OGH 1Ob6/98h

OGH1Ob6/98h19.5.1998

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Annemarie G*****, vertreten durch Dr. Manfred Puchner, Rechtsanwalt in Feldkirch, wider die beklagten Parteien 1. Erich F*****, und 2. Herta F*****, beide ***** vertreten durch Dr. Gerold Hirn und Dr. Burkhard Hirn, Rechtsanwälte in Feldkirch, wegen Wiederaufnahme eines Verfahrens (Streitwert S 80.000,- -), infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Berufungsgericht vom 28. Oktober 1997, GZ 3 R 329/97x-18, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Feldkirch vom 18. Juli 1997, GZ 4 C 1835/96h-13, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben, das Urteil des Gerichts zweiter Instanz als nichtig aufgehoben, das ihm vorangegangene berufungsgerichtliche Verfahren für nichtig erklärt und die Berufung der klagenden Partei zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit S 18.474,39 (darin S 1.975,73 Umsatzsteuer und S 6.620,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu bezahlen.

Text

Begründung

Die klagende Partei begehrte die Wiederaufnahme des zu AZ 4 C 626/96i des Erstgerichts abgeführten und mit dessen Urteil vom 18.10.1996 und nach Erschöpfung des Instanzenzugs rechtskräftig erledigten Verfahrens. Sie brachte vor, sie habe erst durch Einsicht in den Akt einer Gemeinde und die dadurch bewirkte Kenntnisnahme von einer Urkunde am 15.11.1996 erstmals erfahren, daß in dieser Urkunde ein landwirtschaftliches Fahrrecht zu ihren Gunsten verbrieft gewesen sei.

Die Beklagten wendeten ein, daß die nunmehr aufgefundene Urkunde nicht geeignet sei, ein anderes Ergebnis im bereits rechtskräftig abgeschlossenen Rechtsstreit herbeizuführen. Bei entsprechender Sorgfalt wäre es der Klägerin bzw dem Klagsvertreter möglich gewesen, die Urkunde bereits vor Schluß des wiederaufzunehmenden Verfahrens vorzulegen, weshalb von einem Verschulden der Klägerin im Sinne des § 530 Abs 2 ZPO auszugehen sei; die für eine Wiederaufnahmsklage vorgesehene 30tägige Frist sei überschritten worden.

Das Erstgericht wies das auf Wiederaufnahme des Verfahrens gerichtete Klagebegehren (Aufhebung des Urteils des Erstgerichts vom 18.10.1996 und Stattgebung des damals erhobenen Feststellungsbegehrens betreffend das Bestehen einer Dienstbarkeit zugunsten der Klägerin) ab. Die Wiederaufnahme sei unzulässig, weil die Klägerin bei entsprechender Aufmerksamkeit die nunmehr aufgefundene Urkunde bereits vor Schluß der mündlichen Verhandlung im wiederaufzunehmenden Verfahren hätte anbieten können.

Das Berufungsgericht bewilligte die Wiederaufnahme des Verfahrens zu AZ 4 C 626/96i des Erstgerichts und hob dessen Urteil vom 18.10.1996 auf; es sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Der Klägerin sei kein Verschulden anzulasten, soweit sie bzw ihre Vertreter die Urkunde erst nach Zustellung des Urteils im wiederaufzunehmenden Verfahren aufgefunden hätten. Die Klägerin habe dem Sorgfaltsmaßstab des § 1297 ABGB entsprochen. Es sei erst im wiederaufzunehmenden Verfahren zu prüfen, ob die nunmehr vorgelegte Urkunde geeignet sei, eine andere Entscheidung in der Hauptsache herbeizuführen. Zur Rechtzeitigkeit der von der Klägerin erhobenen Berufung, die von den Beklagten schon in der Berufungsbeantwortung in Frage gestellt wurde, führte das Gericht zweiter Instanz aus, die Erklärung einer Rechtssache zur Ferialsache erfordere gemäß § 224 Abs 2 ZPO den Antrag einer Partei. Ein solcher Antrag sei nicht gestellt worden. Die Erklärung der Rechtssache zur Ferialsache sei daher ohne gesetzliche Grundlage erfolgt. Demnach gelte der Rechtsmittelausschluß des § 224 Abs 2 letzter Satz ZPO nicht. Eine entgegen dem Gesetz bewilligte Erklärung einer Rechtssache zur Ferialsache sei unbeachtlich. Unter Berücksichtigung der Gerichtsferien sei die Berufung der Klägerin aber rechtzeitig erhoben worden.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist schon insoweit berechtigt, als sie eine dem Gericht zweiter Instanz unterlaufene Nichtigkeit (§ 411 Abs 2 und § 477 ZPO) geltend macht.

In der Tagsatzung vom 23.6.1997 erklärte das Erstgericht den vorliegenden Rechtsstreit - ohne daß ein Antrag einer Partei vorgelegen wäre - zur Ferialsache. Die Klägerin verzichtete auf ein Rechtsmittel gegen diesen Beschluß, die Beklagten traten diesem Beschluß entgegen und ersuchten um Zustellung einer Beschlußausfertigung (S 4 des Protokolls vom 23.6.1997). Der Beschluß wurde tatsächlich nie ausgefertigt.

