OGH 2Ob162/98g

OGH2Ob162/98g25.6.1998

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Angst als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.) Dr.Herwig A*****, und 2.) B***** Versicherungs-AG, ***** beide vertreten durch Dr.Farhad Paya, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wider die beklagten Parteien 1.) Karin K*****, 2.) ***** Versicherungs-AG, ***** beide vertreten durch Dr.Gerhard Kochwalter, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen S 100.273,33 sA und S 33.333,32 sA, infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom 9.März 1998, GZ 5 R 21/98t-18, womit das Teil- und Zwischenurteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 18.November 1997, GZ 26 Cg 278/96w-14, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, dem Erstkläger S 6.996,60 und der zweitklagenden Partei S 2.332,20, zusammen den klagenden Parteien daher die mit S 9.328,80 (darin enthalten S 1.554,80 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Am 18.Oktober 1995 ereignete sich im Ortsgebiet von Klagenfurt ein Verkehrsunfall, bei dem die Erstbeklagte als Lenkerin ihres Pkws und ein von Wolfgang T***** gelenkter Pkw beteiligt waren. Sie ist aus ihrem Alleinverschulden auf dieses Fahrzeug, das vor einem Schutzweg angehalten worden war, aufgefahren.

Mit Urteil des Bezirksgerichtes Klagenfurt wurde die Erstbeklagte schuldig erkannt, als Lenkerin eines Pkws durch Außerachtlassen der im Straßenverkehr gebotenen Sorgfalt und Aufmerksamkeit, insbesondere dadurch, daß sie auf den Pkw des Wolfgang T***** auffuhr, wodurch dieser gegen den nunmehrigen Kläger gestoßen wurde, Wolfgang T***** (Prellungen im Bereich der linken Hand) und dem Kläger (Bruch des Endgliedes des linken Mittelfingers) fahrlässig am Körper verletzt und dadurch das Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung begangen zu haben. Dem privatbeteiligten Kläger wurde ein Teilschmerzengeld von S 500,- zuerkannt.

Der Erstkläger begehrt nunmehr von der Erstbeklagten als Lenkerin und der zweitbeklagten Partei als Haftpflichtversicherer des von ihr gelenkten Fahrzeuges Schmerzengeld von S 9.500,- sowie S 90.773,33 an Verdienstentgang, der ihr unter Berücksichtigung der von der zweitklagenden Partei als Betriebsausfallversicherer erbrachten Leistungen entstanden sei.

Die zweitklagende Partei begehrt im Regreßweg von den Beklagten zur ungeteilten Hand den Ersatz des von ihr gezahlten Betrages von S 33.333,32.

Der Erstkläger habe durch den Unfall Prellungen im Bereich des Unterschenkels sowie einen Bruch des linken Mittelfingers erlitten, weil ein von ihm an der Leine geführter Hund infolge des Unfalls ruckartig an der Leine gezogen habe, worauf mit dem Finger in der Hundeleine hängen geblieben sei.

Die beklagten Parteien stellten den Gesamtschmerzengeldbetrag unter Berücksichtigung des Teilzuspruches im Strafverfahren mit S 9.500,-

außer Streit und bestritten im übrigen das Klagebegehren dem Grunde und hinsichtlich des geltend gemachten Verdienstentganges auch der Höhe nach. Es fehle an der adäquaten Verursachung des Bruches des Endgliedes des linken Mittelfingers des Erstklägers durch den von der Erstbeklagten verschuldeten Auffahrunfall. Der vom Erstkläger an der Leine geführte Hund habe sich auf Grund des kollisionsbedingten Geräusches offensichtlich dermaßen erschreckt, daß er nach vorwärts gesprungen sei, was die im Strafverfahren festgestellte Verletzung zur Folge gehabt habe. Dabei handle es sich um eine atypische Folge des Auffahrunfalles, für den sie nicht zu haften hätten. Sie wendeten für den Fall der Bejahung der Kausalität ein Mitverschulden des Erstklägers von 75 % am Verletzungseintritt ein, weil er die Leine "vermutlich grob fahrlässig um den Mittelfinger gewickelt gehalten habe", weshalb es durch den plötzlich entstandenen Zug zum Bruch des Endgliedes gekommen sei. Jeder Hundeführer müsse damit rechnen, daß sein Hund ruckartig an der Leine ziehe.

Das Erstgericht hat mit dem - über Anregung des Beklagtenvertreters (AS 67) - erlassenen Teil- und Zwischenurteil die beklagten Parteien zur ungeteilten Hand schuldig erkannt, dem Erstkläger Schmerzengeld von S 9.500,- samt Anhang zu bezahlen und ausgesprochen, daß der Anspruch der klagenden Parteien auf Ersatz des aus dem Unfall resultierenden Verdienstentganges des Erstklägers durch die beklagten Parteien zu Recht bestehe.

