OGH 7Ob218/97b

OGH7Ob218/97b24.9.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schalich, Dr.Tittel, Dr.I.Huber und Dr.Hradil als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei I***** Versicherungs AG, ***** vertreten durch Dr.Nikolaus Gabor, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei B***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr.Wolf Dieter Grumbeck, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 160.000 sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 18.April 1997, GZ 4 R 30/97d-16, mit dem das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 18.November 1996, GZ 23 Cg 178/95t-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben und die angefochtenen Entscheidungen der Vorinstanzen dahingehend abgeändert, sodaß sie zu lauten haben:

"Das Klagebegehren des Inhalts, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei S 160.000,-- samt 4 % Zinsen seit 4.7.1995 zu bezahlen, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 30.456,60 (darin S 5.056,10 USt und S 120,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens und die mit S 24.550,-- (darin S 2.325,-- USt und S 10.600,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit S 21.620,-- (darin S 1.395,-- USt und S 13.250,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die beklagte Gesellschaft betreibt in einem von ihrer Geschäftsführerin gemieteten Erdgeschoßlokal im (nunmehr der klagenden Partei gehörenden) Haus W*****, P*****gasse 8, ein Billardcafe. Für dieses Lokal hat die beklagte Partei bei der klagenden Partei eine Bündelversicherung abgeschlossen, die auch eine Einbruchsdiebstahlsversicherung einschließt. Am 6.2.1995 zwischen 2 und 7 Uhr früh drang oder drangen ein oder mehrere Diebe mit einem Originalschlüssel durch die Notausgangstüre in dieses Lokal ein und stahlen dort Gegenstände mit einem Wert von über S 250.000,--. Die Notausgangstüre befindet sich am Ende des von Gästen betretbaren Lokals. In unmittelbarer Nähe dieser Notausgangstüre befand sich ein an die Wand angeschraubtes, weder durch ein Türchen oder sonst zu öffnendes Eisenkästchen (vgl die Fotos Beil./1) mit einer frontseitigen Glasscheibe, in dem ein an einer Metallkette angehängter Schlüssel zur Notausgangstür aufgehängt war. Die Scheibe dieses Kästchens wurde vom Dieb oder den Dieben (offenbar während des Betriebs des Cafes) zerschlagen und der Schlüssel von der Kette abgerissen. Näheres zur Art des verübten Diebstahls oder des Eindringens konnte nicht festgestellt werden; insbesondere gibt es keinen Hinweis, daß ein anderer als der Originalschlüssel verwendet worden wäre oder der Täter sich zum Zeitpunkt der Sperrstunde (noch) in den Betriebsräumlichkeiten versteckt gehabt hätte. Die beschriebene Art der Schlüsselverwahrung in dem Kästchen war der beklagten Partei bei der Kommissionierung ihres Lokales vom Magistratischen Bezirksamt aufgetragen worden. Der beschriebene Notausgang wird von der beklagten Partei grundsätzlich versperrt und nur zum Lüften des Lokals oder für Lieferantenlieferungen geöffnet. Das Personal der beklagten Partei war angewiesen worden, nach der Sperrstunde zu kontrollieren, ob alle Türen versperrt sind und ob der Schlüssel für den Notausgang im Kästchen noch vorhanden ist. Ob am Vorabend des Diebstahls der dienstmachende Kellner Günther F***** letzteres kontrollierte, konnte nicht festgestellt werden. In der vom Rechtsanwalt Dr.W***** verfaßten Schadensmeldung der beklagten Partei vom 9.2.1995 wird ein Einbruchsdiebstahl gegenüber der klagenden Partei geltend gemacht. In der Schadensliste wurde auch ein beschädigtes Schloß an der Notausgangstüre angeführt. Die Klägerin hat (insbesondere wegen des zu erwartenden mitversicherten Schadens infolge Betriebsstillstandes) ausgehend davon, daß ein Einbruchsdiebstahl vorliege, der beklagten Partei eine Akontozahlung von S 160.000,-- geleistet, gleichzeitig aber darauf verwiesen, daß sie das Ergebnis der polizeilichen Erhebungen noch abwarten wolle. Aus letzteren ging aber hervor, daß die Notausgangstüre (ebenso wie die Haupteingangstüre) beim Diebstahl unbeschädigt geblieben war.

Art.2 der dem Versicherungsvertrag zugrundeliegenden Allgemeinen Einbruchdiebstahlsversicherungen (AEB) Fassung 1996 lautet:

"(1) Als Einbruchdiebstahl im Sinne der Versicherungsbedingungen gilt ein Diebstahl nur, wenn ein Dieb in die Versicherungsräumlichkeit (Art 5)

a) durch Eindrücken oder Aufbrechen der Türen, Fenster, Wände, Fußböden oder Decken eingebrochen hat,

b) unter Überwindung erschwerender Hindernisse durch eine bereits bestehende, zum Eintritt nicht bestimmte Öffnung, die eine normale Fortbewegung nicht gestattet, eingestiegen ist,

c) sich in diebischer Absicht heimlicherweise eingeschlichen oder darin in dieser Absicht verborgen hat, sofern die Wegbringung der gestohlenen Sachen zu einer Zeit erfolgt ist, während welcher die Räume abgeschlossen waren,

d) mittels falscher Schlüssel oder anderer nicht zum ordnungsgemäßen Öffnen bestimmter Werkzeuge eingedrungen ist,

e) unter Anwendung der richtigen Schlüssel, d.s. Original- oder Duplikatschlüssel gelangt ist, sofern er diese anderwärts durch Einbruchdiebstahl in Räumlichkeiten eines Gebäudes im Sinne der vorstehenden Bestimmungen zu lit. a - d oder durch Beraubung (Anwendung von tätlicher Gewalt gegen eine Person oder Androhung einer solchen, um sich der Schlüssel zu bemächtigen) an sich gebracht hat.

