OGH 2Ob13/99x

OGH2Ob13/99x28.1.1999

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Roland W*****, D*****, BRD, vertreten durch Dr. Christoph Rittler und Dr. Harald Rittler, Rechtsanwälte in Innsbruck, wider die beklagte Partei Olga K*****, vertreten durch Dr. Heinz Buchmayr, Rechtsanwalt in Linz, wegen S 77.384,81 sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 23. September 1998, GZ 11 R 144/98t-26, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Linz vom 12. Jänner 1998, GZ 8 C 460/97d-20, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Die Revision wird zurückgewiesen.

 

Spruch:

Die beklagte Partei ist schuldig der klagenden Partei die mit S 4.871,04 (darin enthalten USt von S 811,84, keine Barauslagen) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

Text

Begründung

Der Kläger begehrte die Zahlung von S 77.384,81 sA mit der Begründung, er habe sich am 23. 5. 1996 vollkommen betrunken im Lokal der Beklagten aufgehalten. Unter Ausnutzung seiner Alkoholisierung sei es zu Euro-Card-Abbuchungen in der Höhe von DM 10.838,21 gekommen.

Die Beklagte wendete ein, der Kläger habe in der Nacht vom 22. auf den 23. 5. in ihrer Nachtbar mehrere Mädchen in das Separee eingeladen und freigehalten. Er habe keinen alkoholisierten Eindruck gemacht und seine Konsumationen in nicht alkoholisiertem Zustand getätigt.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren in der Höhe von S 60.900,-- sA statt und wies das Mehrbegehren auf Zahlung weiterer S 16.484,81 sA ab.

Dabei wurden im wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:

Der Kläger suchte in der Nacht vom 22. auf den 23. 5. 1996 um Mitternacht ein von der Beklagten betriebenes Animierlokal auf und verblieb dort bis etwa 6.30 Uhr. Bereits vor dem Betreten des Lokals hatte er Alkohol in einer Menge konsumiert, daß sein Alkoholisierungsgrad als "gut angetrunken" bezeichnet werden kann. Er trank zunächst ein Bier und bestellte auf Wunsch eines Animiermädchens, das sich zu ihm gesetzt hatte, einen Piccolosekt. Seine nächste Bestellung hatte wiederum ein Bier und einen Piccolosekt zum Gegenstand. Der Vorschlag des Mädchens, gemeinsam ein Separee aufzusuchen, gefiel dem Kläger, als er hörte, dies koste ihm lediglich eine Flasche Sekt. Im Separee bestellte er zwei Flaschen Sekt, die er - wie die vorausgehenden Konsumationen - bar bezahlte.

Die nächsten Bestellungen des Klägers erfolgten folgendermaßen:

4 Flaschen Sekt um 2.05 Uhr

2 Flaschen Sekt um 2.52 Uhr

4 Flaschen Sekt um 3.23 Uhr

4 Flaschen Sekt um 3.39 Uhr

4 Flaschen Sekt um 3.58 Uhr

4 Flaschen Sekt um 4.14 Uhr

6 Flaschen Sekt um 4.31 Uhr

6 Flaschen Sekt um 4.44 Uhr

6 Flaschen Sekt um 4.58 Uhr

6 Flaschen Sekt um 5.09 Uhr

6 Flaschen Sekt um 5.23 Uhr

Alle diese Bestellungen beglich der Kläger, indem er die ihm zur Verfügung stehende Kreditkarte seines Dienstgebers bediente.

Im Separee waren zu keinem Zeitpunkt mehr als vier Mädchen anwesend. Es wurden nicht sämtliche Flaschen, die in das Separee getragen wurden, geöffnet. Die Mädchen stellten ungeöffnete Flaschen beiseite, um sie nach Beendigung dieser Nacht in ihren Spind zu stellen oder nach Hause zu nehmen. Dieses Vorgehen wird von der Geschäftsleitung goutiert. Etwa die Hälfte der bestellten Sektflaschen wurde im Separee geöffnet. Es entsprach nicht dem Willen des Klägers, den Mädchen Geschenke in Form von ungeöffneten Flaschen zukommen zu lassen.

