OGH 10ObS315/97i

OGH10ObS315/97i30.9.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Ehmayr und Dr.Danzl als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter MR Dr.Richard Warnung und MR Mag.Gerhard Puschner (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Franz S*****, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Bauern, 1031 Wien, Ghegastraße 1, vertreten durch Dr.Herbert Macher, Rechtsanwalt in Wien, wegen vorzeitiger Alterspension infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 19.Juni 1997, GZ 8 Rs 67/97b-9, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 27. November 1996, GZ 36 Cgs 208/96m-5, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs der beklagten Partei wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Der Kläger vollendete am 25.8.1996 das 55. Lebensjahr.

Mit dem bekämpften Bescheid vom 24.9.1996 lehnte die beklagte Partei seinen Antrag vom 7.8.1996 auf vorzeitige Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit ab.

Mit seiner Klage stellte der Kläger das Begehren auf Zuerkennung derselben gemäß § 122c BSVG ab 1.1.1996 im gesetzlichen Ausmaß.

In der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 27.11.1996 stellte der Kläger darüberhinaus das Eventualbegehren, daß die beklagte Partei schuldig sei, dem Kläger die Erwerbsunfähigkeitspension gemäß §§ 123, 124 BSVG im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren.

Das Erstgericht wies das Hauptklagebegehren ab und das Eventualbegehren zurück. Es traf überdies die aus dem Anstaltsakt entnommene Feststellung, daß ein Antrag des Klägers auf Erwerbsunfähigkeitspension nach § 124 BSVG bereits mit Bescheid vom 31.5.1996 abgelehnt wurde. In rechtlicher Hinsicht folgerte das Erstgericht, daß auf das Begehren, gerichtet auf Gewährung einer vorzeitigen Alterspension wegen dauernder Erwerbsunfähigkeit, zufolge des nach § 104 Abs 2 BSVG maßgeblichen Stichtages 1.9.1996 das an diesem Tag in Kraft getretene StrukturanpassungsG 1996 anzuwenden sei. Zu diesem Datum habe der Kläger jedoch die maßgebliche Voraussetzung des vollendeten 57. Lebensjahres noch nicht erfüllt. Für das Eventualbegehren fehle es an einem vorangegangenen (neuerlichen) Bescheid der beklagten Partei, sodaß diesbezüglich die sukzessive Zuständigkeit des Gerichtes nicht gegeben sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der klagenden Partei Folge, hob das angefochtene Urteil auf und verwies die Sozialrechtssache zur Verhandlung und Urteilsfällung an das Erstgericht zurück (im Spruch heißt es allerdings zufolge eines offensichtlichen Schreibfehlers "zurückgewiesen" statt richtig "zurückverwiesen"). Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof wurde für zulässig erklärt.

Das Berufungsgericht beurteilte den Sachverhalt rechtlich (vom Erstgericht abweichend) dahin, daß im vorliegenden Fall der unstrittig am 1.9.1996 gegebene Stichtag nicht zum Wegfall des Versicherungsfalles führen könne, wenn und soweit dieser zeitlich davor gelegen sei. Bei der vorzeitigen Alterspension wegen dauernder Erwerbsunfähigkeit zählten zu den primären Voraussetzungen des Eintrittes des Versicherungsfalles sowohl die Vollendung des gesetzlichen Pensionsalters als auch das Vorliegen dauernder Erwerbsunfähigkeit. Hinsichtlich der letzteren Voraussetzung seien die Voraussetzungen durch Erstgericht nicht geprüft worden und daher im zweiten Rechtsgang zu prüfen. Die Vollendung des 55. Lebensjahres auch für einen Stichtag 1.9.1996 ergebe sich überdies aus § 255 Abs 19 BSVG idF des StrukturanpassungsG 1996. Schließlich sprach das Berufungsgericht auch noch aus, daß die Zurückweisung des Eventualbegehrens bei der gegebenen Begründung des Erstgerichtes in Beschlußform hätte erfolgen müssen, sich hiezu jedoch weitere Erörterungen erübrigten, weil die Aufhebung der Entscheidung über das Hauptbegehren auch die Aufhebung jener über das Eventualbegehren beinhalte.

