Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung
Mit Bescheid der beklagten Sozialversicherungsanstalt der Bauern vom 3.9.1996 wurde der Antrag vom 3.6.1996 auf vorzeitige Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit nach § 122c BSVG abgelehnt, weil der am 2.8.1941 geborene Kläger am Stichtag 1.9.1996 das 57. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte. Der Kläger begehrt die abgelehnte Leistung mit der Begründung, er habe am 2.8.1996 das 55. Lebensjahr vollendet. Der Stichtag falle aber bereits unter die neue Regelung der durch das Strukturanpassungsgesetz geschaffenen Rechtslage. Die danach ab 1.9.1996 in Kraft getretene Regelung, die das Anfallsalter für Männer auf 57 Jahre erhöhe, verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz und sei somit verfassungswidrig.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Nach der am Stichtag 1.9.1996 maßgeblichen Rechtslage sei die Vollendung des 57. Lebensjahres Anspruchsvoraussetzung.
Unbestritten ist, daß unter der Voraussetzung, daß der Kläger Berufsschutz genieße, von der medizinischen Seite Erwerbsunfähigkeit vorliege.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Gemäß § 104 Abs 1 Z 1 BSVG gelte bei Leistungen aus den Versicherungsfällen des Alters der Versicherungsfall mit der Erreichung des Anfallsalters als eingetreten. Stichtag sei der 1.9.1996. Daher sei für den Kläger die durch das Strukturbereinigungsgesetz erfolgte Anhebung des Anfallsalters auf 57 Jahre wirksam. Da er zum Stichtag 1.9.1996 das 57. Lebensjahr nicht vollendet habe, stehe ihm die eingeklagte Pension nicht zu.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der klagenden Partei Folge, hob das angefochtene Urteil auf und verwies die Sozialrechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es sprach aus, daß der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Weder der Antrag noch die Stichtagsbestimmungen gehörten zum Versicherungsfall. Dieser sei beim Kläger mit Erreichung des Anfallsalters von 55 Jahren, bei einer festgestellten Erwerbsunfähigkeit bereits vor Inkrafttreten der durch das Strukturanpassungsgesetz vorgenommenen Anhebung des Anfallsalters auf 57 Jahre eingetreten. Diese erst mit dem Stichtag wirksam gewordene Regelung finde daher auf den Kläger keine Anwendung. Das Vorliegen der übrigen sekundären Leistungsvoraussetzungen sei aber im fortzusetzenden Verfahren zu dem für den Kläger maßgeblichen Stichtag 1.9.1996 genauso zu prüfen, wie der Umstand, ob mit der zugestandenen Erwerbsunfähigkeit von medizinischer Seite auch eine Erwerbsunfähigkeit des Klägers im Sinne des § 122c Abs 2 BSVG zugestanden wurde, sowie der Umstand, wann der Kläger seine Erwerbsfähigkeit beendet habe.
Der Rekurs der beklagten Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache ist nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Die Rekurswerberin macht geltend, § 122c Abs 1 BSVG idF Art 36 Z 47 StrukturanpassungsG 1996, BGBl 201, mit einem Anfallsalter von nunmehr 57 Jahren für männliche Versicherte sei auch auf jene Versicherten anzuwenden, die das 55. Lebensjahr vor dem Inkrafttreten dieser Novellierung am 1.9.1996 vollendet haben. An dem nach § 104 Abs 2 BSVG maßgeblichen Stichtag 1.9.1996 habe der Kläger das 57. Lebensjahr noch nicht vollendet gehabt. Das Klagebegehren sei daher nicht berechtigt.
Dem ist folgendes entgegenzuhalten:
Mit der 18. BSVG-Novelle BGBl 1993/337 wurde die vorzeitige Alterspension wegen dauernder Erwerbsunfähigkeit als neue Frühpension und neue Leistung der Pensionsversicherung aus dem Versicherungsfall des Alters, die es früher nicht gab, mit der Bestimmung des § 122c BSVG - als Nachfolgebestimmung des § 124 Abs 2 BSVG (10 ObS 2005/96t)
- eingeführt (Art I Z 62 leg cit; siehe hierzu auch RV 934 BlgNR 18. GP, 19 und 22 iVm RV 932 BlgNR 18. GP, 49 [zur 51. ASVG-Novelle]). Während durch das Strukturanpassungsgesetz BGBl 1995/297 (Art XXXI 13 und 14) zunächst nur die Wegfallsbestimmungen für den Fall der Weiterausübung der bisherigen selbständigen Erwerbstätigkeit verschärft wurden (RV 134 BlgNR 19. GP, 85), erfolgte durch Art 36 Z 47 und 48 des Strukturanpassungsgesetzes 1996 BGBl 201 eine Neufassung dahingehend, daß nunmehr die Anspruchsvoraussetzungen für die Inanspruchnahme dieser Art der Alterspension ua auch durch Anhebung des Pensionsanfallsalters bei Männern verschärft wurden, um
- so der Wille des Gesetzgebers (RV 72 BlgNR 20. GP, 247) - "neben arbeitsmarktpolitischen Aktivitäten einen späteren Pensionsantritt sicherzustellen". Gemäß Art 36 Z 81 leg cit (§ 255 Abs 1 Z 5 BSVG) trat § 122c BSVG in der zuletzt novellierten Fassung am 1.9.1996 in Kraft. Übergangsbestimmungen zu dieser Norm wurden vom Gesetzgeber nicht erlassen.
