habe, sei richtig (S 479/I), die Frage über die Voraussetzungen einer Zeugnisbefreiung wegen allfälliger Selbstbelastungsgefahr fallbezogen zutreffend verneint. Bei derartiger Konstellation ist nämlich zu prüfen, ob die Aussage des Zeugen die Gefahr einer Selbstbezichtigung herbeizuführen geeignet ist. Von dem einen gegen ihn erhobenen Vorwurf als zu Recht bestehend anerkannt habenden Zeugen kann generell nicht angenommen werden, er werde sich im Umfang seines Geständnisses durch eine inhaltsgleiche wahrheitsgemäße Aussage zusätzlich belasten und damit ein weiteres Beweismittel gegen sich schaffen können (vgl hiezu EvBl 1994/138 uam). Bei dieser Sachlage war die von der Beschwerde reklamierte Belehrungspflicht über das Entschlagungsrecht (§ 152 Abs 5 StPO) nicht (mehr) aktuell.

Der weitere Einwand, dem Angeklagten sei die Verantwortung des in der Hauptverhandlung vom 7. August 1998 abgesondert vernommenen Mitangeklagten M***** entgegen der Vorschrift des § 250 Abs 1 StPO niemals vorgehalten worden, scheitert schon an der Erneuerung der Hauptverhandlung am 22. September 1998 gemäß § 276a zweiter Satz StPO (wegen geänderter Zusammensetzung des Senates), weil allfällige Nichtigkeiten, die sich im Zusammenhang mit der ursprünglich (am 7. August 1998) durchgeführten Hauptverhandlung ergeben haben könnten, obsolet geworden sind (Mayerhofer StPO4 § 276a E 8). Davon abgesehen wurden die wesentlichen Teile der (in Gegenwart seines Verteidigers abgelegten) Verantwortung M*****s ohnehin bereits in der Hauptverhandlung vom 7. August 1998 erörtert und dem Beschwerdeführer vorgehalten (vgl etwa S 363, 367, 371, 375/I). Sie wurde aber auch in der Hauptverhandlung vom 22. September 1998 einverständlich verlesen und damit dem Beschwerdeführer zur Kenntnis gebracht (S 471 und 487/I). Soweit die Verfahrensrüge das Unterbleiben einer Übersetzung der Verlesungen moniert, ermangelt es schon eines diesbezüglichen Antrags in erster Instanz

Die Behauptung der Mängelrüge (Z 5), der zum Urteilsfaktum 1. festgestellte Tatzeitraum sei durch Vernehmungsergebnisse nicht objektiviert und die Konstatierung des Inverkehrsetzens einer 1 kg jedenfalls übersteigenden Menge an Heroin und Kokain aktenwidrig und offenbar unzureichend begründet, ist nicht stichhältig.

Die Beschwerde stützt ihre Argumentation prozeßordnungswidrig bloß auf isolierte Einzelaspekte und auf selektierte, ihren Standpunkt entsprechende Passagen vorwiegend von Aussagen der abgesondert verfolgten Heinz G***** und Robert M***** in der Hauptverhandlung. Das Erstgericht hat jedoch sowohl den Beginn des Tatzeitraumes (Juni 1997) als auch die bis März 1998 durch sukzessiven, gewerbsmäßigen Verkauf an eine Vielzahl von Personen in Verkehr gesetzte, insgesamt übergroße Menge von mehr als 1 kg Heroin und Kokain nach einer ausführlichen und kritischen Gesamtbeurteilung aller maßgebenden Verfahrensergebnisse (vgl etwa S 65, 71, 141 ff, 177, 227, 327a/I und ON 49) sowie unter Verwertung des von den beteiligten, namentlich bekannten Personen gewonnenen Eindrucks nach den Grundsätzen der freien Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) festgestellt (US 3 ff, 8 f) und diese Konstatierungen auch aktengetreu, widerspruchsfrei, zureichend (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) sowie in Übereinstimmung mit den Denkgesetzen, demnach formal mängelfrei begründet, ohne dagegensprechende Beweisergebnisse mit Stillschweigen zu übergehen (US 5 ff).

Die Subsumtionsrüge (Z 10) verfehlt die gesetzmäßige Darstellung des angerufenen materiellen Nichtigkeitsgrundes. Hiefür wird nicht nur ein striktes Festhalten am gesamten objektiven und subjektiven Urteilssachverhalt verlangt, sondern auch der allein auf dieser Basis geführte Nachweis, dem Erstgericht sei ein Feststellungsfehler oder/und ein Rechtsirrtum bei Anwendung des konkreten Gesetzes unterlaufen.

Demgegenüber zitiert die Beschwerde bloß (ohne erkennbaren Sachbezug) Leitsätze aus einem Kommentar zum Suchtmittelgesetz, stellt einen einzigen, isoliert aus dem Zusammenhang gelösten (einmal unvollständig und ein anderes Mal vollständig wiedergegebenen) Satz der Urteilskonstatierungen (vgl US 3 unten bis 4 oben) in den Mittelpunkt ihrer Ausführungen und leitet daraus einerseits die urteilsfremde Schlußfolgerung ab, nach den erstgerichtlichen Feststellungen habe sich der Vorsatz des Angeklagten somit (zwar) auf eine große Menge (§ 28 Abs 2 SMG) bezogen, aber nicht auf die Übermenge (§ 28 Abs 4 Z 3 SMG), und kritisiert andererseits, daß die Feststellungen zur Gewerbsmäßigkeit die Verurteilung gemäß § 28 Abs 3 SMG nicht zu tragen vermögen.

