OGH 2Ob260/98v

OGH2Ob260/98v29.10.1998

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Angst als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter, Dr. Schinko, Dr. Tittel und Dr. Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gabriele H*****, vertreten durch Dr. Günter Schmid, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagten Parteien 1. Anneliese G***** und 2. *****, beide vertreten durch Dr. Werner Leimer, Rechtsanwalt in Linz, wegen S 62.500,-- sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 22. April 1998, GZ 11 R 90/98a-13, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Linz vom 20. November 1997, GZ 13 C 990/97g-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit S 5.358,14 (darin enthalten S 893,02 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Am 29. 11. 1996 ereignete sich in Linz ein Verkehrsunfall, an dem die Klägerin mit einem von ihr gelenkten Fahrzeug, die Erstbeklagte mit dem von ihr gelenkten und bei der zweitbeklagten Partei haftpflichtversicherten Fahrzeug und ein weiteres Fahrzeug beteiligt waren.

Die Klägerin begehrt Schadenersatz sowie Schmerzensgeld. Die Erstbeklagte sei infolge Unaufmerksamkeit, eines zu geringen Tiefenabstandes oder überhöhter Geschwindigkeit auf das Heck des Klagsfahrzeuges aufgefahren. Durch den Anprall sei dieses Fahrzeug, das sie zunächst kollisionsfrei hinter dem weiteren beteiligten Fahrzeug zum Stillstand gebracht hatte, nach vorne auf dieses Fahrzeug aufgeschoben worden. Sie habe den Bremsweg der Erstbeklagten nicht verkürzt, weil für die Erstbeklagte das vor dem Klagsfahrzeug angehaltene Fahrzeug erkennbar gewesen sei.

Die beklagten Parteien beantragten die Abweisung des Klagebegehrens. Die Klägerin sei auf ein vor ihr stehendes Fahrzeug aufgefahren, wodurch sich der Bremsweg der Erstbeklagten derart verkürzt habe, daß sie mit geringer Geschwindigkeit auf das Klagsfahrzeug aufgefahren sei. Ohne diese Erstkollision hätte sie kollisionsfrei anhalten können.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, wobei es nachstehende Feststellungen traf:

Die Lenkerin eines vor der Klägerin fahrenden Fahrzeuges mußte wegen eines vor ihr nach rechts in eine Garage zufahrenden PKWs anhalten. Infolge eines zu geringen Tiefenabstandes und/oder verspäteter Reaktion stieß das nachfahrende Klagsfahrzeug mit einer Restgeschwindigkeit von ca. 20 km/h gegen das vor ihr stehende Fahrzeug. Dadurch wurde der nachkommenden Erstbeklagten der Bremsweg um ca. 2,60 m verkürzt. Als die Erstbeklagte das Bremsmanöver des Klagsfahrzeuges bemerkte, bremste sie ihr Fahrzeug voll ab. Sie konnte aufgrund der Bremswegverkürzung nicht mehr vor dem Klagsfahrzeug anhalten und stieß mit ca. 19-20 km/h gegen dieses Fahrzeug. Ohne Erstkollision wäre es der Erstbeklagten mit größter Wahrscheinlichkeit möglich gewesen, kollisionsfrei hinter dem Klagsfahrzeug anzuhalten.

Rechtlich erörterte das Erstgericht, daß die Klägerin gegen § 18 Abs 1 StVO verstoßen habe, weil sie einen zu geringen Tiefenabstand und/oder verspätet auf das Anhalten des vor ihr fahrenden Fahrzeuges reagiert habe. Demgegenüber könne der Erstbeklagten kein Verschulden nachgewiesen werden; sie sei nur deswegen auf das Klagsfahrzeug aufgefahren, weil ihr durch dieses der Bremsweg verkürzt worden sei. Angesichts des gravierenden Verschuldens der Klägerin bestehe keine Veranlassung für den Schadensausgleich gemäß § 11 EKHG.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil, die Feststellungen des Erstgerichtes übernahm und wobei es auch dessen Rechtsansicht billigte. Zum Vorwurf, die Erstbeklagte habe das vor dem Fahrzeug der Klägerin stehende Fahrzeug erkennen können, führte das Berufungsgericht aus, daß ein diesbezügliches als Verschuldensvorwurf zu wertendes Vorbringen im Verfahren erster Instanz nicht erstattet worden sei. Es sei nicht Aufgabe des Gerichtes, sich aus einem Konglomerat an Vorbringen darin versteckte mögliche Verschuldensvorwürfe herauszufiltern; die Klägerin hätte einen diesbezüglichen Sorgfaltsverstoß konkretisieren müssen.