Es legte seiner Entscheidung nachstehende weitere Feststellungen zugrunde.

Die von Wolfgang T***** und der Erstbeklagten benützte Straße verläuft in Ost-West-Richtung; beide Richtungsfahrbahnen sind durch einen Grünstreifen getrennt. Der Erstkläger beabsichtigte, diese Straße auf einem Fußgängerübergang, der durch einen Zebrastreifen kennzeichnet ist, in Richtung Süden zu überqueren. Er führte seinen Berner Sennenhund links von sich an der kurzen Leine, wobei er den Rest der Leine in der rechten Hand hatte. Es handelte sich um eine geflochtene Leine, die durch Ringe und Haken zu verlängern ist. Er hatte die Hundeleine nicht um seinen linken Mittelfinger gewickelt und stand bereits auf dem befestigten Teil des Grünstreifens, der die beiden Richtungsfahrbahnen in der Mitte trennte.

Wolfgang T***** hielt sein Fahrzeug nach einer normalen Betriebsbremsung etwa 1 bis 1,5 m westlich des Zebrastreifens an, um dem Erstkläger das Überqueren der nach Osten führenden Richtungsfahrbahn zu ermöglichen. Als sich der Erstkläger bereits auf Höhe der rechten Fahrzeugecke befand, fuhr die Erstbeklagte mit ihrem Fahrzeug auf dem vor ihr stehenden Pkw auf; zu diesem Zeitpunkt war weder die Bremse betätigt, noch war ein Gang eingelegt worden. Die Auffahrgeschwindigkeit betrug etwa 25 bis 30 km/h. Beim Anprall entstand ein lautes dumpfes Geräusch; durch die Kollision wurde das Fahrzeug des Wolfgang T***** nach vorne gestoßen und kam erst nach etwa 9 m zum Stillstand. Sowohl der Erstkläger als auch sein Hund erschraken durch das Qietschen der Reifen und das nachfolgende Kollisionsgeräusch, weshalb beide nach links vorne sprangen; dabei zog der Hund, der etwa 50 kg wog, auch an der Leine. Der Erstkläger wurde noch vom rechten vorderen Stoßstangeneck des nach vorne gestoßenen Pkws am linken Unterschenkel gestreift, kam aber nicht zu Sturz. Unmittelbar nach dem Unfall verspürte er zwar Schmerzen im linken Mittelfinger, maß diesen aber zunächst keine Bedeutung bei. Er begab sich aber kurz darauf in das Krankenhaus Klagenfurt, wo ein Bruch des Endgliedes des linken Mittelfingers festgestellt wurde. Der Finger wurde geschient. Dadurch erlitt der Erstkläger (ein Zahnarzt) einen Verdienstentgang.

Das Erstgericht ging in seiner rechtlichen Beurteilung von einer Bindungswirkung des gegen die Erstbeklagte ergangenen Strafurteiles aus. Sie könne daher nicht rechtserheblich vorbringen, ihr Verhalten sei nicht kausal für den Verletzungserfolg gewesen. Die Verletzung des linken Mittelfingers des Erstklägers, hervorgerufen durch das Ziehen des Hundes an der Leine, das wiederum auf den infolge des Unfallsgeräusches schreckhaften Sprung des Hundes nach vorne zurückzuführen sei, sei nicht als atypische Folge des von ihr verschuldeten Auffahrunfalles anzusehen und daher adäquat. Ein Mitverschulden des Erstklägers sei nicht anzunehmen, weil es den beklagten Parteien nicht gelungen sei zu beweisen, daß er die Leine unsachgemäß gehalten habe.

Das Berufungsgericht gab der von den beklagten Parteien gegen dieses Teil- und Zwischenurteil erhobenen Berufung nicht Folge. Es verneinte sowohl das Vorliegen von Nichtigkeitsgründen als auch der geltend gemachten Mangelhaftigkeit des Verfahrens erster Instanz und billigte ausdrücklich die Rechtsansicht des Erstgerichtes zur Adäquanz des eingetretenen Schadens. Dazu führte es aus, daß "Kernfrage" im vorliegenden Fall bleibe, ob die beim Erstkläger eingetretene Verletzung, die nicht unmittelbar durch Berührung mit dem durch das Beklagtenfahrzeug vorgeschobenen Fahrzeug, sondern durch das Ziehen des durch das Auffahrgeräusch geschreckten Hundes hervorgerufen wurde, im Sinne der im Zivilrecht herrschenden Adäquanztheorie als typischer oder atypischer Erfolg zu qualifizieren sei. Nach der Adäquanztheorie trete die Haftung für alle Folgen eines schuldhaften Verhaltens ein, wenn es sich nicht um solche handle, deren Eintritt nach der Erfahrung des täglichen Lebens ganz unwahrscheinlich ist (atypischer Erfolg). Die hier von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze habe das Erstgericht richtig dargestellt, weshalb diesbezüglich auf die zutreffenden jeweils durch Entscheidungen belegte Rechtsansicht des Erstgerichtes verwiesen werden könne (§ 500a ZPO). Das Erstgericht habe diese Grundsätze auch auf den vorliegenden Fall richtig angewandt und wegen der zeitlichen und örtlichen Nähe des Unfallsgeschehens (gemeint: des Auffahrunfalls) den Fingerbruch des Klägers zutreffend nicht als atypische Folge im Sinne der Adäquanztheorie angesehen. Der Schutzzweck des § 18 StVO erstrecke sich nicht nur auf das unmittelbare Vorderfahrzeug, sondern auch auf Gegenstände und Personen davor. Das Mitverschulden des Erstklägers sei zutreffend verneint worden, weil der von den beklagten Parteien erhobene Schuldvorwurf, der Erstkläger hätte die Hundeleine um einen seiner Finger gewickelt gehabt, nicht bewiesen worden sei.

