OGH 10ObS393/98m

OGH10ObS393/98m15.12.1998

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Jörg Krainhöfner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Helmut Stöcklmayer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Hermine L*****, vertreten durch Mag. Robert Peisser, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Pflegegeld, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. Juli 1998, GZ 25 Rs 78/98a-16, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 31. März 1998, GZ 55 Cgs 167/97i-12, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Sozialrechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die am 10. 4. 1936 geborene Klägerin leidet an einer Erkrankung der Wirbelsäule, wodurch sie in ihrer Bewegungsfreiheit und beim Bücken stark eingeschränkt ist. Sie benötigt Hilfe und Betreuung bei folgenden Verrichtungen: Herbeischaffung von Nahrungsmitteln und Medikamenten, Reinigung der Wohnung und persönlichen Gebrauchsgegenstände, Waschen der Bett- und Leibwäsche, Baden, Pediküre und Maniküre, sowie Begleitung zur Schwimmtherapie wegen des Bandscheibenleidens. Darüber hinaus bedarf sie der Hilfe bei der Zubereitung von "aufwendigen" Mahlzeiten; das Frühstück sowie ein kaltes Abendessen kann sie selber zubereiten, sie ist auch in der Lage, Speisen aufzuwärmen. Ein geeigneter Küchenhocker für das Arbeiten im Sitzen ist zumutbar.

Mit Bescheid vom 1. 8. 1997 wurde der Antrag der Klägerin vom 6. 8. 1996 auf Zuerkennung eines Pflegegeldes abgelehnt. Das Erstgericht gab ihrer gegen diesen Bescheid gerichteten Klage statt und verpflichtete die beklagte Partei zur Leistung eines Pflegegeldes der Stufe 1 in der gesetzlichen Höhe ab 1. 9. 1996.

Das Erstgericht beurteilte dabei den eingangs zusammengefaßt widergegebenen Sachverhalt rechtlich dahingehend, daß - ausgehend von einem Aufwand von 30 Stunden pro Monat für die Zubereitung von Mahlzeiten - der Gesamtpflegeaufwand pro Monat 74 Stunden betrage und damit das 50-Stunden-Erfordernis der Pflegegeldstufe 1 überschreite.

Das Berufungsgericht gab der von der beklagten Partei erhobenen Berufung Folge und änderte das Ersturteil im Sinne einer Klageabweisung ab. Es führte aus, daß zwar zuzubilligen sei, daß eine für den allgemeinen Standard angemessene menschengerechte Lebensführung mindestens einmal täglich die Einnahme einer ordentlichen Mahlzeit erfordere, deren Zubereitung nicht nur ganz kurze Zeit in Anspruch nehme. Das Zubereiten einer solchen, aus einem Gang bestehenden Mahlzeit mit Fleisch, Salat und Zuspeise überschreite dabei die körperliche Leistungsfähigkeit der Klägerin nicht. Derartige "einfache" Mahlzeiten könne sie noch zubereiten; bloß die Zubereitung spezieller Gerichte scheide aus. Unter Abzug des hiefür vom Erstgericht angesetzten 30-stündigen Aufwandes betrage jedoch der Gesamtbetreuungsaufwand nicht mehr als 50 Stunden pro Monat, was aber Anspruchsvoraussetzung für die Stufe 1 des Pflegegeldes sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf "Mangelhaftigkeit" gestützte Revision der Klägerin mit dem Antrag, die bekämpfte Entscheidung im Sinne einer Klagestattgebung (also Pflegegeld der Stufe 1 ab 1. 9. 1996) abzuändern; hilfsweise wird auch ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.

