OGH 8ObA8/98d

OGH8ObA8/98d26.2.1998

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer und Dr. Spenling sowie die fachkundigen Laienrichter MR Dr.Richard Warnung und Walter Benesch als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Anton H*****, Vertragsbediensteter, *****, vertreten durch Dr. Reinhard Tögl, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei Land S*****, vertreten durch Dr. Kurt Klein ua, Rechtsanwälte in Graz, wegen Feststellung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 23. Oktober 1997, GZ 7 Ra 117/97y-21, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 17. September 1996, GZ 35 Cga 97/96x-17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie zu lauten haben:

"Das Klagebegehren, die von der beklagten Partei am 15. 5. 1996 ausgesprochene Entlassung sei rechtsunwirksam und das gegenständliche Arbeitsverhältnis auch nach dem 15. 5. 1996 aufrecht, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 37.560,60 bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz (darin S 6.260,10 Umsatzsteuer) sowie die mit S 11.435,40 bestimmten Kosten des Verfahrens zweiter Instanz (darin S 1.905,90 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen."

Die klagende Partei ist weiters schuldig, der beklagten Partei die mit S 4.058,88 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 676,48 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger - ein "begünstigter Behinderter" iS § 2 Abs 1 BEinstG - war vom 1. 7. 1981 bis zu seiner am 15. 5. 1996 ausgesprochenen Entlassung als Vertragsbediensteter der beklagten Partei im Landeskrankenhaus G*****beschäftigt. Er arbeitete zuletzt in der Schmutzwäschekammer am Förderband.

Er begehrt mit seiner Klage die Feststellung, daß die am 15. 5. 1996 ausgesprochenen Entlassung rechtsunwirksam und das Dienstverhältnis auch nach dem 15. 5. 1996 aufrecht sei. Er habe weder einen Entlassungs- noch einen Kündigungsgrund gesetzt.

Die beklagte Partei beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Der Kläger habe sich des Entlassungsgrundes nach § 34 Abs 2 lit b VBG schuldig gemacht, weil er am 13. 5. 1996 seinem Arbeitskollegen Dietmar K***** im Zuge einer Auseinandersetzung Faustschläge gegen die Schulter und in die Magengegend versetzte, wodurch K***** Prellungen und Schürfungen erlitten habe.

Der Kläger bestritt, K***** geschlagen zu haben. Es habe zwar eine Auseinandersetzung gegeben, weil K***** nicht bereit gewesen sei, die geforderte Arbeitsleistung zu erbringen und er selbst daher mehr arbeiten habe müssen. Er habe ein großes Bündel Wäsche in die Richtung K*****'s geschleudert. Dieser habe sich jedoch geduckt und sei dabei gegen einen hinter ihm stehenden Tisch gestoßen. "Unter Umständen" habe er sich dabei die behaupteten Verletzungen zugezogen.

Die beklagte Partei brachte daraufhin vor, daß auch das vom Kläger behauptete Verhalten einen Entlassungsgrund darstelle, weil es sich um infektiöse Wäsche handle und daher eine Gesundheitsgefährdung entstanden sei.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt und stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:

Am 13. 5. 1996 erklärte der mit dem Kläger und einem weiteren Bediensteten am Förderband arbeitende Dietmar K*****, der an diesem Tag nur langsam arbeitete, er sei erst vom Urlaub zurückgekehrt und daher müde. Der Kläger forderte ihn zweimal auf, in den Urlaub oder in den Krankenstand zu gehen, was K***** aber ablehnte. Daraufhin warf der Kläger ein loses Wäschebündel gegen K*****. Dieser wurde von der Wäsche nicht berührt; er drehte sich weg und stützte sich mit beiden Händen an einem Tisch ab. Gestoßen oder geschlagen wurde K***** vom Kläger nicht. Nach dem Vorfall suchte K***** die Betriebsärztin auf, die bei ihm eine blasse Gesichtsfarbe, Atemnot, Druckschmerz im Bereich der Schultern und der Brust sowie eine Rötung im Schlüsselbein- und im Brustbereich feststellte. Die Ärztin schickte Koch zur Röntgenuntersuchung. Danach meldete er den Vorfall einem Vorgesetzten und ging sodann in den Krankenstand. Ein wegen des Vorfalles gegen den Kläger eingeleitetes Strafverfahren wurde gemäß § 90 Abs 1 StPO (§ 42 StGB) eingestellt. Bereits am 14. 10. 1994 war K***** vom Leiter der Wirtschaftsbetriebe mit der Begründung ermahnt worden, er habe zur Verschlechterung des Betriebsklimas und zur Verringerung der Arbeitsleistung beigetragen und durch obszöne Gesten seine Verachtung dem Vorgesetzten gegenüber zum Ausdruck gebracht.

Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß das Verhalten des Klägers den geltend gemachten Entlassungsgrund nicht verwirkliche. Die Arbeit in der Schmutzwäschekammer bringe in jedem Falle einen gewissen Kontakt mit verschmutzter Wäsche mit sich. Wäre die Wäsche tatsächlich hoch infektiös, müßten die dort Arbeitenden nicht nur Handschuhe, sondern auch Schutzkleidung und Mundschutz tragen. Die Atmosphäre an einem derartigen Arbeitsplatz begünstige den Ausbruch von Auseinandersetzungen und Aggressionen. Schließlich habe sich auch K***** nicht besänftigend oder kommunikativ verhalten. Auch ein Kündigungsgrund sei nicht verwirklicht. Im übrigen sei gar nicht behauptete worden, daß der Behindertenausschuß einer Kündigung zugestimmt habe.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Es übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen und verwies im wesentlichen auf die Rechtsausführungen des Erstgerichtes. Im übrigen sei der Aussage der Betriebsärztin zu entnehmen, daß die in der Schmutzkammer beschäftigten Arbeiter "dagegen" geimpft seien und Handschuhe tragen müßten.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern.

Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Nach dem vom Landesgesetzgeber unverändert ins steiermärkische Landesvertragsbedienstetengesetz übernommenen § 34 Abs 2 lit b VBG liegt ein wichtiger Grund, der den Dienstgeber zur vorzeitigen Auflösung des Dienstverhältnisses (Entlassung) berechtigt, dann vor, "wenn der Vertragsbedienstete sich einer Handlung schuldig macht, die ihn des Vertrauens des Dienstgebers unwürdig erscheinen läßt, insbesondere wenn er sich Tätlichkeiten oder erhebliche Ehrverletzungen gegen Vorgesetzte oder gegen Mitbedienstete zuschulden kommen läßt oder wenn er sich in seiner dienstlichen Tätigkeit oder im Zusammenhang damit von dritten Personen Vorteile zuwenden läßt.

"Tätlichkeiten" sind alle vorsätzlichen Angriffe gegen die körperliche Integrität einer als Tatbestandsobjekt in Betracht kommenden Person. Dies können sowohl strafrechtlich relevante Handlungen (Körperverletzungen iS der §§ 83 StGB, körperliche Mißhandlungen iS des § 115 StGB, wie Ohrfeigen oder Reißen an den Haaren) als auch gegen die körperliche Integrität gerichtete Handlungen sein, die nicht strafbar sind. Auf den Erfolg (Verletzung) oder eine Erheblichkeit der Tathandlung kommt es ebensowenig an, wie auf ein Motiv oder eine mit der Handlung verbundene Absicht (Kuderna, aaO 121 zum gleichlautenden Begriff in § 27 Z 6 AngG). "Ehrverletzungen" sind alle Handlungen, die geeignet sind, das Ansehen und die soziale Wertschätzung des Betroffenen durch Geringschätzung, Vorwurf einer niedrigen Gesinnung, üble Nachrede, Verspottung oder Beschimpfung herabzusetzen und auf diese Weise das Ehrgefühl des Betroffenen zu verletzen. Es sind dies vor allem gegen die Ehre gerichtete strafbare Handlungen iS der §§ 111 ff StGB; aber auch nicht strafbare derartige Handlungen können tatbestandsmäßig sein (Kuderna, aaO 123).

Der Oberste Gerichtshof hat dazu bereits ausgesprochen, daß auch das Bespucken oder das Nachwerfen von Gegenständen den Entlassungsgrund nach § 34 Abs 2 lit b VBG verwirklicht (9 ObA 5/90 = Ris-Justiz RS0081535).

Im hier zu beurteilenden Fall ist den insofern unvollständigen Feststellungen des Erstgerichtes nicht mit Sicherheit zu entnehmen, ob die von der Betriebsärztin unmittelbar nach dem Vorfall festgestellten Verletzungen des Zeugen K***** durch diesen Vorfall verursacht wurden. Darauf kommt es aber im Sinne der dargestellten Rechtslage gar nicht an. Wer ein wahllos herausgegriffenes Bündel verschmutzter Spitalswäsche gegen einen anderen wirft, nimmt damit in Kauf, daß der andere mit Wäsche in Berührung kommt, die allenfalls infektiös ist, aber auch - wie die Revisionswerberin zutreffend ausführt - Flecken von Blut, Eiter oder Kot aufweisen kann. Dies muß gerade jemandem wie dem Kläger bewußt sein, der mit dem Sortieren verschmutzter Spitalswäsche ständig betraut ist und dabei Arbeitshandschuhe trägt, um Hautkontakt zu vermeiden. Das Bewerfen eines anderen mit derartiger Wäsche stellte daher eine Handlung dar, die in ihrem Gewicht dem von der Rechtsprechung als Entlassungsgrund anerkannten Tathandlungen wie Bespucken oder Nachwerfen von Gegenständen zumindest gleichkommt. Ob damit im Einzelfall Gesundheitsgefahr verbunden ist, ist ebensowenig von Belang wie die Frage, ob man von einer körperlichen Mißhandlung oder von einer (jedenfalls als erheblich zu qualifizierenden) Ehrverletzung ausgeht. Daß K***** dem Wäschebündel ausgewichen ist und daher ein Hautkontakt unterblieb, ändert am Gewicht des dem Kläger vorzuwerfenden Verhaltens nichts. Ein solches Verhalten macht für den Dienstgeber die Weiterbeschäftigung des verantwortlichen Dienstnehmers unzumutbar, zumal der Dienstgeber im Rahmen seiner Fürsorgepflicht den anderen Mitarbeitern gegenüber verpflichtet ist, sie vor derartigen Angriffen des Klägers zu schützen. Daß der Kläger mit der Arbeitsleistung des K***** unzufrieden war, ist ebensowenig geeignet, sein Verhalten zu entschuldigen, wie eine - vom Erstgericht allerdings nur vermutete - aggressionsfördernde Atmosphäre in der Schmutzwäschekammer. Die von der beklagten Partei ausgesprochene Entlassung daher gerechtfertigt und somit wirksam.

Die Entscheidung über die Verfahrenskosten erster, zweiter und dritter Instanz beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO. Die Tagsatzung vom 17. 2. 1996 dauerte nicht - wie verzeichnet - drei, sondern nur zwei halbe Stunden.

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