OGH 6Ob248/98h

OGH6Ob248/98h28.1.1999

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schiemer,Dr. Prückner, Dr. Schenk und Dr. Vogel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Roswitha W*****, vertreten durch Dr. Hildegard Hartung, Rechtsanwältin in Wien, wider die beklagten Parteien 1. Land N*****, vertreten durch Dr. Erich Hermann, Rechtsanwalt in Wien, und 2. A*****, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner, Dr. Josef Milchram und Dr. Anton Ehm, Rechtsanwälte in Wien, wegen 500.000 S und Feststellung (Streitwert 100.000 S), infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Teilzwischenurteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 28. Mai 1998, GZ 12 R 142/97h-117, womit das Teilurteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 29. April 1997, GZ 12 Cg 256/93t-110, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Teilzwischenurteil des Berufungsgerichtes wird ersatzlos behoben und dem Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung über die Berufung der zweitbeklagten Partei aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Klägerin stürzte am 4. 10. 1983 und brach sich den rechten Oberschenkel. Sie war vom 4.bis 13. 10. 1983 im Landeskrankenhaus M*****, dessen Rechtsträger die erstbeklagte Partei ist, aufgenommen und wurde dort operiert. Vom 24. 10. bis 30. 11. 1983 befand sie sich in Behandlung des L*****-Krankenhauses, dessen Rechtsträger die zweitbeklagte Partei ist. Sie wurde schließlich vom 10. 1. bis 9. 5. 1984 im Rehabilitationszentrum T*****, dessen Rechtsträger ebenfalls die zweitbeklagte Partei ist, behandelt. Eine danach durchgeführte Tomographie ergab die Notwendigkeit einer neuerlichen Operation, die dann im L*****-Krankenhaus ausgeführt wurde. Im Jahr 1987 erlitt die Klägerin neuerlich einen Bruch des rechten Oberschenkels.

Die Klägerin begehrt Schmerzengeld und Aufwendungen für Pflege in der Gesamthöhe von 500.000 S sowie die Feststellung der Haftung der erstbeklagten Partei aus dem Behandlungsvertrag vom 4. bis 13. 10. 1983 und der Zweitbeklagten aus dem Behandlungsvertrag vom 10. 1. bis 9. 5. 1984 im Rehabilitationszentrum T***** für sämtliche der Klägerin aus Anlaß des Bruches des rechten Oberschenkels vom 4. 10. 1983 entstandene Schäden, sowie für Spät- und Dauerfolgen. Sie stützt ihre Ansprüche gegen die Erstbeklagte auf ärztliche Kunstfehler (die Bruchstelle sei bei der Operation nicht genau eingerichtet worden, sodaß die Fraktur nicht knöchernfest ausgeheilt sei). Ferner sei die ärztliche Aufklärungspflicht im LKH M***** verletzt worden. Der Zweitbeklagte wirft sie im Rahmen der in T***** durchgeführten Behandlung vor, der dort tätige Arzt habe festgestellt, daß die Fraktur knöchern durchbaut sei, damit eine falsche Diagnose gestellt, wodurch in der Folge Knochenschwund eingetreten sei. Der Gesundheitszustand der Klägerin und die Gefahr einer Amputation lasse Spät- und Dauerfolgen erwarten. Die Klägerin habe daher jedenfalls ein erhebliches Interesse an der Feststellung der Haftung der Beklagten für sämtliche Folgen, Spät- und Dauerfolgen aus dem Bruch des rechten Oberschenkels.

Die beklagten Parteien bestritten dieses Vorbringen und beantragen Klageabweisung.

Das Erstgericht schränkte das Verfahren zunächst auf den Grund des Anspruches (§ 189 Abs 1 ZPO) ein. Es erließ in der Folge ein Teilurteil und stellte die Haftung der beklagten Parteien im Sinn des in der Klage erhobenen Festsstellungsbegehrens fest. In seiner Entscheidungsbegründung stellte das Erstgericht fest, die ärztliche Versorgung im Landeskrankenhaus M***** und im L*****-Krankenhaus sei fachgerecht erfolgt, die Klägerin sei jedoch im Krankenhaus M***** in keiner Weise vor der Operation aufgeklärt worden. Es stehe auch fest, daß die aufgetretene Störung der Heilung des Knochenbruchs im Rehabilitationszentrum T***** nicht rechtzeitig erkannt worden sei, obwohl dieser Umstand aus den Krankenbildern klar hervorgegangen sei. Der Sturz vom 4. 10. 1993 sei nicht kausal für die im Jahr 1987 erlittene neuerliche Fraktur.

Den Feststellungen des Erstgerichts ist nicht zu entnehmen, daß bei der Klägerin Dauerfolgen aufgetreten sind.

