OGH 4Ob108/98f

OGH4Ob108/98f21.4.1998

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr.Griß und Dr.Schenk sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Vogel als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Yvonne W*****, infolge Revisionsrekurses der Minderjährigen, vertreten durch das Amt für Jugend und Familie 21. Bezirk, Am Spitz 1, als Unterhaltssachwalter, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 26.Jänner 1998, GZ 44 R 35/98t-188, womit der Beschluß des Bezirkgerichtes Floridsdorf vom 10.Dezember 1997, GZ 13 P 2673/95v-184, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Der 1962 geborene Vater der Minderjährigen war zuletzt aufgrund des Beschlusses des Erstgerichtes vom 16.4.1997 (ON 175) zu monatlichen Unterhaltsleistungen von S 3.450.- an seine außereheliche Tochter verpflichtet. Weitere Unterhaltspflichten treffen ihn nicht. Er hat nach vier Jahren Volksschule, vier Jahren Hauptschule und einem Jahr Berufsschule die begonnene Maurerlehre abgebrochen und danach als Hilfsarbeiter gearbeitet. Er ist seit November 1988 mit nur kurzen Unterbrechungen arbeitslos. Nach von der Arbeitsmarktverwaltung unterstützten Kursbesuchen hat er die Ausbildung zum Schalungsfacharbeiter erfolgreich abge- schlossen und könnte ein Einkommen von S 15.750.- monatlich erzielen. Die Minderjährige befindet sich in Ob- sorge ihrer Mutter, die im Haushalt tätig ist und in durchschnittlichen Verhältnissen lebt.

Der Unterhaltssachwalter beantragte, den Vater ab 1.9.1997 zu einer zusätzlichen monatlichen Unterhaltsleistung von S 675.- zu verpflichten. Die Minderjährige besuche seit Herbst 1997 die erste Klasse der Höheren Lehranstalt für wirtschaftliche Berufe der Schulschwestern in Wien 3, wofür ein monatliches Schulgeld von S 1.350.- zu zahlen sei; in vergleichbaren öffentlichen Schulen in Wien sei kein Platz zur Verfügung gestanden, weshalb die Minderjährige gezwungen gewesen sei, den Platz in einer Privatschule anzunehmen. Die Hälfte der Schulkosten sei vom geldunterhaltspflichtigen Elternteil zu leisten.

Der Vater gab zu diesem Antrag keine Stellungnahme ab.

Das Erstgericht wies den Antrag ab. Es stellte fest, daß die Minderjährige im Schuljahr 1997/98 die Höhere Lehranstalt für wirtschaftliche Berufe der Schulschwestern in Wien 3 besucht, wofür ein Schulgeld von monatlich S 1.350.- zu zahlen ist. An der vergleichbaren öffentlichen Schule (Bundesfachschule für wirtschaftliche Berufe mit Schwer- punkt Gesundheit und Soziales in Wien 17) war im Zeitpunkt der Aufnahme für das Schuljahr 1997/98 kein Platz für die Minderjährige vorhanden. In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht den Standpunkt, Privatschulkosten bildeten keinen vom geldunterhaltspflichtigen Elternteil zusätzlich zu tragenden Sonderbedarf.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, wie weit Privatschulkosten in die Unterhaltspflicht fielen, sofern eine kostenfreie Ausbildung in vergleichbaren öffentlichen Schulen mangels Aufnahmekapazität nicht möglich sei. Es stellte ergänzend fest, daß die Minderjährige die dreijährige Fachschule des Zweiges "Wirtschaft und Soziales" besucht und auch in der vergleichbaren öffentlichen Fachschule in Wien 12 infolge erschöpfter Kapazität nicht hätte aufgenommen werden können. Eine besondere förderungswürdige Begabung sei nicht Voraussetzung für den Besuch des von der Minderjährigen gewählten Schultyps; der erreichbare Schulabschluß sei auch keine Voraussetzung für ein erleichtertes Fortkommen im Berufsleben. Die Minderjährige habe aber ein besonderes Interesse an dieser Ausbildungsform. Das Rekursgericht verneinte unter diesen Umständen das Vorliegen der von der Judikatur erarbeiteten Voraussetzungen für eine vom Unterhaltspflichtigen über seine durchschnittliche Belastbarkeit hinaus zu erbringende Unterhaltsleistung; der übliche Unterhaltssatz des Vaters sei bereits ausgeschöpft.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des Unterhaltssachwalters ist aus den vom Rekursgericht genannten Gründen zulässig; er ist aber nicht berechtigt.