Die Revision ist gemäß § 46 Abs 3 ASGG auch ohne Vorliegen der besonderen Voraussetzungen des Abs 1 leg cit zulässig und im Sinne des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrages auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Das Berufungsgericht hat an sich zutreffend die Judikatur des Senates zum Betreuungsbedarf für die Zubereitung von Mahlzeiten (§ 1 Abs 4 EinstV) wiedergegeben. Davon hängt es jedoch ab, ob bei der Klägerin der monatliche Pflegeaufwand unter oder über 50 Stunden zu liegen kommt. Die übrigen Zeitansätze laut Urteil des Erstgerichtes sind hiebei unstrittig, sodaß hierauf nicht weiter eingegangen werden muß. Die Revisionswerberin erblickt ihren geltend gemachten Rechtsmittelgrund, der sich inhaltlich einerseits als Aktenwidrigkeit (Widerspruch zum Sachverständigengutachten) und andererseits unrichtige rechtliche Beurteilung darstellt, darin, daß zumindest festgestellt hätte werden müssen, daß die Klägerin für die Zubereitung von warmen Mahlzeiten, seien es einfache oder aufwendigere, einen Betreuungsbedarf im Ausmaß von 30 Stunden monatlich habe. Schon in der Entscheidung 10 ObS 349/97i vom 15. 10. 1997 hat der Oberste Gerichtshof die dort vom Erstgericht (hier vom Berufungsgericht) gewählte Diktion der "einfachen Mahlzeit" für aufklärungsbedürftig erachtet. Nach der Rechtsprechung ist für die Zubereitung von Mahlzeiten nur dann kein Betreuungsaufwand anzunehmen, wenn ein Pflegegeldwerber die Gewandtheit besitzt, sich nicht nur unter Verwendung handelsüblicher Tiefkühlkost und von Fertiggerichten, sondern grundsätzlich auch aus Frischprodukten komplette Mahlzeiten (Hausmannskost) zuzubereiten (SSV-NF 9/42, 9/66 = SZ 68/137). Nur wenn feststeht, daß ein Kläger zur regelmäßigen Zubereitung einer warmen Hauptmahlzeit unfähig ist, ist der in § 1 Abs 4 EinstV vorgesehene Mindestbedarf in Rechnung zu stellen (Pfeil, BPGG 87; 10 ObS 349/97i).

Das vom Berufungsgericht gewonnene Ergebnis, dem Kläger der vorliegenden Sozialrechtssache sei solches möglich, läßt sich aus dem vom Erstgericht getroffenen Feststellungen freilich (noch) nicht abschließend ableiten. Die Feststellungen sind vielmehr sowohl dahin ergänzungsbedürftig, daß der Begriff der "einfachen" (bzw auch "aufwendigen") Mahlzeit für sich allein nicht aussagekräftig ist, als auch die Feststellungen, daß die Klägerin deshalb nicht kochen könne, weil es ihr nicht möglich sei, sich zu bücken und sonstige Bewegungen (welche?), die dabei erforderlich sind, zu machen, unzureichend sind. Hiezu sind demgegenüber präzise Feststellungen darüber erforderlich, welche konkreten dabei anfallenden Verrichtungen der Klägerin nicht möglich sind.

Da sohin diese für die abschließende rechtliche Beurteilung wesentlichen Frage noch ungeklärt ist, waren die Entscheidungen der Vorinstanzen zur Ergänzung des Verfahrens im aufgezeigten Sinne aufzuheben. Nur dann kann abschließend geklärt werden, ob der monatliche zeitliche Pflegeaufwand bei der Klägerin über 50 Stunden (dann Zuspruch des Pflegegeldes der Stufe 1) oder unter 50 Stunden (dann Klageabweisung) gelegen ist. Im Falle der Klagestattgebung wird auch zu beachten sein, daß die Wendung "im gesetzlichen Ausmaß" (so wie im Urteil des Erstgerichtes) trotz der Bestimmung des § 82 ASGG in Pflegegeldsachen nicht zulässig ist, weil die Höhe des jeweiligen Pflegegeldes in den einzelnen Stufen im Gesetz genau ziffernmäßig festgelegt ist und daher auch dieser ziffernmäßige Betrag urteilsmäßig auszuwerfen ist (10 ObS 292/97g, 10 ObS 453/97h, 10 ObS 148/98g).

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO, § 2 Abs 1 ASGG.

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