OGH 6Ob48/97w

OGH6Ob48/97w16.10.1997

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kellner, Dr.Schiemer, Dr.Prückner und Dr.Schenk als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Parteien 1.) Mag.Brigitte E*****, 2.) Dr.Johannes S*****, beide vertreten durch Dr.Andrea Wukovits, Rechtsanwältin in Wien, wider die beklagten und Gegner der gefährdeten Parteien 1.) Die F*****, 2.) F*****-Landesgruppe *****, 3.) F*****-Landesgruppe *****,

4.) F*****-Landesgruppe *****, alle vertreten durch Dr.Dieter Böhmdorfer ua Rechtsanwälte in Wien, wegen Unterlassung (einstweiliger Verfügung), infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der Erstbeklagten und Gegnerin der gefährdeten Parteien gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgerichtes vom 9.Dezember 1996, GZ 4 R 270/96x-7, womit der Beschluß des Handelsgerichtes Wien vom 10.Oktober 1996, GZ 24 Cg 153/96z-2, hinsichtlich der Erstbeklagten und Gegnerin der gefährdeten Parteien bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß der Antrag der klagenden und gefährdeten Parteien auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung des Inhaltes, der Erstbeklagten und Gegnerin der gefährdeten Parteien werde ab sofort die Verbreitung angeblicher Äußerungen oder Ansichten der Kläger oder auch nur eines Klägers des Inhaltes "Wenn wir zwa net jeden Tag zehn Tausender verdienen, gemma wieder ham" oder inhaltsgleicher angeblicher Äußerungen oder Ansichten verboten, abgewiesen wird.

Die klagenden und gefährdeten Parteien haben der Erstbeklagten und Gegnerin der gefährdeten Partei die mit 21.484,34 S (darin 3.580,72 S USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens sowie die mit 22.671,-- S (darin 3.778,50 S USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die klagenden und gefährdeten Parteien (folgend: Kläger) begehrten die Erlassung einer einstweiligen Verfügung wie aus dem Spruch ersichtlich und brachten vor, die Erstklägerin sei Geschäftsführerin der Bundesorganisation der S***** Partei ***** und Abgeordnete zum Nationalrat, der Zweitkläger sei amtsführender Stadtrat der L***** und darüberhinaus Spitzenkanditat der S***** Partei ***** für die Wahlen zum Europäischen Parlament. Beide Kläger nähmen überdies eine Reihe von Funktionen und Aufgaben in den verschiedensten Bereichen und Organisationen als Ausdruck ihres politischen Engagements unentgeltlich wahr. Unter Verantwortung der beklagten Parteien sei der folgende bunt gedruckte Prospekt hergestellt und verbreitet worden:

Dieser Prospekt sei am 28./29.9.1996 in großer Zahl in einem Cafehaus in Eibiswald in der Steiermark aufgelegen, am 7.10.1996 vielfach auf dem Gehsteig der Mariahilfer Straße in Wien verstreut und am 9.10.1996 massenweise vom oberösterreichischen Landtagsabgeordneten und Funktionär der Viertbeklagten Ing.Franz K***** verteilt worden. Der Prospekt sei offenkundig für die bundesweiten Wahlen zum Europäischen Parlament und für die am 13.10.1996 in Wien stattfindenden Landtagswahlen hergestellt und im Auftrag der beklagten Parteien verbreitet worden. Durch den die Kläger betreffenden Teil des Prospektes werde sowohl deren persönliche Ehre als auch ihr wirtschaftlicher Ruf verletzt, weil ihnen vorgeworfen werde, Funktionen lediglich nach finanziellen Kriterien zu übernehmen und auszuüben, sodaß ihnen im Ergebnis mangelnde persönliche Integrität und Geldgier unterstellt werde.

