OGH 2Ob52/99g

OGH2Ob52/99g11.3.1999

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Außerstreitsache der Antragsteller 1. Maria R*****, 2. ÖK-Rat DI Josef R*****, beide vertreten durch Neumayer & Walter, Rechtsanwälte-Partnerschaft in Wien, wider die Antragsgegnerin Marktgemeinde H*****, vertreten durch Dr. Erich Hermann, Rechtsanwalt in Wien, wegen Entschädigung gemäß § 24 nöROG, infolge Revisionsrekurses der Antragsteller gegen den Beschluß des Landesgerichtes Korneuburg vom 15. Oktober 1998, GZ 22 R 80/98i-20, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Korneuburg vom 22. Jänner 1998, GZ 1 Nc 14/97k-13, bestätigt wurde, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen, die im übrigen als unangefochten unberührt bleiben, werden hinsichtlich des Eventualbegehrens von S 448.000,-- aufgehoben. Die Rechtssache wird insoweit zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsrekurses sind weitere Verfahrenskosten.

Die Revisionsrekursbeantwortung der Antragsgegnerin wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die Antragsteller sind je zur Hälfte Eigentümer mehrerer Grundstücke mit einer Gesamtfläche von rund 2000 m2, die teilweise als Bauland gewidmet waren. Mit Beschluß des Gemeinderates der Antragsgegnerin vom 27. 4. 1995 kam es zur Rückwidmung dieser Grundstücke in Grünland. Der Antrag auf Entschädigung für diese Rückwidmung wurde mit Bescheid des Gemeinderats der Antragsgegnerin vom 14. 3. 1997 abgewiesen. Gemäß § 24 Abs 6 nöROG (nF) beantragten die Antragsteller die Neufestsetzung der Entschädigung durch das Gericht, und zwar die Zuerkennung einer Entschädigung von S 2,950.000,-- gemäß § 24 nöROG in der neuen Fassung gemäß der Novelle 1995 (in Kraft seit 1. 1. 1996), in eventu gemäß der alten Fassung, und zwar als Verkehrswertabgeltung und/oder im Ausmaß von S 2.000,-- für Aufwendungen für Baubewilligung und Baulanderklärung, in eventu S 448.000,-- für erhöhte Anschaffungskosten im Vertrauen auf die Widmung eines Baulands mit gleichzeitiger Wiederholung des Begehrens von S 2.000,-- wie im ersten Eventualantrag.

Das Erstgericht wies den Antrag zur Gänze ab. Anzuwenden sei die vor dem 1. 1. 1996 geltende Fassung des § 24 Abs 1 nöROG, wonach jene Aufwendungen zu ersetzen seien, die im Hinblick auf die bisherige Widmungs- und Nutzungsart tatsächlich getätigt worden seien. Die mit dem Eigentumserwerb verbundenen Kosten seien nicht darunter zu subsumieren. Weder eine Minderung des Verkehrswertes noch die Aufwendungen im Hinblick auf die ursprüngliche Baulandwidmung seien ersatzfähig. Der Betrag von S 2.000,-- sei für Anträge zu einem Zeitpunkt aufgewendet worden, wo den Antragstellern bewußt sein hätte müssen, daß ihre Anträge nicht mehr erfolgreich sein könnten.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Antragsteller nicht Folge und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Es führte folgendes aus:

Der Oberste Gerichtshof habe sich zu 6 Ob 538/94 mit der alten Fassung des § 24 Abs 1 nöROG befaßt und sei zum Ergebnis gelangt, daß die mit dem Eigentumserwerb verbundenen Kosten nicht unter die zu ersetzenden Aufwendungen fielen. Das auf Wortinterpretation beruhende Argument der Rekurswerber habe der Oberste Gerichtshof daher bereits behandelt und abgelehnt. Hinsichtlich des Verweises auf das Eisenbahnenteignungsgesetz zitierten die Rekurswerber selbst richtig, daß sich dieses auf das gerichtliche Verfahren, also nicht auf das materielle Recht, sondern nur auf den prozeßrechtlichen Bereich beziehe. Für die entscheidende Frage sei daher aus dem Eisenbahnenteignungsgesetz für die Rekurswerber nichts zu gewinnen. Daß die Novelle (1995) bloß eine authentische Interpretation bedeutet hätte, sei schon deshalb ausgeschlossen, weil es dann nicht der gegenständlichen Übergangsbestimmung bedurft hätte, sondern allenfalls festzulegen gewesen wäre, daß das nöROG in seiner Neufassung auch auf alle früheren Sachverhalte anzuwenden wäre. Der Oberste Gerichtshof habe bei Fassung der zitierten Entscheidung keinen Anlaß gesehen, den Verfassungsgerichtshof mit der vorliegenden Frage zu befassen.

