OGH 15Os120/98

OGH15Os120/9830.7.1998

Der Oberste Gerichtshof hat am 30. Juli 1998 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Reisenleitner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rouschal und Dr. Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Kolarz als Schriftführerin, in der beim Landesgericht für Strafsachen Wien zum AZ 25 b Vr 3061/98 anhängigen Strafsache gegen Jasmina N***** und andere wegen des Verbrechens des Menschenhandels nach § 217 Abs 1 zweiter Fall StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Grundrechtsbeschwerde der Jasmina N***** gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 19. Juni 1998, AZ 24 Bs 159/98 (ON 106 des Vr-Aktes), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Jasmina N***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Mit Beschluß des Untersuchungsrichters des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 28. März 1998, GZ 25 b Vr 3061/98-18, wurde über Jasmina N***** wegen des Verdachtes des Menschenhandels, in eventu der Bandenbildung nach §§ 217 Abs 1, 278 StGB aus den Haftgründen der Verdunkelungs- und Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 2 und Z 3 lit b StPO die Untersuchungshaft verhängt. Nach Durchführung von Haftverhandlungen am 7. April 1998 und am 29. April 1998 wurde in der letztgenannten Haftverhandlung die Dauer der Untersuchungshaft bis längstens 29. Juni 1998 für wirksam erklärt. Nach Schließung der Voruntersuchung am 14. April 1998 gemäß § 112 StPO brachte die Staatsanwaltschaft am 22. April 1998 beim Landesgericht für Strafsachen Wien einen Strafantrag gegen die Beschuldigte ein (ON 59).

Darin legt die Staatsanwaltschaft Jasmina N***** zur Last, in Wien zu noch festzustellenden Zeitpunkten im Jahr 1998 noch auszuforschende ausländische, nur vorübergehend zum Einkommenserwerb ins Inland gereiste Mädchen, mögen sie auch bereits der gewerbsmäßigen Unzucht ergeben sein, dieser Unzucht in Österreich, somit in einem anderen Staat als in dem, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen oder in dem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, zugeführt zu haben, und zwar

(I) gemeinsam mit Gerhard Le***** drei slowakische Mädchen mit dem Vornamen "Lenka", "Stanka" und "Janka", dadurch, daß sie diese den gesondert verfolgten Yalcin T***** und Yazici N***** gegen Anteil am Erlös ihrer Tätigkeit "abkauften" und sie in der ihnen gehörenden Bar "E*****" als Prostituierte einstellten und

(III) indem sie von Peter L***** und Edita B***** in einer slowakischen Zeitung mittels Inserat gesuchte drei slowakischen Mädchen (mit den Vornamen bekannt: "Linda" und "Renata"), die sich auf das Inserat gemeldet hatten, nach Wien gereist und in der Bar "E*****" als Prostituierte eingestellt worden waren, in den Geschäftsbetrieb der Bar "E*****" einführte, die für die dortige Ausübung der Prostitution erforderlichen Tätigkeiten und dafür zu lukrierenden finanziellen Tarife erklärte; sie habe hierdurch das Verbrechen des Menschenhandels nach den §§ 217 Abs 1 StGB begangen.