Dem Kläger war anfänglich bewußt, daß er auf seine Kosten Mädchen zum Mittrinken einlade. Diese Einsicht ist ihm aufgrund der fortschreitenden, die Beurteilungs- und Entscheidungsfähigkeit ausschließenden Alkoholisierung im Laufe der Zeit verloren gegangen. Zu welchem Zeitpunkt dem Kläger die Beurteilungs- und Entscheidungsfähigkeit verloren ging, konnte nicht festgestellt werden.

Beim Bestellvorgang unterbreiteten die Mädchen vor dem Herbeiwinken des Bedienungspersonals den Vorschlag "nehmen wir gleich vier (oder sechs) Flaschen". Der Kläger lallte oder gestikulierte, seinem Alkoholisierungsgrad entsprechend, in einer Weise, die der Erwartungshaltung der Mädchen und der Geschäftsleitung entgegenkam.

Beim Zahlungsvorgang mittels Kreditkarte nahm die Serviererin bei der jeweiligen Bestellung die Kreditkarte entgegen, tätigte den Buchungsvorgang, kehrte mit dem Beleg in das Separee zurück, beleuchtete den Beleg in der schummrigen Atmosphäre mit einer Taschenlampe, ließ den Kläger unterschreiben, folgte ihm die Gegenschrift aus und stellte die Kreditkarte zurück. Danach brachte sie dem Kläger und den Mädchen den bestellten Sekt.

Das Konto des Dienstgebers des Klägers wurde aufgrund der vom Kläger genehmigten Kreditkartenbelege mit DM 10.838,21 belastet, welchen Betrag der Kläger seinem Dienstgeber rückzuerstatten hatte.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, es könne nicht zweifelsfrei festgestellt werden, ab wann der Kläger nicht mehr geschäftsfähig war. Es habe daher die Bestimmung des § 273 ZPO Anwendung zu finden. Da dem Kläger dem Grunde nach ein Rückerstattungsanspruch zustehe, sei eine Beweislastentscheidung im Sinne einer Klagsabweisung nicht möglich. Aufgrund des durch die Bestimmung des § 273 ZPO dem Gericht eingeräumten Ermessens werde die Geschäftsunfähigkeit des Klägers nach der Bestellung von insgesamt 12 Flaschen Sekt angenommen. Die darüber hinausgehenden Bestellungen ab

3.39 Uhr - weitere 42 Flaschen Sekt - seien im Zustand der Geschäftsunfähigkeit vorgenommen und rechtsunwirksam.

Das gegen den klagsstattgebenden Teil dieser Entscheidung angerufene Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichtes; es sprach aus, die ordentliche Revision sei zulässig.

Das Berufungsgericht führte zur Rechtsrüge aus, es seien die Konsumationen eines Gastes bei einem Lokalbesuch als einheitliches Rechtsgeschäft anzusehen, das in mehrere Teilforderungen untergliedert werden könne. Sofortiges Abkassieren in einem Lokal nach dem Servieren der jeweiligen Bestellung sei lediglich zur Bewahrung des Überblicks üblich, es habe jedoch auf den rechtlichen Charakter des Gesamtgeschäftes, welches sämtliche Konsumationen während eines Lokalbesuches enthalte, keine Auswirkungen.