Das Berufungsgericht sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei, weil Rechtsprechung zu der wesentlichen Rechtsfrage fehle, inwieweit die Behauptung eines Fehlverhaltens gegenüber einem unmittelbar voranfahrenden Fahrzeug (Klägerin) und die zusätzliche Behauptung der Erkennbarkeit des Anhaltens des noch vor diesem Fahrzeug befindlichen ersten Fahrzeuges für die Behauptung des gleichen Fehlverhaltens auch gegenüber diesem ersten Fahrzeug ausreiche. Diese Frage habe insofern über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung, als sich daraus auch abstrakt ableiten ließe, inwieweit Verschuldensvorwürfe eines Klägers oder der Mitverschuldenseinwand eines Beklagten zu konkretisieren sei.

Die Klägerin macht in ihrer Revision geltend, daß der Erstbeklagten grundsätzlich ein Verstoß nach § 18 StVO anzulasten sei, weil sie auf das Heck des Klagsfahrzeuges gefahren sei. Sie hätte durch "vorausschauendes Fahren" den stehenden Verkehr vor dem Fahrzeug der Klägerin erkennen können und sich rechtzeitig darauf einstellen müssen, weshalb sich die Frage der Bremswegverkürzung überhaupt nicht gestellt hätte.

Die beklagten Parteien beantragen, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichtes (§ 508a Abs 1 ZPO) unzulässig.

Nach ständiger Rechtsprechung hat jede Partei, die ein von der Gegenseite zu vertretendes Verschulden geltend macht, jene Tatumstände zu behaupten und zu beweisen, auf die sie ihren Verschuldensvorwurf gründet (für viele ZVR 1990/83; RIS-Justiz RS0022783). Ob aber ein in erster Instanz erstattetes konkretes Sachvorbringen ausreicht, um einen erstmals im Berufungsverfahren geltend gemachten Verschuldensvorwurf begründen zu können, kann lediglich anhand der konkreten Umstände des Einzelfalles beurteilt werden. Wie ein bestimmtes Parteienvorbringen zu deuten ist, stellt im allgemeinen keine erheblichen Rechtsfragen im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO dar (RZ 1994/45 ua).

Im konkreten Fall hat die Klägerin der Erstbeklagten Unaufmerksamkeit, Einhaltung überhöhter Geschwindigkeit und eines zu geringen Tiefenabstandes vorgeworfen. Das Vorbringen, die Erstbeklagte hätte das vor der Klägerin stehende Fahrzeug wahrnehmen können, wurde im Zusammenhang mit der Behauptung der beklagten Parteien, durch die Erstkollision der Klägerin mit dem vor ihr stehenden Fahrzeug sei der Bremsweg der Erstbeklagten unzulässig verkürzt worden, aufgestellt. Ob dieses Vorbringen ausreicht, einen konkreten Verschuldensvorwurf in der Richtung zu begründen, die Erstbeklagte hätte auf eine unklare Verkehrssituation unzureichend reagiert, muß aber entgegen der Meinung des Berufungsgerichtes der Beurteilung des Einzelfalles überlassen bleiben. Die Revision wäre daher nur zulässig, wenn dem Berufungsgericht eine auffallende Fehlbeurteilung unterlaufen wäre (RZ 1994/45 ua). Dies trifft hier aber nicht zu. Eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO liegt daher nicht vor, weshalb die Revision zurückzuweisen war.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO, weil die beklagten Parteien in der Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen haben.

Stichworte