OGH 3Ob76/98t

OGH3Ob76/98t25.3.1998

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.Hofmann als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr.Graf, Dr.Pimmer, Dr.Zechner und Dr.Sailer als weitere Richter in der Rechtssache der betreibenden Partei Romano S*****, vertreten durch Petsch, Frosch & Klein, Rechtsanwälte in Wien, wider die verpflichtete Partei C***** Handelsgesellschaft m. b.H., ***** vertreten durch Dr.Gerhard Engin-Deniz und Dr.Christian Reimitz, Rechtsanwälte OEG in Wien, wegen 6,885.300 LIT (78.767,83 S) infolge Revisionsrekurses der betreibenden Partei gegen den Beschluß des Landesgerichts Wiener Neustadt als Rekursgerichts vom 29.Oktober 1997, GZ 17 R 167/97y-19, womit der Beschluß des Bezirksgerichts Mödling vom 26.März 1997, GZ 10 E 11066/96y-7, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Kosten des Verfahrens erster Instanz.

Text

Begründung

Die betreibende Partei beantragte die Vollstreckbarerklärung des Urteils des Gerichtshofs Ferrara (Italien) vom 18.November 1992, Nr. 189/93, und die Bewilligung der Fahrnisexekution aufgrund dieses Titels. Sie legte eine Ausfertigung dieses Urteils im Original samt beglaubigter Übersetzung in die deutsche Sprache vor.

Das Erstgericht erklärte das Urteil "für Österreich für vollstreckbar" und bewilligte aufgrund dieses Titels die beantragte Fahrnisexekution. Nach dessen Rechtsansicht war dem Antrag auf Vollstreckbarerklärung gemäß Art 9 des Vollstreckungsabkommens zwischen der Republik Österreich und der Italienischen Republik stattzugeben.

Das Rekursgericht wies die Anträge auf Vollstreckbarerklärung und Exekutionsbewilligung ab. Es sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei und erwog in rechtlicher Hinsicht, daß das am 1.September 1996 in Kraft getretene Übereinkommen von Lugano auf dieses Vollstreckbarerklärungsverfahren nicht anzuwenden sei. Maßgeblich sei noch das Vollstreckungsabkommen zwischen der Republik Österreich und der Italienischen Republik. Gemäß Art 1 Abs 1 dieses Abkommens seien gerichtliche Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen im jeweils anderen Vertragsstaat anzuerkennen und zu vollstrecken, wenn die Gerichte des Urteilsstaats nach den Bestimmungen des Abkommens zuständig gewesen seien und die Rechtsordnung des ersuchten Staats die ausschließliche Entscheidungskompetenz nicht seinen Gerichten oder denjenigen eines Drittstaats vorbehalten habe. Dieser Vorbehalt komme hier nicht zum Tragen. Zu klären sei jedoch, ob die italienischen Gerichte gemäß den Artikeln 2 bis 5 des Abkommens für den Titelprozeß zuständig gewesen seien. Das ersuchte österreichische Gericht sei bei Überprüfung der Umstände, die zur Bejahung der Zuständigkeit eines italienischen Gerichts geführt hätten, an die Tatsachenfeststellungen dessen Entscheidung gebunden. Der Begründung des Urteils vom 18.November 1992 sei zu entnehmen, daß die betreibende Partei der verpflichteten Partei Teigwaren geliefert und deren Bezahlung begehrt habe. Die verpflichtete Partei habe die örtliche Unzuständigkeit des italienischen Gerichts eingewendet und vorgebracht, ihren Sitz in Wien zu haben. Der Gerichtshof von Ferrara habe darüber mit Zwischenurteil erkannt. Darin habe "er sich aufgrund der Art 20 (unter Bezugnahme auf die Hypothese 'es muß erfüllt werden') und 1493/3 Codice Civile für zuständig erklärt". Dem Urteilsrubrum sei überdies zu entnehmen, daß die verpflichtete Partei in Rovigo "bei der Kanzlei" ihres anwaltlichen Vertreters wahldomiziliert sei.

