OGH 3Ob25/97s

OGH3Ob25/97s15.7.1998

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Hofmann als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Pimmer, Dr.Zechner und Dr.Sailer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr.Carlo F*****, vertreten durch Dr.Erwin Köll, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei Gunnar I*****, vertreten durch Dr.Ewald Jennewein und Dr.Gerhard Zimmermann, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen Räumung, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 4.Dezember 1996, GZ 4 R 513/96e-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 28.Juni 1996, GZ 17 C 601/95-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 4.871,04 (darin enthalten S 811,84 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 27.5.1986 schloß der Kläger als damaliger Alleineigentümer der Liegenschaft ***** I*****, C*****straße 11, mit dem Beklagten einen auf ein Jahr befristeten Mietvertrag über die im ersten Stock gelegene Wohnung. Das Haus wurde vor 1953 errichtet und umfaßt mehr als zwei Wohneinheiten. Die vom Beklagten gemietete Wohnung ist 108 m**2 groß; sie besteht aus Vorraum, Bad, WC, Küche, zwei Zimmern, Kabinett, Glasbalkon, Wirtschaftsbalkon und Kellerabteil. Der Beklagte mietete diese Wohnung, weil er in Innsbruck ein Studium aufnahm. Entsprechend den Bestimmungen des schriftlichen Mietvertrags begann das Mietverhältnisse am 1.Juli 1986 und wurde der Mietvertrag für die Dauer eines Jahres abgeschlossen. Den Streitteilen war bekannt, daß aufgrund der damaligen Bestimmungen des MRG für dieses Mietobjekt nur eine Befristung von einem Jahr möglich war. Da die Streitteile aber eine längere Vertragsdauer wollten, wählten sie die Variante der Verlängerung des Vertragsverhältnisses in Form eines Räumungsvergleichs. Am 30.9.1986 schlossen sie vor dem Bezirksgericht Innsbruck einen Räumungsvergleich bis 30.6.1992.

Da die Streitteile im Jahr 1992 wiederum eine Verlängerung des Bestandverhältnisses durchführen wollten, dem Kläger aber auch bekannt war, daß eine rechtsgültige Befristung nach den Bestimmungen des MRG nicht mehr möglich sei, verfaßte er nach Beratung beim Hausbesitzerverband folgendes Schreiben:

"Herrn Dr.Carlo F***** I*****, C*****straße 11

Sehr geehrter Herr F*****!

Vereinbarungsgemäß kündige ich den Mietvertrag vom 27.5.1986, den beim Bezirksgericht Innsbruck am 30.9.1986 abgeschlossenen Vergleich und die Zusatzvereinbarung vom 1.7.1992 auf den 30.Juni 1995 auf.

Ich verpflichte mich, zu diesem Termin die gegenständliche Wohnung Ihnen, als Eigentümer, geräumt zu übergeben.

Diese Zusage gilt auch für einen allfälligen Rechtsnachfolger".

Dieses Schreiben wurde vom Kläger am 7.8.1992 verfaßt und dem Beklagten zur Unterfertigung übergeben; beide unterfertigten dieses Schreiben.

Der Kläger begehrt vom Beklagten die Räumung der Wohnung; der Beklagte weigere sich trotz dieser einvernehmlichen Auflösung des Bestandverhältnisses, die Wohnung geräumt zu übergeben; er benütze sie daher seit 30.6.1995 titellos.

Der Beklagte wendete ein, er habe sich aufgrund der Wohnungsnot in seiner Situation als Student mit Freundin und Baby in einer Zwangslage und genötigt gefühlt, die Kündigung zu unterfertigen, die der Kläger gegengezeichnet habe. Diese Kündigung habe nur der Umgehung der mietrechtlichen Befristungsbestimmungen gedient und sei nicht rechtlich wirksam. Es handle sich weiters nicht um eine einvernehmliche Auflösung des Mietverhältnisses, weil ausdrücklich das Wort "kündigen" im Text zu finden sei; dies gehe zu Lasten des Klägers, der den Vertrag errichtet habe. Zum Zeitpunkt der Unterfertigung, am 7.8.1992, habe eine Befristung von drei Jahren, unter Anrechnung der schon abgelaufenen sechs Jahre, somit neun Jahren, nicht den damals geltenden zwingenden Befristungsvorschriften des MRG entsprochen.

