OGH 2Ob338/98i

OGH2Ob338/98i14.1.1999

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Hermann S*****, vertreten durch Dr. Jörg Herzog, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei Erich S*****, vertreten durch Dr. Hans-Peter Benischke und Dr. Edwin Anton Payr, Rechtsanwälte in Graz, wegen Feststellung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom 17. September 1998, GZ 4 R 152/98z-22, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 12. April 1998, GZ 16 Cg 118/97a-17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Begründung

Am 18. 8. 1996 ereignete sich gegen 9.30 Uhr auf der Landesstraße 316 im Freilandgebiet ein Verkehrsunfall, an dem der 1939 geborene Kläger und der 1940 geborene Beklagte als Radfahrer beteiligt waren. Der Kläger erlitt dadurch schwere Verletzungen, die Spätfolgen nicht ausschließen.

Die beiden fuhren als Siebenter bzw Achter in einer Gruppe von neun Fahrern des Radclubs "Harry Maier" von Osten Richtung Westen hintereinander mit ca 25 km/h ca 1 m südlich des nördlichen Fahrbahnrandes. Die Fahrbahn durchläuft in diesem Bereich mit einem 6,5 m breiten Asphaltbelag eine langgezogene Rechtskurve und ist etwa in Fahrbahnmitte mit einer weißen Leitlinie versehen. Anschließend an den rechten Fahrbahnrand ist eine Leitschiene montiert. Im Bereich der späteren Unfallstelle wurden ab Mai 1996 Grabungs- und Asphaltierungsarbeiten durchgeführt, weshalb sich im nördlichen Bereich der Straße im Unfallsbereich eine "Baugrube" befand, die nahezu rechtwinkelig zur Fahrbahnlängsachse etwa 3 m weit in die Fahrbahn ragte und dann über mehrere Meter fahrbahnparallel nach Westen verlief. Gegenüber der übrigen Asphaltfläche war diese mit Schotter verdichtete Aufgrabung durch eine ca 5 cm tiefe Kante abgegrenzt.

Im Zuge des Passierens dieser Aufgrabung nahm der Kläger eine Seitenversetzung nach links vor und kam mit dem Beklagten und dessen Fahrrad in Kontakt, was den Sturz beider auslöste.

Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger die Feststellung der Haftung des Beklagten für alle ihm künftig aus dem Unfall erwachsenden Schäden. Er brachte dazu vor, den Beklagte treffe das Alleinverschulden; er habe den gegenständlichen Unfall dadurch verursacht, daß er das Verkehrsgeschehen, den Fahrbahnzustand und das Verhalten der ihm voranfahrenden Radfahrer nicht ausreichend beobachtet sowie ein unzulässiges Überholmanöver durchgeführt und einen zu geringen Tiefenabstand eingehalten habe. Die Mitglieder der Gruppe seien gemeinsam grundsätzlich diszipliniert und am rechten Fahrbahnrand in einer Reihe gefahren. Die ersten fünf Gruppenmitglieder hätten die Baustelle rechtzeitig erkannt und ihre Fahrlinie der Baugrubenbegrenzung angepaßt. Der vor dem Kläger fahrende sechste Mann der Gruppe habe aber den Baustellenbereich durchfahren, während der Kläger den ersten fünf Radfahrern gefolgt sei. Der Beklagte habe die Aufgrabung offenbar übersehen, nach links geschwenkt und den Kläger überholen wollen. Dabei habe er ihn mit dem rechten Bremsgriff gerammt und zu Sturz gebracht. Er habe angesichts eines ihn gerade selbst überholenden PKW's einen unzulässig geringen Seitenabstand bei seinem Überholmanöver eingehalten und die beim Fahren in der Gruppe auf öffentlichen Straßen zu beachtenden Grundsätze nicht eingehalten und das Fahrverhalten der übrigen Gruppenmitglieder und die Tiefenabstände nicht beachtet. Durch seine Unachtsamkeit sei er von den vom Kläger zufolge der Fahrbahnbeschaffenheit vorgenommenen geringfügigen und üblichen Schwenk nach links überrascht worden; er sei nicht hinter dem Kläger, sondern ihn offenbar überholend seitlich versetzt gefahren. Der Beklagte wendete ein, den Kläger treffe das Alleinverschulden an dem Unfall, weil er seine Geschwindigkeit nicht auf die örtlichen Gegebenheiten eingestellt habe; er habe verspätet auf die Änderung der Fahrbahnoberfläche reagiert und ohne Beobachtung des Nachfolgeverkehrs seine Fahrlinie ruckartig zur Fahrbahnmitte verlagert; er sei dabei mit dem leicht versetzt hinter ihm fahrenden Beklagten zusammengefahren. Die ersten sechs Fahrer der Gruppe hätten bei Annäherung an die Aufgrabung ihre Geschwindigkeit verlangsamt und ihre Fahrlinie gerade beibehalten. Der Kläger aber habe zu spät den Entschluß gefaßt, nicht der Gruppe zu folgen. Er habe sein Fahrrad plötzlich abgebremst, weshalb der Beklagte aufgeholt und ihn überholen habe wollen. Ohne Beobachtung des Nachfolgeverkehrs habe er dann plötzlich nach links verrissen und sei mit dem Beklagten zusammengestoßen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, wobei es im wesentlichen folgende weitere Feststellungen traf:

