OGH 11Os175/97

OGH11Os175/9727.1.1998

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. Jänner 1998 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Schmucker, Dr. Habl und Dr. Zehetner als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin RiAA Mag. Poech als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Roland K***** wegen des Vergehens des Quälens oder Vernachlässigens unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen nach § 92 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Krems/Donau als Schöffengericht vom 27. Juni 1997, GZ 14 Vr 86/96-23, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Wasserbauer, des Angeklagten und des Verteidigers Dr. Wielander zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch

II 2. sowie im Strafausspruch aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen die durch den erfolglos gebliebenen Teil seines Rechtsmittels verursachten Verfahrenskosten zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen - auch einen unbekämpften Freispruch enthaltenden - Urteil wurde Roland K***** der Vergehen des Quälens oder Vernachlässigens unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen nach § 92 Abs 1 StGB (I), der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB (II) und der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (III) schuldig erkannt.

Danach hat er in W***** (zu I) in der Zeit von 1989 bis Ende 1992 mehrmals seiner am 22. Juni 1977 geborenen Schwägerin Silvia P*****, die seiner Obhut unterstand und damals das 18. Lebensjahr noch nicht zurückgelegt hatte, körperliche und seelische Qualen zugefügt, indem er sie auf einem Stockerl niederknieen ließ, ihr befahl, die Hose hinunterzuziehen, bzw ihr selbst die Hose hinunterzog und sie dann entweder mit einem Ledergürtel, einem "Schlapfen", einem nassen Handtuch oder mit den Händen auf das Gesäß schlug;

(zu II) Silvia P***** mit Gewalt zur Duldung von geschlechtlichen Handlungen genötigt, indem er

1. im Jahr 1992

a) die knieende Silvia P***** mit dem Fuß zu Boden drückte und ihr eine Karotte in ihre Scheide einführte, und

b) sie festhielt und ihr einen Tampon aus der Scheide zog und wieder einführte,

2. im Jahr 1992 oder 1993 ihre Brust mit seiner ganzen Hand umfaßte und sie heftig zwickte;

(zu III) Silvia P***** vorsätzlich am Körper verletzt, und zwar

1. zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt im Jahr 1991, indem er auf sie einschlug, wodurch sie mit dem Kopf gegen einen Nagel in der Wand stürzte, und ihr in der Folge ein Haarbüschel ausriß, wodurch sie eine 3 cm große Blutunterlaufung sowie eine Platzwunde am Kopf erlitt;

2. Ende 1992, indem er ihr eine Ohrfeige versetzte, welche längere Zeit sichtbare Hautrötungen (US 8) sowie Schmerzen im Gesichtsbereich zur Folge hatte.

Dieses Urteil bekämpft der Angeklagte mit einer auf die Z 5, 5 a, 9 lit a und b des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

Rechtliche Beurteilung

Die Einwände der Mängel- und Tatsachenrüge (Z 5, 5 a), die zu den Schuldspruchfakten I und II festgestellten, für die Beurteilung der Verjährung dieser Straftaten relevanten Tatzeiten seien nur unzureichend bzw unvollständig begründet und überdies erheblich bedenklich, sind verfehlt.

Nach den (in der Hauptverhandlung verlesenen, S 234) Angaben der Zeugin Silvia P***** im Vorverfahren war sie während ihres Aufenthaltes im Wohnhaus ihrer Schwester Erika K***** von 1989 bis zu ihrem Auszug im November 1992 wiederholt den quälenden Mißhandlungen (I) des Angeklagten ausgesetzt (ON 2, S 19, 23; ON 3, S 42). Dieses Verfahrensergebnis diente dem Erstgericht offenkundig als Stütze für die bemängelten Urteilsannahmen (vgl insbesondere US 11), sodaß in Ansehung der Tatzeitpunkte weder ein formeller Begründungsmangel vorliegt, noch solche Feststellungen - wie in der Rechtsrüge (Z 9 lit b) unzutreffend behauptet - unterblieben sind, weil Urteilsspruch und Entscheidungsgründe als eine Einheit anzusehen sind (vgl. ua. Mayerhofer StPO4 § 260 E 2a).

