OGH 4Ob159/98f

OGH4Ob159/98f16.6.1998

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr.Griß und Dr.Schenk und den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Vogel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei protokollierte Firma H*****, vertreten durch Dr.Arnold, Rechtsanwalts-Kommandit-Partnerschaft in Wien, wider die beklagte Partei H***** S.p.A., *****, vertreten durch Dr.Otto Ortner und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert S 490.000,--). infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der Beklagten gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht vom 23.Jänner 1998, GZ 1 R 278/97b-17, mit dem der Beschluß des Handelsgerichtes Wien vom 18. November 1997, GZ 35 Cg 89/96v-12, teilweise abgeändert und teilweise aufgehoben wurde, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird hinsichtlich des Aufschiebungsantrages als nichtig aufgehoben; im übrigen aber insoweit mit der Maßgabe bestätigt, als dem Erstgericht nur die neuerliche Zustellung des Versäumungsurteiles und der einstweiligen Verfügung aufgetragen wird.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Klägerin begehrt, die Beklagte schuldig zu erkennen, im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken in Österreich es zu unterlassen, die Bezeichnung "H*****" zur Kennzeichnung von Waren und Dienstleistungen, insbesondere für Kaffee und Kaffeeprodukte, zu verwenden. Sie stellt weiters ein Veröffentlichungsbegehren und beantragt zur Sicherung ihres Unterlassungsanspruches eine einstweilige Verfügung.

Das Erstgericht trug der in Italien ansässigen Beklagten auf, binnen vier Wochen einen in Österreich wohnhaften Zustellungsbevollmächtigten namhaft zu machen. Es wies darauf hin, daß nach fruchtlosem Ablauf dieser Frist die Zustellungen durch Hinterlegung beim Erstgericht vorgenommen werden. Diesen Beschluß, die Gleichschrift der Klage und der von der Klägerin vorgelegten Urkunden, die Aufforderung zur Klagebeantwortung und zur Äußerung zum Sicherungsantrag sowie eine Ausfertigung eines zunächst gefaßten Zurückweisungsbeschlusses und der abändernden Rekursentscheidung stellte das Erstgericht der Beklagten mit internationalem Rückschein zu. Den Schriftstücken war keine Übersetzung in die italienische Sprache angeschlossen.

Die Sendung wurde der Beklagten am 27.1.1997 zugestellt. Die Übernahme ist auf dem Rückschein mit einem Schriftzug bestätigt, dessen erstes Wort als "Ornella" entziffert werden kann.

Auf Antrag der Klägerin erließ das Erstgericht am 26.3.1997 ein der Klage stattgebendes Versäumungsurteil. Mit Beschluß vom selben Tag erließ es auch die einstweilige Verfügung. Versäumungsurteil und einstweilige Verfügung wurden der Beklagten durch Hinterlegung beim Erstgericht zugestellt.

Am 8.10.1997 langte beim Erstgericht ein Schriftsatz der Beklagten ein, mit dem sie die Zustellung der Klage und des Sicherungsantrages beantragte, in eventu eine Nichtigkeitsklage erhob, in eventu einen Wiedereinsetzungsantrag stellte, sich gleichzeitig zum Sicherungsantrag äußerte und die Klagebeantwortung erstattete und schließlich die Aufhebung der Vollstreckbarkeit beantragte, in eventu den Aufschub einer allenfalls beantragten Exekution. Ornella D*****, eine Angestellte der Beklagten, habe die Sendung übernommen. Sie habe sie Marco B***** übergeben, der bei der Beklagten mit Verwaltungsarbeiten betraut sei. Keiner der beiden verstehe deutsch; Marco B***** habe angenommen, daß die Schriftstücke die zwischen den Streitteilen anhängige Markenrechtssache beträfen und vom Rechtsvertreter der Beklagten bereits bearbeitet worden seien. Er habe die Schriftstücke im Markenrechtsakt abgelegt. Die Zustellung sei unwirksam, weil die Schriftstücke nicht in die italienische Sprache übersetzt waren. Von ihrem Recht, die Schriftstücke mangels Übersetzung zurückzuweisen, habe die Beklagte keinen Gebrauch machen können, da sie den Inhalt der verschlossenen Postsendung nicht habe feststellen können. Für den Fall, daß ihrem Zustellungsantrag nicht Folge gegeben werde, bekämpfe die Beklagte das Versäumungsurteil mit Klage als nichtig. Der gesetzwidrige Zustellvorgang habe sie der Möglichkeit beraubt, sich am Verfahren zu beteiligen.

