OGH 10ObS92/98x

OGH10ObS92/98x28.4.1998

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Ehmayr und HonProf.Dr.Danzl als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Karlheinz Kux (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag.Maria Pree (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Johanna M*****, vertreten durch die Sachwalterin Dr.Ingrid Türk, Rechtsanwältin in Lienz, wider die beklagte Partei Land Tirol, 6020 Innsbruck, Wilhelm Greil-Straße 17, vertreten durch Dr.Christoph Rittler und Dr.Harald Rittler, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen Pflegegeld, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18.November 1997, GZ 25 Rs 121/97y-14, womit der als Urteil aufzufassende Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 8.Juli 1997, GZ 47 Cgs 21/97k-10, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die am 24.5.1911 geborene Klägerin wohnte in der Zeit vom 9.11.1983 bis 25.1.1985 bei ihrer Tochter in Kärnten. Seit 25.1.1985 lebt sie im Bezirksaltenheim Lienz in Osttirol. Seit mehreren Jahren ist sie teilpflegebedürftig und wird ärztlich betreut. Mit Bescheid vom 7.11.1996 wurde der Antrag der Klägerin auf Gewährung von Pflegegeld nach dem Tiroler Pflegegeldgesetz (im folgenden kurz: TPGG) mit der Begründung abgewiesen, daß sich die Genannte während der letzten 12 Monate vor der Aufnahme in das Bezirksaltenheim Lienz nicht am längsten in Tirol aufgehalten habe.

Mit der am 29.1.1997 beim Erstgericht eingebrachten Klage stellte der Verwalter des genannten Bezirksaltenheimes das Begehren, "die Entscheidung herbeizuführen, welches Bundesland für das Pflegegeld von Frau Johanna M***** aufkommen muß". Nach Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Klage gegen den Bescheid der beklagten Partei vom 7.11.1996 wurde von der vom Bezirksgericht Lienz bestellten Sachwalterin das nunmehr verfahrensgegenständliche Klagebegehren gestellt, der Klägerin das Pflegegeld im gesetzlichen Ausmaß nach dem TPGG zu gewähren. Diese Klage (samt Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand) war vom Bezirksgericht Lienz mit Beschluß vom 15.4.1997, 1 P 30/97k-8, sachwalterschaftsgerichtlich genehmigt worden.

Das Erstgericht wies mit Beschluß "gegenständliche Klage wegen Unzuständigkeit des Landes Tirol zurück". Es kam zur Rechtsauffassung, daß die Klägerin bereits zum Zeitpunkt ihrer Antragstellung bei der beklagten Partei aufgrund ihres Beschwerdebildes pflegebedürftig gewesen sei und im Bezirksaltenheim stationär gepflegt habe werden müssen. Allerdings komme es nach § 3 Abs 1 TPGG für die Zuständigkeit des beklagten Bundeslandes zur Gewährung von Landespflegegeld entscheidend auf jene 12 Monate an, die der Aufnahme (also nicht der stationären Pflege) in die betreffende Einrichtung unmittelbar vorangegangen seien. Da sich die Klägerin vor ihrer Aufnahme in das Bezirksaltenheim 12 Monate bei ihrer Tochter in Kärnten, sohin nicht im Bundesland Tirol, aufgehalten habe, sei dieses zu Unrecht in Anspruch genommen worden.

Das Oberlandesgericht Innsbruck gab dem als Berufung aufzufassenden Rekurs der klagenden Partei Folge, hob die angefochtene Entscheidung auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf; es sprach weiters aus, daß der Rekurs gegen diese Entscheidung zulässig ist.