Das Erstgericht wies die Räumungsklage ab; es stellte den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt fest und führte weiters aus, es könne nicht festgestellt werden, daß der Beklagte während der Fertigung des Kündigungsschreibens vom Kläger ausdrücklich unter Druck gesetzt wurde, insbesondere daß ihm die Durchsetzung des Räumungsvergleichs angedroht wurde. Das Erstgericht konnte auch nicht feststellen, daß dem Beklagten im Zuge von Gesprächen vor dieser einvernehmlichen Auflösung die Räumung im Hinblick auf den abgeschlossenen Räumungsvergleich angedroht wurde. Hingegen stellte das Erstgericht fest, daß die Streitteile bei Verfassung des Kündigungsschreibens davon ausgingen, daß der Beklagte sein Studium am 30.6.1995 beendet haben werde. Tatsächlich hat der Beklagte sein Studium bisher nicht beendet. Sowohl der Beklagte als auch der Kläger wollten mit der einvernehmlichen Aufkündigung vom 7.8.1992 eine Verlängerung der Befristung bis 30.6.1995 erreichen.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, da die Wohnung voll unter die Bestimmungen des MRG bei Abschluß des Vertrages gefallen sei, sei damals nur eine Befristung für ein Jahr möglich gewesen. Daran würde auch eine nachträgliche Begründung von Wohnungseigentum nichts ändern. Die Vorgangsweise der Streitteile, im Jahr 1986 eine längere Befristung mit Räumungsvergleich und sodann bis 30.6.1995 mit einer außergerichtlichen Aufkündigung durch den Mieter vorzunehmen, sei dahingehend auszulegen, daß zwingende Bestimmungen des MRG in Bezug auf § 29 MRG umgangen werden sollten. Die "einvernehmliche Auflösung" vom 7.8.1992 stelle eine unzulässige Befristung eines Bestandverhältnisses dar, sodaß sie nach § 29 Abs 3 MRG für den Vermieter nicht durchsetzbar sei.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und ließ die ordentliche Revision nicht zu, weil es sich bei der zur Lösung anstehenden Rechtsfrage an eine - soweit überblickbar - einheitliche Judikatur des Obersten Gerichtshofes habe halten können und der Entscheidung über den Einzelfall hinaus keine Bedeutung zukomme. In rechtlicher Hinsicht führte das Berufungsgericht aus, die für Mietverhältnisse geltenden gesetzlichen Kündigungsbeschränkungen könnten nicht durch eine vor oder gleichzeitig mit dem Abschluß des Mietvertrages getroffene Räumungsverpflichtung umgangen werden. Eine derartige Auflösungsvereinbarung sei ungültig, weil der Mieter unter solchen Umständen in der Regel unter Druck stehe, sodaß seine Vertragsfreiheit insoweit nicht gegeben sei. Sobald aber ein in allen Teilen perfekter, insgesamt wirksamer Mietvertrag vorliege und der Mieter das Bestandobjekt übernommen habe, bestehe im allgemeinen kein Bedürfnis mehr, den Mieter vor einer einvernehmlichen Auflösung des Mietverhältnisses zu schützen und die Vertragsfreiheit weiter einzuengen. Eine einvernehmliche Auflösung auch nicht durchsetzbar befristeter Mietverhältnisse sei insoweit zulässig. In einem solchen Fall werde eine Umgehung der Kündigungsschutzbestimmungen des MRG nur dann angenommen, wenn der Mieter bei dieser einvernehmlichen Auflösung unter Druck gestanden ist und seine Privatautonomie daher entscheidend eingeschränkt war. Zugleich müsse aber davon ausgegangen werden, daß die Vereinbarung einer einvernehmlichen, in der Zukunft liegenden Auflösung des gleichzeitig (oder gar nach dieser Auflösungsvereinbarung) einvernehmlich verlängerten, bislang wirksam befristeten Mietvertrags den Mieter in die gleiche Zwangslage versetze wie beim ursprünglichen Abschluß des Mietvertrages. Der Mieter stehe in einem solchen Fall unter Druck, eine den Schutzbestimmungen widerstreitende Vereinbarung treffen zu müssen. Eine einvernehmliche Auflösung eines Bestandvertrages zu einem in der Zukunft liegenden Zeitpunkt könne vom Mieter dann als unwirksam angefochten werden, wenn er sich zum Zeitpunkt der einvernehmlichen Auflösung in einer Zwangslage befunden habe. Dem Mieter stehe wegen der für ihn in solchen Fällen im allgemeinen bestehenden Zwangslage das Recht zu, sich auf den Umgehungscharakter der strittigen Vereinbarung zu berufen, selbst dann, wenn er das Wesen und die Folgen des Umgehungsgeschäftes erkannt haben sollte.

