OGH 2Ob281/98g

OGH2Ob281/98g12.11.1998

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Angst als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter, Dr. Schinko, Dr. Tittel und Dr. Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Christian R*****, vertreten durch Dr. Christian Kleinszig und Dr. Christian Puswald, Rechtsanwälte in St. Veit an der Glan, wider die beklagte Partei Franz S*****, vertreten durch Dr. Gerhard Fink und andere Rechtsanwälte in Klagenfurt, wegen S 57.827 sA, infolge Revision der beklagten Partei und der Rekurse beider Parteien gegen das Urteil und den Beschluß des Landesgerichtes Klagenfurt als Berufungsgerichtes vom 10. Juni 1998, GZ 3 R 168/98k-21, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes St. Veit an der Glan vom 20. Februar 1998, GZ 3 C 1520/97x-12, zum Teil bestätigt und zum Teil aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Revision des Beklagten und die Rekurse beider Parteien werden zurückgewiesen.

Der Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit S 4.058,88 (darin enthalten Umsatzsteuer von S 676,48, keine Barauslagen) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Der Beklagte hat die Kosten seiner Rekursbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung

Am 3. 7. 1997 ereignete sich gegen 13.00 Uhr ein Verkehrsunfall, bei dem der Kläger als Lenker seines PKW mit einem Kalb des Beklagten kollidierte. Am Fahrzeug des Klägers entstand ein Sachschaden von S 55.547, für das Abschleppen bezahlte er S 2.280.

Mit der Behauptung, der Beklagte habe seine Aufsichts- und Verwahrungspflicht als Tierhalter verletzt, begehrt der Kläger den Ersatz seiner Schäden in der Höhe von S 57.827 sA.

Der Beklagte wendete ein, den Kläger treffe das Alleinverschulden an dem Verkehrsunfall, weil er nicht auf Sicht gefahren sei; er selbst habe seiner Aufsichts- und Verwahrungspflicht entsprochen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit Ausnahme eines Zinsenbegehrens statt, wobei im wesentlichen folgende Feststellungen getroffen wurden:

Die vom Beklagten gehaltenen Tiere befanden sich auf der Weide, die westlich der Fahrbahn gelegen ist. Im gesamten Zaunbereich waren zur Unfallszeit drei Stacheldrahtreihen gezogen. Lediglich in einem Bereich direkt auf der Höhe des nordwestlichen Stehers des linken Teiles des Geländers der Brücke, über welche die vom Kläger benützte Fahrbahn führt, befand sich zwischen der untersten Stacheldrahtreihe und dem Bodenniveau ein Höhenabstand von 58 cm. Dort wurde die unterste Stacheldrahtreihe nicht so, wie im übrigen Bereich, ca 20 cm bis 30 cm über dem Bodenniveau angeschlagen, sondern an die zweite, mittlere Stacheldrahtreihe angehängt. Das im Schulterbereich eine Höhe von 80 cm bis 90 cm aufweisende Kalb des Beklagten konnte theoretisch durch diese Lücke aus der Weide entkommen. Wie es tatsächlich aus dem vom Beklagten errichteten und auch ansonst regelmäßig kontrollierten Weidebereich ausbrechen konnte, kann nicht festgestellt werden. Dort, wo der Zaun den Bach überquert, waren zur Zeit des Vorfalles ebenfalls drei Stacheldrahtzaunreihen gespannt. Durch den der Böschung beidseits des Baches folgenden abfallenden bzw ansteigenden Zaunverlauf ist direkt am nördlichen Bachufer eine dreiecksförmige Öffnung frei, die an ihrer höchsten Stelle eine Durchschlupfbreite von ca 60 cm offen läßt.

Der Kläger fuhr von Süden kommend mit einer Geschwindigkeit von 80 km/h bis 90 km/h. Die von ihm benützte Straße ist über 200 m geradlinig ausgebildet und über eine Breite von 6,4 m asphaltiert. Die Unfallstelle kann ab einem Bereich von 150 m in Anfahrtsrichtung des Klägers eingesehen werden. Als sich der Kläger der Unfallstelle näherte, lief das Kalb plötzlich vom rechten (östlichen) Fahrbahngraben auf die Straße. Der Kläger reagierte unverzüglich, es ist ihm in technischer Hinsicht nicht nachzuweisen, verspätet auf das Ansichtigwerden des Kalbes reagiert zu haben. Durch die Kollision entstanden Schäden am Fahrzeug des Klägers, weshalb er dieses abschleppen ließ.

In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Ansicht, es sei dem Beklagten nicht gelungen zu beweisen, daß er das Kalb ordnungsgemäß verwahrt habe.

