OGH 6Ob238/98p

OGH6Ob238/98p15.10.1998

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kellner, Dr. Schiemer, Dr. Prückner und Dr. Schenk als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Eveline L*****, geboren am 15. September 1981, Lehrling, in Pflege und Erziehung der mütterlichen Großmutter Annelora J*****, infolge Revisionsrekurses des Unterhaltssachwalters Bezirkshauptmannschaft W*****, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Wels als Rekursgerichtes vom 20. Mai 1998, GZ 21 R 201/98b-51, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Wels vom 20. April 1998, GZ 1 P 38/98s-47, bestätigt wurde, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen, die in ihrem Zuspruch von 2.600 S monatlich vom 1. 4. 1998 bis 31. 7. 1998 als unbekämpft unberührt bleiben, werden im übrigen aufgehoben und dem Erstgericht insoweit eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Text

Begründung

Nach der Ehescheidung ihrer Eltern verblieb die am 15. 9. 1981 geborene Eveline L***** zunächst in Obsorge der Mutter. Der Vater war zuletzt zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 4.000 S für Eveline verpflichtet. Diese lebt seit Jänner 1998 bei der mütterlichen Großmutter. Mit Beschluß vom 28. 2. 1998 entzog das Erstgericht der Mutter die Obsorge in den Teilbereichen Pflege und Erziehung und übertrug sie der mütterlichen Großmutter. Eveline bezog im ersten Lehrjahr eine monatliche Lehrlingsentschädigung von durchschnittlich 4.600 S netto.

Der Unterhaltssachwalter begehrt Unterhaltsvorschüsse in Höhe des gegen den Vater begründeten Titels nach §§ 3 und 4 Z 1 UVG. Weder ein Drittschuldner noch verwertbares Vermögen seien bekannt.

Das Erstgericht gewährte gemäß §§ 3 und 4 Z 1 UVG monatliche Unterhaltsvorschüsse von 2.600 S für die Zeit vom 1. 4. bis 31. 7. 1998 und wies das Mehrbegehren begründungslos ab.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Unterhaltssachwalters nicht Folge und sprach - in Abänderung seines ursprüglichen Zulässigkeitsausspruches (§ 14a AußStrG) - aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil in der Bejahung einer anteiligen Geldunterhaltspflicht der Mutter mangels entsprechender Klärung ihrer Einkommensverhältnisse eine Fehlbeurteilung erblickt werden könnte. Zum Umfang der amtswegigen Prüfungspflicht im Zusammenhang mit Anträgen auf Bevorschussung der titelmäßigen Unterhaltsleistungen des einen Elternteiles fehle überdies Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes.

In rechtlicher Hinsicht führte das Rekursgericht aus, unter Berücksichtigung des Eigeneinkommens der Minderjährigen von durchschnittlich 4.600 S monatlich fehle ihr auf den bei einfachen Verhältnissen zur Beurteilung der Selbsterhaltungsfähigkeit heranzuziehenden Ausgleichszu- lagenrichtsatz von 9.324 S im Jahr 1998 noch ein Betrag von 4.700 S monatlich. Die Differenz zwischen diesem Richtsatz und dem Eigeneinkommen der Unterhaltsberechtigten stelle jenen Bedarf dar, der von beiden Eltern anteilig nach Kräften abzudecken sei. Die Mutter erbringe im vorliegenden Fall keine Betreuungsleistung, jene der Großmutter könne die Unterhaltspflichtigen nicht entlasten. Bei einer Bevorschussung des vom Vater geschuldeten Geldunterhaltes müsse daher auch die anteilige Geldunterhaltsverpflichtung der Mutter im Rahmen des § 7 Abs 1 Z 1 UVG berücksichtigt werden. Begründete Bedenken dagegen, den Unterhaltsbedarf von rund 4.700 S monatlich mit 2.600 S auf den Vater und 2.100 S auf die Mutter aufzuteilen, bestünden nicht, habe doch die Mutter 1992 als Teilzeitbeschäftigte ein Einkommen von 7.350 S erzielt. Sie gehe nun ihren eigenen Angaben zufolge einer Vollbeschäftigung nach. Eine kraß unterschiedliche Leistungsfähigkeit der Eltern habe auch der Unterhaltssachwalter nicht behauptet.