Das Rechtsmittelgericht führte zunächst aus, daß die Frage, ob ein Pflegebedürftiger nach § 3 Abs 1 lit c TPGG seinen Hauptwohnsitz bzw gewöhnlichen Aufenthalt in Tirol habe oder ob die spezielle Voraussetzung nach § 3 Abs 6 leg cit vorliege, nicht die Zuständigkeit irgendwelcher Behörden, sondern ausschließlich die Anspruchsvoraussetzungen betreffe; fehle es an der örtlichen Anknüpfung, so mangle es eben an einer Anspruchsvoraussetzung, was aber (entgegen der Auffassung des Erstgerichtes) nicht zur Zurückweisung der Klage, sondern zu deren Abweisung führen müsse. Aus dem Zusammenhalt der maßgeblichen Bestimmungen des TPGG (§§ 3, 9) folgere, daß es nicht entscheidend darauf ankomme, ob jemand in einem Pflege-, Wohn-, Alten- oder Erziehungsheim untergebracht sei, sondern ob er in einer derartigen Einrichtung gepflegt werde, sodaß maßgeblich nicht der Zeitpunkt sei, wann sich jemand in eine solche Einrichtung begebe, sondern wann er stationär pflegebedürftig geworden sei. Da die Klägerin bei der Aufnahme in das Bezirksaltenheim im Jahre 1985 und auch zumindest im ersten Jahr danach dort noch nicht stationär pflegebedürftig gewesen sei, andererseits seit dieser Aufnahme bereits ihren Hauptwohnsitz in Tirol habe, liege zweifelslos die Zuständigkeit des beklagten Landes zur Gewährung von Landespflegegeld vor. Hiezu fehlten jedoch für eine zuerkennende Entscheidung maßgebliche Feststellungen, weshalb eine Verfahrensergänzung erforderlich sei. Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof wurde zugelassen, weil eine höchstgerichtliche Judikatur zur Auslegung des § 3 Abs 6 TPGG bzw der gleichartigen Bestimmungen der übrigen Landesgesetze mit Ausnahme von Kärnten nicht vorliege.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der auf den Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Rekurs der beklagten Partei mit dem Antrag, den angefochtenen (Aufhebungs-)Beschluß aufzuheben und in der Sache selbst zu entscheiden, daß der Beschluß (das Urteil) des Erstgerichtes bestätigt werde; hilfsweise wird auch ein Aufhebungsantrag gestellt. Die klagende Partei hat eine Rekursbeantwortung erstattet.

Der Rekurs ist gemäß § 45 Abs 3 ASGG auch ohne Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 46 Abs 1 ASGG zulässig, jedoch im Ergebnis nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

§ 3 Abs 1 TPGG (in der hier maßgeblichen Stammfassung LGBl 1993/55; zufolge ihrer Antragstellung am 4.8.1993 ist die vom Berufungsgericht in Seite 6 seiner Entscheidung wiedergegebene Fassung der Novelle LGBl 1996/12 hier noch nicht anwendbar) normiert den grundsätzlichen Anspruch von Personen auf Pflegegeld nach diesem Landesgesetz. Danach haben Personen, die die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen (lit a), das 3.Lebensjahr vollendet haben (lit b), in Tirol ihren ordentlichen Wohnsitz oder mangels eines solchen ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben (lit c) und nicht eine gleichartige Leistung nach dem Bundespflegegeldgesetz (BPGG) beziehen oder einen Anspruch auf gleichartige Leistungen haben (lit d), Anspruch auf Pflegegeld nach dem TPGG. Alle diese Voraussetzungen erfüllt die Klägerin unstrittig.

Die beklagte Partei begründet ihren Antrag auf Abweisung der Klage nur damit, daß die Klägerin bei ihrer Übersiedlung von Kärnten nach Tirol im Jahre 1985 unmittelbar in das Altenheim aufgenommen wurde und seither dort gepflegt wird, sodaß § 3 Abs 7 TPGG (aF) einem Anspruch auf Pflegegeld entgegenstehe.

Hat ein Pflegebedürftiger mehrere ordentliche Wohnsitze, so galt nach § 3 Abs 7 TPGG der ordentliche Wohnsitz dann als in Tirol begründet, wenn er sich in den letzten 12 Monaten vor der Antragstellung überwiegend in Tirol aufgehalten hatte. Wird der Pflegebedürftige zum Zeitpunkt der Antragstellung in einer der in § 9 Abs 1 TPGG genannten Einrichtungen (worunter nach lit a leg cit auch Altenheime fallen) gepflegt, so gilt (maßgebliche Stammfassung) der ordentliche Wohnsitz dann als in Tirol begründet, wenn er sich in den letzten 12 Monaten vor der Aufnahme in die betreffende Einrichtung am längsten in Tirol aufgehalten hat.

