OGH 10ObS329/98z

OGH10ObS329/98z20.10.1998

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr und Dr. Steinbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Eberhard Piso und Dr. Friedrich Stefan (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Maria M*****, Pensionistin, *****, vertreten durch Dr. Martin Holzer, Rechtsanwalt in Bruck an der Mur, wider die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84-86, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Pflegegeld, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 1. Juli 1998, GZ 7 Rs 41/98y-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Leoben als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 18. Dezember 1997, GZ 25 Cgs 172/97i-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 18. 3. 1948 geborene Klägerin ist verheiratet und hat eine (am 24. 1. 1978 geborene) Tochter und einen (am 15. 12. 1982 geborenen) schulpflichtigen Sohn. Sie leidet an einer Pseudoarthrose im Bereich des rechten Oberschenkels, einer Polyarthrose, einem Bluthochdruck bei Adipositas (124kg/168cm) und einer Depression. Sie kann die tägliche Körperpflege selbst durchführen, braucht aber für das zweimal wöchentlich notwendige Dusch- oder Wannenbad Hilfe. Sie kann Mahlzeiten zubereiten und selbst einnehmen. Sie kann sich selbst ankleiden. Sie muß feste Schuhe tragen, ist aber wegen der Orthese am rechten Bein nicht in der Lage, den rechten Schuh anzuziehen und zu schnüren. Die Notdurft kann sie allein verrichten, Inkontinenz besteht nicht. Hilfe braucht sie für die Herbeischaffung von Nahrungsmitteln und Medikamenten, für die Wohnungsreinigung und die Wäschepflege sowie für die Mobilität während der Wintermonate (Wohnort in 1700 m Seehöhe).

Die beklagte Sozialversicherungsanstalt gewährte der Klägerin mit 1. 4. 1997 die Erwerbsunfähigkeitspension (ca 10.000 S monatlich brutto), lehnte aber mit Bescheid vom 28. 4. 1997 ihren Antrag auf Zuerkennung von Pflegegeld ab.

Das Erstgericht wies das dagegen erhobene Klagebegehren auf Zahlung eines Pflegegeldes in der gesetzlichen Höhe ab dem auf die Antragstellung folgenden Stichtag (gemeint offenbar ab 1. 4. 1997 als Pensionsstichtag) ab. Es nahm in rechtlicher Beurteilung des Sachverhaltes einen Betreuungsbedarf von 8 Stunden und einen Hilfebedarf von 40 Stunden, insgesamt also einen Pflegebedarf von 48 Stunden an, womit die gesetzlichen Voraussetzungen für ein Pflegegeld der Stufe 1 nach § 4 Abs 2 BPGG (Pflegebedarf durchschnittlich mehr als 50 Stunden monatlich) nicht erfüllt seien.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Die von der Klägerin behauptete Unfähigkeit zur Betreuung ihres schulpflichtigen Sohnes sei für das Pflegegeld unbeachtlich. Das Pflegegeld solle nur jene Mehraufwendungen abdecken, die erforderlich seien, um den Betroffenen selbst vor einer Verwahrlosung oder Existenzbedrohung zu bewahren. Es bezwecke keine Erhöhung des Einkommens des Anspruchsberechtigten, sondern solle dazu beitragen, Pflegeleistungen "einkaufen" zu können und sich die für den Betroffenen erforderlichen Pflegemaßnahmen selbst zu organisieren. Es habe keinesfalls die Funktion, (familienrechtliche) Verpflichtungen Pflegebedürftiger Dritten gegenüber abzugelten. Eine Regelungslücke liege nicht vor. Im übrigen teilte das Berufungsgericht die Ansicht des Erstgerichtes, daß die Klägerin keinen Pflegebedarf von mehr als 50 Stunden monatlich habe.

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revision der Klägerin mit dem Antrag, das Berufungsurteil im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird auch ein Aufhebungsantrag gestellt. Die beklagte Partei erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Der Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung wird nur dahin ausgeführt, daß das Bundespflegegeldgesetz eine (planwidrige) Regelungslücke insofern enthalte, als es nicht jenen Aufwand berücksichtige, der sich aus der Unfähigkeit der Klägerin ergebe, den Haushalt für die gesamte Familie zu führen, insbesondere ihren (nunmehr 15 Jahre alten) Sohn zu pflegen und zu erziehen, wozu auch das Führen in die Schule mit dem Auto gehöre.

Diesem Argument hat schon das Berufungsgericht zutreffend entgegengehalten, daß das Gesetz, wie sich zunächst aus § 1 BPGG ergibt, nur die Personen erfassen will, die selbst der Pflege in Form notwendiger Betreuung und Hilfe bedürfen. Kann eine Person die Verrichtungen des täglichen Lebens, ohne die sie der Verwahrlosung ausgesetzt wäre (§ 1 EinstV) und die zur Sicherung der Existenz der eigenen Person erforderlich sind (§ 2 EinstV), noch weitgehend selbst vornehmen, dann besteht kein Pflegebedarf im Sinne des BPGG, auch wenn diese Person infolge gesundheitsbedingter Einschränkungen etwa außerstande wäre, bestimmten Verpflichtungen Dritten gegenüber - seien sie vertraglicher oder auch familienrechtlicher Natur - nachzukommen. Es finden sich keine Anhaltspunkte dafür, daß die Beschränkung des Pflegebedarfes auf den Betroffenen selbst der Absicht des Gesetzgebers widerspricht, daß also eine planwidrige (nicht gewollte) und durch Analogie zu schließende Gesetzeslücke vorliegt. Eine solche Lücke ist nach einhelliger Auffassung dann gegeben, wenn die Regelung eines Sachbereiches keine Bestimmung für eine Frage enthält, die im Zusammenhang mit dieser Regelung an sich geregelt werden müßte, wenn das Gesetz also, gemessen an seiner eigenen Absicht und immanenten Teleologie, unvollständig, das heißt ergänzungsbedürftig ist und seine Ergänzung nicht etwa einer vom Gesetz gewollten Beschränkung widerspricht. Die bloße Meinung des Rechtsanwenders, eine Regelung sei wünschenswert, rechtfertigt die Annahme einer Gesetzeslücke noch nicht (Koziol/Welser, Grundriß des bürgerlichen Rechts10 I 23 mwN; SSV-NF 6/60; 2/82; SZ 57/194 uva; RIS-Justiz RS0008866). Nicht stichhaltig ist schließlich das Argument die Klägerin wäre wegen behinderungsbedingter Unfähigkeit zur Erfüllung ihrer familienrechtlichen Verpflichtungen einer Ehescheidung ohne Unterhaltsanspruch und deshalb in weiterer Folge einer Existenzbedrohung und Verwahrlosung ausgesetzt. Dabei wird außer Acht gelassen, daß eine solche Ehescheidung nach § 49 EheG die schuldhafte Zerrüttung der Ehe voraussetzt.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Ausreichende Gründe für einen Kostenersatz nach Billigkeit liegen weder wegen tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten noch unter Bedachtnahme auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Klägerin vor.

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