Das Erstgericht erließ die beantragte einstweilige Verfügung. Es stellte die in der Klage dargestellten Funktionen der Kläger und die dort behauptete Art der Verbreitung der Broschüre fest und führte rechtlich aus, der Prospekt sei der Erstbeklagten, die zur EU-Wahl als wahlwerbende Partei auftrete, zuzurechnen, aufgrund der Verteilung der Prospekte in den verschiedenen Bundesländern sei die Beteiligung der Zweit- bis Viertbeklagten an der Verbreitung ausreichend indiziert. Es handle sich um eine Wahlwerbung in Form von Comic-strips mit klar erkennbarer politischer Aussage in plumper Form und Abfassung. Dem Publikum sei deutlich erkennbar, daß die gegenständliche Darstellung eine politsche Wertung enthalte. Auch wenn man einräume, daß den übrigen Karikaturen ein gewisser Tatsachengehalt nicht abzusprechen sei, könne dies für die hier zu beurteilende Aussage nicht gelten; es handle sich dabei im Rahmen der Politikereinkommens - und Privilegiendebatte um eine reine Werbebehauptung und politische Wertung. Ein Verstoß gegen § 1330 Abs 2 ABGB liege daher nicht vor. Allerdings sei die den Klägern zugeordnete Einstellung ehrenbeleidigend im Sinne des § 1330 Abs 1 ABGB und mache die Kläger verächtlich, indem ihnen unterstellt werde, nur bei Empfang eines Gehaltes von 10.000,-- S täglich zu einer Tätigkeit für die Republik bereit zu sein, wobei erkennbar gemacht werde, daß diese Gehaltshöhe für die Kläger so ausschlaggebend sei, daß sie andernfalls ihre Tätigkeit sofort einstellen würden. Den Klägern werde also Geldgier und Verantwortungslosigkeit unterstellt; die vorliegende politische Werbung sprenge daher den üblichen Rahmen.

Das Rekursgericht gab lediglich dem Rekurs der zweit- bis viertbeklagten Parteien mangels Passivlegitimation Folge, bestätigte hingegen den erstgerichtlichen Beschluß hinsichtlich der Erstbeklagten und billigte die rechtlichen Argumente des Erstgerichtes. Die Kläger würden namentlich genannt, offensichtlich als besonders markantes Beispiel für eine nur auf Geldgewinn ausgerichtete Gesinnung in der S***** Partei *****. Ihre Personenwürde sei daher im Sinne des § 1330 Abs 1 ABGB verletzt.

Die Abweisung der einstweiligen Verfügung gegen die zweit- bis viertbeklagte Parteien ist durch den Zurückweisungsbeschluß des erkennenden Senates vom 11.9.1997 rechtskräftig geworden.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Erstbeklagten ist berechtigt.

Die Ausführungen der Vorinstanzen, daß durch die inkriminierte Darstellung der Tatbestand des § 1330 Abs 2 ABGB nicht verwirklicht wird, sind zutreffend (§ 510 Abs 3 ZPO). Es liegt aber auch keine persönliche Diffamierung der Kläger im Sinne des § 1330 Abs 1 ABGB vor, die die Erlassung einer einstweiligen Verfügung rechtfertigen würde.

Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senates, daß Äußerungen, die der Kläger als Ehrverletzung oder Kreditschädigung inkriminiert, immer im Gesamtzusammenhang zu sehen sind und daß in der politischen Auseinandersetzung (gerade in Wahlkampfzeiten) dem Recht auf freie Meinungsäußerung im Sinne des Art 10 EMRK ein besonders hoher Stellenwert beizumessen ist. Wenn die beanstandeten Äußerungen sachbezogen auf ein aktuelles politisches Thema in den bei politischen Auseinandersetzungen üblich gewordenen Formen erfolgt, müssen nach dem Demokratieverständnis in Österreich auch überzogene Kritik und scharfe Vorwürfe gestattet sein, so lange nicht unabhängig von dem zur Debatte gestellten politischen Verhalten den Betroffenen persönliches unehrenhaftes Verhalten zur Last gelegt wird.

