OGH 10Ob402/97h

OGH10Ob402/97h24.11.1998

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr, Dr. Steinbauer, Hon. Prof. Dr. Danzl und Dr. Hopf als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Kaan, Cronenberg & Partner, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Beatrix J*****, Ausbildnerin, *****, vertreten durch Dr. Hans Kröppel, Rechtsanwalt in Kindberg, wegen S 250.000 sA, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 12. Juni 1997, GZ 3 R 99/97x-24, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 28. Jänner 1997, GZ 11 Cg 192/95v-17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

1. Der Antrag der beklagten Partei auf Einholung einer Vorabentscheidung durch den EuGH wird zurückgewiesen.

2. Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung

Zu Pkt. 1:

Rechtliche Beurteilung

Eine Prozeßpartei hat nach ständiger Rechtsprechung keinen verfahrensrechtlichen Anspruch, die Einholung einer Vorabentscheidung gemäß Art 177 EGV zu beantragen. Ein solcher Antrag ist zurückzuweisen (SZ 70/262; SZ 69/6; SZ 68/89 uva; RIS-Justiz RS0058452). Da die Beklagte ihr Begehren auf Einholung einer Vorabentscheidung nicht bloß als Anregung, sondern als Antrag formulierte, ist dieser auch hier zurückzuweisen.

Zu Pkt. 2:

Wiewohl die Zurückweisung einer außerordentlichen Revision nach § 510 Abs 3 dritter Satz ZPO keiner Begründung bedarf, sei den Rechtsmittelausführungen in Kürze folgendes entgegengehalten:

Die Beklagte beruft sich für die Zulässigkeit ihrer außerordentlichen Revision entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichtes zu Unrecht darauf, daß die Frage, ob und inwieweit durch das Schreiben der Klägerin vom 7. 4. 1994 die im Sinne des Art 85 Abs 1 EGV (entspricht Art 53 Abs 1 EWR-Abkommen) nichtigen Alleinbezugsverträge wirksam im Sinne der Verordnung (EWG) Nr 1984/83 der Kommission vom 22. 6. 1993 über die Anwendung von Art 85 Abs 3 des Vertrages auf Gruppen von Alleinbezugsvereinbarungen, die in ihrem Titel II - Art 6 bis 9 - besondere Vorschriften für Bierlieferungsverträge enthält (in der Folge kurz Gruppenfreistellungsverordnung, GVO) angepaßt worden seien, ausschließlich der EuGH zu beantworten habe. Ein nationales Gericht kann bzw muß dann, wenn es in einer Rechtssache, für deren Ausgang das Gemeinschaftsrecht entscheidend ist, Zweifel über dessen Auslegung hat, die entsprechende Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vorlegen. Das Gericht beurteilt hiebei selbständig, ob die betreffende Vorschrift des Gemeinschaftsrechts für seine Urteilsfindung in der anhängigen Rechtssache von entscheidender Bedeutung ist. Es ist in Fragen der Auslegung des Gemeinschaftsrechtes an die Entscheidung des EuGH gebunden (EvBl 1998/179 ua), hat aber dennoch den anhängigen Fall im übrigen selbständig zu beurteilen. Eine Pflicht, die Vorabentscheidung des EuGH einzuholen, besteht auch dann nicht, wenn die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist, daß keinerlei Raum für einen vernünftigen Zweifel bleibt (SZ 68/89 ua; RIS-Justiz RS0075861).

Der Oberste Gerichtshof hat wiederholt ausgesprochen (RIS-Justiz RS0079237; EvBl 1997/20), daß Getränkebezugsverträge, die die Kriterien der Einzelfreistellung oder Gruppenfreistellung nicht erfüllen, nichtig im Sinne des Art 85 EGV sein können und daß diese Nichtigkeit absolut wirkt. Die mittelbaren Zivilrechtsfolgen verbotswidrigen Handelns sind allerdings im Gemeinschaftsrecht nicht geregelt und dem innerstaatlichen Recht zu entnehmen.

