Spruch:
Der Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz vom 29. Juli 1998, AZ 7 Ns 67/98, mit dem die Auslieferung des rumänischen Staatsangehörigen Constantin O***** zur Vollstreckung der mit Urteil Nr. 2322 des Amtsgerichtes Ploiesti/Rumänien vom 26. Oktober 1994, AZ 5982/1994, verhängten Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten für nicht zulässig erklärt wurde, verletzt das Gesetz in der Bestimmung des § 1 (in bezug auf § 22) ARHG.
Text
Gründe:
Aufgrund eines Fahndungsersuchens der Interpol Bukarest wurde der in Mondsee wohnhafte rumänische Staatsangehörige Constantin O***** gemäß Art 16 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens (ALÜbk) zwecks Auslieferung zur Vollstreckung einer in seinem Heimatstaat wegen Diebstahls verhängten Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten mit Beschluß des Landesgerichtes Wels vom 12. Dezember 1998, GZ 7 Vr 1268/97-6, in vorläufige Auslieferungshaft genommen. Am 23. Dezember 1997 ordnete der Untersuchungsrichter die Fortsetzung der Haft an (ON 12).
Da seitens der rumänischen Justizbehörden innerhalb der vom Bundesministerium für Justiz (bis 21. Jänner 1998) bestimmten Frist ein Ersuchen um Auslieferung des Constantin O***** nicht einlangte (ON 14, 19), wurde der Genannte am 22. Jänner 1998 über Antrag der Staatsanwaltschaft enthaftet (Art 16 Abs 4 ALÜbk). Gleichzeitig faßte der Untersuchungsrichter (ebenfalls im Sinne des Antrages der Anklagebehörde) den Beschluß auf "Einstellung des Auslieferungsverfahrens analog zu § 109 StPO" (S 1c f des Antrags- und Verfügungsbogens; S 23 verso der ON 5), obwohl eine Ähnlichkeit der Sache mit einer strafgerichtlichen Voruntersuchung nicht gegeben ist und demgemäß eine spätere Verfahrensweiterführung keineswegs von einer formellen Wiederaufnahme abhängt. Nach fruchtlosem Verstreichen der den rumänischen Behörden für die Stellung eines Auslieferungsersuchens gesetzten Frist (die im übrigen keine Präklusivwirkung auslöst, sondern nur die - widerlegbare - Vermutung begründet, daß der befragte Staat die Auslieferung nicht begehrt; Linke, Grundriß des Auslieferungsrechtes 69; Schwaighofer, Auslieferung und Internationales Strafrecht 137) wäre das Auslieferungsverfahren zu beenden oder die Vorlage der Akten (nach Einholung einer Stellungnahme der Ratskammer - § 31 Abs 1 ARHG) an den Gerichtshof zweiter Instanz zur Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung aufgrund der vorhandenen Unterlagen zu veranlassen gewesen (§ 35 Abs 2 ARHG; Schwaighofer, aaO 146, 150; Linke aaO 71).
Mit Schreiben vom 12. März 1998 übermittelte das Bundesministerium für Justiz das zwischenzeitig (verspätet) eingelangte Auslieferungsbegehren des rumänischen Justizministeriums vom 2. Februar 1998, Zl. 48888/IV/16/1998, zum Vollzug der über Constantin O***** mit (zufolge Entscheidung Nr. 451 des Appellationsgerichtshofes Ploiesti vom 17. Oktober 1995 rechtskräftigem) Strafurteil Nr. 2322 des Amtsgerichtes Ploiesti vom 26. Oktober 1994, AZ 5982/1994, (ua) wegen qualifizierten (Benzin-)Diebstahls verhängten Freiheitsstrafe im eingangs angeführten Ausmaß (ON 24).
