Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Text
Begründung
Ein in einem Zivilrechtsstreit als Verfahrenshelfer für die Betroffene tätig gewordener Rechtsanwalt regte die Bestellung eines Sachwalters zwecks Besorgung deren vermögensrechtlichen Angelegenheiten in Österreich an, weil zu befürchten sei, daß sie nicht mehr in der Lage sei, ihre Vermögensangelegenheiten ohne Schädigung der eigenen Interessen zu besorgen. Die Betroffene lebe in einem Pflege-(Armen-)Haus in Buenos Aires und sei auf öffentliche Unterstützung angewiesen.
Es steht fest, daß die Betroffene österreichische Staatsbürgerin ist und ihren letzten gewöhnlichen Aufenthalt im Inland in Graz hatte.
Der Erstrichter versuchte, vom Bundesministerium für Justiz die Genehmigung für eine Dienstreise nach Buenos Aires zwecks Erstanhörung der Betroffenen zu erlangen. Die Vornahme einer solchen Dienstreise wurde nicht gestattet. Daraufhin bestellte das Erstgericht im ersten Rechtsgang ohne weiteres Verfahren den Revisionsrekurswerber zum einstweiligen Sachwalter gemäß § 238 Abs 1 und 2 AußStrG zur Besorgung bestimmter dringender Angelegenheiten. Das Rekursgericht hob diesen Beschluß auf und trug dem Erstgericht auf, die ihm zu Gebote stehenden Möglichkeiten der Verständigung mit der Betroffenen zu nützen; sollte deren persönliche Anhörung nicht möglich sein, sei notfalls von einer weniger qualifizierten Form der Anhörung Gebrauch zu machen. Es sei die vom Bundesministerium für Justiz vorgeschlagene Form der Einvernahme der Betroffenen durch die österreichische Vertretungsbehörde - allenfalls mit telefonischer Einschaltung des Erstrichters - vorzunehmen. Daraufhin richtete das Erstgericht ein Ersuchen an die Botschaft der Republik Österreich in Buenos Aires im Sinne des rekursgerichtlichen Auftrags, dem aber nicht entsprochen wurde. Die Kanzlerin der österreichischen Botschaft teilte lediglich fernmündlich mit, sie habe am 30. 10. 1997 die „Vernehmung“ der Betroffenen durchgeführt; es sei praktisch nicht möglich gewesen, ihr den Grund und Zweck des Sachwalterschaftsverfahrens zu erklären. Die Betroffene erscheine zeitlich und örtlich nicht ausreichend orientiert. Von der Botschaft wurde das österreichische Außenministerium um Weisung ersucht, ob dem Ersuchen des Erstrichters aus rechtlichen Gründen entsprochen werden dürfe. Eine entsprechende Weisung ist nicht ergangen. Einem Schreiben der österreichischen Botschaft in Buenos Aires an das Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten ist zu entnehmen, daß „die Botschaft“ mit der Betroffenen ein mehr als eineinhalbstündiges ausführliches Gespräch geführt habe; diese habe Grund und Zweck des Sachwalterschaftsverfahrens nicht verstanden und erfaßt. Nach Ansicht „der Botschaft“ ist die Schutzwürdigkeit der Betroffenen gegeben.
