OGH 7Ob163/97i

OGH7Ob163/97i22.10.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Hannes H***** (in zweiter Instanz berichtigt in Dr.Gernot S*****, als Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen des Hannes H*****), wider die beklagte Partei D*****-AG, ***** vertreten durch Dr.Wolfram Themmer ua Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung, infolge Revisionen der klagenden Partei und der beklagten Partei gegen das Urteil des Handelsgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 13.Jänner 1997, GZ 1 R 385/96f-28, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes für Handelssachen Wien vom 29.September 1995, GZ 9 C 1759/95g-20, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß gefaßt und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

1. Die Bezeichnung der klagenden Partei wird von "Dr.Gernot S*****, als Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen des Hannes H*****" auf "Hannes H*****, vertreten durch Dr.Michael Kinberger und Dr.Alexander Schuberth, Rechtsanwälte in Zell am See" berichtigt.

2. Die Revision der beklagten Partei im Kostenpunkt wird zurückgewiesen.

3. Im übrigen wird den Revisionen nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Revisionsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger hat bei der beklagten Partei eine Rechtsschutzversicherung abgeschlossen, der die ARB 1988 zugrundeliegen. Am 9.9.1993 war der Kläger als Lenker seines PKWs BMW 530 i an einem Verkehrsunfall in H***** beteiligt. Er fuhr auf der Wiener Straße (B 1) von H***** kommend in Richtung Linz bzw Wien und wollte nach links in die Auffahrt zur A 1 - Westautobahn einbiegen. Hiebei kollidierte er mit dem auf der B 1 entgegenkommenden, von Hermann J***** gelenkten PKW Mercedes 240. Auf der vom Kläger benützten Linksabbiegespur befindet sich vor dem für den Gegenverkehr bestimmten Fahrstreifen eine Haltelinie und das Verkehrszeichen "Halt". Beim Unfall wurden der Kläger und dessen Beifahrer Martin R***** sowie Theresa J*****, die Beifahrerin im PKW des Hermann J*****, verletzt. In dem gegen den Kläger eingeleiteten Strafverfahren wurde er wegen fahrlässiger Körperverletzung der Theresa J***** nach § 88 Abs 1 StGB zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er unter Mißachtung des Vorranges den in Richtung Salzburg führenden Ast der B 1 querte und deshalb mit dem PKW des Hermann J***** zusammenstieß. Eine Strafberufung des Klägers blieb ohne Erfolg. Im Strafverfahren wurde ihm seitens der beklagten Partei Rechtsschutzdeckung gewährt.

Martin R***** klagte zu ***** C ***** einen Schmerzengeldbetrag von S 30.000 gegen die Haftpflichtversicherung des Klägers, der W***** Versicherung AG, ein. Das Verfahren war bei Schluß der Verhandlung erster Instanz noch anhängig. Die beklagte Partei gewährte hiefür mit Zustimmung des Klägers ebenfalls Rechtsschutzdeckung.

Mit Schreiben vom 5.10.1993 ersuchte der damalige Klagevertreter namens des Klägers um eine schriftliche Bestätigung der Rechtsschutzdeckung zur Durchsetzung der Ansprüche aus dem Unfall, wobei er unter anderem ausführte, daß der Kläger sein Fahrzeug beim Abbiegevorgang möglicherweise 50 bis 70 cm innerhalb der gegnerischen Fahrbahn zum Stillstand gebracht habe, daß jedoch sein Mitverschulden in keiner Relation zu dem weit überwiegenden Verstoß des Gegners gegen das Gebot des Fahrens auf Sicht stehe.

Die beklagte Partei antwortete mit Schreiben vom 11.10.1993, daß grundsätzlich der Versicherungsschutz bestätigt werde, vorausgesetzt, daß die Erstprämie für den mit 1.9.1993 versicherten Fuhrpark unverzüglich bezahlt werde.