Die Aufgrabung war für das Befahren mit Fahrrädern geeignet. In der Gruppe wurde mit einem Tiefenabstand von etwa 30 cm gefahren. Nachdem die zuvorliegende und die gegenständliche Baugrube von den sechs vor dem Kläger befindlichen Fahrzeugen durchfahren worden und durch die Gruppe das Einfahren langsamer geworden war, rief der Kläger dem Beklagten, welcher seine ursprüngliche Linksseitenversetzung und Geschwindigkeit annähernd beibehalten und dadurch auf den Kläger so weit aufgeholt hatte, daß er sich in einem Seitenabstand von 0,5 m und mit dem Vorrad etwa auf der Höhe der Pedale bewegte, wegen der Asphaltkante sinngemäß zu, er solle "hinüber"fahren, worauf der Beklagte, da er einen Zusammenstoß mit einem eben überholenden PKW befürchtete, erwiderte, er könne dies nicht machen. In einer Zeitspanne von 0,7 Sekunden nahm der Kläger dann eine Seitenversetzung in Richtung Süden vor und gelangte in Kontakt mit dem Fahrzeug des Beklagten. Dadurch stürzten beide Fahrer. Hinsichtlich der Fahrlinienverlagerung war für den Beklagten eine unfallverhindernde Maßnahme nicht möglich.

In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Auffassung, den Kläger treffe am Zustandekommen des Unfalls ein Alleinverschulden, weil auch Fahrradlenker die Pflicht treffe, die allgemeinen Regeln der StVO, wie auch das Rechtsfahrgebot zu beachten. Für den Beklagten habe nicht von vornherein die Verpflichtung bestanden, seine Fahrweise auf eine bevorstehende Seitenversetzung des Klägers einzurichten. Vielmehr wäre es Sache des Klägers gewesen, auf die bei Einleitung des Linksfahrmanövers erkennbare Position des Beklagten mit dem Unterlassen der Fahrlinienverlagerung zu reagieren. Das vom Kläger angerufene Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung; es sprach aus, daß der Entscheidungsgegenstand S 260.000 übersteige und die ordentliche Revision nach § 502 Abs 1 ZPO zulässig sei.