Ob ein bestimmter Alleinbezugsvertrag wirksam angepaßt wurde, richtet sich immer nach den besonderen Umständen des Einzelfalles und stellt eine die Zulässigkeit der außerordentlichen Revision begründende erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nur dann dar, wenn dem Berufungsgericht ein grober Auslegungsfehler unterlaufen ist, der im Interesse der Rechtssicherheit korrigiert werden muß.

Ähnliches gilt für die Frage, ob und in welchen Fällen nach nationalem Recht Stillschweigen als Zustimmung gewertet werden kann:

Auch hier kommt es auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles an. Grundsätzlich muß das Schweigen als Annahme und Zustimmung dort angenommen werden, wo der Nichtzustimmende nach dem Gesetz, nach Treu und Glauben oder nach der Verkehrssitte reden bzw handeln hätte müssen (RIS-Justiz RS0013958; RS0014122).

Richtig ist, daß gemäß Art 6 Abs 1 GVO der Art 85 Abs 1 EGV unter bestimmten weiteren Voraussetzungen für nicht anwendbar erklärt wird auf Vereinbarungen, an denen nur zwei Unternehmungen beteiligt sind und in denen ein Vertragspartner, der Wiederverkäufer, sich gegenüber dem anderen Vertragspartner, dem Lieferanten, gegen Gewährung besonderer wirtschaftlicher oder finanzieller Vorteile verpflichtet, bestimmte Biere oder bestimmte Biere und bestimmte andere Getränke ... nur von ihm ... zu beziehen. Die Beklagte meint, schon aus dieser Textierung sei zu schließen, daß die in den Lieferungsübereinkommen A und C jeweils zu Pkt 4 übernommene Verpflichtung, unter Fortdauer der eigenen Haftung alle Verpflichtungen aus diesen Lieferungsübereinkommen Rechtsnachfolgern bzw Rechtsnehmern so zu überbinden, daß diese sie als ihre eigene Verpflichtung gegenüber der Klägerin anerkannten, keine Deckung finden könne. Dabei läßt sie außer Acht, daß Gegenstand der vorliegenden Klage nicht die Zuhaltung der Lieferungsübereinkommen, sondern die Forderung der Konventionalstrafe wegen Nichtüberbindung dieser Übereinkommen ist und daher die Fortdauer der die Beklagte treffenden Bindung keine entscheidende Rolle spielt.

Ferner verweist die Beklagte auf den sich aus beiden Lieferungsübereinkommen aus den Jahren 1988 und 1990 ergebenden Gesamtmindestbezug von 2400 hl Bier (Pkt 14.2 des Übereinkommens 1990). Dem entgegen habe die Klägerin eine Vertragsanpassung bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten über 2400 hl vorgenommen und mit Schreiben vom 7. 4. 1994 bei der Beklagten selbst. Somit falle das Lieferungsübereinkommen 1988 unter Art 8 lit c GVO, wonach Art 6 nicht anwendbar und daher eine Vereinbarung nichtig ist, wenn sie für einen unbestimmten oder für einen Zeitraum von mehr als 5 Jahren geschlossen wird, sofern sich die ausschließliche Bezugspflicht auf bestimmte Biere und bestimmte andere Getränke bezieht. Eine Anpassung könne nach Ansicht der Beklagten nicht so erfolgen, daß die Klägerin ihre Verpflichtung zur Lieferung von Schnäpsen ausklammere, um aus einem nunmehr höchstens 5 Jahre wirksamen Liefervertrag durch die ausschließliche Lieferung von Bieren einen 10-jährigen herzustellen.