Daraufhin beschloß der Untersuchungsrichter die "Wiederaufnahme und Fortführung des Auslieferungsverfahrens" (S 1 e des Antrags- und Verfügungsbogens). Nach Durchführung weiterer Erhebungen durch den Untersuchungsrichter erklärte das Oberlandesgericht Linz (in Übereinstimmung mit der Äußerung der Ratskammer des Landesgerichtes Wels - ON 27) mit Beschluß vom 29. Juli 1998, AZ 7 Ns 67/98, die vom rumänischen Justizministerium begehrte Auslieferung des Constantin O***** für unzulässig (§ 33 Abs 1 ARHG). Das Oberlandesgericht bejahte zwar das Vorliegen der formellen und materiellen Auslieferungsvoraussetzungen im Sinne des Art 2 Abs 1 ALÜbk unter dem Gesichtspunkt der inländischen Strafbarkeit des Auslieferungdeliktes nach §§ 15, 127, 128 Abs 1 Z 4 StGB, nahm jedoch den Ablehnungsgrund des Härtefalles nach § 22 ARHG an: Da sich der Betroffene in Österreich eine berufliche Existenz geschaffen habe und darüber hinaus für seine im gemeinsamen Haushalt lebende, nach einem Verkehrsunfall lebensgefährlich verletzte und nunmehr pflegebedürftige Gattin die einzige Bezugsperson darstelle, würde ihn die mit seiner Auslieferung verbundene persönliche Belastung in Relation zur Schwere der den Gegenstand der Auslieferung bildenden strafbaren Handlung unverhältnismäßig hart treffen.
Rechtliche Beurteilung
Der Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz vom 29. Juli 1998, AZ 7 Ns 67/98, mit dem die Auslieferung des Constantin O***** zur Vollstreckung der in Rede stehenden Freiheitsstrafe für unzulässig erklärt wurde, verletzt, wie der Generalprokurator mit seiner deshalb eingebrachten Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt, das Gesetz in der Vorschrift des § 1 ARHG:
Das gegenständliche Auslieferungsersuchen ist - wie dem Oberlandesgericht zuzugeben ist - auf der Grundlage des Europäischen Auslieferungsübereinkommens, BGBl 1983/297 (das von Rumänien am 10. September 1997 ratifiziert wurde - BGBl 1997/III/190) zu prüfen. Dieser Vereinbarung ist aber ein dem § 22 ARHG entsprechendes Auslieferungshindernis fremd. Jene Vertragsparteien, die sich das Recht vorbehalten wollen, die Auslieferung aus humanitären Gründen abzulehnen, haben die Möglichkeit der Abgabe eines entsprechenden Vorbehalts zu Art 1 des ALÜbk. Von dieser Möglichkeit haben etwa die Skandinavischen Staaten, die Niederlande und Ungarn Gebrauch gemacht. Österreich hat hingegen keinen entsprechenden Vorbehalt zu Art 1 des Übereinkommens erklärt.
Da zwischenstaatliche Vereinbarungen nach § 1 ARHG Vorrang gegenüber den Bestimmungen dieses Gesetzes haben, und vertragliche Auslieferungspflichten grundsätzlich zu erfüllen sind (Art 1 ALÜbk), kann die Härteklausel des § 22 ARHG hier nicht zur Anwendung gelangen (Mayerhofer Nebenstrafrecht4 § 22 ARHG E 1; so auch im Ergebnis Linke aaO 24 f, 45; Schwaighofer aaO 90). Daß auf innerstaatliche Auslieferungshindernisse nicht Bedacht genommen werden kann, ergibt sich nicht nur aus der Natur von Auslieferungsverträgen, die Auslieferungsverbote und -hindernisse taxativ aufzählen; auch Art 27 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969, BGBl 1980/40, verbietet einer Vertragspartei, "sich auf ihr innerstaatliches Recht zu berufen, um die Nichterfüllung eines Vertrages zu rechtfertigen" (s auch Linke aaO 24 FN 13).
Ob die Auslieferung fallspezifisch aus (im gegenständlichen Beschluß nicht erörterten) Grundsätzen des zwingenden Völkerrechts im Lichte des Art 8 MRK zu verweigern gewesen wäre, muß dahingestellt bleiben. Denn der vom Oberlandesgericht Linz (aktenkonform) angenommene Sachverhalt läßt rechtliche Schlußfolgerungen, ob die Auswirkungen der Auslieferung zufolge des Gesundheitszustandes der Gattin des Betroffenen bei der gebotenen Interessenabwägung zwischen der Strafverfolgung und dem Anspruch auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Schwaighofer aaO 40, 91 f; Linke aaO 45) einem allgemeinen Auslieferungshindernis gleichkommen, nicht zu. Auch der Aktenlage sind Hinweise auf Ausmaß und Dauer der Pflegebedürftigkeit, der Transportfähigkeit und der Rehabilitationsmöglichkeit im Heimatstaat nicht zu entnehmen. Mangels ausreichender Tatsachengrundlagen kann somit auf die Frage des Vorliegens einer die Auslieferung hindernden Humanitätsschranke nicht eingegangen werden.
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