Hier sei das Mietverhältnis zwischen den Streitteilen mit Räumungsvergleich vom 30.9.1986 (im Berufungsurteil unrichtig 1996) mit dem 30.6.1992 befristet gewesen, wobei die Vollstreckbarkeit dieses Räumungsvergleichs dahingestellt bleiben könne. Der Räumungsvergleich sei zum Zeitpunkt der einvernehmlichen Vertragsauflösung durch den Beklagten am 7.8.1992 grundsätzlich noch vollstreckbar gewesen, weshalb ungeachtet der vom Erstgericht getroffenen Negativfeststellung, wonach nicht festgestellt werden könne, ob der Kläger den Beklagten ausdrücklich unter Druck gesetzt habe, von einer für den Beklagten bestehenden Zwangslage auszugehen sei. Stehe nämlich ein Mieter bei der Unterfertigung einer Auflösungsvereinbarung in der irrigen Annahme, das Mietverhältnis vertraglich verlängern zu müssen, obwohl er bereits Kündigungsschutz genieße, unter Druck, so sei diese Vereinbarung unwirksam. Daraus folge, daß die Vereinbarung vom 7.8.1992, mit der versucht wurde, die gesetzlichen Befristungsmöglichkeiten für Bestandverhältnisse zu umgehen, unwirksam sei; der Kläger könne sich daher zur Begründung seines Räumungsbegehrens nicht auf diese Vereinbarung stützen.

Die außerordentliche Revision des Klägers ist zulässig, jedoch nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision macht als Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung geltend, daß das Berufungsgericht ohne Beweiswiederholung von den erstgerichtlichen Feststellungen abgewichen sei. Dies stellt einen erheblichen Verfahrensmangel des Berufungsverfahrens (§ 503 Abs 1 Z 2 ZPO) dar, der mit Revision geltend gemacht werden kann. Erhebliche Bedeutung kommt nämlich einer Entscheidung jedenfalls dann zu, wenn tragende Grundsätze des Verfahrensrechts auf dem Spiel stehen. Zu den tragenden Grundsätzen des Verfahrensrechts gehört (im Rahmen der gesetzlichen Einschränkungen) der Unmittelbarkeitsgrundsatz. Das Berufungsgericht hat seiner Entscheidung die im Urteil der ersten Instanz festgestellten Ergebnisse der Verhandlung und Beweisführung zugrunde zu legen, soweit diese nicht durch die Berufungsverhandlung selbst eine Berichtigung erfahren haben (§ 498 Abs 1 ZPO). Eine Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes liegt ua dann vor, wenn das Berufungsgericht seine rechtliche Beurteilung unter Abweichung von den Tatsachenfeststellungen des Erstgerichtes ohne Durchführung einer Beweiswiederholung trifft (SZ 57/142).

Das Erstgericht konnte nicht feststellen, daß der Beklagte bei Unterfertigung des Kündigungsschreibens vom Kläger ausdrücklich unter Druck gesetzt wurde, insbesondere daß ihm die Durchsetzung des Räumungsvergleichs angedroht wurde. Das Berufungsgericht weicht ohne Durchführung einer Beweiswiederholung von diesen Feststellungen ab, wenn es davon ausgeht, daß der beklagte Mieter bei der Unterfertigung der Auflösungsvereinbarung unter Druck gestanden sei, weil er der irrigen Annahme gewesen sei, das Mietverhältnis verlängern zu müssen, obwohl er bereits Kündigungsschutz genossen habe.