Erwächst einem unterhaltsberechtigten Kind ein Mehrbedarf, der über den allgemeinen Durchschnittsbedarf ("Regelbedarf") eines gleichaltrigen Kindes in Österreich ohne Rücksicht auf die konkreten Lebensverhältnisse seiner Eltern hinausgeht, bilden diese Kosten einen Sonderbedarf (SZ 63/81). Auch Ausbildungskosten können als Sonderbedarf anerkannt werden (Schwimann in Schwimann, ABGBý Rz 33 zu § 140 mwN). Insbesondere hat der Oberste Gerichtshof schon ausgesprochen, daß die Kosten des Besuchs einer Privatschule nicht von vornherein aus den Fällen des vom Unterhaltsschuldner zu bestreitenden Sonderbedarfs ausge- schieden werden dürfen (ÖA 1994, 184 U100 gegen die nicht weiter differenzierende einhellige Judikatur der Gerichte zweiter Instanz, zitiert bei Purtscheller/Salzmann, Unter- haltsbemessung, 11; ebenso ablehnend etwa LGZ Wien EFSlg 76.989; 70.797; 67.869 ua). Welche Ausbildung einem Kind zusteht, bestimmt sich dabei nicht nach der beruflichen und gesellschaftlichen Stellung der Eltern. Soweit die Rechtsprechung deren unterhaltsrechtlich maßgebliche Lebensverhältnisse auch durch Tatbestände wie Herkunft, Schulausbildung und Berufsausbildung, berufliche und soziale Stellung umschreibt (EvBl 1992/73; EFSlg 71.546), stehen diese immer in einem unlösbaren Konnex mit der durch einzelne solche Umstände bedingten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (JBl 1997, 650).

Stehen in einem bestimmten Ausbildungsweg entgeltliche Privatschulen neben öffentlichen (unentgeltlichen) Schulen zur Verfügung, wird der Unterhaltsberechtigte nach dem Grundsatz, daß bei gleichwertigen Alternativen stets die für den Unterhaltsverpflichteten weniger belastende den Vorzug genießt, grundsätzlich eine öffentliche Schule auszuwählen haben. Ist die Aufnahme in eine öffentliche Schule trotz zeitgerechter und nachdrücklicher Bemühungen des Unterhaltsberechtigten wegen Auslastung der Aufnahmekapazität nicht möglich, kann Schulgeld für eine Privatschule dann als Sonderbedarf anerkannt werden, wenn ein gerechtfertigter Grund gerade für diesen Ausbildungsweg spricht (welche Voraussetzung von der Rechtsprechung ganz allgemein für die Anerkennung eines Sonderbedarfes als berechtigt aufgestellt wird, vgl. die bei Schwimann, Unterhaltsrecht, 28 angeführten Nachweise). Als derartige Gründe kommen etwa in Frage: eine besondere Begabung des Kindes, die gerade durch den gewählten Schultyp gefördert werden kann; Unterbringung in einer fremdsprachigen Schule nach vorangegangenem langjährigem Auslandsaufenthalt des Kindes (LGZ Wien EFSlg 70.800); besonderes berufliches Interesse und damit verbundener intensiver Wunsch des Kindes nach einem bestimmten Ausbildungsweg. Mag danach ein in der Person des Kindes begründeter Sonderbedarf auch zu bejahen sein, ist aber immer noch als weiterer Schritt bei der Unterhaltsbemessung zu beachten, daß sich der Unterhalt insgesamt, also unter Berücksichtigung des Sonderbedarfs, im Rahmen der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen halten muß; dem Unterhaltspflichtigen muß stets ein zur Deckung der seinen Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse entsprechen- der Betrag verbleiben (SZ 68/38; ÖA 1998, 15; 1 Ob 2383/96i ua). Eine Überschreitung der Prozentsatzkomponente, der das Hauptgewicht bei der Unterhaltsbemessung zukommt (EFSlg 67.737; ÖA 1994, 99 U94 ua), wird dabei nur bei existenznotwendigem Sonderbedarf oder bei sonst för- derungswürdigen Kindern zulässig sein (Schwimann, Unterhaltsrecht 29 mwN).

Hat die Minderjährige nach den Feststellungen der Vorinstanzen den ausdrücklichen Wunsch, eine Ausbildung im wirtschaftlichen Bereich zu absolvieren, konnte sie jedoch infolge erschöpfter Kapazitäten nicht an einschlägigen öffentlichen Schulen unterkommen, liegt darin zunächst ein ausreichender Grund, Schulgeld für eine vergleichbare Privatschule als berücksichtigungswürdigen Sonderbedarf anzusehen. Ist aber der zur Leistung von Geldunterhalt verpflichtete Vater bereits in Ansehung des Allgemeinbedarfs seiner Tochter mit einem an der Obergrenze der Prozentsatzkomponente ausgemessenen Betrag belastet, käme dessen Überschreitung nur bei besonders günstigen Einkommensverhältnissen des Vaters, existenznotwendigem Sonderbedarf oder besonderer Förderungswürdigkeit der Tochter in Betracht. Keine dieser Voraussetzungen liegt jedoch hier vor: Eine besondere förderungswürdige Begabung ist nicht Voraussetzung für den Besuch des von der Minderjährigen gewählten Schultyps, der erreichbare Schulabschluß schafft keine Voraussetzung für ein erleichtertes Fortkommen im Berufsleben, und die im Rahmen der Anspannung berücksichtigte Leistungsfähigkeit des Vaters ist gering. Unter diesen konkreten Umständen haben die Vorinstanzen die Berechtigung einer zusätzlichen Belastung des Vaters im Ausmaß von rund 20 % des schon zu leistenden Unterhalts zutreffend verneint. Dem Revisionsrekurs war deshalb ein Erfolg zu versagen.

Stichworte