Aus den Feststellungen des Erstgerichtes ergebe sich insgesamt, daß spätestens vor der letzten Teil-Bestellung die Diskretions- und Dispositionsfähigkeit des Klägers nicht mehr gegeben gewesen sei. Der Eintritt der Geschäftsunfähigkeit noch vor Beendigung des Rechtsgeschäftes habe zur Konsequenz, daß ein Teil dieses Gesamtrechtsgeschäftes aufgrund der Geschäftsunfähigkeit gemäß § 865 ABGB nicht gültig zustande gekommen sei. Der Kläger habe aber auch das auf diesen ungültigen Teil des Rechtsgeschäftes entfallende Entgelt geleistet und somit einen Rückforderungsanspruch zumindest auf den bezahlten Preis einer Flasche Sekt. Es stehe demnach ein Rückforderungsanspruch dem Grunde nach zu Recht, weshalb § 273 ZPO anzuwenden sei. Diese Bestimmung ziele geradezu darauf ab, den Geschädigten zu schützen. Er solle Ersatz bekommen, auch wenn er die Höhe des Schadens oder des Interesses nicht beweisen könne. Das Erstgericht habe demnach zurecht § 273 ZPO angewendet. Überprüfe man die konkrete Ausmessung der Höhe der Forderung nach § 273 ZPO, so erscheine die erstgerichtliche Entscheidung den tatsächlichen Verhältnissen angemessen.

Die ordentliche Revision erachtete das Berufungsgericht für zulässig, weil bei einer derartigen Fallkonstellation eine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Anwendbarkeit des § 273 ZPO nicht aufgefunden worden sei. Insbesonders fehle zur Frage, ob mehrere Bestellungen in einem Animierlokal als einheitliches Rechtsgeschäft anzusehen seien, eine höchstgerichtliche Rechtsprechung.

Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen dahin abzuändern, daß das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die klagende Partei hat Revisionsbeantwortung erstattet und beantragt, das Rechtsmittel der Beklagten zurückzuweisen, in eventu ihm keine Folge zu geben.

Die Revision ist wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage - der gegenteilige Ausspruch des Berufungsgerichtes ist nicht bindend - unzulässig.

Die beklagte Partei vertritt in ihrem Rechtsmittel die Ansicht, die Vorinstanzen hätten zu Unrecht § 273 ZPO angewendet. Es sei nämlich nicht festgestellt worden, daß der Kläger vor einer Bestellung geschäftsunfähig geworden sei, es sei daher auch nicht ausgeschlossen, daß dieser Umstand erst nach der letzten Bestellung eingetreten sei, weshalb nicht feststehe, daß dem Kläger irgendein Rückforderungsanspruch zustehe. § 273 ZPO sei aber nur dann anwendbar, wenn der Betrag, nicht aber der Grund der Forderung strittig sei. Es sei daher dem Kläger der ihm obliegenden Beweis, nicht geschäftsfähig gewesen zu sein, nicht gelungen, weshalb das Klagebegehren abzuweisen sei.

Rechtliche Beurteilung

Hiezu wurde erwogen:

Die Entscheidung des Gerichtes darüber, ob es § 273 ZPO anwenden darf, stellt eine rein verfahrensrechtliche Entscheidung dar (RIS-Justiz RS0040282; zuletzt 1 Ob 79/98v). Wenn daher das Berufungsgericht einen Mangel des Verfahrens erster Instanz verneint hat, dann kann dieser grundsätzlich nicht mehr mit Revision geltend gemacht werden (Kodek in Rechberger, ZPO Rz 3 zu § 503 mwN). Da im vorliegenden Fall die Vorinstanzen übereinstimmend § 273 ZPO angewendet haben, kann diese Frage vom Obersten Gerichtshof nicht mehr geprüft werden.

Wohl aber ist die nach § 273 ZPO erfolgte Betragsfestsetzung selbst als revisible rechtliche Beurteilung zu qualifizieren (Rechberger in Rechberger, ZPO Rz 5 zu § 273). Der vom Richter nach seiner Lebenserfahrung und Menschenkenntnis und der Ergebnisse der gesamten Verhandlung nach besten Wissen und Gewissen vorzunehmenden Schätzung (Rechberger, aaO Rz 5 zu § 273 ZPO) kommt aber grundsätzlich keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu. Eine krasse Fehlbeurteilung kann in der von den Vorinstanzen vorgenommenen Ausmessung jedenfalls nicht erblickt werden.

Die Revision der beklagten Partei war daher zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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