OGH 4Ob188/98w

OGH4Ob188/98w12.8.1998

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek als Vorsitzenden und durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr.Griß und Dr.Schenk sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Vogel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei F***** AG, *****, vertreten durch Dr. Josef Olischar, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei T***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Mag.Dr.Karlheinz Klema, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 4,800.000,-- sA, infolge Rekurses der Beklagten gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 14.April 1998, GZ 4 R 34/98v-29, mit dem das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 11.November 1997, GZ 12 Cg 77/95h-25, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Beklagte ist eine 100%-ige Tochter der N***** GmbH, die ihrerseits eine 100%-ige Tochter der N***** AG ist. Alleinaktionär der N***** AG ist die L*****bank *****, deren Geschäftszweck es ist, die Aktien an der N***** AG zu verwalten. Das Land ***** hat für Verbindlichkeiten der L*****bank ***** und der N***** AG eine Ausfallsbürgschaft übernommen; der Verwaltungsrat der L*****bank ***** wird von der Landesregierung bestellt. Die L*****bank ***** bestimmt den Aufsichtsrat der N***** AG; der Aufsichtsrat bestimmt den Vorstand.

Die N***** GmbH befaßt sich mit Leasingfinanzierungen, die nicht auf öffentliche Aufträge beschränkt sind. Zu diesem Zweck wird für das jeweilige Projekt eine GmbH als Einprojektgesellschaft gegründet. Will der Leasingnehmer nach Ablauf der Leasingzeit das Objekt in sein Eigentum übernehmen, so erwirbt er die Stammanteile an der Projektgesellschaft. Einer der beiden Geschäftsführer der N***** GmbH ist jeweils handelsrechtlicher Geschäftsführer der Projektgesellschaft. Die Beklagte wurde errichtet, um das Bauvorhaben Sonderkrankenanstalt und ***** Landespflege- und Pensionistenheim E***** abzuwickeln. Sie unterliegt aufgrund der oben wiedergegebenen Beteiligungsverhältnisse der Kontrolle durch den Rechnungshof.

Die Projektgesellschaften berechnen die Leasingraten nicht nur aufgrund der Gesamtinvestitionskosten und der Finanzierungskosten, sondern kalkulieren auch einen Gewinnanteil ein. Für die von ihnen aufgenommenen Kredite haftet weder die jeweilige Gemeinde noch das Land *****.

Das Bauvorhaben Sonderkrankenanstalt und ***** Landespflege- und Pensionistenheim E***** geht auf eine Initiative der Gemeinde E***** zurück. Im Hinblick auf die budgetäre Situation von Gemeinde und Land war von Anfang an klar, daß die notwendigen Mittel nur in Form einer langfristigen Rückzahlung aufgebracht werden können. Es kam daher zu Gesprächen mit der N***** GmbH über eine Leasingfinanzierung. In der Folge traf der ***** Landtag eine Grundsatzentscheidung, bei der projektvorbereitende Planungskosten bewilligt wurden. Bauplanung und Abwicklung sollten durch die N***** GmbH im Wege der Beklagten als Projektgesellschaft erfolgen. Die Beklagte führte die Bauplanung und die Bauausschreibung durch.

Die N***** GmbH und ihre Projektgesellschaften schreiben grundsätzlich alle Bauprojekte offen aus und schalten die Ausschreibung im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften ein, damit sich Interessenten europaweit beteiligen können. Die Beklagte gab die Einschaltung mit dem allgemeinen Vordruck in Auftrag, auf dem der Auftraggeber als "öffentlicher Auftraggeber" bezeichnet wird. In der Einschaltung war unter Punkt 3

b) angegeben, daß die geschätzte Gesamtauftragssumme ohne Mehrwertsteuer S 75,000.000,-- beträgt und, unter Punkt 3 c), daß keine Unterteilung in Lose erfolgt. Unter Zuschlagkriterien (Punkt 13) war angeführt:

"Wirtschaftlich günstigstes Angebot nach folgenden Kriterien: Preis, Betriebskosten, Wirtschaftlichkeit, Umweltgerechtheit der Leistungen gemäß Ausschreibungsunterlagen. Siehe Ausschreibungsunterlagen."