Das Berufungsgericht bejahte das Vorliegen eines Mangels des Verfahrens erster Instanz wegen Unterlassung der Einvernahme eines Zeugen, vertrat jedoch die Ansicht, daß dieser Mangel mangels Relevanz auf den Verfahrensausgang nicht mit Erfolg geltend gemacht werden könne. Es brauche auch auf die Tatsachen- und Beweisrüge des Klägers nicht eingegangen zu werden, weil selbst unter Zugrundelegung des von ihm behaupteten und selbst des nunmehr ersatzweise als festzustellen begehrten Sachverhaltes der von ihm geltende gemachte Anspruch aus folgenden Gründen nicht zu Recht bestehe:

Nach ständiger Rechtsprechung seien Handlungen oder Unterlassungen im Zuge sportlicher Betätigung, durch die ein anderer Teilnehmer in seiner körperlichen Sicherheit gefährdet oder am Körper verletzt werde, insoweit - wegen ihrer Sozialadäquanz - nicht rechtswidrig, als sie nicht das in der Natur der betreffenden Sportart gelegene Risiko vergrößerten. Bei der Ausübung verschiedener Sportarten durch mehrere Teilnehmer, die in Gemeinschaft ausgeübt würden und zu einer notwendigen oder üblichen Nähe der Teilnehmer zueinander und zu den dabei verwendeten Sportgeräten führten, komme es naturgemäß zu Gefährdungen oder Verletzungen der Beteiligten. Diese Folgen würden wegen ihrer mit der Natur dieses Sportes verbundenen Regelmäßigkeit in Kauf genommen. Das mit der Sportausübung notwendigerweise verbundene Risiko für die körperliche Unversehrtheit der daran teilnehmenden Personen werde gebilligt. Diese Rechtsprechung beruhe auf dem Gedanken des Handelns auf eigene Gefahr. Wer sich einer ihm bekannten oder erkennbaren Gefahr aussetze, dem werde eine Selbstsicherung zugemutet. Ihm gegenüber werde die dem Gefährdenden sonst obliegende Sorgfaltspflicht aufgehoben oder eingeschränkt. Wer bei der Sportausübung diese Sportregeln einhalte, handle sozial adäquat und rechtmäßig. Der vorliegende Unfall habe sich im Zuge einer Sportausübung ereignet. Die neun Mitglieder des Radclubs seien in dichter - für den Radrennsport geprägter - Formation zur Ausnützung des Windschattens der Teilnehmer (sogenanntes Windschatten- und Pulkfahren) offenbar in teilweiser gestaffelter Anordnung sowie teilweise hintereinander gefahren. Bei dieser risikoträchtigen Fahrweise seien die Reaktionsmöglichkeit und der Bewegungsspielraum der Teilnehmer durch den geringen Abstand voneinander eingeschränkt, weshalb ein in einem derartigen "Pulk" eingeordneter Teilnehmer zur Vermeidung von Kollisionen auf seine Nebenleute zu achten habe. Im konkreten Fall seien nun der Kläger als siebenter und der Beklagte als achter in dem "Pulk" gefahren. Der Beklagte sei seitlich versetzt zum Kläger aber knapp hinter ihm gefahren, d.h. für den Kläger wäre bei einer Beobachtung seiner Nebenleute der genaue Standpunkt des Beklagten erkennbar gewesen. Zwar habe der Beklagte offenbar gegen diverse Vorschriften der StVO verstoßen, doch habe sich auch der Kläger durch seine Teilnahme an diesem Windschatten- und Pulkfahren nicht straßenverordnungskonform