Nach Abschluß des Strafverfahrens kündigte der Rechtsvertreter des Klägers die Einklagung zunächst nur eines Teiles des Schadens an. Er führte aus, daß der Unfallsgegner das Fahrzeug des Klägers, der auf der Abbiegespur eventuell etwas über die Spur hinaus zum Stillstand gekommen sei, frontal gerammt habe, weshalb der Unfallsgegner mit Sicherheit ein Teilverschulden wegen Verletzung des Gebotes des Fahrens auf Sicht sowie wegen Nichtbeachtung einer unklaren Verkehrssituation, in der der Vertrauensgrundsatz nicht mehr gelte, treffe. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (ZVR 1980/315) komme es zu einer Verschuldensteilung 3 : 1 zu Lasten des eine Vorrangverletzung begehenden Fahrzeuglenkers. Mit Schreiben vom 10.8.1994 übersandte der Vertreter des Klägers die zugleich mit einem Schreiben der beklagten Partei eingelangte Ausfertigung des Strafurteiles des Landesgerichtes Salzburg und ersuchte nochmals um Bestätigung der Rechtsschutzdeckung. Mit Schreiben vom 18.8.1994 übermittelte der Vertreter des Klägers einen Klagsentwurf, das den Sachschaden betreffende Gutachten und die Verletzungsanzeigen an die beklagte Partei. Er wies darauf hin, daß ein angemessenes Schmerzengeld in Höhe von je S 30.000 für den Kläger und Martin R***** angesetzt werde. Zum Unfall werde noch ausgeführt, daß der Kläger sein Fahrzeug vor der Kollision jedenfalls zum Stillstand gebracht habe. Er sei lediglich 1 m in die von Hermann J***** befahrene Straße eingefahren. Aus dem zweiten Lichtbild des Gendarmerieaktes ergebe sich an Hand der sichtbaren Bremsspur, daß die rechte vom Fahrzeug des Hermann J***** gezeichnete Spur ca. 2,5 bis 3 m vom rechten Fahrbahnrand entfernt sei. Bei rechtmäßigem Alternativverhalten des Hermann J***** wäre der Unfall vermieden worden. Es liege ein Mitverschulden von zumindest einem Drittel wegen des Verstoßes gegen das Rechtsfahrgebot bzw wegen eines unzulässigen Kurvenschneidens sowie aus der Reaktionsverspätung bei einem Verstoß gegen das Fahren auf Sicht vor. Mit Antwortschreiben der beklagten Partei vom 7.9.1994 lehnte diese die Übernahme der Rechtsschutzdeckung ab.

Der Kläger und Martin R***** haben inzwischen zu ***** C ***** eine Klage auf behauptete Haftpflichtansprüche aus dem Unfall gegen Hermann J***** und dessen Haftpflichtversicherung, die W***** Versicherungs AG, eingebracht. Der Kläger begehrt von seinem behaupteten Gesamtschaden von S 162.308,-- ein Drittel. Martin R***** begehrt ebenfalls ein Drittel von seinem behaupteten Schmerzengeldanspruch von S 30.000,--. Dieses Verfahren war bei Schluß der Verhandlung in erster Instanz noch anhängig.