Die Ausschreibungsunterlagen konnten gegen Kostenersatz angefordert werden. In den Ausschreibungsunterlagen war eine von Anbieter zu unterfertigende Erklärung enthalten, deren erster Punkt wie folgt lautete:

"Die unterfertigte Firma erklärt zu Ihrem Angebot, daß sie

1) die nachstehend vermerkten Vertragsbedingungen vollinhaltlich anerkennt."

Die in den Ausschreibungsunterlagen enthaltenen Allgemeinen Angebots- und Vertragsbedingungen der Beklagten lauten auszugsweise wie folgt:

"...

1. Grundlagen des Angebotes und der Ausführung sind, wirksam in der angeführten Reihenfolge, und in der vorliegenden Fassung:

a) im Auftragsfalle der unterfertigte Vertrag

b) die vorliegenden 'Allgemeinen Angebots- und Vertragsbedingungen'

c) Leistungsverzeichnis samt technischer Vorbemerkungen

d) die dem AN eröffneten Pläne der vom AG beauftragten Architekten, Statiker, Ingenieure und Sonderplaner

e) der Baubescheid mit den zugehörigen Anlagen und Auflagen

f) alle Gesetze, Erlässe, Verordnungen, Vorschriften und Richtlinien

g) die einschlägigen ÖNORMEN, insbesondere A 2050, A 2060, B 2061, B 2110, B 2111, B 2112, B 2113, H 2110 und die entsprechenden Fachnormen, sofern sie vorstehenden Grundlagen a) bis f) nicht widersprechen

h) die jeweils geltenden anerkannten Regeln der Technik und Wissenschaft."

...

2.08) Angebotsauswahl durch AG: Der AG behält sich in allen Fällen die freie Auswahl unter den Angeboten bzw. eine Vergabe nach Teilleistungen oder die Ablehnung aller Angebote vor, ohne daß den Bietern daraus Ansprüche wegen Verdienstentgangs zustehen.

Der Bieter kann aus der ÖNORM A 2050 keine Rechte ableiten, insbesondere nicht das Recht auf Auftragserteilung. Dem AG steht die Entscheidung über die Auftragsvergabe frei."

Das Bauvorhaben war in den Ausschreibungsunterlagen in 5 Bauteile gegliedert: Baustellengemeinkosten, Bauteil A - LPH, Bauteil B - Eingangsbereich, Bauteil C - Küchenbereich, Außenanlagen. Der Anbieter hatte darüber hinaus anzugeben, wie sich die Baustellengemeinkosten auf die Bauteile A - C und auf die Außenanlagen aufteilen.

Die Klägerin hat im Oktober 1994 ihr Anbot gelegt. Sie ging davon aus, daß ein einheitlicher Auftrag erteilt werde, weil die Ausschreibung nicht in Teilen erfolgt war und sie der Auffassung war, daß die Beklagte ein öffentlicher Auftraggeber sei. Die Klägerin teilte die Baustellengemeinkosten zwar auf die Bauteile A - C und auf die Außenanlagen auf, berücksichtigte aber nicht, daß die den einzelnen Gruppen zuzuordnenden Baustellengemeinkosten höher wären, sollte sie nur einen Teilauftrag erhalten.

Die Klägerin war zwar für den Gesamtauftrag Bestbieter, nicht aber auch in allen Teilbereichen. Die Beklagte erteilte den Auftrag dem jeweiligen Bestbieter; die Klägerin hätte den Auftrag für den Bauteil D erhalten, ihr Anbot wurde aber auf ihren eigenen Wunsch nicht berücksichtigt.