Diesen Argumenten ist entgegenzuhalten, daß weder die oben behauptete

Vertragsanpassung bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten noch die

Bezugspflicht der Beklagten hinsichtlich bestimmter anderer Getränke

von den Tatsacheninstanzen festgestellt wurde, weshalb die Rechtsrüge

nicht vom festgestellten Sachverhalt ausgeht. Das Berufungsgericht

konnte daher zutreffend darauf hinweisen, daß der Beklagten keine

anderen Wettbewerbsbeschränkungen als die im Art 7 Abs 1 lit a und

Abs 2 GVO genannten auferlegt worden seien und jene in lit b und c

genannten ohnehin nicht zum Tragen kämen. Weiters führte es aus, daß

auch Art 8 Abs 1 lit a, c und e von vornherein nicht in Betracht

kämen. Art 8 Abs 1 lit b und d verbieten, daß der Lieferant die

Freiheit des Wiederverkäufers einschränkt, Waren, für die ... weder

eine ausschließliche Bezugspflicht noch Wettbewerbsverbote vereinbart

werden dürfen, ... von einem Unternehmer seiner Wahl zu beziehen und

daß die Vereinbarung für einen unbestimmten oder für einen Zeitraum von mehr als 10 Jahren geschlossen wird, sofern sich die ausschließliche Bezugspflicht nur auf bestimmte Biere bezieht. Das Berufungsgericht hat die Begrenzung der Vertragsdauer mit 31. 12. 2003 mit ausreichender Begründung für zulässig angesehen (vgl dazu auch Nomos-Komm zum EWG-Vertrag4 Bd 2 Rz 290 zu Art 85). Auch hier wird keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt. Die angefochtene Entscheidung steht auch mit dem Urteil des EuGH vom 28. 2. 1991, Rs C-234/89 - Delimitis, Slg 1991 I-935, nicht in Widerspruch.

Sodann macht die Revisionswerberin geltend, um die gemäß Art 51 Abs 1 EGV nichtigen Verträge anzupassen, hätten diese mit einer Marktöffnungsklausel versehen werden müssen. Die Wiederverkäufer hätten aufmerksam gemacht werden müssen, daß es ihnen ab nun gestattet wäre, einen gewissen nennenswerten Teil ihres Umsatzes auch von dritter Seite einzukaufen. Demgegenüber habe die Klägerin in ihrem Schreiben vom 7. 4. 1994 darzulegen versucht, daß es einer Annahme des Vertragsinhaltes nicht bedürfe, weil sie nur auf Rechte verzichte. Tatsächlich habe sie aber auf keine Wettbewerbsbeschränkung verzichtet; für einen tatsächlichen Fremdbezug sei kein Raum eröffnet. Dies muß aber angesichts des Wortlautes der Vertragsanpassung nicht zwingend gefolgert werden. Die Beklagte hat sich danach verpflichtet, ihren gesamten Bedarf an den in einer beigefügten Sorten-/Markenliste der Klägerin angeführten Bieren ausschließlich bei der Klägerin zu beziehen; hingegen war ihr auf Grund der alten Verträge jeglicher Bezug anderer inländischer und ausländischer Biere nicht gestattet.

Was schließlich das Zustandekommen der Vertragsanpassung auf Grund der widerspruchslosen Entgegennahme des Schreibens der Klägerin vom 7. 4. 1994 durch die Beklagte betrifft, so liegt auch in der Annahme des Berufungsgerichtes, daß die Beklagte angesichts der in diesem Schreiben angebotenen Verbesserung ihrer Rechtsstellung im konkreten Fall zum Widerspruch verpflichtet gewesen wäre (vgl Kramer in Straube, HGB I2 § 346 Rz 40; Schuhmacher in Straube aaO § 362 Rz 1), keine krasse Fehlbeurteilung des Einzelfalles, die im Interesse der Rechtssicherheit korrigiert werden müßte.

Dem Berufungsgericht ist insgesamt keine Verkennung der Rechtslage oder grob unrichtige Auslegung von Willenserklärungen im Einzelfall vorwerfen. Mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO erweist sich die außerordentliche Revision als unzulässig.

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