§ 3 Abs 7 TPGG normiert damit eine Einschränkung des nach § 3 Abs 1 TPGG grundsätzlich bestehenden Anspruches auf Pflegegeld. Auch bei Erfüllung sämtlicher Voraussetzungen des Abs 1 leg cit hat eine Person dann, wenn die Kriterien des Abs 7 leg cit erfüllt sind, keinen Anspruch auf die Leistung, wobei die Tatbestandselemente des Leistungsausschlusses auf in der Vergangenheit (vor der Antragstellung) liegende Sachverhalte abstellen.

§ 5 ABGB normiert den allgemeinen Rechtsgrundsatz, daß Gesetze nicht zurückwirken. Die Bestimmung legt damit den zeitlichen Geltungsbereich eines kundgemachten Gesetzes fest (SZ 69/186, 69/241): Nur die nach Inkrafttreten eines Gesetzes verwirklichten Sachverhalte sind nach dem neuen Gesetz zu beurteilen (Bydlinski in Rummel, ABGB2 Anm 1 zu § 5; JBl 1998, 241), sofern nicht ausnahmsweise (Posch in Schwimann, ABGB2 Rz 10 zu § 5) Rückwirkungsanordnungen - etwa in Übergangsvorschriften - vorgesehen sind, an welchen es hier jedoch im TPGG mangelt. Die Übersiedlung der Klägerin ins Altenheim nach Lienz 1985 war auf Dauer angelegt und sie war auch bis zum Jahr 1993 durchgehend acht Jahre lang in Tirol wohnhaft. Es ist daher davon auszugehen, daß sie sich in Lienz in der aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, daselbst ihren ständigen Aufenthalt zu nehmen (§ 66 Abs 1 JN; Mayr in Rechberger, ZPO Rz 3 zu § 66 JN). Im Zeitpunkt des Inkrafttretens des TPGG (am 1.7.1993 - § 40 Abs 1) hatte sie daher ihren Wohnsitz bereits seit Jahren in Tirol und erfüllte damit alle Voraussetzungen des § 3 Abs 1 TPGG. Die Anwendung der Einschränkung des § 3 Abs 7 TPGG auf den vorliegenden Fall hätte die Einbeziehung eines vor Inkrafttreten des Gesetzes realisierten Sachverhaltes zur Voraussetzung, was einer Rückwirkung der Bestimmung gleichkäme. Im Ergebnis würde dies dazu führen, daß ein vor der Klägerin bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes in Tirol wirksam begründeter Wohnsitz seine Auswirkungen wieder verlieren würde.

Wohl ist die Anordnung eines rückwirkenden Geltungsbereiches eines Gesetzes - wie bereits angedeutet - durch § 5 ABGB nicht grundsätzlich ausgeschlossen; dies bedürfte aber einer ausdrücklichen (Posch, aaO Rz 2 zu § 5; JBl 1994, 822, SZ 69/251) und aus dem Gesetz selbst zu entnehmenden (SZ 69/241) Regelung. Eine solche ist aber im hier zu beurteilenden Gesetz nicht angeordnet. Mangels einer solchen Bestimmung sind daher der Anwendung des Gesetzes nur Sachverhalte zu unterstellen, die sich nach seinem Wirksamkeitsbeginn verwirklicht haben. § 3 Abs 7 zweiter Satz TPGG ist daher nur auf solche Fälle anwendbar, in denen die Beobachtungsfrist von einem Jahr ("letzten 12 Monate") mit oder nach dem Zeitpunkt des Inkrafttreten dieses Gesetzes beginnt.

Da schon aus diesem Grund die Ausschlußbestimmung, auf die sich die beklagte Partei beruft, auf den hier zu beurteilenden Fall der Klägerin nicht anwendbar ist, bedarf es nicht der Auseinandersetzung mit der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes zu dieser Frage. Die Klägerin zählt vielmehr - ausgehend von diesen Überlegungen - zum anspruchsberechtigten Personenkreis im Sinne des § 3 Abs 1 TPGG, weshalb im zweiten Rechtsgang vom Erstgericht nur mehr die maßgeblichen materiellen Anspruchsvoraussetzungen zur Beurteilung der Berechtigung ihres Pflegegeldbegehrens "im gesetzlichen Ausmaß" zu prüfen verbleiben.

Daraus folgt - zusammenfassend -, daß dem Rekurs im Ergebnis kein Erfolg beschieden sein kann.

Der Kostenvorbehalt ist in § 52 Abs 1 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG begründet.

Stichworte