OGH 10ObS286/98a

OGH10ObS286/98a13.10.1998

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr und Dr. Steinbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Johannes Schenk (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Leopold Smrcka (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Johann T*****, technischer Angestellter, *****, vertreten durch Dr. Martin Hembach, Rechtsanwalt in Wiener Neustadt, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Berufsunfähigkeitspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18. März 1998, GZ 9 Rs 4/98v-20, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 3. November 1997, GZ 4 Cgs 83/97h-16, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben. Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Sozialrechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der am 28. 12. 1946 geborene Kläger absolvierte eine Lehre als Stahlbauschlosser und besuchte überdies einen viersemestrigen Abendkurs für Werkmeister des Maschinenbaus. Zuletzt war er vom 1. 4. 1988 bis 30. 9. 1996, also über acht Jahre als technischer Angestellter, und zwar als Werkmeister in einer Teppichfabrik beschäftigt und dort mit der praktischen Produktionsüberwachung betraut. Das Schwergewicht der Tätigkeit eines Werkmeisters liegt auf organisatorischem Gebiet: Materialanforderungen, Arbeitseinteilung, Terminplanung, Überwachung und Kontrolle der Produktion, Beaufsichtigung der Arbeitskräfte usw. Je nach Betriebsgröße und -organisation hat ein Werkmeister auch schriftliche Arbeiten zu verrichten. Er übt Vorgesetztenfunktion aus und ist in dieser Eigenschaft für die Belegschaft einer Werkstätte oder eines Teiles einer Großwerkstätte zuständig. Die Tätigkeit eines Werkmeisters bringt nur leichte Belastungen überwiegend im Stehen und Gehen, zu einem Drittel im Sitzen mit sich. Es kommt wiederholt zu Aufenthalten an exponierten Stellen bei schnell laufenden und gefährdenden Maschinen und zu längerem besonderen Zeitdruck.

Der Kläger kann nach den Feststellungen des Erstgerichtes auf Grund verschiedener krankheitsbedingter Veränderungen (Übergewicht, Lumbalgie und erhöhte Aufbrauchserkrankung am rechten Hüftgelenk und an beiden Kniegelenken ua) nur mehr körperlich leichte und halbzeitig (halbtags) mittelschwere Arbeiten ständig im Sitzen, halbzeitig auch im Gehen und Stehen verrichten. Arbeiten in gebeugter oder gebückter Haltung und Arbeiten an höhenexponierten Stellen wie Leitern und Gerüsten sind nur fallweise möglich. Arbeiten unter dauerndem besonderen Zeitdruck sind nicht möglich. Wegen der von einem Werkmeister geforderten Geh- und Stehleistungen kann der Kläger seine Tätigkeit als Werkmeister nicht mehr verrichten, er könnte nach den Feststellungen des Erstgerichtes aber weiterhin als Terminüberwacher oder als Arbeitsvorbereiter tätig sein. Solche Arbeitsplätze kommen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in hinreichender Anzahl vor. Obwohl der Kläger gewisse Grundkenntnisse besitzt, müßte er sich die für einen Arbeitsvorbereiter nötigen zusätzlichen Kenntnisse durch zwei Lehrgänge in der Dauer von jeweils drei Monaten aneignen oder für die Tätigkeit eines Terminüberwachers einer Einschulung unterziehen, die angesichts seines Alters, seiner geringeren geistigen Flexibilität und depressiven Verstimmung rund sieben Monate dauern würde. In Anbetracht des Alters des Klägers würden die mit einer Umschulung verbundenen Kosten weder von der Arbeitsmarktverwaltung noch von einem privaten Arbeitgeber getragen.

Mit Bescheid der beklagten Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten vom 19. 3. 1997 wurde der Antrag des Klägers vom 19. 11. 1996 auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension abgewiesen.

Das Erstgericht gab dem dagegen erhobenen Klagebegehren statt und erkannte dem Kläger die Berufsunfähigkeitspension ab 1. 12. 1996 unter Auferlegung einer vorläufigen Zahlung von S 10.000 monatlich zu. Wegen der festgestellten Einschränkungen liege Berufsunfähigkeit des Klägers nach § 273 ASVG vor.