verhalten. Im Sinne des § 64 StVO bedürften sportliche Veranstaltungen einer behördlichen Bewilligung, welche hier nicht erteilt worden sei. Vielmehr sei offenbar eine "Trainingsfahrt" der Mitglieder des Radsportvereines vorgelegen. Es seien daher grundsätzlich die Normen der StVO heranzuziehen. Ein die Rechtswidrigkeit des Verhaltens des Gefährdenden ausschließendes echtes Handeln auf eigene Gefahr sei allerdings auch in einem solchen Fall anzunehmen, wenn die vorzunehmende umfangreiche Interessenabwägung ergebe, daß dadurch die Sorgfaltspflichten des Gefährdenden aufgehoben seien. Dies werde in der Regel bei einem üblichen leichten Verstoß des Gefährdenden gegen objektive Sorgfaltspflichten zutreffen, sofern sich das Verhalten in typischen, beim Sport unvermeidlichen Verstößen manifestiere. Selbst bei aus solchen Verstößen resultierenden Körperverletzungen bei gemeinsamer Sportausübung sei es aber Sache des verletzten Sportlers, jene Tatsachen zu beweisen, die nach herrschender Auffassung erst zur Bejahung der Rechtswidrigkeit der Verletzungshandlung führten. Dies sei dem Kläger selbst unter Berücksichtigung des von ihm behaupteten und auch des nunmehr angestrebten Sachverhaltes nicht gelungen. Es sei nämlich davon auszugehen, daß den Streitteilen, sowie auch den übrigen Teilnehmern an dieser Sportausübung, der durch das Windschatten- und Pulkfahren bedingte Verstoß gegen die StVO sowie die Risikoträchtigkeit und die damit verbundene Gefahr einer Körperverletzung samt den "Spielregeln" der genannten Fahrpraxis bekannt gewesen sei und sie dies bewußt in Kauf genommen hätten. Das Verhalten des Beklagten im Zuge dieser Sportausübung habe das in der Natur der genannten Fahrweise liegende Risiko keinesfalls über Gebühr vergrößert. Er habe nur Seiten- und Tiefenabstände und die allgemeine oder besondere Fahrlinie des Klägers bzw die Fahrbahnbeschaffenheit nicht hinreichend beachtet und ein im Pulk nicht übliches Überholmanöver gestartet. Solche "Verstöße" würden aber in der Natur des Radsportes, der letztlich darauf abziele, schneller zu sein als der andere, liegen. Es ergebe sich daher aus der Risikoträchtigkeit des Windschatten- und des Pulkfahrens sowie der damit verbundenen unvermeidlichen Gefährdung der daran beteiligten Rennfahrer, daß die notwendigerweise damit verbundene, aus üblichen Verstößen resultierende Gefahr wegen ihrer Sozialadäquanz nicht rechtswidrig sei. Da sich der Kläger durch die Teilnahme an dieser trotz ihres Trainingscharakters doch sportlichen Veranstaltung einer ihm erkennbaren Gefahr ausgesetzt habe, sei ihm gegenüber die dem Beklagten obliegende Sorgfaltspflicht aufgehoben worden. Daher sei die Verhaltensweise des Beklagten, die sonst als objektive aber auch nur leichte Sorgfaltswidrigkeit aufzufassen wäre, nicht rechtswidrig. Die Revision an den Obersten Gerichtshof erachtete das Berufungsgericht für zulässig, weil eine zivilrechtliche Judikatur zur Sozialadäquanz von Regelverstößen beim gemeinsamen Training des Radrennsportes fehle.