Mit Verfügung vom 11. Mai 1998 beraumte der Einzelrichter die Hauptverhandlung für den 28. Mai 1998 an, in welcher er nach Vernehmung der Angeklagten und Einbeziehung von Nachhangstücken ein Unzuständigkeitsurteil fällte. Dies im wesentlichen mit der Begründung, daß der dringende Verdacht bestehe, Jasmina N***** (und den ebenso in Verfolgung gezogenen Gerhard Le*****, Peter L***** und Edita B*****) liege gewerbsmäßige Begehung des Menschenhandels zur Last. Den in der Hauptverhandlung am 28. Mai 1998 von Jasmina N***** gestellten Enthaftungsantrag wies der Einzelrichter in der Verhandlung ab und ordnete die Fortsetzung der Untersuchungshaft aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 3 lit b StPO an, wobei er die Dauer der Untersuchungshaft bis längstens 28. Juli 1998 für wirksam erklärte (ON 98). Nach der mit Ablauf des 2. Juni 1998 eingetretenen Rechtskraft des Unzuständigkeitsurteils - die Angeklagten hatten in der Hauptverhandlung keine Rechtsmittelerklärung abgegeben, die dreitägige Anmeldungsfrist war durch die Pfingstfeiertage verlängert - wurde der Akt am 10. Juni 1998 der Staatsanwaltschaft zur Antragstellung gemäß § 261 Abs 2 StPO übermittelt; letztere brachte am 25. Juni 1998 die mit 19. Juni 1998 datierte und am 1. Juli 1998 den Angeklagten zugestellte Anklageschrift (ua) gegen Jasmina N***** wegen des Verbrechens des Menschenhandels nach § 217 Abs 1 zweiter Fall StGB ein (ON 109), wobei ihr - ansonsten die Anschuldigungen des Strafantrages ON 59 unverändert heranziehend - nunmehr gewerbsmäßiges Vorgehen zur Last gelegt wird.

Mit Beschluß vom 19. Juni 1998 gab das Oberlandesgericht Wien der Beschwerde der Jasmina N***** gegen die am 28. Mai 1998 vom Einzelrichter des Landesgerichtes für Strafsachen Wien beschlossene Fortsetzung der Untersuchungshaft nicht Folge und setzte diese aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr gemäß § 180 Abs 2 Z 3 lit b StPO fort.

In der gegen die erwähnte Entscheidung des Gerichtshofes zweiter Instanz rechtzeitig erhobenen Grundrechtsbeschwerde erblickt die Angeklagte - die Beurteilung des Tatverdachtes, der Tatbegehungsgefahr und der Verhältnismäßigkeit durch das Oberlandesgericht nur pauschal als "unrichtig beurteilt" bezeichnend - nach dem näher substantiierten Inhalt ihrer Ausführungen eine Verletzung des Grundrechts auf persönliche Freiheit darin, daß die Staatsanwaltschaft die Frist des § 261 StPO zur Erhebung der Anklage nicht eingehalten habe und zum Zeitpunkt der Entscheidung durch das Oberlandesgericht am 19. Juni 1998 zwar ein rechtskräftiges Unzuständigkeitsurteil, jedoch noch nicht eine fristgerechte Anklage vorgelegen sei.

Rechtliche Beurteilung

Soweit sich die Beschwerde in der nicht näher dargestellten Behauptung der unrichtigen Beurteilung des Vorliegens des Tatverdachtes im Sinn des § 217 StGB und des Haftgrundes erschöpft, ist sie nicht gesetzgemäß ausgeführt (vgl § 10 GRBG iVm § 281 Abs 1 Z 5 und Z 5 a StPO; Hager/Holzweber GRBG § 3 E 2 und 6; 13 Os 69/98).

In diesem Zusammenhang sei jedoch bemerkt, daß - ausgehend von der nunmehrigen Judikatur des Obersten Gerichtshofes zum Begriff des Zuführens zum § 217 StGB (vgl 11 Os 109/96 = EvBl 44/98) - bei der Beurteilung der unter Punkt I der von der Anklage zur Last gelegten Tathandlungen besonderes Augenmerk darauf zu richten sein wird, inwieweit Jasmina N***** (gemeinsam mit Gerhard Le*****) Yalcin T***** und Yazici N***** dazu bestimmte, Prostituierte für den Betrieb ihres Lokals "E*****" aus dem Ausland nach Österreich über die von den beiden geschilderte Anwerbungskette zu bringen, um sie dann - als Teilakt des Zuführens - von ihnen abzukaufen. Im übrigen würde nach der im genannten Erkenntnis vertretenen Rechtsansicht das schlichte Einführen von Prostituierten in den Geschäftsbetrieb der Bar bzw die Unterweisung in die Ausübung der dort erforderlichen Tätigkeit - falls sich dies nicht als letzte Stufe eines (vom Gesamtvorsatz getragenen) Anwerbens oder Zuführens wie unter Punkt I und II der Anklage geschildert darstellt - einen Tatverdacht nach der genannten Gesetzesstelle nicht, jedoch fallbezogen nach der Verfahrenslage den Tatverdacht in Richtung des Vergehens der Zuhälterei nach § 216 Abs 1 oder Abs 2 StGB herzustellen vermögen. Inwieweit die vorliegenden und im Verlauf des weiteren Verfahrens allenfalls noch gesammelten Verfahrensergebnisse ausreichen werden, die Beschwerdeführerin als Täterin oder Mittäterin in die eine oder andere Richtung zu überführen, kann im Grundrechtsbeschwerdeverfahren nicht geprüft werden; diese Frage bleibt allein der Würdigung durch das Schöffengericht vorbehalten.