Beide beklagte Parteien erhoben Berufung gegen das Teilurteil des Erstgerichtes, wobei sie das Berufungsinteresse entsprechend der in der Klage vorgenommenen Bewertung des Feststellungsbegehrens mit jeweils 100.000 S bezifferten. Die erstbeklagte Partei beantragte in ihrer Berufung die Abänderung des Teilurteiles im klageabweisenden Sinn. Der erstbeklagten Partei falle weder eine Verletzung de ärztlichen Aufklärungspflicht noch eine fehlerhafte ärztliche Behandlung zur Last. Auch die zweitbeklagte Partei beantragte in ihrer Berufung, das angefochtene Teilurteil dahin abzuändern, daß das Feststellungsbegehren abgewiesen werde. Das Erstgericht habe den Sachverhalt unrichtig rechtlich beurteilt. Es könne nur die Haftung für künftige Schäden festgestellt werden, nicht aber für sämtliche (das heißt auch bereits bekannte) Schäden. Keine der Berufungen wendet sich gegen die Bezeichnung des erstgerichtlichen Urteiles als Teilurteil oder dagegen, daß das Erstgericht über einen Teil des Klagebegehrens (nämlich das Feststellungsbegehren) mit Teilurteil entscheiden wollte (und auch entschieden hat).

Das Berufungsgericht gab 1. der Berufung der erstbeklagten Partei Folge und hob das Ersturteil mit Beschluß auf, soweit dieses die Haftung der erstbeklagten Partei für die der Klägerin entstandenen Schäden aufgrund des Bruches vom 4. 10. 1983 festgestellt hatte. Es traf keinen Ausspruch über die Zulässigkeit des Rekurses. Aufgrund der Feststellungen des Erstgerichtes sei im Berufungsverfahren unstrittig, daß Behandlungsfehler im Krankenhaus M***** nicht aufgetreten sind. Zur Frage der Verletzung der Aufklärungspflicht sei das Verfahren jedoch mangelhaft geblieben.

2. Der Berufung der Zweitbeklagten gab es teilweise Folge und änderte die erstgerichtliche Entscheidung dahin ab, daß es ein Teilzwischenurteil fällte. Das Berufungsgericht stellte fest, daß die Zweitbeklagte der Klägerin "dem Grunde nach aus dem Behandlungsvertrag vom 10. 1. bis 9. 5. 1984 (T*****) für sämtliche infolge verspäteter Erkennung der nicht erfolgten knöchernen Durchbauung des Bruches entstandene Schäden hafte".

Das Berufungsgericht sprach aus, daß die ordentliche Revision gegen das Teilzwischenurteil nicht zulässig sei.

Der unrichtig als "außerordentliche Revision" bezeichnete Rekurs der klagenden Partei gegen den Aufhebungsbeschluß wurde bereits mit Beschluß des Obersten Gerichtshofes vom 15. Oktober 1998 unter Hinweis auf § 519 Abs 1 Z 2 ZPO zurückgewiesen.

Die Klägerin macht in ihrer außerordentlichen Revision geltend, das Berufungsgericht habe das Teilurteil des Erstgerichtes ohne diesbezügliche Anfechtung (somit durch die Berufungsanträge nicht gedeckt) auf ein Teilzwischenurteil über den Grund des Anspruches reduziert, seine Entscheidung sei damit nichtig.

Zur Zulässigkeit der Revision ist vorauszuschicken, daß eine Bewertung des Entscheidungsgegenstandes im berufungsgerichtlichen Urteil unterbleiben konnte. Das Berufungsgericht hat in seinem Teilzwischenurteil über den Grund des 500.000 S betragenden Zahlungsanspruches entschieden, sodaß eine Bewertung in Ansehung des Feststellungsanspruches unterbleiben konnte.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin ist zulässig, weil das Teilzwischenurteil des Berufungsgerichtes über einen Anspruch erging, über den das Erstgericht noch gar nicht entschieden hatte, und die Entscheidung durch die Berufungsanträge nicht gedeckt ist. Die Revision ist auch berechtigt.

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes kann dem Erstgericht aus der zunächst vorgenommenen Beschränkung der Verhandlung auf den Grund des Anspruches nicht ohne weiteres unterstellt werden, daß es mit seiner als "Teilurteil" bezeichneten Entscheidung tatsächlich ein Zwischenurteil nur über den Grund des Anspruches fällen wollte. Gegen diese Annahme des Berufungsgerichtes spricht - abgesehen von der Bezeichnung der erstgerichtlichen Entscheidung - auch der Umstand, daß der Spruch des Teilurteiles mit dem Inhalt des Feststellungsbegehrens (als einem Teil des auf Zahlung und Feststellung gerichteten Klagebegehrens) ident ist. In diesem Sinn haben auch die Streitteile das Ersturteil verstanden. So vertritt die Revisionsbeantwortung die Auffassung, das Erstgericht habe mit seinem Teilurteil über das Feststellungsbegehren entschieden. Auch den gegen die erstgerichtliche Entscheidung gerichteten Berufungen beider beklagter Parteien ist eindeutig zu entnehmen, daß sie diese Entscheidung als Teilurteil über das Feststellungsbegehren verstanden haben, indem sie nicht nur inhaltlich ein über das Feststellungsbegehren ergangenes Teilurteil bekämpfen, sondern auch seine Abänderung im Sinne einer Abweisung des Feststellungsbegehrens anstreben. Darüber hinaus bewerten sie ihr Berufungsinterresse der Höhe des Feststellungsbegehrens entsprechend mit 100.000 S.