Die zitierte Entscheidung des Obersten Gerichtshofs sei von Häußl in ÖJZ 1994, 693 ff umfangreich in ablehnender Art kommentiert und kritisiert worden. Eine weitere Rechtsprechung hiezu liege nicht vor. Im Hinblick darauf sei der ordentliche Revisionsrekurs gemäß § 14 Abs 1 AußStrG zuzulassen gewesen.

Gegen diese Rekursentscheidung - jedoch nur soweit darin dem Eventualbegehren auf Abgeltung der im Vertrauen auf das Bestehen von Bauland entstandenen erhöhten Anschaffungskosten von S 448.000,-- nicht entsprochen wurde - richtet sich der Revisionsrekurs der Antragstellerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die Beschlüsse der Vorinstanzen aufzuheben und die Rechtssache an das Erstgericht zurückzuverweisen; hilfsweise wird die Aufhebung der Rekursentscheidung und die Rückverweisung an das Rekursgericht beantragt.

Die Antragsgegnerin hat nach Ablauf der 14-tägigen Äußerungsfrist des § 30 Abs 4, 5 EisbEG eine Rekursbeantwortung eingebracht; diese war verspätet zurückzuweisen.

Der Revisionsrekurs ist zulässig und auch berechtigt.

Die Rechtsmittelwerber machen im wesentlichen unter Berufung auf Häußl, ÖJZ 1994, 693 geltend, entgegen 6 Ob 538/94 gebühre ihnen gemäß § 24 Abs 1 nöROG in der vor 1995 geltenden Fassung eine Entschädigung in Höhe des Kaufpreisunterschiedes zwischen Bauland und Grünland. Sollte eine Auslegung der zitierten Bestimmung in diesem Sinne nicht möglich sein, werde deren Anfechtung beim Verfassungsgerichtshof angeregt, weil die Umwidmung einer Enteignung gleichkomme, eine solche aber verfassungsrechtlich nur gegen angemessene Entschädigung zulässig sei.

Hiezu wurde erwogen:

Rechtliche Beurteilung

In dritter Instanz ist unstrittig, daß § 24 Abs 1 nöROG 1976 idF vor der Nov 1995 (LGBl 8000-10) anzuwenden ist. Diese Bestimmung hat folgenden Wortlaut: "Wenn die Gemeinde die Bebaubarkeit einer Grundfläche, die im örtlichen Raumordnungsprogramm als Bauland gewidmet ist und auch nicht von einem Bauverbot betroffen ist, durch Änderungen der Widmungs- und Nutzungsart ausschließt oder erheblich verringert, ist sie verpflichtet, dem Grundeigentümer jene Aufwendungen zu ersetzen, die er im Hinblick auf die bisherige Widmungs- oder Nutzungsart tatsächlich getätigt hat."

Hiezu wurde in 6 Ob 538/94 ausgesprochen, daß die mit dem Eigentumserwerb am später umgewidmeten Grund verbundenen Kosten nicht unter die zu ersetzenden Aufwendungen fallen. Die von Häußl (OGH:

Keine Entschädigung des Kaufpreisunterschieds zwischen Bauland und Grünland gemäß § 24 Abs 1 nöROG 1976! ÖJZ 1994, 693) an dieser Entscheidung geübte Kritik hat wenig Überzeugungskraft: Was zunächst die vom Autor angestellte Wortinterpretation anlangt, ist zwar zuzugeben, daß der äußerst mögliche Wortsinn es erlaubt, auch den (erhöhten) Liegenschaftskaufpreis als Aufwendung anzusehen, der Bedeutungszusammenhang spricht aber eher für die in 6 Ob 538/94 erfolgte Auslegung, unter Aufwendungen des Grundeigentümers seine Leistungen zur Veränderung des Grundstücks, insbesondere zur "Baureifmachung" zu verstehen (vgl die in 6 Ob 538/94 zitierten Raumordnungsgesetze anderer Bundesländer und nunmehr § 24 Abs 2 lit a nöROG idF der Novelle 1995). Auch die historischen Argumente Häußls sind nicht schlüssig: Aus dem Umstand, daß vor Gesetzwerdung zunächst eine Einlösungsregelung vorgesehen war, ist für das Verständnis der schließlich beschlossenen Regelung ebensowenig zu gewinnen, wie aus der zitierten Rede eines Landtagsabgeordneten; schließlich ist auch das angeführte Rundschreiben der Baurechtsabteilung des Amtes der niederösterreichischen Landesregierung kein taugliches Hilfsmittel für die historische Interpretation.