Die Klägerin begehrt S 4,800.000,-- sA. Die Beklagte sei ein öffentlicher Auftraggeber. Das Land ***** bediene sich der Beklagten zur Durchführung von Bauvorhaben und stelle die dafür notwendigen Mittel durch direkte Förderung, Leasing und in anderer Weise zur Verfügung. Der durch Beschluß der ***** Landesregierung eingesetzte Baubeirat habe die Aufgabe, das entscheidungsbefugte Organ insbesondere auch bei der Auftragsvergabe zu beraten. Die gesellschaftsrechtliche Konstruktion, die Identität des Geschäftsführers der Beklagten mit einem der Geschäftsführer der N***** GmbH und die Einrichtung eines Baubeirates machten eine direkte Einflußnahme des Landes ***** auf die Geschäftsführung der Beklagten möglich. Das Bauvorhaben sei vom Land ***** finanziert worden; die Leasingraten seien so kalkuliert, daß die Bau- und Finanzierungskosten zuzüglich eines im vorhinein bestimmten Gewinnes hereingebracht werden. Aus dem Gewinn bestreite die Beklagte ihre Aufwendungen. Für die Leasingfinanzierung habe sich das Land ***** aus budgetpolitischen und aus steuerrechtlichen Gründen entschlossen. Durch die Zwischenschaltung eines gewerblichen Bauträgers sei der Vorsteuerabzug ermöglicht worden. Als öffentliche Auftraggeberin hätte die Beklagte den Auftrag nur in Teilen vergeben dürfen, wenn sie Teilleistungen ausgeschrieben hätte. Die Beklagte habe gegen die Baukoordinationsrichtlinie und gegen die ÖNORM A 2050 verstoßen. Ein bloßer Vorbehalt allfälliger Teilleistungsvergabe sei jedenfalls unzulässig; die entgegenstehende Bestimmung der Allgemeinen Angebots- und Vertragsbedingungen der Beklagten verstoße gegen Treu und Glauben und sei sittenwidrig. Der Schaden der Klägerin setze sich aus den Kosten für die Beteiligung an der Ausschreibung von S 250.000,--, aus dem entgangenen Fixkostendeckungsbeitrag von S 1,984.169,73 und aus S 1,765.030,27 an entgangenem Gewinn zusammen.

Die Beklagte beantragt, das Klagebegehren abzuweisen. Sie sei weder ein Unternehmen der öffentlichen Hand noch sei sie den zwingenden Normen für derartige Unternehmen unterworfen. Die Beklagte sei ein rein privatwirtschaftlich organisiertes Unternehmen, das mit anderen Leasingunternehmen im Wettbewerb stehe. Sie sei bei der Auftragsvergabe weder an interne Weisungen noch an Verwaltungsverordnungen noch an sonstige Richtlinien des Landes gebunden gewesen. Aufgabe des Baubeirates sei die Beratung bei der Standortentscheidung und der Projektauswahl; er habe auf Einzelentscheidungen keinen direkten Einfluß. Die Beklagte trage das volle wirtschaftliche Risiko der Leasingfinanzierung; der Leasingnehmer sei nicht verpflichtet, das Objekt nach Ablauf der Leasingdauer zum Restbuchwert anzukaufen. Die Beklagte sei keine Projektgesellschaft einer Gebietskörperschaft. Nach den Ausschreibungsbedingungen gingen die Allgemeinen Angebots- und Vertragsbedingungen der Beklagten der ÖNORM A 2050 vor; die Klägerin könne aus der ÖNORM A 2050 keine Rechte ableiten. Die Beklagte sei nicht verpflichtet gewesen, das Bauvorhaben europaweit auszuschreiben. Sie habe in der Ausschreibung zwar angegeben, daß keine Aufteilung in Lose erfolgt; daraus folge aber nicht, daß der Auftrag nicht in Teilen vergeben wird. Als private Auftraggeberin sei die Beklagte aber jedenfalls berechtigt gewesen, ihre Allgemeinen Angebots- und Vertragsbedingungen anzuwenden.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Punkt 2.08 der Allgemeinen Angebots- und Vertragsbedingungen sei, wenn die Beklagte kein Unternehmen der öffentlichen Hand sei, weder sittenwidrig noch irreführend. Jeder Anbieter werde bestrebt sein, auch die Teilleistungen preisgünstig anzubieten. Die Aufteilung der Baustellengemeinkosten auf die einzelnen Bereiche sei nur sinnvoll gewesen, wenn Teilaufträge beabsichtigt waren. Die Beklagte unterliege zwar der Kontrolle durch den Rechnungshof; das reiche aber nicht aus, sie einem Unternehmen der öffentlichen Hand gleichzuhalten. Die N***** GmbH und ihre Projektgesellschaften beschränkten sich nicht darauf, öffentliche Bauvorhaben zu finanzieren. Es habe auch nicht festgestellt werden können, daß das Land ***** und die Gemeinde E***** die Finanzierung des Bauvorhabens direkt beeinflußten. Die Projektgesellschaften kalkulierten nicht nur einen gewissen Gewinn ein, sondern hätten auch mit einem Restrisiko zu rechnen, das darin bestehe, daß der Mieter das Mietobjekt nach Ablauf der Mietzeit nicht zur Gänze übernimmt. Der Leasinggeber trage auch die Gefahr eines zufälligen Untergangs des Mietobjekts. Es sei daher nicht gerechtfertigt, ihn den für ein Unternehmen der öffentlichen Hand geltenden strengen Kontrollen zu unterwerfen.