Das Berufungsgericht hätte daher das erstgerichtliche Urteil nur im Rahmen dieser Berufungsanträge überprüfen dürfen (§ 462 ZPO; s. Kodek in Rechberger, ZPO Rz 1 zu § 462; Rechberger/Simotta, ZPR4 Rz 830). Das (im Bemühen, jenen Teil des Streitgegenstandes, der dem Berufungsgericht entscheidungsreif erschien, durch Urteil zu erledigen) erlassene Teilzwischenurteil des Berufungsgerichtes spricht aber über den Grund des gegen die Zweitbeklagte gerichteten Leistungsbegehrens ab (über den das Erstgericht im übrigen noch gar nicht entschieden hatte) und ist damit durch die Berufungsanträge nicht gedeckt. Es widerspricht damit § 405 ZPO. Dies führt - wie die Revision der Klägerin aufzeigt - nach herrschender Lehre (Fasching, Lehrbuch2 Rz 1453; derselbe IV 107, 302; Kodek in Rechberger aaO Rz 6 zu § 405; Holzhammer, Österreichisches Zivilprozeßrecht2 324) und einem Teil der Rechtsprechung (SZ 23/67; SZ 22/98; RIS-Justiz RS0041170) zur Nichtigkeit der berufungsgerichtlichen Entscheidung in Ansehung des gefällten Teilzwischenurteiles und zur Aufhebung der vom Nichtigkeitsgrund betroffenen Entscheidung.

Die von einem Teil (der neueren) Rechtsprechung vertretenen Auffassung, die Verletzung des § 405 ZPO stelle einen Verfahrensmangel dar (SZ 42/138; ZVR 1983/30; 4 Ob 42/88) steht - wie Fasching (aaO Rz 1453) und Kodek (aaO Rz 6 zu § 405) aufzeigen, nicht mit der vom Obersten Gerichtshof sonst vertretenen Auffassung in Einklang, wonach ein Verfahrensmangel nur dort vorliegen könne, wo das Gericht weniger getan hat, als es mußte. Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht aber mehr getan, als es durfte. Indem es über einen nicht durch die Berufungsanträge gedeckten Teil entschieden hat (über den das Erstgericht noch gar nicht entschieden hatte, wozu sich die Parteien in ihren Rechtsmitteln auch noch gar nicht äußern konnten), ist dem Berufungsgericht im vorliegenden Fall nicht nur ein Verfahrensmangel unterlaufen, sondern hat es auch das rechtliche Gehör verletzt. Diese Verletzung hat nach herrschender Auffassung Nichtigkeit zur Folge (vgl Fasching aaO Rz 1253 mwN). Das vom Nichtigkeitsgrund betroffene Teilzwischenurteil des Berufungsgerichtes ist damit aufzuheben und dem Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung über die Berufung der Zweitbeklagten aufzutragen.

Wollte man - der neueren Rechtsprechung zu § 405 ZPO folgend - in der Überschreitung der Berufungsanträge bloß eine (von der Revisionswerberin im übrigen auch gerügte) Mangelhaftigkeit des Verfahrens erblicken und eine Nichtigkeit durch Verletzung des rechtlichen Gehörs im vorliegenden Fall verneinen, führte dies gleichfalls zu einer Aufhebung der berufungsgerichtlichen Entscheidung wegen einer dem Berufungsgericht unterlaufenen, die erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung hindernden Mangelhaftigkeit seines Verfahrens, im Ergebnis daher wieder zur Behebung des Teilzwischenurteiles und zu einem Auftrag an das Berufungsgericht, über die Berufung der Zweitbeklagten neuerlich zu entscheiden. Die von der Rechtsprechung uneinheitlich beantwortete Frage, ob ein Verstoß gegen § 405 ZPO einen Nichtigkeitsgrund oder nur einen Verfahrensmangel bewirkt, ist daher im vorliegenden Fall ohne ausschlaggebende Bedeutung und braucht nicht abschließend beurteilt zu werden.

Der Revision der Klägerin wird Folge gegeben. Das Teilzwischenurteil des Berufungsgerichtes wird behoben und diesem die neuerliche Entscheidung über die Berufung der Zweitbeklagten aufgetragen.

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