OGH 4Ob56/98h

OGH4Ob56/98h17.3.1998

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kodek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Graf, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr. Griß und Dr. Schenk sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden und widerbeklagten Partei G. T***** GmbH Internationale Spedition, ***** vertreten durch Dr. Paul Doralt und andere Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte und widerklagende Partei Spedition M***** GmbH & Co KG, ***** vertreten durch Dr. Walter Strigl und Dr. Gerhard Horak, Rechtsanwälte in Wien, wegen Nebengebühren (11 C 1821/95i) und S 68.290 (11 C 2443/95k, Revisionsinteresse S 68.290,-), infolge Revision der klagenden und widerbeklagten Partei gegen das Urteil des Handelsgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 23. September 1997, GZ 1 R 949/96x-20, womit infolge Berufung der klagenden und widerbeklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes für Handelssachen Wien vom 24. April 1996, GZ 11 C 1821/95i-16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 4.871,04 (darin S 811,84 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin und Widerbeklagte (in der Folge: Klägerin) hat im Rahmen einer längeren Geschäftsverbindung im Auftrag der Beklagten und Widerklägerin (in der Folge: Beklagte) wiederholt Zustellungen im Raum Kärnten durchgeführt; beide Streitteile arbeiten unter Zugrundelegung der AÖSp. Am 22. 12. 1993 übergab die Beklagte der Klägerin zwei Paletten mit Batterien und Schaltkästen mit dem Auftrag, das Transportgut als dringende Terminsendung ohne Umladung direkt dem Empfänger zuzustellen. Auf Grund eines Generalofferts waren hiefür fixe Kosten vereinbart; die Beklagte verbot den Abschluß einer SVS/RVS-Versicherung nicht. Auf dem Lieferschein war als Ablieferungsadresse "Österreichische Draukraftwerke AG, KW Malta/Reisseck, A-9815 Kolbnitz" angegeben. Der Fahrer der Klägerin war der unrichtigen Meinung, die Sendung sei zur Talsperre Maltatal (Kölnbreinsperre) des von der Österreichischen Draukraftwerke AG in 9854 Malta betriebenen Kraftwerkes zuzustellen, das sich ca. 50 km entfernt von der richtigen Lieferadresse befindet. Am 22. 12. 1993 war die Zufahrtsstraße zur Kölnbreinsperre schneebedeckt, nicht geräumt und in ihrem Verlauf schließlich durch einen Schranken im Wald abgesperrt. Nach telefonischer Rücksprache mit dem Leiter der Inlandsabteilung der Klägerin stellte der Zustellfahrer beide Paletten samt Lieferschein bei Schneefall neben der Straße ab; die Palette mit den Batterien war mit Plastik abgedeckt, die Palette mit den Schaltkästen war eingepackt und mit einem Zeichen versehen, wonach diese Ware nicht naß werden dürfe. Die Klägerin erkundigte sich in der Folge weder bei der Beklagten noch bei der Empfängerin, ob dieser die Sendung zugekommen sei. Das Transportgut lagerte bis 6. 1. 1994 am Ort seiner Abladung; infolge Feuchtigkeitseinwirkung trat daran ein Schaden in der Höhe von S 68.290.- ein. Die Beklagte hat deshalb S 70.746,60 an den Absender gezahlt.

Die Klägerin nahm mit ihrer Klage ursprünglich die Beklagte auf Zahlung des (restlichen) Entgelts in Höhe von S 68.290.- s.A. für durchgeführte Transportleistungen in Anspruch; infolge Zahlung des Kapitals während des Verfahrens verblieben zuletzt nur mehr die Nebengebühren strittig.

Die Beklagte begehrt mit ihrer Widerklage den Ersatz von S 68.290.- s. A. mit dem Vorbringen, sie habe an die Klägerin einen Transportauftrag weitergegeben, den diese nicht erfüllt habe; das Transportgut sei vereinbarungswidrig nicht dem Empfänger übergeben, sondern bei Schneelage ungeschützt auf einer Forststraße abgestellt worden, ohne daß sich die Klägerin um dessen weiteres Schicksal gekümmert habe. Für den aus dieser Handlungsweise resultierenden Schaden am Transportgut, den die Beklagte ihrem Auftraggeber ersetzt habe, hafte die Klägerin, der im Hinblick auf ihr zumindest grob fahrlässiges Verhalten jede Berufung auf haftungseinschränkende oder haftungsausschließende Bestimmungen der CMR verwehrt sei.