Das Erstgericht bestellte den Revisionsrekurswerber im zweiten Rechtsgang abermals zum einstweiligen Sachwalter gemäß § 238 Abs 1 und 2 AußStrG und trug ihm die Besorgung folgender dringender Angelegenheiten auf: die Verwaltung des im Inland befindlichen Vermögens, insbesondere des Liegenschaftsbesitzes in Graz und des ererbten Vermögens nach dem verstorbenen Vater der Betroffenen, sowie deren dafür erforderliche Vertretung vor Ämtern, Behörden und Gerichten. Aus den Feststellungen der österreichischen Botschaft in Argentinien ergäben sich konkrete Anhaltspunkte für die Schutzwürdigkeit der Betroffenen: Sie sei nicht in der Lage, ihre Vermögensangelegenheiten zu überblicken und diese ohne Schädigung der eigenen Interessen zu besorgen. Sie könne auch Grund und Zweck des Sachwalterschaftsverfahrens nicht erfassen.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Es berief sich auf die dem Erstgericht „überbundene Rechtsmeinung“ im Zuge des ersten Rechtsgangs, der das Gericht erster Instanz gefolgt sei. In diesem Aufhebungsbeschluß vom 24. 3. 1997 (ON 38) habe das Rekursgericht ausgeführt, daß die Erstanhörung eines Betroffenen durch den erkennenden Richter persönlich grundsätzlich eine unabdingbare Verfahrensvoraussetzung darstelle. Es seien alle zu Gebote stehenden Möglichkeiten der Verständigung mit dem Betroffenen zu nützen. Sei aber die persönliche Anhörung „von Angesicht zu Angesicht“ nicht möglich, dann sei notfalls von einer weniger qualifizierten Form der Anhörung Gebrauch zu machen. Als solche „praktikable Form“ der Einvernahme eines Betroffenen sei die Anhörung durch die österreichische Vertretungsbehörde - allenfalls mit telefonischer Einschaltung des Erstrichters - anzusehen.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs des einstweiligen Sachwalters ist berechtigt.
Die Betroffene ist nach der Aktenlage österreichische Staatsbürgerin, weshalb die Voraussetzungen für die Bestellung eines einstweiligen Sachwalters nach § 238 AußStrG nach ihrem österreichischen Personalstatut zu beurteilen sind (1 Ob 632-634/92; Schwimann in Rummel, ABGB2 Rz 2 zu § 15 IPRG). Die inländische Gerichtsbarkeit ist schon nach § 110 Abs 1 Z 1 JN gegeben; die Zuständigkeit des Erstgerichts basiert auf § 109 Abs 2 JN, weil die Betroffene ihren letzten gewöhnlichen Aufenthalt im Inland in Graz hatte (Mayr in Rechberger ZPO Rz 4 zu § 109 JN und Rz 2 zu § 110 JN).
Der einstweilige Sachwalter rügt in seinem Revisionsrekurs, das Erstgericht habe die Erstanhörung der Betroffenen gemäß § 237 AußStrG nicht dem Gesetz entsprechend vorgenommen; es wäre eine persönliche Vernehmung durch den Erstrichter erforderlich gewesen. Da das Gericht zweiter Instanz die behauptete Nichtigkeit bzw Mangelhaftigkeit des Verfahrens als nicht gegeben angesehen hat, ist zu prüfen, ob dieser Nichtigkeitsgrund bzw diese Mängelrüge noch an den Obersten Gerichtshof herangetragen werden kann (9 Ob 382/97k; Kodek in Rechberger ZPO Rz 1 zu § 528 mwN):
Im vorliegenden Fall führte das Erstgericht in seinem im ersten Rechtsgang gefaßten Beschluß vom 15. 1. 1997 (ON 33) aus, es müsse allein aufgrund des Akteninhalts entscheiden, zumal das Bundesministerium für Justiz trotz eindringlichen und mehrfachen Ersuchens ein persönliches Treffen mit der Betroffenen nicht gestattet habe, sodaß dem vom Gesetzgeber im § 237 AußStrG eindeutig postulierten Auftrag, sich von der Betroffenen einen persönlichen Eindruck zu verschaffen, nicht habe entsprochen werden können (S 3 der genannten Entscheidung). Demgegenüber vertrat das Gericht zweiter Instanz die Ansicht, der Erstrichter müsse von einer „weniger qualifizierten Form der Anhörung“ Gebrauch machen und die als praktikabel vorgeschlagene Form der Einvernahme der Betroffenen durch die österreichische Vertretungsbehörde nützen (S 7 f des Beschlusses vom 24. 3. 1997, ON 38). Soweit nun das Erstgericht im zweiten Rechtsgang dem vom Rekursgericht erteilten Auftrag entsprach und die Erstanhörung der Betroffenen in der vom Gericht zweiter Instanz aufgetragenen Form durchführen ließ, ist ein in der nicht gesetzeskonform vorgenommenen Erstanhörung gelegener Verfahrensmangel bzw gar eine darin begründete Nichtigkeit kein Mangel (keine Nichtigkeit) des Verfahrens erster Instanz, sondern ein Mangel (eine Nichtigkeit) des Rekursverfahrens im ersten Rechtsgang, der in den im zweiten Rechtsgang erflossenen Entscheidungen beider Vorinstanzen seinen Niederschlag finden mußte. Eine solche Nichtigkeit bzw ein solcher Verfahrensmangel ist daher vom Obersten Gerichtshof überprüfbar.