Solcherart übergeht sie prozeßordnungswidrig nicht nur alle weiteren entscheidenden, im Gesamtzusammenhang zu berücksichtigenden, auf tragfähiger Beweisgrundlage beruhenden Urteilsannahmen (US 4 unten f und 8 f), wonach (zusammengefaßt wiedergegeben) der einkommens- und vermögenslose Angeklagte zwischen Juni 1997 und März 1998, also in relativ kurzer Zeit, vorsätzlich Suchtgiftgeschäfte im großen Umfang mit dem Ziel tätigte, sich dadurch (gemeint: durch deren Wiederholung) eine fortlaufende Einnahmequelle zu verschaffen, indem er teils an Robert M*****, Heinz G***** und namentlich nicht bekannte Abnehmer am Wiener Westbahnhof unmittelbar, teils an ca 150 von M***** vermittelte Personen Heroin und Kokain in einer Gesamtmenge von zumindest einem Kilogramm bzw ein Kilogramm jedenfalls übersteigende Mengen verkaufte, die "das 25-fache der im § 28 Abs 6 SMG genannten Grenzmengen (5 Gramm rein bei Heroin, 15 Gramm rein bei Kokain) deutlich überstiegen".

Darüber hinaus fehlen in den Beschwerdeausführungen auch die vorliegend zwingend gebotene sachverhaltsbezogene Auseinandersetzung mit dem (dargelegten) entscheidenden erstgerichtlichen Tatsachensubstrat und der darauf gegründete Nachweis, aus welchen Gründen nach Meinung des Nichtigkeitswerbers daraus kein mit Additionseffekt verbundener, auf die übergroße Menge gerichteter Vorsatz ableitbar und die Annahme der Qualifikation des § 28 Abs 3 SMG rechtsirrig erfolgt ist. Die lediglich auf einen - wie erwähnt - selektiv und isoliert betrachteten Sachverhaltsausschnitt (US 3 f), demzufolge aus dem gewerbsmäßigen Verkauf von großen Suchtgiftmengen auch der Suchtgiftmißbrauch des Angeklagten finanziert werden sollte, gestützte Beschwerdeargumentation, der Rechtsmittelwerber sei nur nach § 28 Abs 3 zweiter Satz SMG zu bestrafen, weil er an ein Suchtgift gewöhnt und die Tat vorwiegend deshalb begangen habe, um sich für den eigenen Gebrauch ein Suchtmittel oder die Mittel zu dessen Erwerb zu verschaffen, ist urteilsfremd und erweitert eigenmächtig, demnach prozeßordnungswidrig, die Tatsachengrundlage.

Dazu kommt, daß der gewerbsmäßige Suchtgiftverkauf den Zeitraum von Juni 1997 bis März 1998 umfaßt (US 2, 4 f, 7), während sich der Suchtgiftkonsum des Angeklagten nur auf die Monate Oktober 1997 bis Februar 1998 erstreckte (US 2, 3). Daraus erhellt, daß die Tatzeiten zu den Schuldsprüchen 1. und 2. nur teilweise ident sind.

Sonach war die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur gemäß § 285d Abs 1 StPO teils als offen- bar unbegründet, teils als nicht gesetzmäßig ausgeführt schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen.

Daraus folgt, daß über die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft das Oberlandesgericht Wien zu entscheiden haben wird (§ 285i StPO).

Zu der in einer Äußerung gemäß § 35 Abs 2 StPO erhobenen Kritik des Beschwerdeführers, die Generalprokuratur trete in ihrer Stellungnahme zwar für eine Beschlußfassung im Sinne des § 285d StPO ein, begründe aber diese Ansicht nicht, genügt der Hinweis auf die Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (vgl ua Bulut gegen Österreich 59/1994/506/588), der eine gleichartige, ebenfalls nicht näher begründete Stellungnahme der Generalprokuratur nicht zu beanstanden fand, sondern aus Gründen der Waffengleichheit deren Zustellung jedenfalls an die Verteidigung für erforderlich erklärt, welcher es dann anheimgestellt ist, in Überlegungen einzutreten, ob und welche Reaktion darauf erfolgen soll (15 Os 21,22/98, 15 Os 97/98 uam).

Es besteht daher keine gesetzliche Handhabe, im Sinne des Antrages des Beschwerdeführers "der Generalprokuratur aufzutragen, ihre "(auch dem Obersten Gerichtshof nicht bekannten)" Gründe für die empfohlene Beschlußfassung nach § 285d StPO offenzulegen und deren Begründung darzustellen, und sodann dem Beschwerdeführer im Sinne eines materiellen Verständnisses des § 35 Abs 2 StPO neuerlich eine Äußerung einzuräumen".

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