Danach kämen von den Gerichtsständen des Abkommens nur jene gemäß Art 5 Z 1, 3 und 5 in Betracht. Nach Art 5 Z 1 wären die italienischen Gerichte zuständig, wenn die beklagte Partei ihren Wohnsitz bzw gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung in Italien gehabt hätte. Das sei nach der Aktenlage nicht der Fall. Dagegen reiche die Inanspruchnahme der Zuständigkeit eines italienischen Gerichts aufgrund eines Wahldomizils gemäß Art 4 Abs 1 Codice di Procedura Civile (CPC) für die Anerkennung und Vollstreckbarkeit der Entscheidung eines italienischen Gerichts in Österreich nicht aus, weil ein solcher Gerichtsstand im Vollstreckungsabkommen nicht erwähnt sei. Der Wohnsitz (Sitz) bzw gewöhnliche Aufenthalt sei mit einem "Wahldomizil" nicht gleichzusetzen. Das ergebe sich bereits aus Art 4 Z 1 CPC, worin " - neben dem Wahldomizil - ein eigener Zuständigkeitstatbestand für Klagen gegen Ausländer für den Fall normiert" sei, daß der Ausländer im Inland wohne. Ein Wahldomizil am Kanzleisitz des italienischen Prozeßbevollmächtigten erfülle auch nicht die Voraussetzungen gemäß Art 5 Z 5 des Abkommens. Diese Bestimmung regle vielmehr den Fall, daß sich die beklagte Partei "der Zuständigkeit des Gerichts durch die Annahme eines (Wohn)Sitzes" unterwerfe. Der Gerichtshof in Ferrara habe seine Zuständigkeit auch nicht auf ein Wahldomizil der verpflichteten Partei in Italien gestützt.

Gemäß Art 5 Z 3 des Abkommens seien die italienischen Gerichte zuständig, wenn die streitverfangene vertragliche Verpflichtung nach einer ausdrücklichen oder stillschweigenden Übereinkunft der Streitteile im Gebiet dieses Staates erfüllt worden sei oder hätte werden sollen. Der Gerichtshof in Ferrara habe seine Zuständigkeit aufgrund eines Gerichtsstands des Erfüllungsorts allerdings nicht deshalb bejaht, weil die Streitteile eine ausdrückliche oder stillschweigende Vereinbarung über den Erfüllungsort der geltend gemachten Leistung (Kaufpreiszahlung) geschlossen hätten, sondern nur auf Art 20 2.Fall CPC Bezug genommen. Danach sei für Streitigkeiten aus Schuldverhältnissen auch das Gericht des Orts zuständig, an dem die Verpflichtung laut Klagegrund zu erfüllen sei. Dieser Wahlgerichtsstand beschränke sich jedoch nicht auf Erfüllungsortvereinbarungen, sondern erfasse auch den gesetzlichen Erfüllungsort gemäß Art 1182 Abs 3 Codice Civile (Domizil des Gläubigers im Zeitpunkt der Fälligkeit einer Geldschuld). Aus den gemäß Art 6 des Abkommens bindenden Tatsachenfeststellungen sei nicht abzuleiten, daß die Streitteile Italien als Erfüllungsort der eingeklagten Leistung vereinbart hätten.

Allein der Umstand, daß das italienische Gericht seine Zuständigkeit bejaht habe, reiche für die Anerkennung und Vollstreckung seines Urteils in Österreich nicht aus. Habe es - wie hier - an einem vom Vollstreckungsabkommen gebilligten Zuständigkeitstatbestand gemangelt, sei die Anerkennung der Entscheidung für Österreich zu versagen. Die Tatsache der Einlassung der verpflichteten Partei in den Titelprozeß wäre nur gemäß Art 5 Z 6 des Abkommens von Bedeutung, also wenn die Zuständigkeit des italienischen Gerichts - anders als hier - unbestritten geblieben wäre.

Die vorgelegte Urteilsausfertigung genüge überdies nicht den Anforderungen gemäß Art 9 Abs 1 Z 2 lit b des Abkommens, weil es an einer Bestätigung des Leiters der italienischen Gerichtskanzlei fehle, daß innerhalb der gesetzlichen Frist keine Berufung oder Kassationsbeschwerde erhoben worden sei. Die Anträge auf Vollstreckbarerklärung und Exekutiosbewilligung seien daher abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und - im Rahmen seines Aufhebungsbegehrens auch berechtigt.