Mit vorliegender Klage begehrt der Kläger die Feststellung der Deckungspflicht der klagenden Partei sowohl gegenüber dem Kläger als auch gegenüber Martin R***** im Verfahren ***** C *****.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, daß Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgung im Sinn des Art 9.2.3 ARB vorliege, weil der Kläger sowohl eine Stoptafel als auch eine Haltelinie überfahren habe und damit in gravierender Weise gegen die Straßenverkehrsvorschriften verstoßen habe. Es sei nicht dargelegt worden, warum ein allfälliger Verstoß des Gegners gegen das Rechtsfahrgebot unfallkausal gewesen sein sollte. Darüber hinaus habe der Kläger seine Obliegenheit im Sinn des Art 8.1.1 ARB verletzt, wie sich aus seinen schwankenden Behauptungen über das angebliche Mitverschulden des Hermann J***** ergebe. Der Kläger habe der beklagten Partei prozeßentscheidende Umstände verschwiegen. Der Verstoß des Klägers gegen das Gebotszeichen Halt sei mit keinem Wort erwähnt worden. Dem Martin R***** sei ohnehin bereits Rechtsschutzdeckung zur Durchsetzung seiner Ansprüche gegen die Haftpflichtversicherung des Klägers gewährt worden, sodaß eine nochmalige Einklagung gegen die Haftpflichtversicherung des Unfallgegners unnötige Kosten verursache und gegen die Obliegenheit des Art 8.1.4 ARB verstoße.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es liege eine Obliegenheitsverletzung nach Art 8.1.1 ARB vor, weil die Beurteilung der Sachlage aufgrund der Schreiben des Vertreters des Klägers nicht möglich gewesen sei. Insbesondere sei das Gebotszeichen "Halt" nicht erwähnt worden. Die Ausfertigung des Strafurteiles des Landesgerichtes Salzburg (das am 1.6.1994 verkündet wurde) sei "erst" am 10.8.1994 an die beklagte Partei übermittelt worden. Auch daraus lasse sich aber nicht zwingend der Sachverhalt ableiten. Auch sei die Deckung gemäß Art 9.2.3 ARB zu Recht abgelehnt worden, weil der Verstoß des Klägers so schwer wiege, daß ein allfälliges Mitverschulden des Hermann J***** zu vernachlässigen sei. Die Kosten der Klagsführung des Martin R***** seien nicht notwendig im Sinn des Art 6.1 und Art 8.1.4 ARB, weil ohnehin bereits Rechtsschutzdeckung in dessen Verfahren gegen den Haftpflichtversicherer des Klägers gewährt worden sei.

Das Erstgericht stellte - ohne jede eigene Beweisaufnahme zum Unfallshergang - noch fest: Der Kläger reihte sich am Linksabbiegestreifen ein, kam jedoch erst zum Stillstand, als sein Fahrzeug 1 m in die Gegenfahrbahn hineinragte. Hermann J***** fuhr, nachdem er einen weiter zurückliegenden LKW überholt hatte, kurz vor dem Zusammenprall noch nicht äußerst rechts, sondern hielt einen Abstand von 2 m vom rechten Fahrbahnrand entfernt ein, als er eine Vollbremsung einleitete, um den Zusammenstoß mit dem von links in die Fahrbahn hineinragenden PKW des Klägers zu verhindern. Der von Hermann J***** gelenkte PKW prallte aber frontal gegen den PKW des Klägers.

Das Gericht zweiter Instanz berichtigte die Bezeichnung des Klägers infolge inzwischen erfolgter Konkurseröffnung über dessen Vermögen auf den bestellten Masseverwalter. Es änderte das Ersturteil in teilweiser Stattgebung der Berufung des Klägers dahin ab, daß es die Deckungspflicht der beklagten Partei gegenüber dem Kläger für das Verfahren ***** C ***** feststellte und das Begehren hinsichtlich der Feststellung der Deckungspflicht gegenüber Martin R***** im betreffenden Verfahren und bezüglich der durch seine Teilnahme an diesem Verfahren zusätzlich auflaufenden Kosten abwies. Weiters sprach es aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000 übersteige und daß die ordentliche Revision zulässig sei. Es sei von der Behauptung des Klägers auszugehen, daß der Unfallsgegner rund 2,5 bis 3 m vom rechten Fahrbahnrand entfernt gefahren sei. Werde dies als richtig unterstellt, sei dem Unfallgegner ein unfallkausaler Verstoß gegen § 7 Abs 1 StVO anzulasten. Die kasuistische Rechtsprechung zu derartigen Unfallkonstellationen lasse die Interessenwahrnehmung des Klägers keineswegs so gut wie chancenlos erscheinen. Nur in einem solchen Fall wäre die Ablehnung der Kostenübernahme berechtigt. Es seien die Grundsätze der Verfahrenshilfe bei Prüfung der Erfolgsaussichten heranzuziehen, wobei die Anforderungen an die Erfolgsaussichten in der Rechtsschutzversicherung etwas niedriger zu halten seien. Es sei auch eine Verletzung der Aufklärungsobliegenheit zu verneinen. Diese setze mit dem schriftlichen Verlangen nach Versicherungsschutz ein. Es sei daher das erste Schreiben des Klägers vom 5.10.1993 entscheidend. Aus der Korrespondenz lasse sich jedoch entnehmen, daß der beklagten Partei die Umstände des Unfalles in diesem Zeitpunkt zumindest in Umrissen bereits bekannt gewesen seien. Darin, daß im Schreiben vom 5.10.1993 von einem Einfahren des Klägers von 50 bis 70 cm in die gegnerische Fahrspur, in der von der Gendarmerie aufgenommenen Niederschrift aber von einem Einfahren von ca 1 m die Rede gewesen sei, könne keine wahrheitswidrige Angabe erblickt werden, weil derartige Maße auf Schätzungen beruhten. Davon abgesehen sei nicht ersichtlich, inwieweit in concreto eine Beeinträchtigung der beklagten Partei hätte eintreten können. Dem Kläger sei daher zur Durchsetzung seines eigenen Anspruches Deckung zu gewähren. Bezüglich des Beifahrers bestehe eine Versicherung für fremde Rechnung im Sinn der §§ 74 ff VersVG, bei der der Kläger grundsätzlich zur prozessualen Geltendmachung des Deckungsanspruches berechtigt sei. Gemäß Art 6.3 ARB sei auch die Notwendigkeit der Prozeßführung zu prüfen, wobei die zu § 41 Abs 1 ZPO entwickelten Grundsätze heranzuziehen seien. Demnach habe die beklagte Partei nicht für eine "doppelte" Klagsführung einzustehen. An der Liquidität des Haftpflichtversicherers des Unfallgegners könne kein ernsthafter Zweifel bestehen. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil zur Frage der Aufklärungsobliegenheit nach Art 8.1.1 ARB 1988 nur eine publizierte Entscheidung des Obersten Gerichtshofes (VersR 1984, 1207) vorliege, die zum vorliegenden Fall wenig Parallelen zeige. Zur Auslegung des Art 6.3 ARB 1988 existiere ebenfalls keine Vorjudikatur.