Das vom Beklagten gegen den klagsstattgebenden Teil der Entscheidung des Erstgerichtes angerufene Berufungsgericht bestätigte das angefochtene Urteil im Umfange des Zuspruches eines Betrages von S 28.913,50 sA als Teilurteil; im übrigen (betreffend das Begehren auf Zahlung weiterer S 28.913,50) wurde es aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Das Berufungsgericht sprach aus, die ordentliche Revision und der ordentliche Revisionsrekurs seien zulässig.

Es schloß sich der Rechtsansicht des Erstgerichtes an, dem Beklagten sei es nicht gelungen, sich von seiner Tierhalterhaftung nach § 1320 ABGB zu befreien. Er habe nicht nachweisen können, die notwendigen Vorkehrungen für die sachgerechte Verwahrung des Kalbes getroffen zu haben. Für die unmittelbar nahe der Landstraße gelegene Rinderweide habe zweifellos eine erhöhte Verwahrungspflicht bestanden, die Einzäunung hätte durchgängig gegen das Entkommen des Kalbes gestaltet werden müssen. Da zwar nicht feststehe, daß das Kalb tatsächlich durch den festgestellten Durchschlupf entkam, stehe zwar kein konkretes Verschulden des Beklagten fest, anderseits sei ihm aber jedenfalls auch nicht der nach § 1320 ABGB geforderte Entlastungsbeweis gelungen.

Allerdings sei dem Kläger als Halter des Kraftfahrzeuges dessen Betriebsgefahr anspruchsmindernd zuzurechnen, wenn ihm nicht die Haftungsbefreiung nach § 9 EKHG gelinge. Es sei daher zu prüfen, ob der Kläger jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beachtet habe. Zur Beurteilung dieser Frage fehle es aber an konkreten Feststellungen. Es sei unklar, ob bei äußerster Sorgfaltsanwendung das Kalb nicht schon früher als Gefahrenquelle erkennbar war und welche konkrete Reaktionszeit der Kläger hatte. Die Feststellung, das Kalb habe sich bei Annäherung des Klägers noch nicht auf der Fahrbahn befunden, reiche hiezu nicht aus. Ebenso reiche die Feststellung, der Kläger habe auf das auf die Straße laufende Kalb "unverzüglich" reagiert, nicht aus, weil unklar sei, wie schnell er reagierte, dies vor allem in Verbindung mit der weiteren Feststellung, beim Kläger habe sich in technischer Hinsicht eine Reaktionsverspätung nicht nachweisen lassen, was auf die Annahme einer non-liquet-Situation hinweise.

Berücksichtige man einerseits, daß dem Beklagten der Entlastungsbeweis nach § 1320 ABGB nicht gelungen sei und er daher ein nicht näher quantifizierbares Verschulden zu vertreten habe, und andererseits, daß der Kläger sich möglicherweise die Betriebsgefahr eines mit 80 km/h bis 90 km/h fortbewegten PKW zurechnen lassen müsse, so sei in sinngemäßer Anwendung des § 1304 ABGB schon jetzt klar, daß der Beklagte dem Kläger jedenfalls die Hälfte seines Schadens zu ersetzen habe, zumal sich auch bei den Kläger belastender Zurechnung der Betriebsgefahr das Zurechnungsverhältnis nicht bestimmen lasse. Es sei daher dem Kläger der Ersatz der Hälfte seines Schadens zuzuerkennen und im übrigen die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Die ordentliche Revision und den ordentlichen Revisionsrekurs erachtete das Berufungsgericht für zulässig, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage des Ausmaßes der Schadensteilung, wenn einem Teil der Entlastungsbeweis nach § 1320 ABGB nicht gelungen sei und der andere Teil die gewöhnliche Betriebsgefahr nach dem EKHG zu vertreten habe, fehle.

Der Beklagte erhob gegen das bestätigende Teilurteil des Berufungsgerichtes Revision und gegen den Aufhebungsbeschluß Rekurs und beantragte, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen werde.

Der Kläger erstattete dazu Revisions- und Rekursbeantwortung und beantragte, der Revision und dem Rekurs des Beklagten keine Folge zu geben.

Gegen den Aufhebungsbeschluß erhob auch der Kläger Rekurs und beantragte, den Beschluß ersatzlos aufzuheben und dem Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung aufzutragen; in eventu solle in der Sache selbst entschieden werden. Der Beklagte erstattete dazu Rekursbeantwortung und beantragte, dem Rekurs des Klägers keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Sämtliche Rechtsmittel sind unzulässig - der gegenteilige Ausspruch des Rekursgerichtes ist nicht bindend (§§ 508a Abs 1 und 526 Abs 2 ZPO) -, weil die vom Berufungsgericht als erheblich bezeichnete Rechtsfrage, wie der Schaden bei Zusammentreffen der Tierhalterhaftung nach § 1320 ABGB und der Gefährdungshaftung nach dem EKHG zu teilen ist, von den Parteien nicht releviert wird. Diese Frage ist daher nicht zu lösen. Im übrigen werden aber in den Rechtsmitteln der Parteien keine erheblichen Rechtsfragen aufgeworfen.

