OGH 6Ob242/98a

OGH6Ob242/98a24.9.1998

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kellner, Dr. Schiemer, Dr. Prückner und Dr. Schenk als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Raafat K*****, geboren am 10. Juni 1957, *****, vertreten durch Dr. Helmut Winkler, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Fawaz K*****, geboren am 18. November 1953, *****, vertreten durch Mag. Dr. Helga Musil, Rechtsanwältin in Wien, wegen Ehescheidung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom 13. Mai 1998, GZ 45 R 318/98f-107, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Fünfhaus vom 19. Dezember 1997, GZ 2 C 189/96i-82, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei hat der klagenden Partei die mit 4.871,04 S (darin 811,84 S Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin begehrte die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden des Beklagten, der sie und die Kinder schlage, mit dem Umbringen bedrohe und deshalb wegen schwerer Nötigung und gefährlicher Drohung auch strafgerichtlich verurteilt worden sei.

Der Beklagte beantragte die Abweisung des Scheidungsbegehrens. Nicht er, sondern die Klägerin habe schwere Eheverfehlungen begangen, weil sie die Freizeit allein verbringe und die Kinder vernachlässige. Der Klägerin stehe als schiitischer Muslimin bei dem behaupteten Sachverhalt kein Recht auf Ehescheidung zu, zumal der Beklagte als schiitischer Muslim die Scheidung ablehne und verweigere.

Das Erstgericht hat die Ehe der Streitteile aus dem Alleinverschulden des Mannes geschieden. Es stellte fest, daß die Streitteile vor dem Standesamt des Innenministeriums der Republik Libanon, deren Staatsbürger sie sind, am 3. 12. 1973 die Ehe geschlossen haben. Beide Eheleute sind schiitischen Glaubens. Anfang 1990 zog das Ehepaar mit seinen vier Kindern aus dem Libanon nach Österreich. In der Folge kam es vor allem wegen der mangelnden Anpassungsbereitschaft des Mannes, der damit verbundenen Arbeitslosigkeit und des akuten Geldmangels zu schweren Eheproblemen. Während der Beklagte im Libanon noch diverse Handelsgeschäfte betrieben hatte, war er in Österreich überwiegend arbeitslos. Die finanziellen Lasten mußte daher ausschließlich die Ehefrau tragen, die mit den neuen Lebensumständen besser zurechtkam. Sie arbeitete seit 1990 unter anderem als Schneiderin, Küchenhilfe und Kellnerin in arabischen Lokalen. Vor allem die Tätigkeit als Kellnerin führte immer wieder zu Auseinandersetzungen, weil der Beklagte nicht wollte, daß seine Frau in arabischen Lokalen arbeite. Verschärft wurde die finanzielle Situation noch dadurch, daß der Beklagte größere Geldbeträge im Casino, das er häufig besuchte, verspielte. Auch bezüglich der Kindererziehung gab es Meinungsverschiedenheiten, die immer wieder dazu führten, daß der Beklagte seine Frau und die Kinder grob mißhandelte. Der Beklagte war häufig gewalttätig. Seine Aggressionen richteten sich nicht nur gegen die Ehefrau und deren Freundinnen, sondern auch gegen die Kinder. Am 24. 6. 1996, als die Klägerin mit dem Beklagten über eine Scheidung sprechen wollte, bedrohte er sie mit einem Messer, am 18. 10. 1996 wurde eine Freundin der Klägerin Opfer seiner Aggressionen. Auch sie wurde mit dem Messer bedroht. Wegen dieser Vorfälle wurde der Beklagte vom Landesgericht für Strafsachen Wien des Verbrechens der versuchten schweren Nötigung und des Vergehens der gefährlichen Drohung schuldig erkannt. Die Klägerin erwirkte eine einstweilige Verfügung, mit der der Beklagte aus der Ehewohnung ausgewiesen wurde. Seither leben die Eheleute getrennt.