Gegen dieses Urteil erhoben beide Streitteile Revision, wobei sich der Kläger gegen den abweisenden Teil, die beklagte Partei gegen den stattgebenden Teil sowie gegen die Kostenentscheidung richtet.

Soweit die Revision der beklagten Partei die Kostenentscheidung bekämpft, ist sie gemäß § 528 Abs 2 Z 3 ZPO jedenfalls unzulässig, sodaß sie insoweit zurückzuweisen war.

Rechtliche Beurteilung

Im übrigen sind die Revisionen zwar zulässig, aber nicht berechtigt.

Vorweg ist festzuhalten, daß die Bestimmungen der §§ 158i bis 158m und des § 6 Abs 3 VersVG in der Neufassung BGBl Nr 90/1993 noch nicht anzuwenden sind (§§ 191a, 191b VersVG 1994).

Die hier maßgebenden Bestimmungen der ARB 1988 lauten:

Art 6 (Welche Leistungen erbringt der Versicherer):

1. Verlangt der Versicherungsnehmer Versicherungsschutz, übernimmt der Versicherer im Fall seiner Leistungspflicht die ab dem Zeitpunkt der Geltendmachung des Deckungsanspruches entstehenden Kosten gemäß Punkt 6., soweit sie für die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Versicherungsnehmers notwendig sind...

3. Notwendig sind die Kosten, wenn die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung zweckentsprechend und nicht mutwillig ist und hinreichende Aussicht auf deren Erfolg besteht...

Art 8 (Welche Pflichten hat der Versicherungsnehmer zur Sicherung seines Deckungsanspruches zu beachten? Obliegenheiten):

1. Verlangt der Versicherungsnehmer Versicherungsschutz, ist er verpflichtet

1.1. den Versicherer unverzüglich, vollständig und wahrheitsgemäß über die jeweilige Sachlage aufzuklären und ihm alle erforderlichen Unterlagen auf Verlangen vorzulegen;...

1.4. alles zu vermeiden, was die Kosten unnötig erhöht oder die Kostenerstattung durch Dritte ganz oder teilweise verhindert;...

2. Verletzt der Versicherungsnehmer eine der vorstehend genannten Obliegenheiten, ist der Versicherer gemäß § 6 Abs 3 VersVG von der Verpflichtung zur Leistung frei...

Art 9 Abs 1....