Der Revisionsrekurs des Unterhaltssachwalters ist aus den vom Rekursgericht angeführten Gründen zulässig und im Sinn des Aufhebungsantrages auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Nach § 7 Abs 1 Z 1 UVG hat das Gericht die Vorschüsse ganz oder teilweise zu versagen, soweit in den Fällen der §§ 3, 4 Z 1 und 4 UVG begründete Bedenken bestehen, daß die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht (noch) besteht oder der gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht entsprechend zu hoch festgesetzt ist. Der aufgrund eines Exekutionstitels gewährte Vorschuß soll damit der jeweiligen (materiellen) gesetzlichen Unterhaltspflicht entsprechen und darf außerdem den in § 6 Abs 1 UVG angeführten Betrag nicht überschreiten (SZ 65/114; EvBl 1992/16, 58; Neumayr in Schwimann, ABGB2 § 7 UVG Rz 1).

Der Anspruch auf Unterhalt mindert sich gemäß § 140 Abs 3 ABGB insoweit, als der Unterhaltsberechtigte eigene Einkünfte hat oder unter Berücksichtigung seiner Lebensverhältnisse selbsterhaltungsfähig ist. In diesen Fällen verringert sich sein konkreter Bedarf entsprechend (Pichler in Rummel, ABGB2 § 140 Rz 11; SZ 65/114; ÖA 1998, 30). Zu ermitteln ist, mit welchem Betrag die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltsverpflichtung unter Bedachtnahme auf eigenes Einkommen noch besteht. Die Vorschüsse sind entsprechend anzupassen (SZ 65/114; EvBl 1992/16; ÖA 1996, 196; Neumayr aaO § 7 UVG Rz 10).

Nach ständiger Rechtsprechung ist ein Lehrling bei - auch im vorliegenden Fall gegebenen - einfachen Lebensverhältnissen dann selbsterhaltungsfähig, wenn seine Lehrlingsentschädigung die Höhe des Richtsatzes für die Ausgleichszulage im Sinn des § 293 Abs 1 lit a/bb und lit b ASVG errreicht (ÖA 1996, 196). Das eigene Einkommen des Unterhaltsberechtigten soll jedoch nicht einseitig zur Verringerung des Geldunterhaltes führen, sondern den Geldunterhaltspflichtigen nur insoweit entlasten, als es der verhältnismäßigen Aufteilung des Einkommens auf Geldunterhalt und Betreuungsleistungen entspricht (SZ 65/114; ÖA 1994, 20, ÖA 1996, 98, ÖA 1998; 30; RIS-Justiz RS0047570).

Wird ein Unterhaltsberechtigter nicht von einem der beiden Elternteile betreut, ist sein Bedarf von beiden Eltern anteilig zu tragen. In diesen Fällen sind beide Eltern entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zu Geldunterhalt verpflichtet. Wieviel jeder zu leisten hat, richtet sich nach seinen Lebensverhältnissen. Die Unterhaltsbemessung kann damit auch nicht isoliert für nur einen Elternteil erfolgen (ÖA 1996, 189; ÖA 1996, 196; RIS-Justiz RS0047415; RS0047403; Gitschthaler, Einige aktuelle Probleme des Kindesunterhaltsrechts ÖJZ 1994, 10 ff [12]). Betreuungsleistungen von Großeltern sind nach ständiger Rechtsprechung nicht einzubeziehen, weil diese im Zweifel in Erfüllung einer (zumindest angenommenen) sittlichen Verpflichtung und nicht in der Absicht erfolgen, den Unterhaltspflichtigen zu entlasten. Sie stellen auch kein den Unterhaltsbedarf minderndes Einkommen dar (SZ 65/114; ÖA 1998, 30; 9 Ob 118/97m; Schwimann in Schwimann, ABGB2 § 140 Rz 83).