Dem Beschwerdeführer ist zwar zuzugeben, daß der im Schuldspruch I angeführte Tatendzeitpunkt (Jahresende1992) mit dem bezüglichen Urteilsinhalt, demzufolge die Gewalttätigkeiten des Angeklagten gegenüber Silvia P***** nach ihrem Auszug im November 1992 ein Ende fanden (US 8, 9), nicht genau in Einklang steht. Diese in der Mängel- und Rechtsrüge aufgezeigte Unschärfe ist jedoch - auch unter dem Aspekt des Verjährungseinwandes - nicht entscheidungsrelevant.

Gleiches gilt für die dem Beschwerdeführer zu II 1. angelasteten Unzuchtshandlungen, zu welchen Silvia P***** keine konkreten Tatzeitpunkte (auch nicht in bezug auf ihr möglicherweise noch unmündiges Alter, vgl S 21, 45) anzugeben vermochte. Ersichtlich zugunsten des Angeklagten hat das Erstgericht den geschlechtlichen Mißbrauch des Mädchens erst nach Vollendung seines 14. Lebensjahres, somit nach dem 22. Juni 1991 angenommen (US 3 und 9 f), zumal die in der Anzeige angeführte Deliktszeit im Jahre 1989 (S 5), die eine Tatbeurteilung auch in Richtung des § 207 Abs 1 StGB (Leukauf/Steininger Komm3 § 207 RN 29) bedingen würde, in den weiteren Verfahrensergebnissen keine Deckung findet. Insoweit der Nichtigkeitswerber in seiner Rechtsmittelschrift mehrfach auf die Feststellung einer Tatzeit zu Faktum II vor dem Juni 1991 abzielt, negiert er nicht nur die anderslautenden Konstatierungen des Schöffengerichtes, sondern führt diesen Teil der Nichtigkeitsbeschwerde sogar zu seinem Nachteil aus und verfehlt diesbezüglich die prozeßordnungsgemäße Darstellung.

Dessen ungeachtet kommt den vom Beschwerdeführer kritisierten Feststellungen der Tatbegehungszeitpunkte bei Prüfung der relevierten Verjährungsfrage keine entscheidende Bedeutung zu:

Gemäß § 57 Abs 3 StGB beträgt die Verjährungsfrist für die jeweils mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bedrohten Vergehen des Quälens oder Vernachlässigens unmündiger, junger oder wehrloser Personen nach § 92 Abs 1 StGB und der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB fünf Jahre. Hinsichtlich des erstbezeichneten Delikts endete die Verjährungsfrist daher Ende (richtig: im November) 1997. Eine den Fortlauf der Verjährung hemmende strafgerichtliche Maßnahme erfolgte bereits durch die vom Untersuchungsrichter am 22. Februar 1996 verfügte Vorladung des Beschwerdeführers und von Zeugen (S 1 a; vgl Leukauf/Steininger aaO § 58 RN 20) und nicht, wie in der Beschwerde behauptet wird, erst durch seine Vernehmung am 5. März 1996. Die Verjährung der vom Angeklagten begangenen Unzuchtshandlungen ist (selbst bei Annahme von Tatzeitpunkten vor Februar 1991) noch nicht eingetreten, weil beide Straftaten (I und II) - der in der Rechtsrüge (Z 9 lit b) vertretenen Auffassung zuwider - auf der gleichen schädlichen Neigung beruhen (§ 58 Abs 2 StGB).

Die Frage, ob strafbare Handlungen gegen dasselbe Rechtsgut gerichtet sind und demnach auf der gleichen schädlichen Neigung (§ 71 StGB) des Täters beruhen, kann nicht allein - wie der Beschwerdeführer argumentiert - nach der systematischen Einordnung der in Betracht kommenden Tatbestände im Strafgesetzbuch beantwortet werden, sondern ist vor allem nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen (SSt 46/48). Gewalt- (§ 92 StGB) und Sittlichkeitsdelikte (§ 202 StGB) richten sich gleichermaßen gegen die körperliche Integrität des Opfers und beruhen daher auf der gleichen schädlichen Neigung (11 Os 75/93; Leukauf/Steininger aaO § 71 RN2 und 6). Daraus folgt, daß die durch die ablaufhemmende Wirkung bedingte Verlängerung der Verfolgungsverjährungsfristen die vom Beschwerdeführer reklamierte Annahme des Strafaufhebungsgrundes der Verjährung (selbst bis zu einer Tatzeit im Jahre 1989 zurück) nicht zuläßt.