Hinzuzufügen ist noch, daß auch die nachträgliche Darstellung, mit der Novelle LGBl 8000-10 habe der Landtag im Sinne seiner ursprünglichen Absicht Abs 1 geändert und Abs 2 eingefügt (vgl Hauer/Zaussinger/Kraemmer, nö Baurecht, § 24 nöROG Anm 5), keinen Rückschluß auf den Willen des historischen Gesetzgebers der Stammfassung erlaubt, zumal eine authentische Interpretation unterblieben ist und die - nur für Änderungen der Widmungs- und Nutzungsarten ab 1996 geltende - Neufassung des § 24 nöROG mit der Abgeltung der Minderung des Verkehrswertes (Abs 2 lit b) über einen Aufwandersatz weit hinausgeht.

Der erkennende Senat hält es allerdings für geboten, in seine Betrachtung auch den von den Rechtsmittelwerbern ins Treffen geführten Grundsatz der verfassungskonformen Interpretation (vgl etwa Bydlinski in Rummel2 § 6 ABGB Rz 21 mwN; Posch in Schwimann2 § 6 ABGB Rz 27 mwN) einzubeziehen, dem mit dem in 6 Ob 538/94 enthaltenen Hinweis, nach einem Vergleich der Gesetzgebung der Länder sei ein allgemeiner - etwa gar verfassungsgesetzlich gebotener - Entschädigungsstandard nicht feststellbar, wohl nicht ausreichend Rechnung getragen wurde; die Unterschiedlichkeit der Landesgesetzgebung sagt über die Verfassungskonformität eines Landesgesetzes bzw eines Auslegungsergebnisses nichts aus.

Eine Enteignung - oder sonstige einschneidende Eigentumsbeschränkung (vgl Walter/Mayer, Bundesverfassungsrecht8 Rz 1376 ff mwN), wie sie hier erfolgt ist - ohne Entschädigung ist nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (etwa VfSlg 9911 = JBl 1984, 662) und des Obersten Gerichtshofs (etwa SZ 59/167; RIS-Justiz RS0010823) grundsätzlich nicht verfassungswidrig, jedoch hat der Verfassungsgerichtshof (vgl VfSlg 6884, 7234; hiezu Aicher, ÖZW 1975, 59; Groiss/Schantl/Welan, Betrachtungen zur Verfassungsgerichtsbarkeit, ÖJZ 1975, 365, 368) auch schon entschieden, daß es mit dem Gleichheitssatz unvereinbar sei, wenn durch eine entschädigungslose Enteignung mehreren Personen zwar gleiche Vorteile, nicht aber auch gleiche Vermögenseinbußen entstehen (Walter/Mayer aaO Rz 1372, 1375; vgl Klicka in Schwimann2 § 365 ABGB Rz 17; Spielbüchler in Rummel2 § 365 Rz 9 jeweils mwN).

Im vorliegenden Fall ergibt sich aus dem beiderseitigen Parteienvorbringen, daß die neue Raumordnung einerseits (in größerem Umfang) Umwidmungen von Grünland in Bauland und andererseits (in kleinerem Umfang) Umwidmungen von Bauland in Grünland mit sich gebracht hat. Im Lichte des Gleichheitssatzes wäre es aber bedenklich, wenn die vermögensrechtliche Position der Antragsteller aufgrund der neuen Raumordnung insgesamt gesehen (bei Berücksichtigung von Vor- und Nachteilen) erheblich ungünstiger wäre als die anderer Liegenschaftseigentümer. Hiezu bedarf es noch einer Erörterung mit den Parteien sowie ergänzender Feststellungen, weshalb die Rechtssache unter Aufhebung der vorinstanzlichen Beschlüsse an das Erstgericht zurückzuverweisen war.

Sollte sich im fortgesetzten Verfahren ergeben, daß den Antragstellern (oder einem von ihnen) mit einer entschädigungslosen Umwidmung tatsächlich ein "Sonderopfer" im obigen Sinne abverlangt würde, wäre § 24 Abs 1 nöROG aF insoweit zur Vermeidung eines gleichheitswidrigen Ergebnisses dahin auszulegen, daß unter "Aufwendungen" auch der Anschaffungspreis für das gekaufte Bauland (abzüglich des hypothetischen Gründlandkaufpreises) zu verstehen ist. In diesem Fall wären auch Feststellungen zur Höhe dieser von den Rechtsmittelwerbern in drittinstanzlichen Verfahren noch begehrten Differenz zu treffen.

Im Hinblick auf die Möglichkeit einer verfassungskonformen Interpretation ist der Anregung der Antragsteller, beim Verfassungsgerichtshof einen Antrag gemäß Art 89 (Art 140) B-VG zu stellen, nicht zu folgen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 24 Abs 3 nöROG aF iVm § 44 Abs 2 EisbEG und § 52 ZPO.

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