2. Davon unabhängig hat der Versicherer das Recht, jederzeit Erhebungen über den mutmaßlichen Erfolg der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung anzustellen. Kommt er nach Prüfung des Sachverhaltes unter Berücksichtigung der Rechts- und Beweislage zum Ergebnis, ... 2.3. daß erfahrungsgemäß keine Aussicht auf Erfolg besteht, hat er das Recht, die Kostenübernahme zur Gänze abzulehnen."

Zur Revision der beklagten Partei:

Die gerügte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

Wie der erkennende Senat bereits in 7 Ob 13/95 (= ecolex 1996, 354) ausgeführt hat, soll im Deckungsprozeß nicht der Haftpflichtprozeß vorweggenommen werden. Beweisaufnahmen und Feststellungen zur Tatfrage, wer den Schaden des Klägers durch welches Verhalten herbeigeführt hat, sind insoweit überflüssig und sinnlos, weil sie keine Bindungswirkung für den Haftpflichtprozeß erzeugen. Es genügt, daß der Versicherungsnehmer dem Versicherer den Sachverhalt vollständig und wahrheitsgemäß vorbringt und die erforderlichen Beweismittel angibt. Ist dieser Sachverhaltsvortrag von vornherein unschlüssig oder von vornherein offensichtlich unrichtig oder nicht erfolgversprechend, kann der Versicherungsschutz abgelehnt werden. Eine Vorwegnahme des Ergebnisses des Haftpflichtprozesses hat bei Prüfung all dieser Ablehnungsgründe aus den oben dargestellten Erwägungen aber zu unterbleiben. Die Beurteilung der Erfolgsaussichten ist vielmehr aufgrund einer Prognose nach dem Zeitpunkt vor Einleitung des Haftpflichtprozesses vorliegenden Erhebungsmaterial vorzunehmen (SZ 61/129). Diese Ansicht entspricht im Ergebnis auch der deutschen Rechtsprechung und Lehre, daß eine Beurteilung der Beweischancen durch antizipierte Beweiswürdigung bei der Prüfung der Erfolgsaussichten grundsätzlich nicht in Betracht kommt (ecolex 1996, 354 mwN).

In diesem Sinne sind die Ausführungen des Gerichtes zweiter Instanz zu verstehen, daß den Feststellungen des Erstgerichtes über den Abstand des von Hermann J***** gelenkten PKWs vom rechten Fahrbahnrand keine entscheidende Bedeutung bei Prüfung des Deckungsanspruches zukommt.

Der von Hermann J***** eingehaltene Abstand zum rechten Fahrbahnrand läßt sich dem Verkehrsunfallsbericht der Gendarmerie nicht mit Eindeutigkeit entnehmen. Die Skizze ist nicht maßstabgetreu. Im übrigen ist unerfindlich, warum der Ausgang des Haftpflichtprozesses zwingend davon abhängig sein sollte, ob dieser Abstand 50 cm mehr oder weniger betrug, ist doch bislang auch unklar, wie breit der von Hermann J***** benützte Fahrbahnast überhaupt ist und wie groß daher sein Abstand vom linken Rand dieses Fahrbahnastes war.