Das Berufungsgericht sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei, weil in der hier streitentscheidenden Frage der Adäquanz eine Frage gesehen werde, der über den hier vorliegenden Fall hinaus Bedeutung beizumessen sei.

Die von den beklagten Parteien aus den Gründen der Mangelhaftigkeit des Berufsverfahrens sowie der unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache erhobene Revision ist entgegen dem - gemäß § 508a Abs 1 ZPO auch bezüglich des Erstklägers nicht bindenden - Ausspruch des Berufungsgerichtes nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Da der von der zweitklagenden Partei erhobene Anspruch S 52.000,-

nicht übersteigt und die Ansprüche der klagenden Parteien nicht im Sinn des § 55 JN zusammenzurechnen sind (RIS Justiz RS0035615; insb SZ 42/47; ZVR 1985/170), ist die Revision gemäß § 502 Abs 2 ZPO jedenfalls unzulässig, soweit sie sich gegen die zweitklagende Partei richtet. Für die die Ansprüche des Erstklägers betreffende Revision gilt folgendes:

Die geltend gemachte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens vermag die Zulässigkeit der Revision nicht zu begründen, weil sie einen - vom Berufungsgericht verneinten - Mangel des Verfahrens erster Instanz betrifft, was die Geltendmachung in der Revision ausschließt (s die Nachweise bei Kodek in Rechberger, ZPO § 503 Rz 3), und weil überdies der Auslegung von Parteienerklärungen keine erhebliche Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zukommt (RZ 1994/45 mwN).

Die Theorie des adäquaten Kausalzusammenhanges ist in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes seit langem allgemein anerkannt. Danach besteht eine Haftung für alle Folgen eines schuldhaften und schädigenden Verhaltens, mit denen abstrakt nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge gerechnet werden muß, nicht aber für einen atypischen Erfolg. Die Adäquität fehlt, wenn das schädigende Ereignis für den eingetretenen Schaden nach allgemeiner Lebenserfahrung gleichgültig ist und nur durch eine außergewöhnliche Verkettung von Umständen Bedingung für den Schaden war (SZ 54/108; JBl 1986, 98 f; 1986, 103, 105; ZVR 1980/112; ZVR 1982/95; 2 Ob 2244/96f uva).

Ob im Einzelfall ein Schaden noch als adäquate Folge eines schädigenden Ereignisses anzusehen ist, betrifft im allgemeinen keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO, weil dabei die Umstände des Einzelfalles maßgebend sind und der Lösung dieser Frage keine über den Anlaßfall hinausgehende und daher keine erhebliche Bedeutung im Sinn der angeführten Gesetzesstelle zukommt. Anzumerken ist, daß es nicht jedenfalls völlig außerhalb des menschlichen Erfahrungsschatzes liegt, daß sich ein durch ein Unfallgeräusch erschreckter Hund losreißt und dabei den Hundeführer verletzt. Dem Berufungsgericht ist daher auch eine auffallende Fehlbeurteilung, welche die Zulässigkeit der Revision begründen würde (vgl RZ 1994/45 ua), nicht anzulasten.

Zu demselben Ergebnis kommt man, wenn man im Sinn der in jüngerer Zeit ergangenen Entscheidung JBl 1998, 114 die Frage der Haftung der beklagten Parteien nicht auf Grund der adäquaten Kausalität des tatsächlichen Geschehensablaufs, sondern nach der Normadäquanz beurteilt, weil auch dann die Umstände des Einzelfalles im Vordergrund stehen und der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes daher keine über den Anlaßfall hinausgehende Bedeutung zukommt.

Mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage war daher die Revision der beklagten Partei auch zurückzuweisen, soweit sie die vom Erstkläger eingeklagte Forderung betrifft.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die klagenden Parteien haben Anspruch auf Kostenersatz, weil sie auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen haben.

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