Rechtlich führte das Erstgericht aus, aufgrund der Staatsangehörigkeit der Parteien und ihrer Angehörigkeit zur islamischen Gemeinschaft der Schiiten wäre die Ehe nach islamisch-libanesischem Recht seitens der Ehefrau unauflöslich. Das im Libanon geltende Familiengesetz von 1917 habe der Frau das Scheidungsrecht eingeräumt und anerkannt. Art 130 des Gesetzes, welcher durch die Artikel 337 bis 346 des Gesetzes von 1962 über die Gerichtsbarkeit ersetzt worden sei, kenne zwar den von der Klägerin geltend gemachten Scheidungsgrund des unerträglichen Zusammenlebens der Ehegatten, jedoch werde dieser Scheidungsgrund vom schiitischen Recht nicht anerkannt. Art 346 des Gesetzes schließe die Anwendung auf Schiiten ausdrücklich aus. Dies führe zu einem Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz und sohin über den ordre public zur Anwendung des österreichischen Rechtes. Dem Beklagten seien schwere Eheverfehlungen im Sinne des § 49 EheG vorzuwerfen, durch die die Ehe aus seinem Verschulden so tief zerrüttet sei, daß die Wiederherstellung einer ihrem Wesen entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht erwartet werden könne.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten keine Folge. Es verneinte das Vorliegen von Verfahrensmängeln, übernahm die Feststellungen und teilte die Rechtsansicht des Erstgerichtes, daß das libanesische Recht, wie es für die schiitischen Parteien gelte, gegen den österreichischen ordre public verstoße. Nach den Art 330 bis 346 des libanesischen Gesetzes vom 1962 stehe es der Frau zu, die Scheidung zu verlangen. Scheidungsgründe seien Impotenz, unheilbare Krankheit, Nichtbezahlung des Unterhaltes, Abwesenheit oder Verschollenheit des Ehemannes sowie unerträgliches Zusammenleben der Ehegatten. Gemäß Art 346 dieses Gesetzes habe eine Frau schiitischen Bekenntnisses kein Recht, vom zuletzt genannten Scheidungsgrund Gebrauch zu machen. Demgegenüber stehe es dem Ehemann jederzeit frei, seine Ehefrau unter Einhaltung bestimmter Formeln zu verstoßen. Eine einseitige Verstoßung widerspreche dem österreichischen ordre public. Im konkreten Fall könne die Ehefrau, die ihr Scheidungsbegehren in erster Linie auf die vom Beklagten begangenen Mißhandlungen stütze, auch nicht auf einen der anderen oben genannten Ehescheidungsgründe ausweichen, so daß im Ergebnis für sie eine Ehescheidung aus den dem Beklagten zur Last gelegten Handlungen nicht möglich wäre. Dies widerspreche dem Gleichheitsgrundsatz, der eine unverzichtbare Grundwertung der österreichischen Rechtsordnung darstelle. Es sei daher die entsprechende österreichische Bestimmung (§ 49 EheG) anzuwenden.

Das Berufungsgericht sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei, weil noch keine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes zum Verstoß durch das libanesisch-schiitische Scheidungsrecht gegen den österreichischen ordre public vorliege.

Die Revision ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor. Der Rechtsmittelwerber macht nur angebliche Mängel des Verfahrens erster Instanz geltend, deren Vorliegen schon das Berufungsgericht verneint hat. solche Mängel können im Revisionsverfahren nicht neuerlich aufgegriffen werden. Überdies vermag der Beklagte nicht einmal in seiner Revision aufzuzeigen, inwieweit die gerügten Mängel für das Ergebnis relevant sein könnten.

Das Berufungsgericht hat zutreffend ausgeführt, daß eine Frau libanesischer Staatsangehörigkeit und schiitischen Glaubens die Scheidung nur wegen Impotenz, unheilbarer Krankheit, Nichtzahlung des Unterhaltes, Abwesenheit oder Verschollenheit des Mannes begehren kann, nicht aber wegen unerträglichen Zusammenlebens, während es dem Mann jederzeit freisteht, seine Ehefrau unter Einhaltung bestimmter Formeln zu verstoßen.

Die Vorbehaltsklausel des § 6 IPRG nimmt an sich vom IPR berufene ausländische Sachnormen von der Anwendungspflicht aus, wenn deren Anwendung zu einem Ergebnis führen würde, das mit den Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung unvereinbar ist. Weil die ordre-public-Klausel eine systemwidrige Ausnahme darstellt, wird allgemein sparsamster Gebrauch gefordert, eine schlichte Unbilligkeit des Ergebnisses genügt ebensowenig wie der bloße Widerspruch zu zwingenden österreichischen Vorschriften. Gegenstand der Verletzung müssen vielmehr Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung sein. Darunter sind die unverzichtbaren Wertvorstellungen zu verstehen, die das österreichische Recht prägen. Die Lehre stimmt darin überein, daß mangels einer exakten Definitionsmöglichkeit jedenfalls die Grundsätze der MRK und tragende Verfassungsgrundsätze der Vorbehaltsklausel unterliegen (Schwimann, Grundriß des IPR 48; Schwind, IPR Rz 113). Zweite wesentliche Voraussetzung für das Eingreifen der Vorbehaltsklausel ist, daß das Ergebnis der Anwendung fremden Sachrechtes und nicht bloß dieses selbst anstößig ist und überdies eine ausreichende Inlandsbeziehung besteht. Wenn auch die Verstoßung der Ehefrau durch den Mann dem österreichischen ordre public widerspricht, muß auch eine nicht vollkommen verwirklichte Gleichstellung der Geschlechter noch nicht notwendig ordre-public-widrig sein. Finden sich in dem anzuwendenden Recht für die Klägerin Scheidungsgründe, die ihrem Scheidungsbegehren zum Erfolg verhelfen können, muß noch nicht von der Vorbehaltsklausel Gebrauch gemacht werden. Wenn aber die Ungleichheit der Scheidungsgründe für Mann und Frau so eklatant ist wie im vorliegenden Fall und in concreto zum Ergebnis führen müßte, daß der in Österreich lebenden Frau trotz Zerrüttung der Ehe und der Unerträglichkeit des weiteren Zusammenlebens (das sogar das libanesische Recht als Scheidungsgrund der Ehefrau anerkennt, soweit nicht religiöse Vorschriften anzuwenden sind) keine Auflösungsmöglichkeit der Ehe zur Verfügung steht, widerspricht das Ergebnis der Anwendung fremden Rechtes dem österreichischen ordre public. Die Vorinstanzen haben daher zutreffend österreichisches Recht angewendet.

Der Ausspruch über die Kosten der Revisionsbeantwortung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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