Dagegen richtet sich die Revision des Klägers wegen Aktenwidrigkeit, Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß dem Klagebegehren zur Gänze stattgegeben werde. Der Beklagte hat Revisionsbeantwortung erstattet und beantragt, dem Rechtsmittel des Klägers nicht Folge zu geben.

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht aufgezeigten Grund zulässig und im Sinne ihres Eventualantrages auf Aufhebung auch berechtigt.

Der Kläger macht in seinem Rechtsmittel geltend, das Berufungsgericht gehe aktenwidrig davon aus, daß sich der gegenständliche Unfall im Rahmen einer Trainingsfahrt, also einer Übungsfahrt zur Erlangung bzw Verbesserung der Kenntnisse und Fähigkeiten zur Ausübung des Radrennsportes, ereignet habe. Daß keine Trainingsfahrt vorgelegen sei ergebe sich schon daraus, daß die Gruppe mit einer Geschwindigkeit von nur 25 km/h gefahren sei und die Streitteile zum Unfallszeitpunkt 56 bzw 57 Jahre alt gewesen seien. Aktenwidrig sei auch die Annahme des Berufungsgerichtes, daß die Radfahrgruppe offenbar in teilweise gestaffelter Anordnung gefahren sei; vielmehr habe das Erstgericht festgestellt, daß sich die Radfahrer hintereinanderfahrend der Unfallstelle genähert hätten. Es sei von keinem der Streitteile behauptet worden, daß sich der Unfall im Rahmen einer Trainingsfahrt für die Ausübung des Radrennsportes ereignet habe sowie, daß die Mitglieder der Gruppe teilweise gestaffelt gefahren seien. Vielmehr sei die Unfallsfahrt eine Spazierfahrt einer durchaus aus älteren Herren bestehenden Gruppe gewesen, die in ihrer Freizeit das Radfahren, also eine allenfalls als "Radsport", keinesfalls aber als "Radrennsport" zu wertende Beschäftigung ausgeübt hätten. Radfahrergruppen, wie sie häufig auf öffentlichen Straßen anzutreffen seien, trainierten keinesfalls für Rennveranstaltungen, es sei das Radfahren an sich auch keine "gefährliche" Betätigung, die gleichsam von vornherein mit einem erhöhten Verletzungsrisiko verbunden sei, das bewußt in Kauf genommen werde. Entgegen der vom Berufungsgericht vertretenen Ansicht sei der Mangel des Verfahrens erster Instanz relevant und hätte sich das Berufungsgericht auch mit der Beweisrüge im Rechtsmittel des Klägers auseinandersetzen müssen. Der Beklagte habe mehrfach gegen die Bestimmungen der StVO - bei welchen es sich um Schutznormen im Sinne des § 1311 ABGB handle - verstoßen: Er habe versucht, den Kläger zu überholen, obwohl er selbst gerade von einem anderen Fahrzeug überholt worden sei und habe für das Überholmanöver einen viel zu geringen Überholabstand gewählt. Wäre der Beklagte, so wie die anderen Mitglieder der Gruppe, diszipliniert hinter dem Kläger nachgefahren, hätte es nicht zu dem Unfall kommen können. Es könne auch keine Rede davon sein, daß das Verhalten des Beklagten zum üblichen Erscheinungsbild derartiger, nicht auf die Erzielung möglichst hoher Fahrgeschwindigkeiten und möglichst kurzer Fahrzeiten ausgerichteter Ausfahrten gehöre. Überdies hätte das Berufungsgericht den Kläger durch seine von der Rechtsmeinung des Erstgerichtes abweichende Rechtsansicht nicht überraschen dürfen.

Rechtliche Beurteilung

Hiezu wurde erwogen:

Nach ständiger Rechtsprechung sind Handlungen oder Unterlassungen im Zuge sportlicher Betätigung, durch die ein anderer Teilnehmer in seiner körperlichen Sicherheit gefährdet oder am Körper verletzt wird, insoweit nicht rechtswidrig, als sie nicht das in der Natur der betreffenden Sportart gelegene Risiko vergrößern (SZ 54/133; SZ 60/176; 1 Ob 157/97p). Dies gilt nicht nur für Kampfsportarten, sondern auch für sonstige Sportarten, bei denen es wegen des notwendigen Naheverhältnisses der Teilnehmer zueinander oder zu den dabei verwendeten Sportgeräten zu Gefährdungen oder zu Verletzungen der Teilnehmer kommen kann (SZ 60/176; s auch 1 Ob 646/94). Diese Rechtsprechung beruht auf dem Gedanken des Handelns auf eigene Gefahr. Wer sich einer ihm bekannten oder erkennbaren Gefahr aussetzt, wie etwa durch Teilnahme an gefährlichen Veranstaltungen, dem wird eine Selbstsicherung zugemutet. Ihm gegenüber wird die dem Gefährdenden sonst obliegende Sorgfaltspflicht aufgehoben oder eingeschränkt (ZVR 1985/127; SZ 60/176 ua). In den Fällen echten Handelns auf eigene Gefahr ist die Rechtswidrigkeit des Verhaltens aufgrund einer umfangreichen Interessenabwägung zu beurteilen. Es ist stets zu prüfen, wie weit durch das echte Handeln auf eigene Gefahr die Sorgfaltspflichten anderer aufgehoben werden (Koziol, Haftpflichtrecht3 I Rz 4/39). Bei gegeneinander ausgeübter sportlicher Betätigung ist eine Verhaltensweise, die sonst nur als leichter Verstoß gegen die objektive Sorgfaltspflicht aufzufassen wäre, nicht rechtswidrig (ZVR 1975/127; JBl 1988, 114 ua). Hier liegt aber eine sogenannte "parallele Sportausübung" vor, wobei die Gefährdung der Teilnehmer darauf beruht, daß sie gleichzeitig auf beschränktem Raum eine bestimmte Sportart ausüben (Harrer in Schwimann, ABGBý Rz 77 zu § 1295). Hier sind die Teilnehmer zu gegenseitiger Rücksichtnahme verpflichtet, sie haben die gebotene Sorgfalt anzuwenden und müssen insbesondere die spezifischen Sportgefahren unter Kontrolle halten (Harrer in Schwimanný, ABGB Rz 78 zu § 1295). Bei dem Sport nebeneinander darf kein Teilnehmer gefährdet oder geschädigt oder mehr als vermeidbar behindert werden. Der Konsens der Teilnehmer hat Einfluß auf die untereinander gebotene Sorgfalt. Sie vermögen insoweit untereinander gewisse Verhaltenskriterien zu verändern, zB beim Radsporttraining die Abstandsregeln untereinander außer Kraft zu setzen (Pardey, Haftung von Freizeitsportlern untereinander, zfs 1995, 281 [284]). Im vorliegenden Fall lag nun ohne Zweifel kein Wettkampf vor. Bei gemeinsamer Sportausübung außerhalb eines solchen kommt der wechselseitigen Rücksichtnahme ein höherer Stellenwert zu als während des eigentlichen Wettkampfs. Unabhängig davon, ob nun im vorliegenden Fall eine Trainingsfahrt - also eine Fahrt im Rahmen eines systematisch geplanten, pädagogisch fundierten und methodisch zielgerichteten Handlungsverlauf zur Steigerung und Optimierung sportlicher Leistungen (Brockhaus Enzyklopädie19, Bd 23 "Training") - oder eine bloße "Vergnügungsfahrt" vorlag, bleibt für die Beurteilung der Frage, inwieweit ein Handeln auf eigene Gefahr vorliegt, der "Trainingskonsens", also der Konsens der Gruppe, wie er sich bei dem nebeneinander ausgeübten Sport niederschlägt, maßgebend (Pardey, zfs 1995, 282).

Diese Frage wurde aber im Verfahren erster Instanz mit den Parteien nicht erörtert, worin ein Mangel liegt, der eine erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Streitsache verhindert. In der Einhaltung eines Tiefenabstandes von 30 cm (die entsprechende Feststellung wurde vom Berufungsgericht nicht übernommen) könnte etwa ein stillschweigender Konsens über ein sogenanntes "Windschattenfahren" liegen. Der Kläger hätte allerdings dann nur solche Risken selbst zu tragen, die eine Folge des zu geringen Tiefenabstandes sind, nicht aber (allein) das mit dem Überholvorgang des Beklagten verbundene Risiko. Die Ansicht des Berufungsgerichtes, das Klagebegehren sei bereits aufgrund der Angaben des Klägers abzuweisen, ist sohin nicht zutreffend und kommt daher auch dem vom Berufungsgericht aufgezeigten Mangel des Verfahrens erster Instanz Relevanz zu.

Im fortgesetzten Verfahren wird daher das Erstgericht auch die Frage des "Trainingskonsenses" der Gruppe mit den Parteien zu erörtern und darüber gegebenenfalls Feststellungen zu treffen haben. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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