Spruch:
Das Strafverfahren steht dem Jugendgerichtshof Wien zu.
Text
Gründe:
Mit Beschluß des Untersuchungsrichters des Jugendgerichtshofes Wien vom 17.Oktober 1997, AZ 12 Vr 656/97, wurde über den am 28.November 1979, sohin jugendlichen liberianischen Beschuldigten Newman P***** und einen anderen erwachsenen Beschuldigten die Voruntersuchung wegen "§ 12 Abs 1 + 2 SGG" eingeleitet (am 5.November 1997 auf die Nachtragsfakten der ON 12 ausgedehnt), über sie die Untersuchungshaft verhängt und das Verfahren gemäß § 29 JGG, § 56 StPO an das Landesgericht für Strafsachen Graz zum AZ 18 Vr 2986/97 abgetreten (S 1 f/I).
Nach den sicherheitsbehördlichen Erhebungsergebnissen ist P***** dringend verdächtig, in Wien im Zusammenwirken mit gesondert verfolgten Mittätern gewerbsmäßig von Jänner bis Oktober 1997 mindestens 7 kg Suchtgift (Heroin und Kokain) in Verkehr gesetzt (Anzeige in ON 12/I, 323 und 717/II) sowie am 14.Oktober 1997 getrachtet zu haben, 56,8 Gramm Heroin in Verkehr zu setzen (55 ff/I, 137 ff, 289 ff, 577 ff, 711/II).
In der Folge verneinten die Untersuchungsrichter der zwei genannten Gerichtshöfe ihre örtliche Zuständigkeit zur Führung der Voruntersuchung gegen P*****, weil sie der Ansicht waren, dessen gewöhnlicher Aufenthaltsort zur Zeit der Einleitung des Verfahrens gemäß § 29 JGG sei im jeweils anderen Gerichtssprengel gelegen. Diese Frage blieb auch zwischen den Oberlandesgerichten Wien (AZ 21 Bs 409/97) und Graz (AZ 11 Ns 71/97) streitig (§ 64 Abs 1 dritter Satz StPO). Diesen Entscheidungen ist der aktengetreu und ausführlich wiedergegebene Verfahrensablauf zu entnehmen.
Der vom Landesgericht für Strafsachen Graz und der vom übergeordneten Gerichtshof zweiter Instanz in der zentralen Frage vertretenen Rechtsansicht, wo der Beschuldigte zur Zeit der Einleitung des Strafverfahrens seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte (§ 29 JGG), kommt Berechtigung zu:
Rechtliche Beurteilung
Der gewöhnliche Aufenthalt einer Person bestimmt sich ausschließlich nach tatsächlichen Umständen ungeachtet seiner Erlaubtheit oder Freiwilligkeit (vgl Stohanzl JN und ZPO14 § 66 JN E 12 f, 15 ff; Jesionek Kurzkommentar zum JGG 1988 § 29 Anm 2). Demnach ist hiefür der tatsächliche Schwerpunkt der Lebensführung einer Person maßgebend, nicht aber der Wille, an einem bestimmten Ort Aufenthalt zu nehmen (RdW 1990, 256; 8 Nd 2/96, 8 Nd 3/96, 8 Nd 4/96). Bei Ausländern, die in Österreich nicht integriert sind, ist der Begriff des gewöhnlichen Aufenthaltes extensiv zu interpretieren und die Zuständigkeit gemäß § 29 JGG schon dann anzunehmen, wenn ein Jugendlicher, der sonst keinen Bezugspunkt im Inland hat, sich wenigstens eine gewisse Zeit hindurch an einem bestimmten Ort aufgehalten hat. So wird etwa bei Flüchtlingen oder Asylwerbern (wie im konkreten Fall) in der Regel an den Ort angeknüpft, an dem diese Personen - wenn auch nur kurzfristig - im Zeitpunkt der Einleitung des gerichtlichen Verfahrens aufhältig sind (Jesionek aaO Anm 3.).
Im Sinne dieser Rechtsausführungen hatte der Beschuldigte P***** zur Zeit der Verfahrenseinleitung (17.Oktober 1997) - dem Rechtsstandpunkt des Oberlandesgerichtes Wien zuwider - seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht in Graz, sondern in Wien. Denn nach der bei Beurteilung der örtlichen Zuständigkeit im derzeitigen Verfahrensstadium maßgebenden Verdachtslage (vgl 13 Nds 91/94) lebte der Beschuldigte nach den vorliegenden Erhebungsergebnissen (315, 341 f, 409, 581, 713/II) zur Zeit der Einleitung des Verfahrens tatsächlich in Wien 21., Justgasse 29/7/2. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß er in Wien nicht gemeldet war, wohl aber seit 24. Oktober 1996 im Caritas-Heim in Graz, Vinzenz Muchitsch Straße 42 (13, 35/I, 171, 179, 711/II), und er selbst bestreitet, in der Justgasse wohnhaft gewesen zu sein (85 = 317/I). Nach einem Polizeibericht vom 3.Dezember 1997 (39/III) konnte P***** Ende März 1997 an der von ihm bezeichneten Adresse in Graz nicht angetroffen werden. Überdies ergibt sich daraus, daß die Anschrift des Caritas-Heimes von zahlreichen Schwarzafrikanern - den Verfahrensergebnissen zufolge auch vom Beschuldigten - lediglich als Meldewohnsitz verwendet wird; sie halten sich dort aber nur sporadisch auf, um in Graz die Sozialhilfeunterstützung zu beziehen.
Demnach ist im konkreten Fall - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - der Jugendgerichtshof Wien zuständig.
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