OGH 10ObS318/98g

OGH10ObS318/98g20.10.1998

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr und Dr. Steinbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Eberhard Piso und Dr. Friedrich Stefan (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Dr. G***** ***** P*****, Pensionist, dzt in Strafhaft in der Strafvollzugsanstalt *****, vertreten durch Dr. Karl Dieter Zessin, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84-86, vertreten durch Dr. Paul Bachmann und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Pflegegeld, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 30. Juni 1998, GZ 9 Rs 130/98y-22, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 17. Dezember 1997, GZ 9 Cgs 50/97a-18, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid der beklagten Partei vom 16. 1. 1997 wurde der Antrag des Klägers vom 27. 12. 1993 auf Erhöhung des ihm gemäß § 4 BPGG seit 1. 7. 1993 zuerkannten Pflegegeldes der Stufe 2 abgelehnt. Das ärztliche Feststellungsverfahren habe ergeben, daß sein Pflegebedarf seit der letzten Begutachtung nicht in einem solchen Ausmaß gestiegen sei, das die Einreihung in eine höhere Pflegegeldstufe rechtfertigen würde. Ferner wurde ausgesprochen, daß diese Entscheidung für die Zeit vor dem 1. 7. 1995 nicht als Bescheid gelte und daher nicht mit Klage angefochten werden könne.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Klage mit dem Begehren, dem Kläger ab 1. 7. 1995 Pflegegeld der höchsten Stufe zu gewähren.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wandte ein, der durchschnittliche monatliche Pflegebedarf des Klägers betrage weniger als 50 Stunden, er habe also keinesfalls Anspruch auf ein höheres Pflegegeld als jenes der Stufe 2.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es gelangte auf Grund seiner Feststellungen zu dem Schluß, daß der durchschnittliche monatliche Pflegebedarf des Klägers 80 Stunden betrage und daß dies nach § 4 Abs 2 BPGG einem Pflegegeld der Stufe 2 entspreche. Nach § 12 Abs 5 BPGG ruhe jedoch dieser Anspruch für die Dauer der Verbüßung einer Freiheitsstrafe. Der Kläger befinde sich zufolge einer rechtskräftig verhängten Freiheitsstrafe von 20 Jahren seit 13. 10. 1994 in Strafhaft, weshalb das Pflegegeld zu Recht mit diesem Tag ruhend gestellt worden sei. Außerdem handle es sich beim Pflegegeld um eine akzessorische Leistung; auch der Pensionsanspruch des Klägers ruhe gemäß § 58 Abs 1 GSVG während der Verbüßung der Strafhaft.

Das Gericht zweiter Instanz gab der nur wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung des Klägers nicht Folge. Gegen die Bestimmung des § 12 Abs 5 BPGG, wonach für die Dauer der Verbüßung einer Freiheitsstrafe auf Kosten des Bundes in einer der in §§ 21 Abs 2, 22 und 23 StGB genannten Anstalten der Anspruch auf Pflegegeld ruhe, bestünden keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Allerdings wäre grundsätzlich zwischen der Feststellung des Bestehens des Anspruchs und dem Ruhen dieses Anspruchs zu unterscheiden. Andererseits setze der Anspruch auf Pflegegeld als Annexleistung den tatsächlichen Bezug einer Pension voraus, die im Fall des Klägers ebenfalls ruhe. Nähere Erörterungen dazu könnten jedoch unterbleiben, weil der Kläger ohnehin auch dem Grunde nach keinen Anspruch auf ein die Stufe 2 übersteigendes Pflegegeld habe: Dazu wäre gemäß § 4 Abs 2 BPGG erforderlich, daß sein Pflegebedarf durchschnittlich mehr als 120 Stunden im Monat betrage. Dies sei aber, wie das Berufungsgericht an Hand der Einstufungsverordnung im Detail näher erläuterte, nicht der Fall.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer Stattgebung seines Klagebegehrens, hilfsweise auf Aufhebung und Zurückverweisung an die erste Instanz.