In der Sache selbst ist auszuführen:
Gemäß § 237 Abs 1 AußStrG hat sich das Gericht zunächst vom Betroffenen einen persönlichen Eindruck zu verschaffen. Es hat ihn über Grund und Zweck des Verfahrens zu unterrichten und hiezu zu hören. Der Pflegschaftsrichter soll sich danach einerseits einen persönlichen Eindruck vom Betroffenen verschaffen und diesem andererseits Gelegenheit geben, sich über Grund und Zweck des Verfahrens zu informieren und dazu gehört zu werden, also Stellung zu nehmen (9 Ob 382/97k mwN; RZ 1995/96). Ist das Erscheinen des Betroffenen vor Gericht unmöglich, untunlich oder seinem Wohl abträglich, so hat ihn der Richter gemäß § 237 Abs 3 AußStrG aufzusuchen. Das Sachwalterbestellungsverfahren ist von den Grundsätzen der Mündlichkeit und der Unmittelbarkeit beherrscht. Gerade in diesem Verfahren ist es wichtig, daß der Richter, der die Entscheidung zu treffen hat, sich ein persönliches Bild vom Behinderten macht. Dem Behinderten muß es weiters möglich sein, seinen Standpunkt im persönlichen Gespräch mit dem Richter darzulegen, sodaß er sich nicht einem bürokratischen Aktenverfahren ausgeliefert fühlt. Zu diesem Zweck sieht das Gesetz vor, daß sich das Gericht vom Betroffenen schon am Beginn des Verfahrens einen persönlichen Eindruck zu verschaffen, ihn zu hören und ihn über Grund und Zweck des Verfahrens zu unterrichten hat (Ent/Hopf, Sachwalterrecht 85; Kremzow, Österreichisches Sachwalterrecht 237; Maurer/Tschugguel, Das österreichische Sachwalterrecht in der Praxis 139). Die Erstanhörung dient auch der Verfahrensökonomie, weil sich schon vor dem eigentlichen Bestellungsverfahrens herausstellen kann, daß die Bestellung eines Sachwalters nicht erforderlich ist; die Verfahrensvorschrift des § 237 Abs 1 AußStrG soll eine Klärung der Frage bringen, ob das Bestellungsverfahren fortzusetzen ist (RZ 1995/96). Die Verschaffung des persönlichen Eindrucks ist eine Kernbestimmung des Sachwaltergesetzes (Maurer/Tschugguel aaO). Der Richter muß jedenfalls danach trachten, den Betroffenen persönlich zu sehen. Wegen der Besonderheit und dem Gewicht dieser Vernehmung und Anhörung kommt eine Rechtshilfevernehmung grundsätzlich nicht in Frage. Hält sich die betroffene Person schon längere Zeit nicht mehr im Gerichtssprengel auf, so ist eine Übertragung nach § 111 JN ins Auge zu fassen; notfalls hat aber der Richter den Betroffenen auch an dessen Aufenthaltsort außerhalb seines Gerichtssprengels aufzusuchen. Hat die Erstanhörung ausschließlich durch den nach der Geschäftsverteilung zuständigen Richter zu erfolgen und nicht etwa durch Rechtspraktikanten, Richteramtsanwärter, Rechtspfleger oder Sachverständige (Kremzow aaO 236 FN 3; Maurer/Tschugguel aaO 141, 144; Gitschthaler, Die Erstanhörung nach dem Sachwaltergesetz, in NZ 1990, 265 ff), so darf sie auch nicht im Wege der Anhörung durch eine Verwaltungsbehörde stattfinden.