Dem Gericht zweiter Instanz ist auch dahin beizupflichten, daß die beklagte Partei die Behauptung der mangelnden Erfolgsaussicht im Verfahren erster Instanz ausschließlich auf rechtliche Erwägungen gestützt hat. Der vom Kläger gegen Hermann J***** in der Korrespondenz mit der beklagten Partei erhobene Schuldvorwurf bzw Mitverschuldensvorwurf geht im wesentlichen dahin, daß Hermann J***** "nicht auf Sicht" gefahren sei, daß er also eine nach den örtlichen Verhältnissen überhöhte Geschwindigkeit eingehalten habe, weiters daß er unaufmerksam gefahren sei, daß er also eine Reaktionsverspätung zu verantworten habe, und daß er gegen das Rechtsfahrgebot verstoßen habe. Wenn auch nach ständiger Rechtsprechung das Überfahren einer Stoptafel als besonders gravierender Verstoß gegen die Verkehrsvorschriften angesehen wird, ist doch je nach Lage des Falles schon jeder einzelne zur Begründung des Mitverschuldens des Hermann J***** erhobene Vorwurf für sich allein geeignet, die Annahme eines Mitverschuldens zu rechtfertigen. Welche Fahrlinie Hermann J***** tatsächlich eingehalten hat, ob sein Abstand zum rechten Fahrbahnrand auf einen vorangehenden erlaubten oder unerlaubten Überholvorgang zurückzuführen war, ob Hermann J***** so weit links fuhr, daß er gegen den bereits zum Stillstand gekommenen PKW des Klägers stieß oder ob der Kläger noch in Fahrt war, ob der Kläger 50, 70 oder 100 cm oder auch weiter in die Gegenfahrbahn hineinragte, als die Kollision erfolgte, läßt sich dem Strafakt einschließlich der Gendarmerieanzeige und der Skizze nicht entnehmen. Im Strafverfahren wurde insbesondere auch kein verkehrstechnisches Gutachten eingeholt. Die Klärung dieser Umstände wird Sache des Haftpflichtprozesses sein. Davon wird auch die rechtliche Beurteilung abhängen, ob und in welchem Ausmaß dem Hermann J***** ein Mitverschulden anzulasten ist. Dem eigenen Mitverschulden hat der Kläger ohnehin durch Einklagung bloß eines Drittels seines behaupteten Schadens Rechnung getragen. Eine generelle Verneinung jeglichen Mitverschuldens des Unfallgegners bei Überfahren einer Stoptafel ohne Bedachtnahme auf die konkreten Umstände läßt sich der Rechtsprechung keineswegs entnehmen, wie bereits das Gericht zweiter Instanz unter Hinweis auf zahlreiche Judikaturzitate darglegt hat.

Für die Annahme einer mutwilligen Prozeßführung seitens des Klägers bestehen keinerlei Anhaltspunkte. Bewahrheiten sich die Behauptungen des Klägers, daß Hermann J***** ohne Anlaß (oder unter Mißachtung eines Überholverbotes) so weit links fuhr (und/oder so unaufmerksam), daß er gegen den bereits zum Stillstand gekommenen, bis zu 1 m in den bevorrangten Fahrbahnteil reichenden PKW des Klägers stieß, wird nach Klärung aller sonst noch maßgebenden Details die Bejahung der Haftung des Hermann J***** und dessen Haftpflichtversicherung für die Schäden des Klägers zu einem Drittel durchaus im Bereich der Möglichkeiten liegen.

Da die Gendarmerieskizze - wenn sie auch nicht maßstabsgetreu ist - tatsächlich darauf schließen läßt, daß der von Hermann J***** gelenkte PKW mit entsprechendem Abstand vom rechten Fahrbahnrand gefahren ist und die beklagte Partei im übrigen diesen vom Kläger gegen Hermann J***** erhobenen Vorwurf gar nicht bestritten hat, kann auch von einer aussichtslosen Prozeßführung des Klägers gegen die gegnerische Haftpflichtversicherung keine Rede sein.