Soferne eine Grundrechtsverletzung in der durch die Staatsanwaltschaft gelegenen Verfahrensverzögerung durch Nichterhebung der Anklage innerhalb der Frist des § 261 Abs 2 StPO und damit Unverhältnismäßigkeit der Haft erblickt wird, übersieht die Beschwerde, daß vom Schutzzweck des Grundrechtsbeschwerdegesetztes lediglich solche richterliche Akte umfaßt sind, die sich funktionell mit Eingriffen in das Grundrecht auf die persönliche Freiheit einer Person, also mit Haftfragen befassen (Mayrhofer/E. Steininger GRBG § 1 Rz 25; Hager/Holzweber aao § 1 E 2; 12 Os 14/98; 15 Os 92/98 uva). Selbst richterliche Verfahrensverzögerungen wären nur dann mit Grundrechtsbeschwerde aufgreifbar, wenn eine funktionell grundrechtsrelevante Erledigung bekämpft und darauf der Einwand der Unverhältnismäßigkeit der Haft gestützt wird (Mayrhofer/E. Steininger aaO § 2 Rz 25 und die dort zitierte Judikatur, wiederum 15 Os 92/98). Abgesehen davon wurde die Anklage ohnedies - vom Tag des Einlangens des Aktes bei der Staatanwaltschaft berechnet - fristgerecht verfaßt; letztlich genügt dazu der Hinweis, daß es sich bei der im § 261 Abs 2 StPO genannten Frist um eine Mahnfrist handelt (Mayerhofer StPO4 § 112 E 3), deren Überschreiten lediglich zu einer Mitteilung an die vorgesetzte Behörde gemäß § 27 Abs 2 StPO führen könnte.

Den weiteren, unter diesem Gesichtspunkt erhobenen Einwänden, "die Voraussetzungen für den Entfall der Haftfrist nach § 180 Abs 3 StPO liegen nicht vor", die Verfahrensverzögerung werde darin erblickt, daß "zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Strafantrag schon feststand, daß zu Unrecht der Einzelrichter anstatt des Schöffengerichtes angerufen worden war, woraus die Unverhältnismäßigkeit der Haft abzuleiten sei," ist zu entgegnen, daß ein Unzuständigkeitsurteil die bis dahin bestehende Verdachtsgrundlage unberührt läßt (ja sogar verstärkt), weil nach tatrichterlicher Überzeugung konkret in Betracht kommt, daß die Anklagetat als Delikt zu beurteilen ist, dessen Aburteilung einem Gericht höherer Ordnung zukommt. Fallbezogen perpetuiert somit das (sachliche die Verdachtslage regelmäßig qualifizierende) Unzuständigkeitsurteil (hier: des Einzelrichters) den Wegfall der Wirksamkeit der Befristung des zuletzt ergangenen Beschlusses auf Verhängung oder Fortsetzung der Untersuchungshaft ab Beginn der Hauptverhandlung (12 Os 156/97).

Abgesehen davon kann bei dem im Fall verdachtskonformer Verurteilung zur Anwendung gelangenden Strafrahmen des § 217 Abs 1 zweiter Fall StGB von einem bis zu 10 Jahren Freiheitsstrafe von der Unverhältnismäßigkeit der (im Zeitpunkt des angefochtenen Beschlusses) rund 3 Monate dauernden Haft keine Rede sein.

Die Beschwerde war sohin ohne Kostenzuspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.

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