Gegen diesen Aufhebungsbeschluß richtet sich der auf den Rekursgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Rekurs der beklagten Partei mit dem Antrag, das Urteil des Erstgerichtes wiederherzustellen. Eine Rekursbeantwortung wurde nicht erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Das Rechtsmittel ist zulässig, weil der Oberste Gerichtshof zwar in drei Entscheidungen jeweils vom 9.9.1997, 10 ObS 251/97b, 10 ObS 255/97s und 10 ObS 298/97i bei vergleichbaren Sachverhalten von Versicherungsnehmern, die jeweils im August 1996 das 55. Lebensjahr vollendeten, in diesem Monat einen Antrag auf vorzeitige Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit stellten und demgemäß einen Stichtag per 1.9.1996 auslösten, zur Frage der Anhebung des Anfallsalters auf das nunmehr bei Männern 57. Lebensjahr durch das ebenfalls am 1.9.1996 in Kraft getretene StrukturanpassungsG 1996 BGBl 201 mit jeweils ausführlicher Begründung Stellung genommen hat, diese Entscheidungen jedoch zum Zeitpunkt des Aufhebungsbeschlusses des Berufungsgerichtes in der vorliegenden Sozialrechtssache noch nicht vorlagen, die genannten Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes bisher noch nicht veröffentlicht wurden und daher auch den Parteien des vorliegenden Rechtsstreites noch nicht bekannt sein können.

Der Rekurs der beklagten Partei ist allerdings nicht berechtigt. Dies aus folgenden Erwägungen:

So wie in den zitierten Vorverfahren ist auch hier zufolge Außerstreitstellung beider Parteien im Verfahren erster Instanz davon auszugehen, daß der Kläger im August 1996 das 55. Lebensjahr vollendet hat und zum Stichtag 1.9.1996 das nunmehr gesetzlich (§ 122c Abs 1) vorgesehene Anfallsalter der Vollendung des 57. Lebensjahres somit noch nicht verwirklicht ist. Die vorzeitige Alterspension wegen dauernder Erwerbsunfähigkeit wurde erst durch die 18. BSVG-Novelle BGBl 1993/337 als neue Frühpension und neue Leistung der Pensionsversicherung aus dem Versicherungsfall des Alters, die es früher nicht gab, mit der Bestimmung des § 122c BSVG - als Nachfolgebestimmung des § 124 Abs 2 BSVG (10 ObS 2005/96t) - eingeführt (Art I Z 62 leg cit; siehe hiezu auch RV 934 BlgNR 18.GP, 19 und 22 iVm RV 932 BlgNR 18.GP, 49 [zur 51. ASVG-Novelle]). Während durch das StrukturanpassungsG BGBl 1995/297 (Art XXXI Z 13 und 14) zunächst nur die Wegfallsbestimmungen für den Fall der Weiterausübung der bisherigen selbständigen Erwerbstätigkeit verschärft wurden (RV 134 BlgNR 19.GP, 85), erfolgte durch Art 36 Z 47 und 48 des StrukturanpassungsG 1996 BGBl 201 eine Neufassung dahingehend, daß nunmehr die Anspruchsvoraussetzungen für die Inanspruchnahme dieser Art der Alterspension ua auch durch Anhebung des Pensionsanfallsalters bei Männern verschärft wurden, um - so der Wille des Gesetzgebers (RV 72 BlgNR 20.GP, 247) - "neben arbeitsmarktpolitischen Aktivitäten einen späteren Pensionsantritt sicherzustellen". Gemäß Art 36 Z 81 leg cit (§ 255 Abs 1 Z 5 BSVG) trat § 122c BSVG in der zuletzt novellierten Fassung am 1.9.1996 in Kraft. Übergangsbestimmungen zur genannten Bestimmung wurden vom Gesetzgeber nicht erlassen. Insbesondere ist der vom Berufungsgericht zur Begründung herangezogene § 255 Abs 19 BSVG als schon nach dem Wortlaut ausschließlich für die Bemessung einer Pension angelegte Übergangsbestimmung für die hier allein entscheidungsrelevante Beurteilung der Anspruchsvoraussetzungen ohne Bedeutung und damit ohne Entscheidungsrelevanz.

Der Oberste Gerichtshof hat in der vom Berufungsgericht bereits zitierten Entscheidung SSV-NF 8/34 Begriff und Inhalt des für das Zustehen von Sozialversicherungsleistungen maßgeblichen Versicherungsfalles (dort ging es allerdings um eine vorzeitige Alterspension nach § 253b ASVG) als sog. "sinngebende primäre Leistungsvoraussetzung" einer ausführlichen (auch auf das einschlägige Fachschrifttum bedachtnehmenden) Untersuchung unterzogen und hiezu - soweit für den vorliegenden Fall relevant - ausgeführt:

Besonders deutlich wird die Bezogenheit auf den Versicherungsfall in der sog. Stichtagsregelung der Pensionsversicherung. Die Entscheidung über die Frage, ob eine Leistung der Pensionsversicherung gebührt, ist nach den Verhältnissen an dem durch den Versicherungsfall bzw -antrag ausgelösten Stichtag zu treffen (§ 104 Abs 2 BSVG [dort § 223 Abs 2 ASVG]). Allerdings wird lediglich das Vorliegen der sog. sekundären Voraussetzungen zu diesem Zeitpunkt geprüft. Zwar sieht das Gesetz vor, daß bei bestimmten Leistungen der Stichtag erst durch die Antragstellung fixiert wird, sofern der Antrag nach Eintritt des Versicherungsfalles gestellt wird, an der Vorrangigkeit der primären Leistungsvoraussetzungen ändert sich dadurch jedoch nichts. Ohne Vorliegen eines Versicherungsfalles kann auch nie ein Stichtag ermittelt werden. Formal gesehen stellt erst der durch den Versicherungsfall ausgelöste Stichtag die konkrete Verknüpfung der sekundären Leistungsvoraussetzungen mit einer bestimmten Leistung her. Es genügt nicht, daß die sekundären Voraussetzungen zu irgendeinem beliebigen Zeitpunkt vorliegen, sie müssen vielmehr an einem ganz bestimmten Tag gegeben sein, der durch die primären Voraussetzungen bestimmt wird (Schrammel in Tomandl, SV-System 7. ErgLfg 142).

Beim Versicherungsfall der vorzeitigen Alterspension wegen (vormals: dauernder) Erwerbsunfähigkeit handelt es sich um einen "zusammengesetzten" Versicherungsfall. Das BSVG spricht zwar, ebenso wie das ASVG, von den Versicherungsfällen des Alters, unterläßt es aber, diese Versicherungsfälle im einzelnen zur Unterscheidung mit Bezeichnungen zu versehen. Besondere Bezeichnungen haben nur die aus diesen Versicherungsfällen des Alters resultierenden Leistungen erhalten (vgl dazu Teschner in Tomandl, SV-System 9. Erglfg 361ff). Zum Erfordernis des Alters tritt im Fall des § 122c BSVG die Erwerbsunfähigkeit als weitere Anspruchsvoraussetzung. In einem solchen Fall müssen beide Voraussetzungen als primäre Leistungsvoraussetzungen gesehen werden. Der Versicherungsfall ist danach - in teleologischer Reduktion des § 104 Abs 1 BSVG, wonach der Versicherungsfall bei Leistungen aus den Versicherungsfällen des Alters mit der Erreichung des Anfallsalters als eingetreten gilt - nur dann eingetreten, wenn sowohl das erforderliche Alter erreicht als auch die Erwerbsfähigkeit im Sinne des § 122c BSVG gemindert ist (idS auch Schrammel/Tomandl in Tomandl, SV-System 141 Anm 17; ähnlich Teschner aaO; aA Jabornegg, DRdA 1982, 29f).

Im vorliegenden Fall steht (zufolge Außerstreitstellung) vorerst nur fest, daß der Kläger im August 1996, also vor dem Inkrafttreten der Gesetzesänderung, das 55. Lebensjahr vollendet hatte; ob er bereits zu diesem Zeitpunkt außerstande war, der von ihm zuvor durch 60 Monate ausgeübten Tätigkeit weiter nachzugehen - wie dies in den Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes 10 ObS 255/97s und 10 ObS 298/97i von der dort jeweils beklagten Partei (ident mit jener im vorliegenden Sozialrechtsstreit) außer Streit gestellt worden war -, steht derzeit noch nicht fest. Schon aus diesem Grunde ist daher der Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes zutreffend. Nur wenn auch diese weitere primäre Leistungsvoraussetzung bereits vor dem 1.9.1996 erfüllt war, ist der Versicherungsfall des Alters beim Kläger insgesamt vor dem 1.9.1996 in Kraft getreten und sind daher zu diesem Datum nur mehr die weiteren (sekundären) Leistungsvoraussetzungen zu prüfen. Dies nachzuholen ist Aufgabe des Erstgerichtes im fortgesetzten Rechtsgang. Hiebei wird allerdings zu beachten sein, daß - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes im drittletzten Absatz seiner Begründung - das Eventualbegehren zwischenzeitlich vollständig aus dem Verfahren ausgeschieden ist. Die Zurückweisung desselben durch das Erstgericht mittels in die Urteilsentscheidung aufgenommenen (Implizit-)Beschlusses blieb durch den Kläger, der sich in seiner Berufung ausschließlich gegen die Abweisung des Hauptbegehrens wandte (so auch der diesbezügliche Berufungsantrag im Berufungsschriftsatz ON 6), unbekämpft, sodaß die Ausführung des Berufungsgerichtes, durch die Aufhebung der Entscheidung über das Hauptbegehren sei auch die Aufhebung jener über das Eventualbegehren "beinhaltet", nicht zutrifft.

Da die Entscheidung des Berufungsgerichtes im übrigen jedoch mit den vorstehenden Rechtsausführungen des Senates im Einklang steht, war dem Rekurs der beklagten Partei ein Erfolg zu versagen.

Eine Kostenentscheidung hatte zu entfallen, weil sich der Kläger am Revisionsverfahren nicht beteiligte. Ihm sind daher im Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof keine Kosten erwachsen.

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