Die Klägerin bestreitet den Vorwurf grober Fahrlässigkeit und erwidert, der geltend gemachte Anspruch sei verjährt. Auch treffe die Beklagte wegen ungenauer Angabe der Lieferadresse und unterbliebener Nachfrage nach dem Verbleib des Transportgutes ein Mitverschulden. Schließlich bestehe Haftungsfreiheit auch deshalb, weil der Schaden nach den Bestimmungen von SVS/RVS gedeckt sei; die Speditionsversicherung des Erstspediteurs (der Beklagten) decke auch eine allfällige Haftung jedes nachfolgenden Spediteurs, wobei nach den Versicherungsbedingungen der Versicherungspool auf jeden Rückgriff gegenüber dem Erstspediteur und allfällig nachfolgenden Spediteuren selbst bei grobem Verschulden verzichte. Die Klägerin habe darauf vertrauen dürfen, daß die Beklagte als Erstspediteurin den entstandenen Schaden über ihre SVS/RVS-Versicherung regulieren werde und die Klägerin damit in den Vorteil des Regreßverzichtes gelange. Es könne nicht im Belieben des Erstspediteurs stehen, dem nachfolgenden Spediteur diesen Regreßverzicht dadurch zu vereiteln, daß von der Versicherung gedeckte Schäden nicht über diese reguliert, sondern zunächst selbst beglichen würden, um danach Regreß am Schädiger zu nehmen; eine solche Vorgangsweise widerspreche Treu und Glauben und begründe eine Schadenersatzforderung der Klägerin gegenüber der Beklagten, die aufrechnungsweise eingewendet werde.

Die Beklagte hält dem entgegen, daß eine Pflicht des Spediteurs, den von ihm beauftragen Frachtführer in den Genuß des Regreßverzichtes gem. § 12 SVS zu bringen, den AÖSp nicht zu entnehmen sei; auch habe die Klägerin die Voraussetzung eines derartigen Regreßverzichtes, nämlich die Zeichnung der Versicherung durch sie selbst, nicht einmal behauptet. Schließlich stehe der Argumentation der Klägerin Art. 41 CMR entgegen; eine Aufrechnung sei im Hinblick auf § 32 AÖSp nicht statthaft.

Das Erstgericht gab dem restlichen Klagebegehren sowie der Widerklage statt und wies den Aufrechnungsantrag ab. Das Abstellen der Fracht bei Schneefall im Wald sei als grob fahrlässig zu beurteilen, weshalb sich die Klägerin gem. Art 29 CMR nach dem hier anzuwendenden Frachtrecht nicht auf Haftungsausschlüsse oder -begrenzungen berufen könne; auch ein Mitverschulden nach Art 17 Z 5 CMR komme diesfalls nicht in Betracht. Eine Verpflichtung der Beklagten, den Schaden über die SVS/RVS-Versicherung zu decken, bestehe nicht (Art 41 CMR). Die Abweisung der Aufrechnungseinrede ergäbe sich aus § 32 AÖSp, der den Vorschriften der CMR nicht widerspreche.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und sprach aus, daß mangels höchstgerichtlicher Judikatur zu einem vergleichbaren Sachverhalt die ordentliche Revision zulässig sei. Es teilte die Auffassung des Erstgerichtes über das Vorliegen groben Verschuldens und vertrat die Auffassung, schon im Hinblick auf das besondere Kündigungsrecht des § 16 Z 2 SVS im Falle eines ungünstigen Schadensverlaufes könne es für die Beklagte einen Unterschied machen, ob sie einen Transportschaden über die Versicherung abrechne oder zunächst selbst trage, weshalb auch im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung eine Verpflichtung der Beklagten, die Versicherung zur Schadensliquidation heranzuziehen, nicht begründet werden könne. Es sei nicht einsichtig, weshalb ein grob fahrlässig handelnder Schädiger zu Lasten des Vertragspartners (§ 16 SVS) begünstigt werden solle. Eine herrschende Regulierungspraxis, wonach die Versicherungen auch im Falle grob fahrlässigen Verhaltens auf einen Regreß verzichteten, sei in erster Instanz nicht behauptet worden. Zuletzt stehe der Argumentation der Beklagten auch § 51 lit b AÖSp entgegen, wonach dem Spediteur im Falle groben Verschuldens die Berufung auf Haftungsbeschränkungen versagt sei.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin ist mangels höchstgerichtlicher Rechtsprechung zu einem vergleichbaren Sachverhalt zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.

Hat sich der Spediteur mit dem Versender über einen bestimmten Satz der Beförderungskosten geeinigt, so hat er ausschließlich die Rechte und Pflichten eines Frachtführers (§ 413 Abs 1 HGB). In Fragen der Haftung des Frachtführers bei entgeltlicher Beförderung von Gütern auf der Straße sind gemäß § 439a Abs 1 HGB die entsprechenden Bestimmungen des Übereinkommens über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr (CMR) auch dann anzuwenden, wenn der vertragliche Ort der Übernahme und der vertragliche Ort der Ablieferung des Gutes im Inland liegen. Mit Ausnahme der Art 37 und38 CMR enthält die CMR ausschließlich zweiseitig zwingendes und damit unabdingbares Recht; jede Vereinbarung, die unmittelbar oder mittelbar von den Bestimmungen der CMR abweicht, ist nach Art. 41 Abs 1 CMR nichtig und ohne Rechtswirkung (SZ 46/95; RZ 1978/99; JBl 1984, 92; SZ 55/73). Ziel des Art 41 CMR ist die Vereinheitlichung der Beförderungsbedingungen, der Haftung und des hiefür geltenden Verfahrens (7 Ob 617/92 in ZfRV 1993, 151).

