Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben; die Rechtssache wird zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens und des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten erster Instanz.
Text
Begründung
Am 3. 3. 1995 stürzte der Kläger über eine Stiege und verletzte sich dabei an der linken Schulter. Die erlittene Verletzung führte zu einer 35 %igen Gebrauchsminderung des linken Armes.
Der Kläger hat bei der beklagten Partei 1989 einen Einzelunfallversicherungsvertrag abgeschlossen. Die diesem zugrunde liegenden U/Flug 1975-Versicherungsbedingungen weisen - auszugsweise wiedergegeben - folgende Bestimmungen auf:
"Artikel 3.
II. Ausgeschlossen von der Versicherung sind
6. Unfälle infolge von Schlaganfällen, von Geistes- oder Bewußtseinsstörungen (auch durch Alkohol- oder Rauschgifteinfluß), es sei denn, daß diese Anfälle oder Störungen durch ein unter die Versicherung fallendes Unfallereignis hervorgerufen wurden:
Artikel 5.
Nichtversicherungsfähige Personen
Versicherungsunfähige und trotz Prämienzahlung nicht versichert sind
a) Personen, die von Epilepsie oder schweren Nervenleiden befallen sind, ferner Geisteskranke, Blinde, Taube, gelähmte und solche Personen, die nach den Bestimmungen des Artikel 10 mehr als 70 % dauernd invalid sind."
Beim Kläger bestand wegen des praktisch täglich erfolgenden Alkoholkonsums schon seit mehreren Jahren ein chronischer Alkoholmißbrauch. Daß der Kläger im Unfallszeitpunkt jedoch alkoholisiert war, konnte nicht festgestellt werden.
Beim Kläger liegt aus psychiatrischer Sicht als spezifisch alkoholbedingte Folgeschädigung eine Wesensänderung mit organischem Psychosyndrom (Hirnleistungsschwäche) vor. Weiters besteht bei ihm auch eine alkoholbedingte chronische vegetative Labilität. Diese Beeinträchtigung des vegetativen Nervensystems führt unter anderem auch zum bekannten und auch im Krankenhaus Dornbirn im März 1995 ärztlicherseits festgestellten Händetremor, wobei dieses Händezittern vor allem am Morgen nach der durch den Nachtschlaf erzwungenen Trinkpause im Regelfall besonders ausgeprägt ist. Weiters ist es aus neurologischer Sicht auch schon zum Auftreten von epileptischen Entzugsanfällen bei chronischem Alkoholmißbrauch gekommen. Diese waren aber nicht sehr häufig. Dem früheren Hausarzt des Klägers Dr. W***** war im Behandlungszeitraum Dezember 1990 bis September 1993 von epileptischen Entzugsanfällen nichts bekannt. Seit der Überstellung in das Vinzenzheim Egg im März 1995 kam es auch zu keinem weiteren Auftreten von epileptischen Entzugsanfällen. Der Kläger wurde in den letzten Jahren nie antiepileptisch eingestellt.
Klinisch ist zwischen einer Epilepsie als eigenständiger neurologischer Krankheit einerseits und epileptischen Entzugsanfällen bei Alkoholabhängigkeit andererseits zu unterscheiden. Im ersten Fall liegt die Epilepsie als definierte organische Erkrankung des Gehirnes eigenständig vor, welche durch verschiedene Verursacher hervorgerufen werden kann. Darüberhinaus gibt es das eher seltene Bild einer sogenannten Alkoholepilepsie, wo die Epilepsie die Grunderkrankung darstellt und akuter Alkoholkonsum zu Krampfmanifestationen am Körper führt. Wesentlich häufiger im Vergleich zu einer Alkoholepilepsie ist aber - wie dies beim Kläger in der Vergangenheit der Fall war - das Auftreten von epileptischen Entzugsanfällen bei chronischer Alkoholabhängigkeit. Hier ist die Grunderkrankung die Alkoholabhängigkeit, das EEG zeigt keine spezifischen Veränderungen, die Krampfmanifestationen treten entweder in der Phase der abklingenden Alkoholeinwirkung oder im Alkoholentzug auf. Die Behandlung besteht in einem solchen Fall in einer strikten Alkoholabstinenz. Der Kläger litt weder zum Zeitpunkt des Abschlusses des Versicherungsvertrages noch derzeit unter einer Epilepsie als eigenständiger neurologischer Krankheit. Nicht festgestellt werden konnte, was Ursache für den Sturz des Klägers war, insbesondere daß Ursache eine Bewußtseinsstörung durch Alkoholeinfluß oder durch einen epileptischen Entzugsanfall war. Es ist möglich, daß der Kläger im Zuge eines epileptischen Entzugsanfalles oder infolge Alkoholkonsums eine Bewußtseinsstörung hatte und deswegen zu Sturz kam; andere Sturzursachen wie zB ein Stolpern sind genauso möglich und wahrscheinlich. Es läßt sich auch nicht feststellen, mit welchem Wahrscheinlichkeitsgrad ein epileptischer Entzugsanfall Ursache für den Sturz gewesen sein konnte.
