OGH 11Os140/97 (11Os141/97)

OGH11Os140/97 (11Os141/97)28.10.1997

Der Oberste Gerichtshof hat am 28.Oktober 1997 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Ebner, Dr.Schmucker, Dr.Habl und Dr.Zehetner als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Rossmeisel als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Friedrich H***** wegen des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluß des Jugendgerichtshofes Wien vom 16.Jänner 1996, GZ 10 U 200/95-16, und einen anderen Vorgang, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Kirchbacher, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Es verletzen das Gesetz

(1) der Beschluß des Jugendgerichtshofes Wien vom 16.Jänner 1996, GZ 10 U 200/95-16, in der Bestimmung des § 494 a Abs 3 erster und zweiter Satz StPO;

(2) der Beschluß des Jugendgerichtshofes Wien vom 27.Februar 1997, GZ 20 b U 10/93-35, in der Bestimmung des § 43 Abs 2 StGB sowie in dem sich aus den Anfechtungsvorschriften und dem XX.Hauptstück der Strafprozeßordnung ergebenden Grundsatz der Bindungswirkung gerichtlicher Entscheidungen.

Diese Beschlüsse werden aufgehoben und dem Jugendgerichtshof Wien die Entscheidung über den Widerruf der bedingten Strafnachsicht aus Anlaß der Verurteilung des Friedrich H***** vom 16.Jänner 1996, GZ 10 U 200/95-16, in den Verfahren zu den AZ 17 a U 482/91 und 20 b U 10/93 des Jugendgerichtshofes Wien vorbehalten.

Text

Gründe:

Über Friedrich H***** wurden mit den Urteilen des Jugendgerichtshofes Wien vom 25.November 1991, GZ 17 a U 482/91-10, und vom 29.November 1993, GZ 20 b U 10/93-26, wegen des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB bedingt nachgesehene Freiheitsstrafen verhängt. Die erste der jeweils mit drei Jahren bestimmten Probezeiten wurde anläßlich des zweiten Schuldspruches auf fünf Jahre verlängert.

In Abwesenheit des Beschuldigten erkannte der Jugendgerichtshof Wien am 16.Jänner 1996 Friedrich H***** abermals einer Unterhaltspflichtverletzung schuldig, verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe und faßte zugleich den Beschluß auf Widerruf der in beiden Vorverfahren gewährten Strafnachsicht (GZ 10 U 200/95-16).

Die in § 494 a Abs 7 StPO angeordnete unverzügliche (und daher gegebenenfalls vor Rechtskraft erforderliche) Verständigung vom Widerrufsbeschluß unterblieb. Infolge dieser Gesetzwidrigkeit wurde die im Verfahren zum AZ 20 b U 10/93 des Jugendgerichtshofes Wien gewährte Strafnachsicht am 27.Februar 1997 für endgültig erklärt.

Der Widerrufsbeschluß und der Beschluß auf endgültige Strafnachsicht stehen - wie der Generalprokurator in seiner zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt - mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 494 a Abs 3 StPO hat das Gericht vor der Entscheidung über den Widerruf einer bedingten Strafnachsicht oder bedingten Entlassung auch den Angeklagten zu hören. Davon kann abgesehen werden, wenn das Urteil in seiner Abwesenheit gefällt wird und ein Ausspruch nach § 494 a Abs 1 Z 2 StPO erfolgt, also wenn bei Ausbleiben des Angeklagten von einem Widerruf aus Anlaß der neuen Verurteilung Abstand genommen wird.

Im Verfahren 10 U 200/95 des Jugendgerichtshofes Wien ist diese Anhörung des Beschuldigten infolge Durchführung der Hauptverhandlung und Fällung des Urteils in seiner Abwesenheit (§ 459 StPO) unterblieben. Das erkennende Gericht durfte daher einen Widerruf nicht beschließen. Es hätte vielmehr in analoger Anwendung des § 494 a Abs 2 letzter Satz iVm § 495 Abs 1 StPO aussprechen müssen, daß die Entscheidung über den Widerruf dem Jugendgerichtshof Wien in den Verfahren vorbehalten bleibt, in denen eine bedingte Nachsicht ausgesprochen worden ist (Mayerhofer StPO4 E 16 a und Foregger/Kodek, StPO6 Erl IV, je zu § 494 a; JAB zum StRÄG 1987, 359 BlgNR 17.GP 53 f).

Der gesetzwidrig zustandegekommene, rechtskräftige Widerrufsbeschluß gereicht dem Verurteilten zum Nachteil. Er war gemäß § 292 letzter Satz StPO im dargelegten Sinn zu korrigieren.

Begriffliche Voraussetzung für die endgültige Strafnachsicht ist das Unterbleiben ihres Widerrufs (§ 43 Abs 2 StGB). Diese Bedingung war im Verfahren 20 b U 10/93 des Jugendgerichtshofes Wien nicht erfüllt, weil zuvor bereits auf Widerruf erkannt worden war. Der Widerrufsbeschluß vom 16.Jänner 1996 entfaltete (schon vor Eintritt der Rechtskraft) eine Bindungswirkung, derzufolge kein Gericht ohne vorangegangene Aufhebung des Beschlusses berechtigt war, über den Entscheidungsgegenstand neuerlich abzusprechen. Mit dem Beschluß auf endgültige Strafnachsicht wurde daher eine Entscheidungskompetenz rechtswidrig in Anspruch genommen.

Diese Feststellungsentscheidung konnte weder den schon vorher wirksam beschlossenen Widerruf der bedingten Strafnachsicht beseitigen noch sonst eine Rechtsfolge hervorrufen; der konstitutive Gehalt des ab seiner Verkündung wirksamen und danach auch in Rechtskraft erwachsenen Widerrufsbeschlusses blieb vielmehr hievon unberührt (JBl 1989, 400 = EvBl 1989/64; 14 Os 7/97, 15 Os 56/97).

Der verfehlte Beschluß auf endgültige Strafnachsicht war somit aufzuheben.

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