Das Urteil des Erstgerichts wurde beiden Parteienvertretern am 1.8.1997 zugestellt. Die Klägerin überreichte am 10.9.1997 ihre Berufung. Die Beklagten wendeten bereits in ihrer Berufungsbeantwortung ein, die Berufung sei verspätet eingebracht worden, weil die Rechtssache zur Ferialsache erklärt worden sei (S 5 der Berufungsbeantwortung). Dieser Einwand ist - entgegen der Ansicht des Gerichts zweiter Instanz - berechtigt.

Gemäß § 224 Abs 2 ZPO kann der Vorsitzende des Senats oder der Einzelrichter, dem eine Rechtssache zugewiesen ist, andere als die im § 224 Abs 1 ZPO genannte Sachen auf Antrag einer Partei zur Ferialsache erklären, wenn es ihre Dringlichkeit erfordert; der Ausspruch, durch den eine Sache zur Ferialsache erklärt wird, bezieht sich immer nur auf die schon laufenden, wenn er jedoch außerhalb der Gerichtsferien gefaßt wird, auf die nächstfolgenden Gerichtsferien. Der Beschluß, mit dem eine Sache zur Ferialsache erklärt oder mit dem ein darauf abzielender Antrag abgewiesen wird, kann durch ein Rechtsmittel nicht angefochten werden. Mit dieser durch die ZVN 1983 neu gefaßten Bestimmung ist § 224 Abs 2 ZPO nur soweit geändert worden, als eine Rechtssache nur mehr auf Antrag einer Partei zur Ferialsache erklärt werden darf und sich die Wirkung des Ausspruchs nicht mehr - wie früher - auf die gesamte Verfahrensdauer, sondern nur mehr auf die laufenden oder - sofern der Beschluß außerhalb der Gerichtsferien gefaßt wurde - auf die nächstfolgenden Gerichtsferien erstreckt.

Die von diesen Änderungen nicht betroffene frühere Rechtsprechung zu § 224 Abs 2 ZPO ist daher weiterhin anzuwenden. Es bedarf nach wie vor eines förmlichen Beschlusses, wobei es genügt, wenn dieser in einer mündlichen Verhandlung in Anwesenheit aller Parteien verkündet wird (4 Ob 502/96; Gitschthaler in Rechberger, ZPO, Rz 3 zu § 224). Voraussetzung für eine Anordnung nach § 224 Abs 2 ZPO ist zwar auch, daß die Dringlichkeit einen solchen Beschluß erfordert, die Anordnung bedarf aber keiner Begründung. Die Unanfechtbarkeit eines gemäß § 224 Abs 2 ZPO gefaßten Beschlusses hat zur Folge, daß dieser auch ohne Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen - also auch ungeachtet des Fehlens eines darauf gerichteten Parteienantrags - wirksam ist. Der Beschluß war daher für die Gerichtsferien im Sommer 1997 wirksam und die Berufungsfrist wurde durch die Gerichtsferien nicht unterbrochen (4 Ob 502/96; vgl Fasching, LB2 Rz 617).

Entgegen der Ansicht der Klägerin und des Gerichts zweiter Instanz ist die ohne Parteienantrag ausgesprochene Erklärung einer Rechtssache zur Ferialsache keinesfalls unbeachtlich. Zu Unrecht berufen sich die Klägerin und das Berufungsgericht auf die Entscheidungen 4 Ob 27/97 (= EvBl 1997/131), JBl 1983, 493 und EvBl 1982/119, mit welchen über die Rechtmäßigkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 153 ZPO zu befinden war. In diesem Zusammenhang wurde ausgesprochen, daß der im § 153 ZPO normierte Rechtsmittelausschluß nicht gelte, wenn die Wiedereinsetzung ohne gesetzliche Grundlage bewilligt worden sei, wie zB entgegen der ausdrücklichen Norm des § 58 Abs 2 EO oder bei Versäumung einer materiellrechtlichen Frist; dann sei die entgegen dem Gesetz bewilligte Wiedereinsetzung unbeachtlich. Im vorliegenden Fall, also bei Erklärung der Rechtssache zur Ferialsache, ist die gesetzliche Grundlage dagegen im § 224 Abs 2 ZPO gegeben, wobei im vorliegenden Fall nur der dort geforderte Parteienantrag fehlt. Das bedeutet aber noch nicht, daß die Anordnung jeder gesetzlichen Grundlage entbehrte; sie ermangelt vielmehr nur einer der vom Gesetz geforderten Voraussetzungen (4 Ob 502/96).

Die von der Klägerin nach Ablauf der vierwöchigen Berufungsfrist erhobene Berufung wäre sohin vom Berufungsgericht als verspätet zurückzuweisen gewesen. Die sachliche Erledigung der verspätet erhobenen Berufung begründet als Verstoß gegen das Gebot der Beachtung der Rechtskraft Nichtigkeit (1 Ob 553/89; JBl 1985, 630), die im Rahmen der Revision auch geltend gemacht wurde.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 51 Abs 1 ZPO. Es ist der Klägerin als Verschulden zuzurechnen, daß sie trotz Ablaufs der Rechtsmittelfrist eine Berufung einbrachte und das Rechtsmittelverfahren fortführte. Den Nichtigkeitsgrund haben die Beklagten in ihren Rechtsmittelschriften geltend gemacht.

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