Der Kläger begehrt von der Beklagten aufgrund seines Unfallversicherungsvertrages die Zahlung von S 334.208,--. Er habe weder bei Vertragsabschluß noch im Unfallszeitpunkt an epileptischen Anfällen gelitten.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Der Kläger habe bei Vertragsabschluß und im Unfallszeitpunkt an Alkoholabhängigkeit und Epilepsie gelitten. Der Sturz sei darauf zurückzuführen. Es bestehe daher Leistungsfreiheit.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Die dafür beweispflichtige beklagte Partei habe nicht nachgewiesen, daß der Kläger an Epilepsie im Sinne eines schweren Nervenleidens gelitten habe. Die Tatsache, daß es möglich sei, daß der Kläger epileptische Entzugsanfälle gehabt habe, wobei diese aber nicht so häufig gewesen seien, seien nicht mit einer Epilepsie als eigenständiger neurologischer Krankheit gleichzusetzen, zumal diese nie Anlaß zu ärztlichem Einschreiten gewesen seien. Die beklagte Partei wäre dafür beweispflichtig gewesen, daß der Unfall durch eine Bewußtseinsstörung verursacht worden sei. Es sei zwar möglich, daß eine Bewußtseinsstörung durch Alkoholeinfluß oder durch einen epileptischen Entzugsanfall vorgelegen sei, andere Sturzursachen seien aber genauso wahrscheinlich und möglich. Damit sei der Sturz von der Versicherung nicht ausgeschlossen.
Das Berufungsgericht bestätigte mit der angefochtenen Entscheidung dieses Urteil. Es sprach aus, daß die ordentliche Revision unzulässig sei. Beim Kläger liege keine Epilepsie als eigenständige neurologische Krankheit vor. Seit Dezember 1990 seien keine epileptischen Entzugsanfälle, die nicht mit Epilepsie gleichgesetzt werden dürften, aufgetreten. Es sei nicht feststellbar, daß Ursache des streitgegenständlichen Unfalles eine Bewußtseinsstörung durch Alkoholeinfluß oder durch einen epileptischen Entzugsanfall gewesen sei. Auch sei es seit 1995 zu keinem Auftreten eines epileptischen Entzugsanfalles gekommen. Damit sei der Kläger nicht als jener Risikoträger anzusehen, der in den hier maßgeblichen Versicherungsbedingungen als nicht versicherungsfähig bezeichnet werde. Zum Umstand, daß es beim Kläger vor 1990 infolge Alkoholabusus zu epileptischen Entzugsanfällen gekommen sei, habe das Erstgericht keine präziseren Feststellungen treffen können; dies reiche aber nicht hin, den Kläger nach den hier maßgeblichen Versicherungsbedingungen als nicht versicherungsfähig zu bezeichnen. Der vorliegende Sachverhalt sei mit jenem, der der Entscheidung 7 Ob 21/93 zugrundelag, nicht vergleichbar.
Rechtliche Beurteilung
Die gegen diese Entscheidung erhobene außerordentliche Revision der beklagten Partei ist jedoch zulässig und berechtigt.