Art 17ff CMR behandeln das Kernstück der frachtrechtlichen Haftung, die "Obhutshaftung" (Heuer, Die Haftung des Frachtführers nach der CMR 49). Der Frachtführer haftet danach dem Absender unter anderem für Verlust und Beschädigung des Gutes im Zeitraum zwischen seiner Übernahme und der Ablieferung an den Empfänger; allfällige Haftungsausschlußgründe sind erschöpfend aufgezählt. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen ist es nun nicht zweifelhaft, daß der den Gegenstand dieses Rechtsstreites bildende Schaden am Transportgut während des von der Klägerin zu verantwortenden Obhutszeitraumes eingetreten ist und daß das zwischen den Streitteilen bestehende Vertragsverhältnis unter die Bestimmungen des CMR fällt. Damit ist es aber der Klägerin nach Art 41 Abs 1 CMR verwehrt, sich zur Begründung einer Haftungsbefreiung auf eine behauptete Verletzung vertraglicher Pflichten durch die Beklagte (hier: angeblich vertragswidrige Schadenersatzzahlung an die Absenderin statt Inanspruchnahme der deckungspflichtigen Speditionsversicherung) zu berufen, kann doch eine vertragliche Verpflichtung der Beklagten nach AÖSp iVm SVS/RVS, deren Verletzung zur Haftungsbefreiung gegenüber dem Versender führte, im Hinblick auf Art 41 Abs 1 CMR keinen Bestand haben; ein derartiger Haftungsausschlußgrund ist der CMR unbekannt.

Die in der Revision breit ausgeführte Frage, ob die Beklagte berechtigt gewesen sei, anstatt den Schadensfall über ihren Speditionsversicherer zu liquidieren, der Absenderin ihren Vermögensschaden direkt zu zahlen, die getätigten Auslagen im Regreßweg nunmehr von der Klägerin ersetzt zu verlangen und damit im Ergebnis zu vereiteln, daß die Klägerin in den Vorteil des Regreßverzichtes des Speditionsversicherers nach § 12 Abs 1 SVS gelange, läßt unberücksichtigt, daß das von den §§ 39ff AÖSp iVm SVS/RVS normierte System der Haftungsfreizeichnung ("Versicherung statt Haftung", vgl. § 41a AÖSp) dort gegenstandslos wird, wo ihm zwingende Haftungsbestimmungen des CMR entgegenstehen. Wenn der Spediteur nämlich nach zwingenden Normen (zB des Frachtrechts) haftet, kann er sich auf keine der Haftungsbeschränkungen der AÖSp berufen, die mit den zwingenden Normen in Widerspruch stehen (Schütz in Straube HGB**2 AÖSp Anh I § 415 Rz 10). Das gilt auch für Vereinbarungen, die mittelbar gegen die CMR verstoßen, also die Funktion der CMR aushebeln (Koller, Transportrecht3, Art. 41 CMR Rz 1).

Der Befürchtung der Klägerin, daß damit der Speditionsversicherung keinerlei Bedeutung mehr zukäme und das von den Spediteuren beabsichtigte Haftungssystem mit durchlaufender Deckung und Regreßverzicht wegfiele, ist entgegenzuhalten, daß der Speditionsversicherung ja auch außerhalb von Frachtverträgen nach der CMR ein Anwendungsbereich verbleibt (vgl § 2 SVS). In Deutschland, wo gemäß Nr. 5.2 dSVS 1989 alle Ansprüche nach der CMR vom Versicherungsschutz ausgenommen sind, hat dieser Risikoausschluß die Speditionsversicherung nicht gegenstandslos gemacht; der dort übliche Abschluß einer CMR-Haftpflichtversicherung (Heuer aaO 198) empfiehlt sich vorsichtigen Spediteuren daher auch in Österreich.

Ob die Klägerin allenfalls deshalb nicht als durch den Regreßverzicht des § 12 Abs 1 SVS Begünstigte anzusehen gewesen wäre, da sie nur als bloße Hilfsperson bei der Auslieferung des Gutes in Erfüllung des der Beklagten obliegenden Versendungsgeschäftes auf deren Rechnung tätig geworden ist und damit im Zweifel nicht als Zwischen-, sondern nur als Unterspediteur zu qualifizieren wäre (zur Abgrenzung vgl. Schlegelberger/Schröder HGB5 § 408 Rz 12; Helm HGB4 §§ 407 - 409 Rz 30; SZ 45/59; SZ 69/134 mwN), kann damit auf sich beruhen.

Auf die von der Revisionswerberin unter dem Rechtsmittelgrund des Verfahrensmangels und der Aktenwidrigkeit aufgeworfene Frage, ob unter den Speditionsversicherern eine Regulierungspraxis in dem von ihr behaupteten Sinne bestehe, kommt es bei der dargestellten Rechtslage nicht an. Der Revision war deshalb auch unter diesem Aspekt ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO.

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