Das Berufungsgericht gab der nur wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung der beklagten Partei in nichtöffentlicher Sitzung Folge und wies das Klagebegehren ab. Unter Berücksichtigung der dem Kläger zumutbaren Umschulung (Nachschulung?) sei er auf die Tätigkeiten eines Terminüberwachers oder Arbeitsvorbereiters zu verweisen. Ob im Einzelfall eine Kostentragung durch die Arbeitsmarktverwaltung erfolge, sei unerheblich, weil die von dieser Stelle gesetzten Maßnahmen schon im Hinblick auf deren völlig anders gelagerte Kompetenzbereiche und Zielrichtungen bei Prüfung der Voraussetzungen für eine Berufsunfähigkeits- oder Invaliditätspension außer Betracht zu bleiben hätten. Nach ständiger Rechtsprechung sei auch die konkrete Arbeitsmarktlage nicht ausschlaggebend.

Die vom Kläger gegen dieses Urteil wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision ist im Ergebnis im Sinne ihres hilfsweise gestellten Aufhebungsantrages berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Unter dem Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit führt der Kläger im wesentlichen aus, die Zumutbarkeit der Umschulung bzw Nachschulung werde ohne entsprechende Beachtung der medizinischen Gutachten, insbesondere des psychiatrisch-neurologischen Sachverständigen, bejaht. Danach sei der Kläger für Arbeiten unter besonderem Zeitdruck nicht mehr geeignet. Ähnliches ergebe sich aus dem psychologischen Gutachten. Die Belastbarkeit des Klägers in Bezug auf die Verweisungsberufe wäre unter Berücksichtigung dieser Gutachten im Zusammenhalt mit dem berufskundlichen Gutachten genauer zu beurteilen gewesen. Die Tätigkeit eines Terminüberwachers und Arbeitsvorbereiters sei mit Termin- und besonderem Zeitdruck verbunden, der Kläger daher hiezu nicht mehr geeignet. Mit diesen Ausführungen bekämpft der Kläger - erstmals im Revisionsverfahren - die vom Erstgericht hinsichtlich seines Gesundheitszustandes und seiner Leistungsfähigkeit sowie hinsichtlich der Anforderungen in den Verweisungsberufen getroffenen, vom Berufungsgericht nicht überprüften Feststellungen.

Wenngleich der Oberste Gerichtshof nicht Tatsacheninstanz ist und eine Bekämpfung der Tatsachenfeststellungen mit Revision im allgemeinen scheitern muß, stand es dem Kläger im vorliegenden Fall nach ständiger Rechtsprechung des Senates (SSV-NF 7/31 mwN ua) offen, die für ihn ungünstigen Feststellungen bzw Mängel des zur Gewinnung dieser Feststellungen durchgeführten Verfahrens erst in der Revision zu bekämpfen. Als in erster Instanz siegreiche Partei war er nicht gezwungen, im Verfahren über die Berufung der beklagten Partei eine Stellungnahme zu dem von der beklagten Partei angefochtenen Urteil selbst abzugeben, er war insbesondere nicht verpflichtet, seinerseits ausdrücklich die ihm nachteiligen Feststellungen des Erstgerichtes zu bekämpfen; nach der Rechtsprechung des Senates konnte er dies in der Revision nachholen, weil sich erst das Berufungsgericht infolge abweichender rechtlicher Beurteilung auf diese Feststellungen stützte. Die Bekämpfung setzt allerdings voraus, daß die Feststellungen für die rechtliche Beurteilung relevant sind und das Berufungsgericht nicht ausgesprochen hat, daß es der Beweiswürdigung des Erstgerichtes jedenfalls beitrete (EFSlg 34.505; SZ 54/160 = JBl 1984, 88; JBl 1986, 121). Unter welchem Revisionsgrund die Ausführungen zur Bekämpfung der Feststellungen des Erstgerichtes erstattet werden, spielt keine Rolle (vgl § 84 Abs 2 Satz 2 ZPO; SZ 54/160 mwN). Eine solche Beweis- und Mängelrüge führt zur Aufhebung des Berufungsurteiles wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens (Fasching, Komm IV 71; SZ 51/137, SSV-NF 5/112, 7/31 ua). Die Änderung der Rechtslage durch den neuen § 473a ZPO (Art VII Z 30 WGN 1997) ist für den vorliegenden Fall noch nicht maßgeblich, weil diese Bestimmung nur anzuwenden ist, wenn das Datum der Entscheidung erster Instanz nach dem 31. 12. 1997 liegt (Art XXXII Z 13 WGN 1997); das Urteil erster Instanz datiert jedoch mit 3. 11. 1997.

Da sich das Berufungsgericht mit - nach den vorstehenden Ausführungen für die Entscheidung wesentlichen - Tatsachenfeststellungen, die in der Revision zulässigerweise bekämpft werden, nicht auseinandergesetzt hat, mußte das angefochtene Urteil aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.

Der Kostenvorbehalt stützt sich auf § 52 ZPO.

Stichworte