Das Berufungsgericht hob das Ersturteil auf, verwies die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurück und sprach aus, daß der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Ob die Beklagte ein öffentlicher Auftraggeber sei, richte sich nach Art 1 lit b der Baukoordinationsrichtlinie. Sämtliche der dort genannten Voraussetzungen müßten vorliegen. Es könne nicht abschließend beurteilt werden, ob die Beklagte eine Einrichtung sei, die Aufgaben nicht gewerblicher Art zu erfüllen hat. Das könne jedoch offenbleiben, weil die Einschaltung eines Privatunternehmens eine Umgehung der Baukoordinationsrichtlinie und der übrigen Vergabevorschriften wäre. Demnach träfen die Beklagten jedenfalls die Verpflichtungen, die ein öffentlicher Auftraggeber nach der Baukoordinationsrichtlinie habe. Das willkürliche Abgehen von Vergabevorschriften durch einen öffentlichen Auftraggeber könne zu einer Haftung aus culpa in contrahendo führen. Bei der Vergabe öffentlicher Aufträge sei darüber hinaus das sich aus Art 7 B-VG sowie aus Art 2 StGG ergebende Gleichbehandlungsgebot zu beachten. Der Bieter dürfe auf ein den Vergabenormen entsprechendes Verhalten des Auftraggebers vertrauen. Ein Vorbehalt freier Vergabe widerspreche Treu und Glauben und dem verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgebot. Auch ein Vorbehalt der Vergabe von Teilaufträgen sei unwirksam, wenn die Ausschreibung zur Erstellung eines Gesamtangebotes auffordere. Da jedes Unternehmen ein Pauschalangebot anders kalkulieren könne als dessen Teile, könnte sich der öffentliche Auftraggeber die jeweils besten Teile heraussuchen und die auf dem Gesamtangebot beruhende Kalkulation zum Nachteil der Anbieter ausnützen. Punkt 2.08 der Allgemeinen Angebots- und Vertragsbedingungen der Beklagten sei demnach nach § 879 Abs 3 ABGB sittenwidrig. Die Beklagte hafte der Klägerin aus culpa in contrahendo, weil die Klägerin den Auftrag erhalten hätte, wäre die Beklagte nach der ÖNORM A 2050 und nach der Baukoordinationsrichtlinie vorgegangen.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diese Entscheidung gerichtete Rekurs der Beklagten ist zulässig, weil Rechtsprechung zu einem gleichartigen Sachverhalt fehlt; der Rekurs ist aber nicht berechtigt.