Eine Erstanhörung im Sinne des Gesetzes und entsprechend den eben aufgezeigten Grundsätzen fand im vorliegenden Fall nicht statt. Die Betroffene wurde lediglich vom Organ einer Verwaltungsbehörde gehört; der erkennende Richter konnte sich somit den unerläßlichen persönlichen Eindruck von der Betroffenen nicht verschaffen. Der Bestellungsbeschluß erweist sich demnach insofern als nichtig, als die Unterlassung der persönlichen Anhörung der Betroffenen durch den hiezu nach dem Gesetz berufenen Richter eine Verweigerung des rechtlichen Gehörs darstellt. Gespräche eines Verwaltungsbeamten mit einem Betroffenen sind nicht geeignet, die im § 237 AußStrG vorgesehene Erstanhörung zu ersetzen. Die Gewährung des rechtlichen Gehörs stellt einen derart fundamentalen Grundsatz des Verfahrensrechts dar, daß dessen Verletzung regelmäßig als Nichtigkeit im Sinne des § 477 Abs 1 Z 4 ZPO zu beurteilen ist (9 Ob 382/97k; Gitschthaler aaO 268). Begründet schon die unterlassene Mitteilung, ein mit einem Betroffenen geführtes Gespräch sei als Erstanhörung im Sinne des § 237 AußStrG zu werten, einen Verfahrensmangel, dem die Qualität eines Gesetzesverstoßes gleichkommt (RZ 1995/96), so ist dem Gebot des rechtlichen Gehörs erst recht nicht entsprochen, wenn ein Betroffener vom hiefür zuständigen Richter gar nicht persönlich gehört wurde.
Der vorliegende Fall ist von dem zu 1 Ob 632-634/92 behandelten insoweit verschieden, als sich dort die Betroffene der Ladung und Vorführung entzogen hat, ihr aber das rechtliche Gehör durch ausführliche schriftliche Darlegung ihres Standpunkts gewährt worden war. Damit hatte das Gericht die ihm zu Gebote stehenden Möglichkeiten der Verständigung mit der Betroffenen genutzt. Die Anhörungs- und Mitteilungspflicht des Gerichts geht nämlich tatsächlich nur so weit, als eine Verständigung mit einem Betroffenen möglich ist (742 BlgNR 15. GP 24; Ent/Hopf, aaO). Im hier zu entscheidenden Fall ist es aber nach der Aktenlage durchaus möglich, mit der Betroffenen persönlichen Kontakt aufzunehmen und damit eine dem Gesetz entsprechende Erstanhörung durchzuführen, war sie doch bisher stets bereit, die Botschaft in Buenos Aires, zu der der Erstrichter wohl ohne weiteres zureisen könnte, aufzusuchen und sie war auch gesprächsbereit. Finanzielle Aspekte oder praktische Erwägungen von Behörden (hier: Bundesministerium für Justiz) stehen im Gesetz eindeutig verankerten Auftrag zur persönlichen Anhörung des Betroffenen durch den Richter im Zuge der Erstanhörung nicht entgegen. Eine „zu Gebote stehende Möglichkeit der Verständigung mit dem Behinderten“ (742 BlgNR 15. GP 24) ist auch das Aufsuchen der Betroffenen durch den zuständigen Richter in der österreichischen Botschaft in Buenos Aires.
Eine solche Vorgangsweise widerspricht auch nicht § 33 JN:
Ob ein österreichisches Gericht die Staatsgrenzen überschreiten darf, ist nach völkerrechtlichen Regeln zu beurteilen (Mayr aaO Rz 1 zu § 33 JN). Reist ein Richter ins Ausland und überschreitet er damit die österreichische Staatsgrenze (vgl Fasching, LB2 Rz 271), um mit einer Betroffenen, die sich freiwillig in die Räumlichkeiten einer österreichischen Botschaft begibt, den unerläßlichen persönlichen Kontakt herzustellen, so ist nicht zu erkennen, daß dadurch einer völkerrechtlichen Norm zuwidergehandelt würde. Der Richter sucht vielmehr entsprechend § 237 Abs 3 AußStrG den Betroffenen auf, um sich gemäß Abs 1 dieser Bestimmung einen persönlichen Eindruck von diesem zu verschaffen. Damit würden keine Amtshandlungen vollzogen und würde auch in keine Amtshandlungen eingegriffen werden, die einem anderen Staat oblägen, ist doch die Erstanhörung in den Räumlichkeiten der österreichischen Botschaft, die der Jurisdiktion des Entsendestaates (also Österreichs) untersteht (Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht I/12 385), vorgesehen.
Dem Revisionsrekurs ist sohin stattzugeben.
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