Für den Fall, daß die Zustellung wirksam gewesen sein sollte, beantrage die Beklagte, ihr die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Äußerungsfrist und der Frist zur Erstattung der Klagebeantwortung zu bewilligen. Ornella D***** und Marco B***** hätten ihre Aufgaben bisher zur Zufriedenheit der Beklagten erledigt; daß sie die Schriftstücke nicht ordnungsgemäß bearbeitet hätten, sei für die Beklagte ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis. Es handle sich aber jedenfalls um einen minderen Grad des Versehens. Die gesetzwidrig oder irrtümlich erteilte Bestätigung der Vollstreckbarkeit sei aufzuheben; in eventu sei eine beantragte Exekution aufzuschieben.

Das Erstgericht wies die Nichtigkeitsklage zurück; die übrigen Anträge wies es ab. Die Zustellung unmittelbar durch die Post und ohne Übersetzung sei wirksam gewesen. Die italienische Zivilprozeßordnung schreibe nicht vor, daß die Klage zu eigenen Handen zuzustellen sei. Das Fehlen einer Übersetzung in die italienische Sprache mache die Zustellung nicht nichtig; die Beklagte hätte die Übernahme ablehnen können. Daß ihre Angestellten die Schriftstücke einfach ablegten, sei kein Gerichtsfehler. Dieses Verhalten sei auch kein tauglicher Wiedereinsetzungsgrund. Die Angestellten der Beklagten hätten nicht bloß einen minderen Grad des Versehens zu vertreten. Die Vollstreckbarkeitsbestätigung sei weder irrtümlich noch gesetzwidrig erteilt worden. Bisher sei keine Exekution anhängig; eine Aufschiebung der Exekution sei daher nicht möglich.

Das Rekursgericht hob die Vollstreckbarkeit des Versäumungsurteiles auf; im übrigen "behob" es den Beschluß des Erstgerichtes und trug dem Erstgericht auf, die Klage, den Sicherungsantrag, die Aufforderung zur Äußerung und den Auftrag zur Klagebeantwortung der Beklagten neuerlich zuzustellen. Es sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 260.000 übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Ob eine Zustellung wirksam sei, richte sich nach der lex fori. Nach § 106 ZPO hätte die Sendung zu eigenen Handen des Empfängers zugestellt werden müssen; das wäre nach § 13 Abs 3 ZustG ein zur Empfangnahme befugter Vertreter der Beklagten gewesen. Nach der unstrittigen Tatsachengrundlage sei die Sendung von einer Angestellten der Beklagten übernommen worden. Die damit unwirksame Zustellung sei auch nicht nach § 7 ZustG saniert worden. Nach dem bescheinigten Sachverhalt stehe nur fest, daß ein weiterer Angestellter der Beklagten die Schriftstücke abgelegt habe. Die Beklagte sei damit auch nicht wirksam aufgefordert worden, einen inländischen Zustellbevollmächtigten namhaft zu machen. Das mache auch die Zustellung des Versäumungsurteils und der einstweiligen Verfügung gesetzwidrig; auch diese Entscheidungen seien neu zuzustellen.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diese Entscheidung gerichtete außerordentliche Revisionsrekurs der Klägerin ist zulässig, weil Rechtsprechung zu einem gleichartigen Sachverhalt fehlt; der Revisionsrekurs ist auch teilweise berechtigt.

