OGH 10ObS34/98t

OGH10ObS34/98t27.1.1998

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Ehmayr und Dr.Steinbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Hans Lahner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Ulrike Legner (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Johann B*****, Baumaschinenführer, *****, vertreten durch Dr.Christian Riesemann, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (Landesstelle Graz), 1200 Wien, Adalbert Stifter-Straße 65, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Feststellung einer Berufskrankheit, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29.Oktober 1997, GZ 8 Rs 153/97z-25, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 16.April 1997, GZ 32 Cgs 319/95s-20, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 19.6.1947 geborene Kläger war als Kraftfahrer, Hilfsarbeiter, Baggerfahrer und Maschinist bei Bauunternehmen beschäftigt. Die rund 20 Jahre lang überwiegend ausgeübte Tätigkeit als Baumaschinenführer führte zu einer Schwingungsbelastung der Wirbelsäule. Die derzeit bestehenden Veränderungen der Wirbelsäule des Klägers sind aber in erster Linie degenerativer Natur und schicksalhaft.

Die beklagte Partei sprach mit Bescheid vom 16.11.1995 aus, daß die Wirbelsäulenerkrankung des Klägers nicht als Berufskrankheit anerkannt werde und ein Anspruch auf Leistungen aus Anlaß dieser Erkrankung abgewiesen werde.

Das Erstgericht wies das dagegen erhobene Klagebegehren, es werde festgestellt, daß es sich bei dieser Erkrankung um eine Berufskrankheit gemäß Nr 20 der Anlage 1 zum ASVG handle, ab. Der Kläger habe einerseits im Rahmen seiner Berufsgeschichte nur vereinzelt mit Preßluftwerkzeugen und gleichartigen Maschinen gearbeitet, andererseits lägen massive degenerative Veränderungen der Wirbelsäule vor, die als schicksalhaft zu bezeichnen seien und durch seine Berufstätigkeit weder vorzeitig noch im erhöhten Maße ausgelöst worden seien.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Die Tatsache allein, daß Baumaschinen im allgemeinen - so etwa das Fahren mit Baggern - die Beschwerden begünstigt haben könnten, reichen für die Anerkennung einer Berufskrankheit iS der Nr 20 der Anlage 1 zum ASVG nicht aus.

Die Revision des Klägers ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die geltend gemachte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens (§ 503 Z 2 ZPO) liegt nicht vor; diese Beurteilung bedarf nach § 510 Abs 3 Satz 3 ZPO keiner Begründung. Den Revisionsausführungen sei nur in Kürze folgendes entgegengehalten.

Die Feststellung oder Nichtfeststellung bestimmter Tatsachen resultiert aus der freien Beweiswürdigung der Vorinstanzen, die vom Obersten Gerichtshof nicht überprüft werden kann. Die Frage, ob außer den bereits vorliegenden (medizinischen) noch weitere Sachverständigengutachten zu demselben Beweisthema einzuholen gewesen wären, gehört ebenfalls zur Beweiswürdigung und kann im Revisionsverfahren nicht überprüft werden (SSV-NF 7/12 mwN). Das Berufungsgericht hat sich mit der diesbezüglichen Mängelrüge der klagenden Partei auseinandergesetzt, so daß auch insoweit kein Mangel des Berufungsverfahrens gegeben ist (SSV-NF 7/74 mwN ua).

Der Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache nach § 503 Z 4 ZPO ist nicht gegeben. Vielmehr reicht es aus, auf die zutreffenden Rechtsausführungen der zweiten Instanz zu verweisen (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO). Ergänzend ist den Revisionsausführungen entgegenzuhalten:

Die Frage, ob bestehende Beschwerden in medizinischer Hinsicht Folgen eines Unfalls oder einer beruflichen Tätigkeit sind, also die Feststellung der sogenannten natürlichen Kausalität, gehört zum Tatsachenbereich und ist damit der Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof entzogen (10 ObS 235/94 uva). Soweit der Revisionswerber die natürliche Kausalität seiner Bandscheibenbeschwerden zu bejahen versucht, geht er nicht von den getroffenen Tatsachenfeststellungen aus. Ob der Kausalitätsbeweis von den Vorinstanzen zu Recht als nicht erbracht angesehen wurde, ist im Revisionsverfahren aus den bereits genannten Gründen nicht überprüfbar (10 ObS 211/91, 10 ObS 241/91, 10 ObS 207/94, 10 ObS 235/94 ua).