In seiner gegen den Schuldspruch wegen § 92 Abs 1 StGB gerichteten Rechtsrüge (Z 9 lit a) bestreitet der Angeklagte unter Hinweis auf die vereinzelten, lediglich Hautrötungen herbeiführenden Mißhandlungen des Mädchens die Zufügung körperlicher und seelischer Qualen.

Der Tatbestand des § 92 Abs 1 StGB erfordert im Unterschied zu den §§ 84 Abs 2 Z 3, 99 Abs 2 (zweiter Fall) bzw 106 Abs 1 Z 2 StGB weder die Zufügung besonderer Qualen noch die Herbeiführung eines qualvollen Zustandes, sondern stellt darauf ab, daß der Täter dem Tatopfer körperlche oder seelische Qualen zufügt, worunter Schmerzen, Leiden oder Angstzustände zu verstehen sind, die wegen ihrer beträchtlichen Intensität oder weil sie einen gewissen Zeitraum andauern oder sich wiederholen, mit einer erheblichen Beeinträchtigung des psychischen oder physischen Wohlbefindens des Betroffenen verbunden sind (JBl 1987, 259; NRsp 1988/94).

Der Begriff des Quälens verlangt daher, daß das Opfer wesentlich über die mit Mißhandlungen gewöhnlich verbundene Schmerzintensität oder Schmerzdauer hinaus physisch oder psychisch schwer getroffen ist, setzt jedoch - anders als die vorangeführten Deliktsqualifikationen - weder Auswirkungen von außergewöhnlicher Intensität noch ein länger dauerndes Anhalten der nachteiligen körperlichen oder seelischen Folgen voraus.

Im vorliegenden Fall kommt es - der Beschwerde zuwider - auf die Häufigkeit der Mißhandlungen nicht entscheidend an. Wenngleich das Erstgericht die Zahl der vom Angeklagten vorgenommenen Züchtigungshandlungen nicht festzustellen vermochte, kann aufgrund des Tatherganges - Versetzen von Schlägen mit verschiedenen Werkzeugen auf das entblößte Gesäß des knieenden Mädchens - weder der damit verbundene peinvolle Zustand noch die in dieser erniedrigenden Vorgangsweise des Angeklagten gelegene intensive Einwirkung auf die Psyche der in der (vor-)pubertären Phase befindlichen Silvia P***** , die auch Angstzustände zur Folge hatte (US 7), bezweifelt werden. Verfehlt ist auch der Beschwerdeeinwand, daß die durch die Mißhandlungen verursachten Hautrötungen für die Annahme von Qualen nicht genüge. Das Tatbild des § 92 Abs 1 StGB erfordert - im Gegensatz zu dem des Abs 2 - über das Zufügen von Qualen hinaus keine weiteren Tatfolgen (EvBl 1985/18; JBl 1987, 259).

Da das vom Erstgericht festgestellte Gesamtverhalten des Angeklagten und dessen Auswirkungen die Zufügung körperlicher und seelischer Qualen im Sinne des § 92 Abs 1 StGB bedeutete, liegt der vom Beschwerdeführer behauptete Rechtsirrtum nicht vor.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher in diesem Umfang zu verwerfen.

Hingegen kommt der den Schuldspruch II 2. - geschlechtliche Nötigung der Silvia P***** durch Umfassen ihrer Brust und heftiges Zwicken - mit dem Einwand fehlender Feststellungen zur objektiven Tatseite bekämpfenden Beschwerde (Z 9 lit a) Berechtigung zu.

Der Vergehenstatbestand der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB erfaßt jede nicht unter § 201 StGB fallende, mit Gewalt oder gefährlicher Drohung erzwungene Vornahme oder Duldung einer geschlechtlichen Handlung. Das Ersturteil enthält aber keine den Einsatz von Nötigungsmitteln bejahende Konstatierungen (vgl US 3, 10, 18 f). Dieser vom Beschwerdeführer zutreffend aufgezeigte Feststellungsmangel führt insoweit zur Urteilsaufhebung einschließlich des Strafausspruchs und zur Anordnung der Verfahrenserneuerung in erster Instanz.

Es war daher in teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.

Der Ausspruch über den Kostenersatz beruht auf § 390 a Abs 1 StPO.

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