Die Beklagte bekämpft den Aufhebungsbeschluß als in sich widersprüchlich. Es sei unklar, ob das Erstgericht an die Rechtsansicht des Berufungsgericht unabhängig vom Ergebnis der Verfahrensergänzung gebunden sei. Die Beklagte sei kein öffentlicher Auftraggeber im Sinne der Baukoordinationsrichtlinie. Die Errichtung eines Pflegeheimes liege nicht automatisch im Allgemeininteresse. Die Beklagte sei nicht gegründet worden, um "im Allgemeininteresse liegende Aufgaben" zu erfüllen; sie sei ein kommerzielles Unternehmen. Für eine Umgehungshandlung fehle jeder Anhaltspunkt. Die Beklagte habe ihrer Ausschreibung nicht die ÖNORM A 2050 zugrundegelegt; die ÖNORM A 2050 sollte nur soweit gelten, als sie den Allgemeinen Angebots- und Vertragsbedingungen der Beklagten nicht widerspricht. Die Baukoordinationsrichtlinie schränke eine Teilvergabe nicht ein. Die Beklagte habe mit einer Aufteilung rechnen müssen. Punkt 2.08 der Allgemeinen Angebots- und Vertragsbedingungen der Beklagten sei nicht sittenwidrig. Der behauptete Vergabeverstoß sei für die Vergabeentscheidung nicht kausal. Die Klägerin wäre für die einzelnen Teile auch dann nicht Bestbieterin gewesen, wenn die Beklagte das Bauvorhaben in Teilen ausgeschrieben hätte. In diesem Fall wären die den einzelnen Teilen zuzuordnenden Baustellengemeinkosten noch höher gewesen.

Zu diesen Ausführungen hat der erkennende Senat erwogen:

Die Beklagte hat das Bauvorhaben "Sonderkrankenanstalt und ***** Landespensionisten- und Pflegeheim in E*****" im Oktober 1994 ausgeschrieben; die Angebotsöffnung war im November 1994. Zu diesem Zeitpunkt war Österreich Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums - das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum BGBl 1993/909 (EWRA) ist mit 1.1.1994 in Kraft getreten; seit 1.1.1995 ist Österreich Mitglied der Europäischen Union. Mit Richtlinie 93/37/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 zur Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge (Baukoordinationsrichtlinie) hat der Rat der Europäischen Gemeinschaften Vorschriften über die Beteiligung an öffentlichen Bauaufträgen erlassen. Nach Art 1 lit b leg cit gelten als öffentliche Auftraggeber (ua) Einrichtungen öffentlichen Rechts; als Einrichtung öffentlichen Rechts gilt jede Einrichtung,

Die Baukoordinationsrichtlinie gilt für die öffentlichen Bauaufträge, deren geschätzter Auftragswert ohne Mehrwertsteuer 5,000.000 ECU oder mehr beträgt (Art 6 Abs 1); nach Art 6 Abs 4 leg cit dürfen Bauwerke oder Bauaufträge nicht in der Absicht aufgeteilt werden, sie der Anwendung dieser Richtlinie zu entziehen.

Nach Art 11 Abs 2 Baukoordinationsrichtlinie teilen öffentliche Auftraggeber, die einen Bauauftrag (ua) im Wege eines offenen Verfahrens vergeben wollen, ihre Absicht in einer Bekanntmachung mit. Die Anhänge IV, V und VI der Baukoordinationsrichtlinie enthalten Muster für die Bekanntmachungen; die Bekanntmachungen werden (ua) im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlicht (Art 11 Abs 6 und 9 leg cit). Anhang IV der Baukoordinationsrichtlinie enthält ein Muster für die Bekanntmachung öffentlicher Bauaufträge im offenen Verfahren:

"1. Name, Anschrift, Telegrammanschrift, Telefon-, Fernschreib- und Fernkopiernummer des öffentlichen Auftraggebers.

...

3....

c) Falls das Bauwerk oder der Auftrag in mehrere Lose aufgeteilt wird, Größenordnung der einzelnen Lose und Möglichkeit, für eines, mehrere oder sämtliche Lose Angebote einzureichen.

...

13. Kriterien für die Auftragserteilung. Andere Kriterien als der niedrigste Preis müssen genannt werden, falls sie nicht in den Verdingungsunterlagen enthalten sind.

..."