Für die Annahme einer derartigen Zwangslage bieten die erstinstanzlichen Feststellungen, wie die Revision an sich zutreffend aufzeigt, keinen Raum.

Damit ist für den Kläger jedoch nichts gewonnen, weil seiner Klage auch unter Zugrundelegung der erstgerichtlichen Feststellungen kein Erfolg beschieden sein kann.

Das Mietverhältnis der Streitteile unterliegt dem MRG.

Hier lag vorerst ein gültig befristetes einjähriges Mietverhältnis vom 1.7.1986 bis 30.6.1987 vor, das sodann mit Abschluß des Räumungsvergleichs vom 30.9.1986 bis 30.6.1992 befristet wurde.

Für Hauptmieten über Wohnungen, die weder unter lit a noch unter lit b des § 29 Abs 1 Z 3 MRG fallen, ließ das MRG in der Urfassung, also ab 1.1.1982, eine einjährige Befristung zu (§ 29 Abs 1 Z 3 lit c MRG). Die von den Vertragsparteien vorgenommene Verlängerung auf eine Vertragsdauer von insgesamt sechs Jahren war somit im MRG nicht vorgesehen. Der Abschluß sogenannter Kettenmietverträge, also die ausdrückliche Verlängerung eines befristeten Vertrages durch einen weiteren, ist zwar nicht unzulässig; jedoch sind die Zeiten der Befristungen als Einheit zu betrachten und zusammenzurechnen, was bei Überschreitung von Höchstfristen die Folgen hat, daß sich der Vermieter nicht auf den Ablauf der Zeit berufen kann (Würth in Würth/Zingher, Miet- und Wohnrecht20, Rz 9 zu § 29 MRG mwN). Ein nicht durchsetzbarer Endtermin kann auch durch Abschluß eines Räumungsvergleichs nicht bestärkt werden (immolex 1998/5 [Pfiel] = WoBl 1998, 113 [Vonklich]; Würth aaO Rz 11 zu § 29 MRG). Ebenso ist die Verlängerung eines befristeten Vertrages mittels Räumungsvergleichs über die jeweilige Höchstdauer hinaus als Umgehung zu beurteilen, die zur Unwirksamkeit des Räumungsvergleichs führt (immolex 1998/5 [Pfiel] = WoBl 1998, 113 [Vonklich]).

Die Vereinbarung vom 7.8.1992, wonach der beklagte Mieter das Mietverhältnis auf den 30.6.1995 aufkündigt, stellt somit nicht bloß eine einverständliche Auflösung des Mietverhältnisses dar, die während des Bestandverhältnisses bzw nach Übergabe der Sache an den Mieter in der Regel wirksam ist (MietSlg 34.508, 30.166, 23.477), auch wenn sie erst zu einem späteren Zeitpunkt wirksam werden soll (immolex 1997, 265 [Pfiel]; MietSlg 30.166).

Vielmehr ist hier bereits vorher durch den Abschluß von Kettenmietverträgen die nach dem MRG zulässige Höchstfrist überschritten worden, sodaß eine nach dem MRG unzulässige Befristung vorlag. Eine Bekräftigung einer solchen Befristung nützt selbst dann nicht (im Gegensatz zur einverständlichen Auflösung eines unbefristeten Mietverhältnisses), wenn der Mieter nicht mehr unter Druck stand (MietSlg 40.098; Würth aaO Rz 11 zu § 29 MRG). Dem beklagten Mieter steht dann das Recht zu, sich auf den Umgehungscharakter des strittigen Mietverhältnisses zu berufen, selbst wenn er das Wesen und die Folgen des Umgehungsgeschäftes erkannt haben sollte (WoBl 1994/21 [Würth]).

Aus diesen Gründen mußte die Räumungsklage erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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