Die beklagte Partei beantragte in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Der Kläger bekämpft nicht die Ansicht der Vorinstanzen, daß sein durchschnittlicher Pflegebedarf 120 Stunden monatlich nicht übersteige und daher die Voraussetzungen für ein höheres Pflegegeld als das rechtskräftig zuerkannte der Stufe 2 schon aus diesem Grund nicht gegeben seien. Er mach vielmehr ausschließlich verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Ruhensbestimmungen des § 58 Abs 1 Z 1 GSVG und des § 12 Abs 5 BPGG (vor der Novellierung durch das Strukturanpassungsgesetz 1996: § 12 Abs 3 BPGG) geltend. Der Verfassungsgerichtshof habe im Gefolge der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte seine Judikatur geändert und erkannt, daß auch Ansprüche auf Leistungen der Sozialversicherung als vermögenswerte Rechte anzuerkennen seien und damit der Eigentumsgarantie unterlägen. Es werde daher angeregt, beim Verfassungsgerichtshof den Antrag zu stellen, die genannten Ruhensbestimmungen als verfassungswidrig aufzuheben.

Diesen Ausführungen ist im Ergebnis nicht zu folgen. Es trifft zwar zu, daß sich der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 11. 3. 1998, G 363/97 ua (veröff. in JBl 1998, 438 ua) in Abkehr von seiner bisherigen Judikatur (siehe auch die Zitate in der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 9. 9. 1997, 10 ObS 238/97s) der vom EGMR vorgenommenen Qualifikation des Anspruchs auf Notstandshilfe als vermögenswertes Recht iSd Art 1 1.ZPMRK angeschlossen hat; ausschlaggebend dafür sei auch der vom EGMR hervorgehobene Umstand, daß es sich bei der Notstandshilfe um eine Sozialversicherungsleistung handle, der eine (vorher zu erbringende) Gegenleistung des Anspruchsberechtigten gegenüberstehe.

Ob diese Überlegungen auch für das Pflegegeld zutreffen, kann aber dahingestellt bleiben. Im vorliegenden Fall war nämlich nur über die Frage abzusprechen, ob der Kläger infolge gestiegenen Pflegebedarfes Anspruch auf ein höheres als das ihm rechtskräftig zuerkannte Pflegegeld habe, also nur über die Gebührlichkeit der Leistung an sich, nicht jedoch über die Frage des Ruhens dieser Leistung (vgl Fink, Die sukzessive Zuständigkeit im Verfahren in Sozialrechtssachen 385 f; SSV-NF 6/116 mwN; 10 ObS 2/91). Das Institut der sukzessiven Kompetenz der Gerichte in Sozialrechtssachen bedeutet, daß Voraussetzung für das gerichtliche Verfahren die vorherige Durchführung eines Verwaltungsverfahrens und das Vorliegen eines über den Leistungsanspruch des Versicherten absprechenden Bescheides eines Versicherungsträgers ist (vgl SSV-NF 8/94 = SZ 67/164; SSV-NF 11/22 ua). Der vorliegende, mit Klage bekämpfte Bescheid sprach lediglich aus, daß dem Kläger ein höheres Pflegegeld als das der Stufe 2 nicht gebühre, er enthielt jedoch keine Entscheidung über das Ruhen des Pflegegeldes. Demgemäß beschränkte sich auch das Klagebegehren zutreffend auf die Geltendmachung eines höheren Pflegegeldes. Hingegen wurde die Frage des Ruhens des zuerkannten Pflegegeldes bereits im Verfahren 2 Cgs 91/96b des Erstgerichtes mit der bereits genannten Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 9. 9. 1997, 10 ObS 238/97s, rechtskräftig beantwortet. Es besteht kein Zweifel daran, daß die Festsetzung der Höhe einer Leistung von der Feststellung des Ruhens dieser Leistung trennbar ist (10 ObS 2/91). Da also die vom Kläger als verfassungswidrig bezeichneten Bestimmungen im vorliegenden Rechtsstreit - ungeachtet der insoweit überschießenden Rechtsausführungen der Vorinstanzen - überhaupt nicht anzuwenden, also nicht präjudiziell waren, erübrigt sich ein weiteres Eingehen auf die in der Revision angeschnittene Problematik.

Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch aus Billigkeit sind nicht ersichtlich.

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