Der Oberste Gerichtshof hat in der bereits von den Vorinstanzen zitierten Entscheidung 10 ObS 15/94 (veröffentlicht in SSV-NF 8/34) Begriff und Inhalt des für das Zustehen von Sozialversicherungsleistungen maßgeblichen Versicherungsfalles (dort ging es allerdings um eine vorzeitige Alterspension nach § 253b ASVG) als sog. "sinngebende primäre Leistungsvoraussetzung" einer ausführlichen (auch auf das einschlägige Fachschrifttum Bedacht nehmenden) Untersuchung unterzogen und hierzu - soweit für den vorliegenden Fall relevant - ausgeführt: Besonders deutlich wird die Bezogenheit auf den Versicherungsfall in der sog. Stichtagsregelung der Pensionsversicherung. Die Entscheidung über die Frage, ob eine Leistung der Pensionsversicherung gebührt, ist nach den Verhältnissen an dem durch den Versicherungsfall bzw -antrag ausgelösten Stichtag zu treffen (§ 104 Abs 2 BSVG [dort § 223 Abs 2 ASVG]). Allerdings wird lediglich das Vorliegen der sog. sekundären Voraussetzungen zu diesem Zeitpunkt geprüft. Zwar sieht das Gesetz vor, daß bei bestimmten Leistungen der Stichtag erst durch die Antragstellung fixiert wird, sofern der Antrag nach Eintritt des Versicherungsfalles gestellt wid, am Vorrang der primären Leistungsvoraussetzungen ändert sich dadurch jedoch nichts. Ohne Vorliegen eines Versicherungsfalles kann auch nie ein Stichtag ermittelt werden. Formal gesehen stellt erst der durch den Versicherungsfall ausgelöste Stichtag die konkrete Verknüpfung der sekundären Leistungsvoraussetzungen mit einer bestimmten Leistung her. Es genügt nicht, daß die sekundären Voraussetzungen zu irgendeinem beliebigen Zeitpunkt vorliegen, sie müssen vielmehr an einem ganz bestimmten Tag gegeben sein, der durch die primären Voraussetzungen bestimmt wird (Schrammel in Tomandl, SV-System 7. ErgLfg 142).
Beim Versicherungsfall der vorzeitigen Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit handelt es sich um einen "zusammengesetzten" Versicherungsfall. Das BSVG spricht zwar, ebenso wie das ASVG, von den Versicherungsfällen des Alters, unterläßt es aber, diese Versicherungsfälle im einzelnen zur Unterscheidung mit Bezeichnungen zu versehen. Besondere Bezeichnungen haben nur die aus diesen Versicherungsfällen des Alters resultierenden Leistungen erhalten (vgl dazu Teschner in Tomandl, SV-System 9. ErgLfg 361 ff). Zum Erfordernis der Erreichung des Anfallsalters tritt im Fall des § 122c BSVG die Erwerbsunfähigkeit als weitere Anspruchsvoraussetzung. In einem solchen Fall müssen beide Voraussetzungen als primäre Leistungsvoraussetzungen gesehen werden. Dieser Versicherungsfall ist danach - in teleologischer Reduktion des § 104 Abs 1 BSVG, wonach der Versicherungsfall bei Leistungen aus den Versicherungsfällen des Alters mit der Erreichung des Anfallsalters als eingetreten gilt - nur dann eingetreten, wenn sowohl das erforderliche Alter erreicht ist als auch die Erwerbsunfähigkeit vorliegt (idS auch Schrammel/Tomandl in Tomandl, SV-System 7. ErgLfg 141 FN 17; ähnlich Teschner aaO; aA Jabornegg, DRdA 1982, 29 f).
Daraus folgt, daß nach der damaligen Gesetzeslage des § 122c Abs 1 BSVG idF vor dem Strukturanpassungsgesetz beim Kläger grundsätzlich der Versicherungsfall der vorzeitigen Alterspension wegen dauernder Erwerbsunfähigkeit mit Vollendung des 55. Lebensjahres, am 2.8.1996, sohin vor dem Inkrafttreten der Gesetzesänderung, eingetreten wäre, wenn zu diesem Zeitpunkt auch die dauernde Erwerbsunfähigkeit vorlag. Der Versicherungsfall hat nach den bisherigen Ausführungen mit dem Stichtag insofern zu tun, als er ihn auslöste. Da er nicht auf den Monatsersten fiel, war Stichtag der folgende Monatserste, sohin der 1.9.1996, mit dem die geänderten Bestimmung des § 122c Abs 1 BSVG in Kraft trat. Mögen auch alle sonstigen auf den Stichtag ausgerichteten sekundären Anspruchsvoraussetzungen nach der zwingenden neuen Rechtslage zu beurteilen sein, so könnte dies jedoch an dem bereits vor ihrem Inkrafttreten eingetretenen Versicherungsfall nichts ändern, weil keine Übergangsbestimmungen ihre Einwirkung auf den schon eingetretenen Versicherungsfall regeln. Die neue Regelung konnte daher nur Versicherungsfälle betreffen, die frühestens am 1.9.1996 eingetreten sind und dann der vollen Einwirkung der durch das Strukturanpassungsgesetz geschaffenen neuen Rechtslage unterlagen.
Der Rekurs ist daher nicht berechtigt.
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