Unter Berücksichtigung des für 1998 festgesetzten Ausgleichszulagenrichtsatzes und des Eigeneinkommens der Unterhaltsberechtigten (Lehrlingsentschädigung im ersten Lehrjahr) ergibt sich der vom Rekursgericht errechnete Unterhaltsbedarf von monatlich 4.700 S bis einschließlich Juli 1998. Der Bedarf für den weiteren Vorschußzeitraum bis 31. 7. 1999 steht noch nicht fest. Dieser Bedarf ist nach den dargestellten Grundsätzen von den geldunterhaltspflichtigen Eltern anteilig im Verhältnis ihrer Leistungsfähigkeit aufzubringen. Der Vater hätte nur dann den gesamten Bedarf zu tragen, wenn die Mutter über kein Einkommen verfügte und - aus welchen Gründen auch immer - nicht angespannt werden könnte, sie somit als leistungsunfähig anzusehen wäre. Nur in einem solchen Fall kann auch der in Ansehung des Vaters begehrte Titelvorschuß bis zur vollen Höhe des Titels gewährt werden.

Das bisherige Verfahren ist insoweit mangelhaft geblieben, als es keine Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Mutter und des Unterhaltsbedarfs der Minderjährigen im zweiten Lehrjahr zuläßt. (Die Unterhaltsvorschüsse werden für einen Zeitraum bis 31. 7. 1999, d.i. bis zum Ende des zweiten Lehrjahres begehrt.) Die Vorinstanzen haben zum Unterhaltsbedarf ab 1. 8. 1998 und zu den Lebensverhältnissen der Mutter keine Feststellungen getroffen. Das Erstgericht hat seinen teilweise abweisenden Beschluß nicht begründet. Das Rekursgericht hat entgegen der Auffassung des Unterhaltssachwalters aufgrund des 1992 aktenkundigen Einkommens und des Umstandes, daß die Mutter nach ihren in anderem Zusammenhang abgegebenen Angaben voll berufstätig sein soll, ein Einkommen angenommen, das eine Unterhaltsfestsetzung von zumindest 2.100 S ermöglicht.

Der Unterhaltssachwalter ist bei seiner Antragstellung erkennbar von einer Leistungsunfähigkeit der Mutter ausgegangen. Es oblag damit den Vorinstanzen, die Einkommens- und Vermögensverhältnisse einschließlich allfälliger weiterer Sorgepflichten der Mutter von Amts wegen zu prüfen (Gitschthaler aaO 16). Behauptungs- und Beweislastregeln könnten erst dann zum Tragen kommen, wenn die amtswegigen Erhebungen (etwa mangels Mitwirkung der Mutter) keine ausreichende Tatsachengrundlage ergeben. Erst dann, wenn die vom hiefür beweispflichtigen Unterhaltssachwalter behauptete Leistungsunfähigkeit der Mutter nicht festgestellt werden könnte, dürfte von den aktenkundigen Verhältnissen ausgegangen und das Einkommen geschätzt werden (Schwimann aaO § 140 Rz 117 mwN; EvBl 1992/20).

Aus diesen Erwägungen erweist sich eine Verfahrensergänzung als unumgänglich. Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren die Lebensverhältnisse der Mutter, insbesondere ihr monatliches Nettoeinkommen des Jahres 1998 sowie ihre Sorgepflichten festzustellen haben. Anhand dieser Feststellungen und des für das zweite Lehrjahr (1. 8. 1998 bis 31. 7. 1999) noch zu berechnenden Unterhaltsbedarfes der Minderjährigen wird zu beurteilen sein, ob und in welchem Verhältnis die Mutter zur Tragung des restlichen Unterhaltsbedarfes nach ihren Lebensverhältnissen in der Lage ist. Der sich dann ergebende Restbedarf kann als Vorschuß auf die Unterhaltsleistung des Vaters gewährt werden.

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