Die Wahlkampfbroschüre der Erstbeklagten anläßlich der am 13.10.1996 stattgefundenen Wahlen der Abgeordneten zum Europaparlament und zum Wiener Landtag weist auf jeder einzelnen Seite das Logo der erstbeklagten Partei auf und enthält den Hinweis "13.Oktober-Wahltag ist Zahltag". Wahlkampfschwerpunkte und Forderungen der erstbeklagten Partei werden in scharfer Abgrenzung zu den Regierungsparteien, insbesondere zur S***** Partei schlagwortartig aufgezählt (darunter jede Stimme für die F***** ist eine Stimme für den radikalen Abbau der Privilegien in Politik, Kammern, Sozialversicherungen und Nationalbank und gegen weitere Bereicherungen der Politfunktionäre) und hinsichtlich von vier politischen Themen nämlich "EU-Lüge, Pensionskürzungen, Steuerlüge, Privilegien" in Form von Comicstrips jeweils zwei Personen aus "dem einfachen Volk" in Form drastischer Kommentare zu diesen politischen Themen in den Mund gelegt.

Der Oberste Gerichtshof hat ausgesprochen, daß das Wesen der Karikatur und der Satire in der bildlichen und/oder wörtlichen Verzerrung und Übertreibung der Wirklichkeit zum Zwecke der Geißelung oder Rüge von Mißständen besteht und daß, um sie im Konflikt mit Rechtsverletzungen gegen andere Rechtsgüter zu beurteilen, es zunächst der Entzerrung und damit der Gewinnung des Aussagekerns bedarf, der in der Folge auf seine Verletzungseignung zu untersuchen ist (MUR 1992, 19). Diese Grundsätze sind auch auf die in Form von Comicstrips gehaltene Wahlbroschüre in ihren Gesamtaussagen anzuwenden. Ein verständiger Leser wird die Aussagen der einzelnen Personen, im vorliegenden Fall noch dazu in provokanter Anspielung auf einen allgemein bekannten (ebenfalls verzerrenden und übertreibenden) Werbeslogan einer Getränkefirma, keineswegs wörtlich, sondern als stark übertreibend auffassen. Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen ist der erkennende Senat jedoch der Ansicht, daß der Durchschnittsbetrachter der Broschüre nach der gesamten Aufmachung die beiden Kläger lediglich als Spitzenrepräsentanten der S***** Partei von maßgeblichem Einfluß gerade in EU-Belangen nur als stellvertretend für die Haltung ihrer Partei in Fragen des Privilegienabbaues, die gegeißelt werden soll, auffassen wird und den beiden Klägern nicht unabhängig von der unterschiedlichen politischen Wertung über die Höhe von Politikergehältern und Privilegien ein nur auf ihre Personen bezogenes, geldgieriges Verhalten in dem Sinne unterstellt, bei einer Kürzung der nach Ansicht der erstbeklagten Partei generell zu hohen Politiker- und Funktionärsgehälter würden sie verantwortungslos und aus persönlicher Unzulänglichkeit ihre mit dem Amt verbundenen Pflichten überhaupt nicht wahrnehmen. Der Durchschnittsbetrachter dieser Wahlkampfbroschüre kann eine Reduktion der extrem übertreibenden Darstellung auf den politischen Aussagekern "Spitzenfunktionäre der S***** Partei haben viel zu hohe Bezüge" durchaus vornehmen, ohne daraus unabhängig von politischen Wertungen auch den Vorwurf eines persönlich unehrenhaften Verhaltens ihrer Repräsentanten abzuleiten. Im Zuge der Auseinandersetzung im Wahlkampf ist der Vorwurf an die Spitzenrepräsentanten des politischen Gegners, jene profitierten von der angeprangerten Linie der Partei über die Höhe der Politiker- und Funktionärsbezüge und Privilegien, sodaß zu der angestrebten Änderung die Wahl der eigenen Partei erforderlich sei, bei einer umfassenden Interessenabwägung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zum verfolgten Zweck der Meinungsäußerung und dem Grad der Schutzwürdigkeit nicht als rechtswidrig anzusehen. Es ist dem durch Art 10 MRG geschützten Recht auf freie, auch in krasser Form vorgebrachte Meinungsäußerung und Kritik der Vorzug zu geben. Der Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung war daher abzuweisen.

Da das Provisorialverfahren durch die Abweisung des Antrages endgültig erledigt ist, waren den Klägern die Kosten ihrer Gegnerin aufzuerlegen.

Stichworte