In der Entscheidung 7 Ob 21/93 (= VersE 1573 = VR 1994, 215) wurde ausgesprochen, daß die Epilepsie bei der Aufzählung der Fälle der Versicherungsunfähigkeit in den Versicherungsbedingungen U/Flug 1975 besonders genannt wird, weil sie im medizinischen Sinne nicht ohne weiteres als schweres Nervenleiden anzusehen ist (Wussow, AUB3, 119). Bei der Auslegung von derartigen Klauseln in Versicherungsbedingungen ist grundsätzlich von ihrem Sinn und Zweck auszugehen. Es kommt nicht auf die fachwissenschaftliche Terminologie der ärztlichen Wissenschaft, sondern auf den allgemeinen Lebenssprachgebrauch an. Maßgebend ist, was der nicht ärztlich gebildete Versicherungsnehmer unter dem Ausdruck verstehen darf (Wagner in ZVersW 1975, 622 f; Grimm, AUB, Rz 2 zu § 3 AUB; Prölss/Martin, VVG26, S 44 ff). Allgemeine Versicherungsbedingungen, die nach objektiven Gesichtspunkten als unklar aufzufassen sind, müssen so ausgelegt werden, wie sie der durchschnittlich verständige Versicherungsnehmer verstehen mußte. Es ist der einem objektiven Betrachter erkennbare Zweck der Bestimmung zu berücksichtigen (VersE 1472; VR 1990/182 u. a.). Die unter anderem in U/Flug 1975 enthaltene, im vorliegenden Fall strittige Regelung soll die betroffenen Personen wegen der bei ihnen bestehenden außergewöhnlich hohen Unfallgefahr von der Versicherung ausschließen (Wussow, AUB6, 141). Es soll nur das gleichsam normale Unfallrisiko gedeckt werden (Wagner in ZVersW 1975, 638). Die außergewöhnlich hohe Unfallgefahr ist bei einem epileptischen Anfall unabhängig davon gegeben, ob der Anfall auf eine anlagebedingte Epilepsie zurückzuführen ist, oder ob es sich dabei um einen Gelegenheitsanfall handelt. Ungeachtet dessen, daß die Bestimmung über nicht versicherbare Personen in den Allgemeinen Bedingungen für die Unfallversicherung im Lauf der Zeit ihren Charakter grundlegend geändert hat und insbesondere auch der Tatbestand der Epilepsie bei der Versicherungsunfähigkeit überhaupt eliminiert wurde (vgl. hiezu Wussow, AUB6, 141 f sowie Grimm, AUB, 86, Rz 30 zu § 3 AUB), kann daher in der hier anzuwendenden Bestimmung eine zu Lasten des Versicherers führende Unklarheit nicht erblickt werden. Die aufgezeigten Auslegungskriterien führen dazu, daß eine an epileptischen Anfällen leidende Person vom Unfallversicherungsschutz ausgenommen sein soll, und zwar unabhängig davon, welche Ursachen die Anfälle haben und unter welche Kategorie der medizinischen Terminologie die Anfälle einzureihen sind.
Auch im vorliegenden Fall liegt beim Kläger keine genuine d.h. anlagebedingte Epilepsie vor, sondern traten bei ihm im Zusammenhang mit dem Alkoholabusus gelegentlich Krankheitserscheinungen in der gleichen Form auf, wie sie bei epileptischen Anfällen, die auf eine genuine, also anlagebedingte Epilepsie zurückzuführen sind, auf. Der Unterschied zu dem der Entscheidung 7 Ob 21/93 zugrunde liegenden Sachverhalt besteht nur darin, daß im vorliegenden Fall diese epileptischen Anfälle des Klägers nur mit den Worten: "Es ist zu epileptischen Entzugsanfällen gekommen" festgestellt wurden. Nach den Beweisergebnissen wurde nur ein solcher unmittelbar nach dem Unfallsgeschehen im Krankenhaus Dornbirn beobachtet. In welcher Form und Häufigkeit die vor dem Unfall gelegenen epileptischen Entzugsanfälle stattgefunden haben, steht jedoch nicht fest und ist daher nicht nachvollziehbar. Im Widerspruch zur erstgerichtlichen Feststellung, daß es beim Kläger zu epileptischen Entzugsanfällen gekommen ist, steht jedoch die Ausführung des Berufungsgerichtes, daß seit Dezember 1990 keine epileptischen Entzugsanfälle aufgetreten seien.
Beurteilt man das Auftreten von epileptischen Anfällen auch aufgrund von Alkoholentzug mit der Begrundung als Ausschlußgrund, daß mit den vorliegenden Versicherungsbedingungen nur gleichsam das normale Unfallsrisiko gedeckt sein soll und nicht jenes außergewöhnliche, das mit Epilepsieanfällen verbunden ist, so ist dafür der Nachweis einer zumindest über eine gewisse Zeit andauernden erhöhten Gefahrenlage, während der sich der Unfall ereignet hat, erforderlich (vgl Schauer, Das österreichische Versicherungsvertragsrecht3, 237 f). Da eine konkrete Feststellung, in welchem Zeitraum es beim Kläger zu epileptischen Entzugsanfällen gekommen ist bzw die Neigung dazu akut bestand, fehlt, waren die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben. Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren allenfalls noch zu ergänzenden Sachverständigengutachten festzustellen haben, ob bzw seit wann beim Kläger die Bereitschaft zu Epilepsieanfällen aufgrund Alkoholentzuges bestanden hat, ob sich ein solcher Anfall im Zusammenhang mit dem Röntgen nach dem gegenständlichen Unfall in welcher Form ereignet hat und wird danach zu beurteilen haben, ob sich daraus der Schluß ziehen läßt, daß bei ihm für einen gewissen Zeitraum eine erhöhte Gefahrenlage aufgrund derartiger epileptischer Anfälle vorlag. Kommt es zu dieser Annahme, hätte die beklagte Versicherung damit die Kriterien für einen Ausschluß ausreichend nachgewiesen.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen waren daher aufzuheben.
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.
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