Ob die von der Rechtsprechung zu § 63 Abs 1 ZPO ("... und die

beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als

offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint") entwickelten

Grundsätze ohneweiteres auch auf die Frage der Erfolgsaussicht nach

den ARB 1988 (Art 6.3: "... hinreichende Aussicht auf deren Erfolg

besteht"; Art 9.2.1: "hinreichende Aussicht, in einem Verfahren im

angestrebten Umfang zu obsiegen"; Art 9.2.3: "... daß erfahrungsgemäß

keine Aussicht auf Erfolg besteht") anzuwenden ist, wie das Gericht zweiter Instanz unter Berufung auf Harbauer, Rechtsschutzversicherung5, und Vogl in AnwBl 1995, 75 ausgeführt hat, kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben. Selbst wenn der Auffassung der Revision zuzustimmen wäre, daß die Formulierungen der ARB 1988 für eine strengere Prüfung der Erfolgsaussichten als im Rahmen der Verfahrenshilfe sprechen, besteht im vorliegenden Fall kein Anlaß zur Deckungsverweigerung. Die Chance des Klägers, zu einem Drittel im Haftpflichtprozeß zu obsiegen, ist zumindest nach den bis zum Beginn des Haftpflichtprozesses vorliegenden Unterlagen zum Unfallshergang auch nicht weniger wahrscheinlich als ein Unterliegen. Vielmehr ist ohne Kenntnis der genauen Einzelheiten des Unfallherganges bei grundsätzlicher Richtigkeit insbesondere der Behauptung, daß der Unfallgegner zu weit links gefahren sei, der Prozeßausgang völlig offen. Es kann daher auch dahingestellt bleiben, ob die Vorinstanzen die erstmals in der Revision erwähnte Bestimmung des Art 9.2.2 ARB beachten hätten müssen, wonach der Versicherer die Übernahme der an die Gegenseite zu zahlenden Kosten ablehnen kann, wenn die Aussicht auf Erfolg nicht hinreichend ist, d.h. ein Unterliegen in einem Verfahren wahrscheinlicher ist als ein Obsiegen.

Das Gericht zweiter Instanz hat weiters zutreffend die Verletzung der Aufklärungsobliegenheit nach Art 8.1.1 ARB 1988 verneint. Die Beweislast für das Vorliegen einer Obliegenheitsverletzung trifft nach ständiger Rechtsprechung den Versicherer. Der Versicherungsnehmer kann dann beweisen, daß er nur leicht fahrlässig gehandelt hat, oder er kann den Kausalitätsgegenbeweis führen (Schauer, Vertragsversicherungsrecht3, 261 mit zahlreichen Judikaturnachweisen). Letzteren Beweis hat der Kläger zwar im Verfahren erster Instanz gar nicht angetreten. Er hat aber bestritten, die Aufklärungsobliegenheit verletzt zu haben. Die beklagte Partei warf dem Kläger in erster Instanz insoweit vor, "prozeßentscheidende Daten" verschwiegen, die Begründung für seinen Haftpflichtanspruch mehrfach geändert und den Verstoß gegen das Haltegebot im Sinn des § 19 Abs 4 StVO nicht erwähnt zu haben. Dem Kläger ist beizupflichten, daß den Feststellungen der Vorinstanzen eine Verletzung der Aufklärungspflicht in diesem Sinne nicht zu entnehmen ist.