Die Klägerin verweist darauf, daß die Beklagte Tatsachenbehauptungen, die das Rekursgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, nicht bescheinigt hat. Die Beklagte habe die mangelnde Vertretungsbefugnis ihrer Angestellten nur behauptet; die Klägerin habe keine Gelegenheit gehabt, zu den Behauptungen Stellung zu nehmen. Beide Angestellten hätten eine Postvollmacht besessen. Nach dem Vorbringen der Beklagten und nach dem von ihr vorgelegten Fax ihres italienischen Anwalts an die Beklagte stehe fest, daß der Beklagten die Schriftstücke jedenfalls am 24.9.1997 zugekommen seien. Unter dieser Voraussetzung wären die von ihr am 8.10.1997 eingebrachte Äußerung und Klagebeantwortung rechtzeitig; der Auftrag des Rekursgerichtes, der Beklagten die Aufforderungen neuerlich zuzustellen, sei daher nicht berechtigt. Dies gelte umso mehr, wenn schon im Jänner 1997, wie die Klägerin behaupte, wirksam zugestellt wurde. Das Erstgericht habe die Nichtigkeitsklage schon deshalb zu Recht zurückgewiesen, weil eine Klage nicht in eventu erhoben werden könne. Insoweit hätte das Rekursgericht den Beschluß daher nicht aufheben dürfen. Das gleiche gelte für die Zurückweisung des gegen die Versäumung der Äußerungsfrist gerichteten Wiedereinsetzungsantrages. Punkt 5 des erstgerichtlichen Beschlusses sei mangels Bekämpfung rechtskräftig geworden; auch insoweit hätte das Rekursgericht den erstgerichtlichen Beschluß nicht aufheben dürfen.

Den Ausführungen der Klägerin zur unzureichenden Tatsachengrundlage ist zwar zuzustimmen; die Frage, ob Ornella D***** und Marco B***** zur Empfangnahme befugte Vertreter der Beklagten im Sinne des § 13 Abs 3 ZustG sind, ist aber für die Entscheidung unerheblich, weil die Zustellung schon aus einem anderen Grund unwirksam ist:

Die Zustellung von Schriftstücken in Zivil- oder Handelssachen richtet sich im Rechtsverkehr zwischen Österreich und Italien nach dem Übereinkommen vom 1.3.1954, betreffend das Verfahren in bürgerlichen Rechtssachen, BGBl 1957/91 (HPÜ), und nach dem Zusatzabkommen vom 30.6.1975 zwischen der Republik Österreich und der Italienischen Republik zum Haager Übereinkommen vom 1.3.1954, betreffend das Verfahren in bürgerlichen Rechtssachen, BGBl 1977/433 (Zusatzabkommen). Nach Art 2 HPÜ ist die Zustellung durch die zuständige Behörde des ersuchten Staates vorzunehmen; diese kann sich, abgesehen von den im Art 3 erwähnten Fällen, darauf beschränken, die Zustellung durch Übergabe des Schriftstückes an den Empfänger, sofern er zur Annahme bereit ist, zu bewirken. Art 3 Abs 2 HPÜ legt fest, daß das zuzustellende Schriftstück in der Sprache der ersuchten Behörde, in der zwischen den beiden beteiligten Staaten vereinbarten Sprache abgefaßt oder mit einer Übersetzung in eine dieser Sprachen versehen sein kann. Ohne oder gegen den Willen des Empfängers können Schriftstücke nur zugestellt werden, wenn sie mit einer Übersetzung in die Amtssprache des Ortes der Zustellung versehen sind (s Duchek/Schütz/Tarko, Zwischenstaatlicher Rechtsverkehr in Zivilrechtssachen**2, 149f; 833).

Im Rechtsverkehr zwischen Österreich und Italien können Schriftstücke auch unmittelbar durch die Post zugesendet werden (Art 5 Zusatzabkommen iVm Art 6 Z 1 HPÜ). Weder das HPÜ noch das Zusatzabkommen setzen fest, ob auch den unmittelbar mit der Post zuzustellenden Schriftstücken eine Übersetzung anzuschließen ist (Duchek/Schütz/Tarko aaO 833; Schneider/Schwarz, Handbuch für die Praxis des internationalen Rechtshilfeverkehrs in Zivilsachen 17).