Die Baukoordinationsrichtlinie ist am 5.7.1993 in Kraft getreten; die Richtlinie räumt keine Frist für die Umsetzung ein. Österreich hat die Baukoordinationsrichtlinie durch das Bundesvergabegesetz (BVergG) BGBl 1993/462 auf Bundesebene und durch Landesvergabegesetze - das hier in Frage kommende NÖ Vergabegesetz NÖLGBl 1995/84 ist am 1.6.1995 in Kraft getreten - umgesetzt. Im vorliegenden Fall ist das Bundesvergabegesetz nicht anwendbar, weil es sich um ein Bauvorhaben auf Landes- und Gemeindeebene handelt; die Anwendung des NÖ Vergabegesetzes scheitert daran, daß dieses Gesetz erst am 1.6.1995 in Kraft getreten ist.

Die Bestimmungen der Baukoordinationsrichtlinie sind demnach an sich nur maßgebend, wenn die Richtlinie unmittelbar angewendet werden kann. Diese Frage kann hier aber offenbleiben (zur Umsetzung von Richtlinien aufgrund des EWR-Beitritts s Platzer/Öhlinger, EU-Konforme Ausschreibungen 17), weil die Beklagte die Baukoordinationsrichtlinie ihrer Ausschreibung zugrundegelegt hat; sie zieht auch gar nicht in Zweifel, daß die Baukoordinationsrichtlinie anwendbar ist. Die Beklagte hat das Bauvorhaben im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften ausgeschrieben und sich dabei des Musters bedient, das die Richtlinie für die Bekanntmachung öffentlicher Bauaufträge im offenen Verfahren vorsieht. Nach diesem Muster ist bei einer Aufteilung in Losen unter Punkt 3 c) die Größenordnung der einzelnen Lose und die Möglichkeit anzugeben, für eines, mehrere oder sämtliche Lose Angebote einzureichen. Die Beklagte hat angegeben, daß keine Unterteilung in Lose erfolgt, und den Bietern daher auch nicht freigestellt, Teilangebote zu legen.

Damit erübrigt sich aber auch die Prüfung, ob die Beklagte ein öffentlicher Auftraggeber im Sinne der Richtlinie ist (s dazu Platzer/Öhlinger aaO 34, wonach ein öffentlicher Bauauftrag vorliegt, wenn ein Privatunternehmen auf eigene Kosten ein Krankenhaus errichtet und zwar aufgrund eines Vertrages mit einer Gebietskörperschaft, aufgrund dessen die Gebietskörperschaft das fertige Objekt auf Basis eines Leasingvertrages nutzen wird): Die Beklagte hat sich der Baukoordinationsrichtlinie im Sinne einer Selbstbindungsnorm unterworfen. Sie hat sich damit den Bietern gegenüber nicht nur - wie in Punkt 13 der Ausschreibung auch ausdrücklich angeführt - verpflichtet, dem wirtschaftlich günstigsten Angebot den Zuschlag zu erteilen, sondern sie hat es damit auch übernommen, Teilaufträge nur aufgrund von Teilausschreibungen zu erteilen. Daß sie den Auftrag nicht in Teilen ausschreibt, hat sie in Punkt 3 c) der Ausschreibung ausdrücklich erklärt; die Klägerin mußte daher weder mit einer Teilvergabe rechnen noch bestand für sie ein Anlaß, die Möglichkeit einer Teilvergabe bei ihrer Kalkulation zu berücksichtigen oder Alternativangebote zu legen. Die Erklärung in Punkt 3 c) der Ausschreibung wird nicht dadurch aufgehoben, daß die Bieter die Baustellengemeinkosten den einzelnen Bauabschnitten zuzuordnen hatten. Eine solche Zuordnung ist auch dann sinnvoll, wenn keine Teilaufträge vergeben werden, weil sie es ermöglicht, auch die Baustellengemeinkosten entsprechend dem Baufortschritt zu zahlen.