Das Urteil des Gerichtshofs in Ferrara, das gemäß § 79 Abs 1 EO für Österreich für vollstreckbar erklärt werden und einer Fahrnisexekution als Grundlage dienen soll, wurde am 18.November 1992 erlassen. Demnach ist, wie das Rekursgericht zutreffend darlegte, das in Österreich am 1.September 1996 in Kraft getretene Übereinkommen von Lugano gemäß seinen Art 54 Abs 1, 55 und Art 56 Abs 2 nicht anwendbar. Maßgeblich sind die Bestimmungen des Vollstreckungsabkommens zwischen der Republik Österreich und der Italienischen Republik (BGBl 1974/521). Diese haben - soweit hier von Bedeutung - folgenden Wortlaut (Hervorhebungen durch den erkennenden Senat):

"Art 1 Abs 1: Die von den Gerichten eines der beiden Staaten in Zivil- und Handelssachen gefällten rechtskräftigen Entscheidungen werden im anderen Staat als wirksam anerkannt, wenn die Gerichte des Staates, in dem die Entscheidung gefällt worden ist, im Sinne der folgenden Artikel zuständig sind und die Rechtsordnung des ersuchten Staates die ausschließliche Zuständigkeit zur Erlassung der Entscheidung nicht den eigenen Gerichten oder jenen eines dritten Staates vorbehält.

Art 5: In den Angelegenheiten, die nicht in den Artikeln 2 bis 4 angeführt sind, sind die Gerichte des Staates, in dem die Entscheidung gefällt worden ist, zuständig,

1. wenn der Beklagte zum Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Gebiet dieses Staates gehabt hat.

3. wenn die vertragliche Verpflichtung, die Gegenstand der Streitigkeit ist, nach der ausdrücklichen oder stillschweigenden Übereinkunft zwischen Kläger und Beklagtem im Gebiet dieses Staates erfüllt worden ist oder erfüllt werden sollte;

5. wenn sich der Beklagte der Zuständigkeit des Gerichts, sei es durch Annahme eines Wohnsitzes (elezione di domicilio), sei es durch eine Zuständigkeitsvereinbarung ausdrücklich unterworfen hat, vorausgesetzt, daß das Recht des ersuchten Staates dem nicht in Anbetracht des Streitgegenstandes entgegensteht;

6. wenn sich der Beklagte in die Sache selbst eingelassen hat, ohne die Zuständigkeit des Gerichts bestritten oder erklärt zu haben, daß er sich dieser Zuständigkeit nur hinsichtlich des im Staate, dessen Gericht entschieden hat, gelegenen Vermögens unterwirft;

Art 6: Das Gericht des ersuchten Staates ist bei der Überprüfung der Umstände, die die Zuständigkeit des Gerichtes des anderen Staates begründet haben, an die in der Entscheidung enthaltenen tatsächlichen Feststellungen gebunden.

Art 9 Abs 1: Die Partei, die eine Entscheidung im anderen Staat geltend machen will, hat vorzulegen:

Z 2 lit b: wenn die Entscheidung in Italien gefällt worden ist, eine Bestätigung des Leiters der Gerichtskanzlei (cancelliere), daß innerhalb der gesetzlichen Fristen keine Berufung oder Kassationsbeschwerde erhoben worden ist;"

Nach einer Ergänzung dieses Staatsvertrags durch Notenwechsel (BGBl 1989/472) ist im Verfahren über die Anerkennung oder Vollstreckung einer in einem der beiden Staaten ergangenen Entscheidung im anderen Staat nur zu prüfen, "ob die in diesem Abkommen festgelegten Voraussetzungen für die Anerkennung oder die Vollstreckung vorliegen. Eine sachliche Nachprüfung dieser Entscheidung ('revision au fond') darf nicht vorgenommen werden". Dieses seit der Staatsvertragsergänzung ausdrückliche Verbot bezieht sich jedoch nur "auf das Meritum der ausländischen Entscheidung", ohne in die Autonomie des Zweitrichters bei Überprüfung der Anerkennungsvoraussetzungen und Versagungsgründe einzugreifen (Matscher, Die Neuregelung der Rechtsbeziehungen zwischen Österreich und Italien auf dem Gebiete des Privat- und Prozeßrechts, JBl 1977, 113 [123]). Als Ausnahme von diesem Grundsatz ist der Zweitrichter gemäß Art 6 des Abkommens bei Prüfung der Umstände, die die Zuständigkeit des Gerichts des anderen Staats begründeten, an die Tatsachenfeststellungen der Entscheidung gebunden. Diese Bindung hindert den Zweitrichter jedoch nicht, die rechtliche Beurteilung des Erstrichters zu überprüfen (V. Hoyer, Ein neues Abkommen zwischen Österreich und Italien über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, NZ 1974, 129 [132]; Rechberger, Das Anerkennungs- und Vollstreckungsabkommen zwischen Österreich und Italien, ZfRV 1975, 17 [29]). Eine solche Nachprüfung setzt die Kenntnis der für die Beantwortung der Zuständigkeitsfrage maßgeblichen Tatsachenfeststellungen voraus. Derartige Feststellungen sind dem Urteil des Gerichtshofs in Ferrara vom 18.November 1992 nicht zu entnehmen, sondern können sich nur im "Zwischenurteil", in dem der Gerichtshof seine Zuständigkeit bejahte, finden. Die bloße Zitierung von Rechtsnormen im Urteil vom 18.November 1992 erlaubt keinen Rückschluß auf bestimmte Tatsachenfeststellungen, weil die damit ausgesprochene, aber den Zweitrichter nicht bindende rechtliche Beurteilung unzutreffend sein kann. Davon abgesehen darf der Zweitrichter seine Entscheidung niemals auf Feststellungsvermutungen gründen. Eine meritorische Entscheidung über die Anträge der betreibenden Partei setzt daher auch die Vorlage des erörterten Zwischenurteils samt beglaubigter Übersetzung in die deutsche Sprache voraus. In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, daß die Annahme einer Einlassung der verpflichteten Partei in den Titelprozeß ohne Bestreitung der Zuständigkeit des Gerichtshofs in Ferrara im Sinne des Art 5 Z 6 des Abkommens nach den Entscheidungsgründen des Urteils vom 18.November 1992 ausscheidet.