Im übrigen wären die vom Kläger geltend gemachten Gesundheitsstörungen, nämlich die festgestellten Wirbeksäulenschäden, selbst dann nicht die Folge einer Berufskrankheit nach § 177 Abs 1 ASVG, insbesondere nach der lfd Nr 20 der Anlage 1 zum ASVG, wenn man in Betracht zöge, daß das Lenken von Baumaschinen, insbesondere von Baggern, die Beschwerden begünstigt haben sollten. Nach der dort festgelegten gesetzlichen Definition handelt es sich dabei um "Erkrankungen durch Erschütterungen bei der Arbeit mit Preßluftwerkzeugen und gleichartig wirkenden Werkzeugen und Maschinen (wie zB Motorsägen) sowie durch Arbeit mit Anklopfmaschinen". Der Senat hat zwar in seiner vom Revisionswerber zitierten einen anderen Sachverhalt betreffenden E 10 ObS 43/88 (veröff in SZ 61/86 und SSV-NF 2/36) dargelegt, daß der Gesetzgeber durch die beispielsweise Erwähnung der Motorsägen als gleichartig wirkende Maschinen oder Werkzeuge den Anwendungsbereich der lfd Nr 20 erweitert und zum Ausdruck gebracht habe, grundsätzlich die Beeinträchtigung durch Vibrationen infolge rotierender Bewegung anzuerkennen. Die lfd Nr 20 der Anlage 1 zum ASVG sei daher nicht mehr ausschließlich auf Fälle anwendbar, in denen Erschütterungen durch hammerschlagähnliche Hin- und Herbewegungen mit hoher Frequenz verursacht würden; auch Vibrationen hoher Frequenz seien den genannten Einwirkungen zuzuzählen, daher auch die Erschütterungen durch Arbeit mit einem Hubschrauber. Aus dieser Entscheidung kann aber nicht abgeleitet werden, daß auch die durch Erschütterungen beim Fahren mit Baggern, Raupenfahrzeugen (Panzern), Lastkraftwägen oder Geländefahrzeugen hervorgerufenen oder begünstigten Erkrankungen insbesondere der Ledenwirbelsäule Berufskrankheiten seien (vgl SSV 19/74; Teschner/Widlar, ASVG MGA 54. ErgLfg 982/8 Anm 5 zu § 177; E vom 27.3.1997, 10 ObS 2432/96m = ARD 4888/17/97): Solche Fahrzeuge sind nach richtiger Auffassung weder Preßluftwerkzeuge noch gleichartig wirkende Werkzeuge und Maschinen (wie zB Motorsägen) und schon gar keine Anklopfmaschinen.

Lücken im System der Berufskrankheiten zu schließen, ist nicht Aufgabe der Rechtsprechung. Es wäre allenfalls Sache des Gesetzgebers, auch bestimmte Erkrankungen der Wirbelsäule durch (niedrigfrequente) Erschütterungen beim Lenken von bestimmten (Kraft)Fahrzeugen in den Kreis der Berufskrankheiten aufzunehmen. Ein Blick auf die in der Bundesrepublik Deutschland bestehende Rechtslage zeigt, daß dort etwa - im Gegensatz zu der österreichischen-bandscheibenbedingte Erkrankungen der Ledenwirbelsäule durch langjährige, vorwiegend vertikale Einwirkungen von Ganzkörperschwingungen im Sitzen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können, in die Liste der Berufskrankheiten (Nr 2110) aufgenommen wurden. Derartigen beruflichen Belastungen der Ledenwirbelsäule können vor allem Fahrer von Baustellenlastkraftwagen, Baggern, Erdbaumaschinen, Schleppern, Forstmaschinen im Gelände, Muldenkippern, Gabelstapplern und Militärfahrzeugen im Gelände ausgesetzt sein (siehe dazu Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit5 478 f; Pozun, Der Unfallsachbearbeiter, Lfg 1/96, Rz 221, 13 ff, 25 ff jeweils mwN). In Österreich hingegen fehlt eine vergleichbare Regelung (ebenso 10 ObS 2432/96m).

Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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