Der Beklagte vertritt die Ansicht, es sei ihm der Nachweis, alle notwendigen Vorkehrungen für eine sachgerechte Verwahrung des Kalbes geschaffen zu haben, gelungen. Zwar treffe ihn eine erhöhte Verwahrungspflicht, der er aber jedenfalls nachgekommen sei, weil er den Weidezaun ständig kontrolliert habe. Es könne von ihm keinesfalls die Errichtung eines absolut ausbruchsicheren Zaunes verlangt werden. Theoretisch sei ein Kalb, wie auch ein Rind, immer im Stande, einen Weidedrahtzaun oder einen Stacheldrahtzaun zu überwinden. Das Kalb hätte sich, um aus dem Weidezaun zu entkommen, nicht "bücken" müssen, sondern allenfalls nur dadurch entkommen können, daß es den Weidezaun übersprungen oder durchgekrochen sei. Ob letzteres der Fall gewesen sei oder ob das Kalb durch Überspringen des Zaunes entkommen sei, könne nicht festgestellt werden. Wenn die Verwendung eines elektrischen Weidezaunes hinreiche, um eine ausreichende Verwahrung zu bewirken, so müsse dies umsomehr für einen mehrreihig gespannten, mit Holzlatten verbundenen Stacheldrahtzaun gelten. Auch das Erstgericht habe sich den Ausbruch des Kalbes nicht erklären können, weil es darauf hingewiesen habe, daß das Kalb nur "theoretisch" aus einer Lücke entkommen konnte.

Der Kläger meint, es bedürfe keiner weiteren Verfahrensergänzung. Das Erstgericht habe ohnehin festgestellt, daß das Kalb sich bei seiner Annäherung noch nicht auf der Fahrbahn befand und daß er unverzüglich reagiert habe, als das Kalb auf die Straße lief, und daß ihm eine Reaktionsverspätung nicht nachweisbar sei. Bei lebensnaher Beurteilung des festgestellten Sachverhaltes sei davon auszugehen, daß das Kalb dadurch, daß es sich im Graben befand und dieser mit hohem Gras bewachsen war, für ihn nicht nur schwer sichtbar gwesen sei, es wäre ihm, bevor das Kalb vom Graben auf die Fahrbahn lief, auch nicht erkennbar gewesen, ob es sich innerhalb oder außerhalb des Zaunes befand. Unerfindlich sei, warum in diesem Zusammenhang die Feststellung des Erstgerichtes, daß der Kläger "unverzüglich" reagiert habe, nicht ausreichen solle.

Hiezu wurde erwogen:

Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, kann sich der Tierhalter von der Haftung nach § 1320 ABGB dadurch befreien, daß er nachweist, die notwendigen Vorkehrungen für eine sachgerechte Verwahrung oder Betreuung des Tieres geschaffen zu haben (Harrer in Schwimann**2 ABGB Rz 26 zu § 1320 mwN). Ob im konkreten Fall der Entlastungsbeweis erbracht wurde, hängt aber von den Umständen des Einzelfalles ab, weshalb insoweit die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht gegeben sind (vgl RZ 1994/45 ua).

In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung hat das Berufungsgericht ferner die Voraussetzungen für die Erbringung des Entlastungsbeweises nach § 9 Abs 2 EKHG dargelegt. Maßstab für die Sorgfaltspflicht nach dieser Bestimmung ist die Sorgfalt eines sachkundigen, erfahrenen Kraftfahrers. Hat der Lenker des Kraftfahrzeuges nicht die äußerste ihm nach den Umständen zumutbare Sorgfalt beobachtet, ist ihm der Entlastungsbeweis nach § 9 Abs 2 EKHG nicht gelungen (RIS-Justiz RS0058394). Ist die dem Aufhebungsbeschluß zugrunde liegende Rechtsansicht aber richtig, kann der Oberste Gerichtshof nicht überprüfen, ob die Verfahrensergänzung tatsächlich notwendig ist (Kodek in Rechberger, ZPO Rz 5 zu § 519 mwN).

Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf die §§ 40, 41, 50 ZPO. Der Beklagte, der - anders als der Kläger bezüglich der Revision des Beklagten - auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels des Klägers nicht hinwies, hat die Kosten seiner Rekursbeantwortung selbst zu tragen.

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