Zur Darstellung der rechtlichen Beurteilung des Zwischenurteils über die Zuständigkeit des Gerichtshofs in Ferrara im Urteil vom 18. November 1992 sei überdies angemerkt, daß die Zitierung der Art 20 und 1493/3 Codice civile verfehlt sein dürfte. Das Zitat des Art 20 könnte sich auf den Codice di Procedura Civile beziehen. Darin werden zum einen Zuständigkeitstatbestände geregelt, zum anderen findet sich dort auch die vom Gerichtshof hervorgehobene Wortfolge (Bauer/Eccher/König/Kreuzer/Zanon, Italienische Zivilprozeßordnung/Codice di Procedura Civile2 40 f). Art 1493 Codice civile verfügt weder über einen Abs 3 noch über einen Satz 3 und befaßt sich mit den Rechtswirkungen der Aufhebung eines Kaufvertrags (Bauer/Eccher/König/Kreuzer/Zanon, Italienisches Zivilgesetzbuch/Codice civile2 720 f). Stattdessen könnte Art 1182 Abs 3 Codice civile gemeint sein, der sich auf den gesetzlichen Erfüllungsort einer Geldschuld bezieht (Bauer/Eccher/König/Kreuzer/Zanon, Italienisches Zivilgesetzbuch/Codice civile2 596 f).

Wie bereits das Rekursgericht zutreffend darlegte, mangelt es dem Urteil vom 18.November 1992 aber auch an einer Bestätigung gemäß Art 9 Abs 1 Z 2 lit b des Abkommens. Eine solche findet sich weder auf der Urteilsausfertigung noch in einer anderen der vorgelegten Urkunde. Ohne eine solche Bestätigung kommt jedoch eine Vollstreckbarkeitserklärung der vorgelegten Entscheidung nicht in Betracht.

Ein Exekutionsantrag ist, wenn ihm das gesetzlich vorgeschriebene Vorbringen fehlt oder ihm nicht alle erforderlichen Urkunden angeschlossen sind, gemäß § 54 Abs 3 EO idF der EO-Novelle 1995 - mit einer hier nicht maßgeblichen Ausnahme (siehe dazu SZ 69/151 [referierend]) - zur Verbesserung zurückzustellen. Das gilt gemäß § 83 Abs 2 EO auch für das Verfahren auf Vollstreckbarerklärung einer ausländischen Entscheidung (RV 195 BlgNR 19.GP 36). Die unterbliebene Vorlage des erörterten Zwischenurteils und der Mangel einer Bestätigung gemäß Art 9 Abs 1 Z 2 lit b des Abkommens sind verbesserbare Formgebrechen, die einer meritorischen Erörterung und Erledigung der Anträge der betreibenden Partei entgegenstehen.

Das Erstgericht wird daher die betreibende Partei im fortgesetzten Verfahren gemäß §§ 54 Abs 3 und 84 Abs 2 EO - unter Rückstellung des verfahrenseinleitenden Antrags - zur Verbesserung der erörterten Formgebrechen aufzufordern haben.

Der Kostenvorbehalt stützt sich auf § 78 EO in Verbindung mit § 52 Abs 1 ZPO.

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