Aus den Bestimmungen des HPÜ über die Zustellung durch Behörden läßt sich ableiten, daß der Empfänger eine Zustellung fremdsprachiger Schriftstücke nur dann gegen sich gelten lassen muß, wenn eine Übersetzung beigeschlossen ist und er damit in die Lage versetzt wird, vom Inhalt der zuzustellenden Schriftstücke Kenntnis zu nehmen. Eine analoge Regelung enthält § 12 Abs 2 ZustG. Danach ist die Zustellung eines ausländischen fremdsprachigen Schriftstückes, dem keine, im gerichtlichen Verfahren keine beglaubigte, deutschsprachige Übersetzung angeschlossen ist, nur zulässig, wenn der Empfänger zu dessen Annahme bereit ist; dies ist anzunehmen, wenn er nicht binnen drei Tagen gegenüber der Behörde, die das Schriftstück zugestellt hat, erklärt, daß er zur Annahme nicht bereit ist. Nach österreichischem Zustellrecht hat der Empfänger demnach auch noch nach der faktischen Übernahme die Möglichkeit, die Annahme zu verweigern. Dieses Recht kann er aber nur ausüben, wenn er, wie bei einer Zustellung durch Behörden, entsprechend belehrt wird. Fehlt eine solche Belehrung, weil die Schriftstücke unmittelbar durch die Post zugestellt werden, so widerspricht es rechtsstaatlichen Grundsätzen, die Wirksamkeit der Zustellung damit zu begründen, daß der Empfänger zur Annahme bereit war:

Nach Art 6 EMRK hat jedermann Anspruch darauf, daß seine Sache in billiger Weise ... gehört wird. Der damit normierte Grundsatz eines fairen Verfahrens verlangt (ua), daß der Betroffene seine Rechte effektiv vertreten kann (Mayer, B-VG**2, 548 mwN). Grundvoraussetzung jeder wirksamen Vertretung ist, daß der Betroffene versteht, worum es geht. Daran fehlt es, wenn Schriftstücke zugestellt werden, die nicht in der Amtssprache des Zustellandes abgefaßt und auch nicht übersetzt sind und die der Empfänger in vielen Fällen nicht verstehen wird, jedenfalls aber nicht verstehen muß. Mangels entsprechender Sprachkenntnisse wird er häufig gar nicht erkennen können, um welche Art von Schriftstücken es sich handelt.

Es ist demnach mit einem fair geführten Verfahren unvereinbar, wenn der Empfänger, wie im vorliegenden Fall, verfahrenseinleitende Schriftstücke unmittelbar durch die Post zugestellt erhält, die nicht in seiner Sprache abgefaßt und auch nicht übersetzt sind. Eine solche Zustellung ist unwirksam.

Das Rekursgericht hat die Bestätigung der Vollstreckbarkeit demnach im Ergebnis zu Recht aufgehoben. Da aber bereits ein Versäumungsurteil und eine einstweilige Verfügung erlassen worden sind, sind (derzeit) nicht die verfahrenseinleitenden Schriftstücke erneut zuzustellen, sondern nur das Versäumungsurteil und die einstweilige Verfügung. Die Beklagte hat dann die Möglichkeit, das Versäumungsurteil mit Berufung und die einstweilige Verfügung mit Rekurs als nichtig zu bekämpfen. In diesen Rechtsmittelverfahren werden das Versäumungsurteil und die einstweilige Verfügung sowie das vorangegangene Verfahren einschließlich Klagezustellung als nichtig aufzuheben sein. Eine neuerliche Zustellung der Klage, des Auftrages zur Klagebeantwortung und der Aufforderung zur Äußerung wird sich erübrigen, weil der Beklagten die Schriftstücke mittlerweile zugekommen sind und sie Klagebeantwortung und Äußerung bereits eingebracht hat.

Der angefochtene Beschluß war daher insoweit mit der Maßgabe zu bestätigen, daß dem Erstgericht aufgetragen wird, das Versäumungsurteil und die einstweilige Verfügung erneut zuzustellen. Hinsichtlich des Aufschiebungsantrages war der Beschluß als nichtig aufzuheben; die Entscheidung des Erstgerichtes ist mangels Bekämpfung im Rekurs insoweit rechtskräftig geworden. Bei der Aufhebung der Entscheidung des Erstgerichtes über die übrigen Anträge der Beklagten hat es zu verbleiben, weil es sich dabei um Eventualanträge handelt, über die derzeit nicht zu entscheiden ist. Das gilt auch für die in eventu erhobene Nichtigkeitsklage.

Dem Revisionsrekurs war teilweise Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

Stichworte