Das Erstgericht zieht aus dem Schreiben des Vertreters des Klägers an die beklagte Partei vom 5.10.1993, dessen Inhalt es bloß auszugsweise in seine Feststellungen aufnahm, nicht zutreffende Schlüsse. Es ist zwar richtig, daß diesem Schreiben weder der Unfallsort noch der nähere Unfallshergang zu entnehmen ist. Es kann aber auch kein Zweifel daran bestehen, daß das Schreiben nicht die erste Kontaktaufnahme zur beklagten Partei war. Vielmehr wurde ja "um eine schriftliche Bestätigung der aufrechten Rechtsschutzdeckung" ersucht, woraus sich zwingend ergibt, daß der Kläger bereits vorher mit Mitarbeitern der klagenden Partei über den Versicherungsfall gesprochen hat (wofür auch die Adressierung des Schreibens an einen bestimmten, namentlich genannten Angestellten und die Bezugnahme auf ein vorangegangenes Gespräch mit diesem und einem weiteren Angestellten der beklagten Partei sowie die Anführung einer Schadennummer spricht). Daß die Geltendmachung des Deckungsanspruches schriftlich erfolgen müßte, ist im Gegensatz zu den deutschen Rechtsschutzbedingungen in den ARB nicht vorgesehen, sodaß die auf Harbauer aaO gestützte Ansicht des Gerichtes zweiter Instanz, die Aufklärungsobliegenheit sei am ersten schriftlichen Kontakt zu messen, nicht zwingend ist. Da die beklagte Partei überdies für das Strafverfahren Deckungszusage erteilt hatte, konnte ihr ohnehin nicht verborgen bleiben, welche Angaben die am Unfall beteiligten Personen vor der Gendarmerie machten und wie die Gendarmerieanzeige lautete. Zwischen den Streitteilen bestand offenbar auch keinerlei Divergenz dahin, daß vor Beschreitung des Zivilrechtsweges der Ausgang des Strafverfahrens abzuwarten sei (vgl Art 8.1.5.3 ARB 1988). Damit war ohnehin klar, daß das Fahrverhalten des Klägers einer gerichtlichen Prüfung unterzogen werden würde, deren Ergebnisse der beklagten Partei bekanntzugeben sein würden. Daß das Schreiben vom 5.10.1993 nur punktuell auf den Unfallshergang einging, kann daher auf die Frage, ob die beklagte Partei "unverzüglich, vollständig und wahrheitsgemäß" über die Sachlage aufgeklärt wurde, keinen entscheidenden Einfluß haben. Die geringfügige Differenz bei der Angabe des Klägers über seine Einfahrstrecke in die gegnerische Fahrbahn ist zu vernachlässigen, kann doch dem Aufklärungsgebot nicht erst dann entsprochen sein, wenn der Versicherungsnehmer selbst am Unfallort Vermessungen vornimmt oder womöglich gar verkehrstechnische Berechnungen anstellt oder durch einen Gutachter anstellen läßt, ehe er um Rechtsschutzdeckung ersucht. Daß in den Schreiben an die beklagte Partei nicht nur der Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot, sondern mehrere mögliche Verschuldenskomponenten des Hermann J***** in Erwägung gezogen wurden, vermag den Vorwurf der wahrheitswidrigen Aufklärung ebenfalls nicht zu begründen. Da das Strafverfahren lediglich auf das Fahrverhalten des Klägers abgestellt war und jenes des Hermann J***** außer Betracht ließ, konnte der Kläger bislang auch selbst nicht abschätzen, welche seinem Eindruck nach von Hermann J***** gesetzten Fahrfehler einer Unfallrekonstruktion standhalten würden. Wie bereits ausgeführt, kann die Aufklärungspflicht des Versicherungsnehmers nicht so weit gehen, zunächst gutachtliche Unfallrekonstruktionen (womöglich auf eigene Kosten) anzustellen, um den Rechtsschutzversicherer von seiner Deckungspflicht zu überzeugen.

Zur Revision des Klägers:

Dem Grunde nach steht einem Obsiegen des Martin R***** im Verfahren gegen den Haftpflichtversicherer des Klägers nichts entgegen, weil das Verschulden des Klägers am Unfall durch das Strafurteil bindend feststeht (vgl 1 Ob 612/95 = JBl 1996, 117), sodaß eine Haftungsbefreiung des Klägers als Lenker und Halter des Unfallsfahrzeuges nach § 9 EKHG auszuschließen ist. Da nicht einmal dargetan wurde, daß dieser ohnehin bereits mit Rechtsschutzdeckung belangte Haftpflichtversicherer nicht zahlungsfähig sein könnte und dies ja auch nicht anzunehmen ist, bietet eine Klagsführung gegen den gegnerischen Lenker und dessen Haftpflichtversicherer keinerlei zusätzliche Sicherheit. Das Gericht zweiter Instanz hat daher zu Recht das in Art 6.3 ARB normierte Erfordernis der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung hinsichtlich der Ansprüche des Martin R***** in einem weiteren Zivilverfahren verneint. Zudem ist der Prozeßausgang schon dem Grunde nach gegen Hermann J***** und die gegnerische Versicherung - im Gegensatz zum Verfahren gegen die Haftpflichtversicherung des Klägers - völlig ungewiß, weil Hermann J***** und dessen Haftpflichtversicherer der Einwand offensteht, daß der Unfall durch ein unabwendbares Ereignis, nämlich das Fehlverhalten eines nicht beim Betrieb tätigen Dritten, verursacht wurde.

Es war daher das Urteil des Gerichtes zweiter Instanz insgesamt zu bestätigen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 43 Abs 2 und 50 ZPO.

Da der über das Vermögen des Klägers eröffnete Konkurs nach Abschluß des Zwangsausgleiches mit Beschluß vom 8.8.1996 aufgehoben und der Masseverwalter seines Amtes enthoben wurde, war die vom Gericht zweiter Instanz geänderte Bezeichnung der klagenden Partei dahin zu ändern, daß wieder Hannes H***** als Kläger zu bezeichnen war.

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