Die im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlichte Ausschreibung geht den Allgemeinen Angebots- und Vertragsbedingungen der Beklagten vor. Allgemeine Vertragsbedingungen gelten nur, soweit im Einzelfall nicht davon abgegangen wird. Die Erklärung der Beklagten, den Auftrag nicht in Lose zu unterteilen, ist mit dem Vorbehalt einer Vergabe nach Teilleistungen in Punkt 2.08 ihrer Angebots- und Vertragsbedingungen ebenso unvereinbar wie die Angabe der Zuschlagskriterien in Punkt 13 mit dem Vorbehalt der freien Auswahl unter den Angeboten in Punkt 2.08; diese Bestimmung ist demnach unanwendbar, ohne daß geprüft werden müßte, ob sie, wie das Berufungsgericht meint, sittenwidrig ist. Ebensowenig kommt es darauf an, daß die ÖNORM A 2050 nach den Ausschreibungsbedingungen nur soweit gelten soll, als die Allgemeinen Angebots- und Vertragsbedingungen der Beklagten keine davon abweichenden Regelungen enthalten, weil diese wiederum nur gelten, soweit die Beklagte in der Ausschreibung nicht davon abgegangen ist.

Mit der Vergabe von Teilaufträgen hat die Beklagte gegen die von ihr selbst festgelegten Ausschreibungsbedingungen verstoßen. Sie hat damit die vorvertraglichen Schutz- und Sorgfaltspflichten verletzt, die den Ausschreibenden gegenüber dem Bieter treffen (SZ 61/90; WBl 1997, 217; vgl auch SZ 69/59 = ÖBl 1996, 241 - Forstpflanzen). Die vorvertraglichen Schutz- und Sorgfaltspflichten werden selbst dann von den Selbstbindungsnormen des Ausschreibenden bestimmt, wenn diese nicht von vornherein ausdrücklich oder schlüssig zur Grundlage des vorvertraglichen rechtsgeschäftlichen Verkehrs zwischen den Beteiligten erklärt wurden (ecolex 1990, 144 = JBl 1990, 520 = ÖBA 1990, 136 = RdW 1990, 45 = WBl 1990, 56; Aicher in Korinek/Rill, Zur Reform des Vergaberechts 345 mwN). Sie sind umso mehr maßgebend, wenn sie, wie im vorliegenden Fall, der als Einladung zur Offertenstellung zu wertenden Ausschreibung zugrundegelegt werden (s Aicher aaO 344).

Bei schuldhafter Verletzung vorvertraglicher Sorgfaltspflichten ist grundsätzlich nicht das positive, sondern das negative Vertragsinteresse zu ersetzen, weil vor dem Vertragsabschluß keine Erfüllungspflicht besteht und deshalb auch nicht verletzt sein kann. Der Ersatz des Erfüllungsinteresses kommt ausnahmsweise in Betracht, wenn ohne die Pflichtverletzung der Vertrag zustandegekommen wäre (SZ 61/90 = WBl 1988, 342 mwN; SZ 67/182 = ecolex 1995, 95 = WBl 1995, 77; s auch Koziol/Welser I10, 208; Schwimann/Apathy, ABGB**2 § 878 Rz 11; Reischauer in Rummel, ABGB**2 vor §§ 918-933 Rz 16, jeweils mwN).

Die Klägerin war für den Gesamtauftrag Bestbieterin; hätte sich die Beklagte an die Ausschreibungsbedingungen gehalten, so hätte sie der Klägerin den Auftrag erteilen müssen. Entgegen der Auffassung der Beklagten kommt es nicht darauf an, ob die Klägerin auch Bestbieterin gewesen wäre, wenn die Beklagte den Auftrag in Teilen ausgeschrieben hätte. Dies wäre für die Frage der Kausalität nur dann von Bedeutung, wenn das pflichtwidrige Verhalten der Beklagten darin läge, daß sie den Auftrag nicht in Lose unterteilt hat. Zu einer solchen Unterteilung war die Beklagte aber nicht verpflichtet; ihre Verpflichtung bestand darin, die von ihr selbst festgelegten Ausschreibungsbedingungen einzuhalten. Der Verstoß gegen diese Verpflichtung war für den von der Klägerin behaupteten Schaden kausal; der Schadenersatzanspruch der Klägerin besteht demnach dem Grunde nach zu Recht. Im fortgesetzten Verfahren wird zu prüfen sein, ob die Klägerin den behaupteten Schaden erlitten hat.

Der Rekurs mußte erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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