(2) Als Einbruchdiebstahl im Sinne der Versicherungsbedingungen gilt ein Diebstahl auch dann, wenn ein Dieb während der Zeit, in welcher die bedingungsgemäß oder besonders vereinbarten Sicherungen nicht anzuwenden sind, ohne Setzung eines der unter Abs.1 angeführten Tatbestände in die Versicherungsräumlichkeit gelangt ist und darin Türen oder Behältnisse aufgebrochen oder zum Öffnen von Türen oder Behältnissen falsche Schlüssel oder andere zum ordnungsmäßigen Öffnen nicht bestimmte Werkzeuge verwendet hat. ....

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Refundierung ihrer Akontozahlung von S 160.000,-- sA mit der Begründung, diese aufgrund ihres Irrtums, es liege ein Einbruchsdiebstahl vor, geleistet zu haben. Tatsächlich sei der Schlüssel zur Notausgangstüre aber ungesichert in einem unversperrten Holzkästchen in deren unmittelbaren Nähe aufbewahrt worden. Die Beklagte habe dadurch die Sicherheitsvorschriften verletzt und eine Gefahrenerhöhung bewirkt, von der sie die klagende Partei nicht verständigt habe. Die Klägerin habe nur im Hinblick auf die Behauptung der Beklagten, daß beim Einbruchsdiebstahl auch das Schloß zur Noteingangstüre beschädigt worden sei, die Akontozahlung geleistet.

Die beklagte Partei beantragte die Klagsabweisung und wendete ein, daß ihr die Anbringung des metallenen Schlüsselkastens mit einer vorderseitigen Verglasung sowie die Aufbewahrung eines an einer Metallkette befestigten Schlüssels für die Notausgangstüre in dieser Form vom Magistratischen Bezirksamt aufgetragen worden und daß stets regelmäßig nach Betriebsschluß kontrolliert worden sei, ob die Notausgangstüre versperrt und sich der Reserveschlüssel im Glaskasten befinde. Da das Maß der Kraftaufwendung zum Öffnen des Schlüsselkastens bzw zum Abreißen der den Schlüssel sichernden Metallkette weit über jenem gelegen sei, das zum normalen Öffnen des Behältnisses erforderlich wäre, liege daher ein vom Versicherungsschutz gedeckter Diebstahl im Sinne des Art 2 der AEB 1986 vor.

Weiters wurde gegenüber der Klagsforderung eine nicht mehr revisionsgegenständliche Gegenforderung eingewendet.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren (unter Verneinung des Bestehens der eingewendeten Gegenforderung) statt und verneinte das Vorliegen eines Einbruchsdiebstahles im Sinne der AEB 1986.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und erklärte die ordentliche Revision für unzulässig. Die Beklagte gehe von den nicht vergleichbaren deutschen Einbruchsversicherungsbedingungen aus. Im vorliegenden Fall liege keiner der die Versicherungspflicht der Klägerin begründenden Voraussetzungen nach Art 2 Abs 1 lit a bis d bzw Abs 2 der AEB 1986 vor.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung von der beklagten Partei erhobene Revision ist zulässig, weil die Frage, ob die Erlangung der Originalschlüssel durch eine Vortat, die nicht anderwärts, sondern durch Einbruch in ein sicherndes Behältnis in den versicherten Räumen begangen wurde, bisher nicht in der Rechtsprechung des erkennenden Senates behandelt wurde; sie ist auch berechtigt.

Mit Recht beruft sich die Revisionswerberin darauf, daß Art 2 Abs 1 lit e im Zusammenhalt mit Abs 2 der AEB anzuwenden ist.

Sowohl die Glasscheibe des Glaskästchens als auch die Befestigung des Schlüssels zur Notausgangstüre an einer Metallkette sollten eine Sicherung gegen dessen Wegnahme sein. Der Besitz des Schlüssels sollte daher im Notfall nur durch das Zerschlagen der Glasscheibe zu erlangen sein. Im Sinn der Entscheidung 7 Ob 25/94 mwN ist daher das Zerschlagen der Glasscheibe und das Abreißen der Metallkette als erschwerter Diebstahl iSd AEB zu beurteilen. Fraglich ist, ob die Wendung "... anderwärts durch Einbruchsdiebstahl in Räumlichkeiten eines Gebäudes im Sinne der vorstehenden Bestimmungen ..." auch auf das Aufbrechen eines Behältnisses, das sich innerhalb der Räumlichkeiten, in der dann letztlich der Diebstahl vorgenommen wird, befindet, auszudehnen ist.

Allgemeine Versicherungsbedingungen sind objektiv unter Beschränkung auf ihren Wortlaut auszulegen, außer wenn ihre Klauseln auch Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, sie sind daher grundsätzlich wie Verträge nach Maßgabe der §§ 914 f ABGB auszulegen. Unklarheiten gehen zu Lasten des Versicherers, weil dies das Interesse des Vertrauensschutzes erfordert (vgl zuletzt JBl 1990, 316 = EvBl 1990/28 = VR 1990, 122 = VersR 1990, 445). Dabei ist nach dem Maßstab eines verständigen durchschnittlichen Versicherungsnehmers der einem objektiven Beobachter erkennbare Zweck einzelner Bestimmungen zu berücksichtigen (vgl VR 1992, 183). Ausnahmetatbestände, die die vom Versicherer übernommene Gefahr einschränken, dürfen nicht weiter ausgelegt werden, als es ihr Sinn unter Betrachtung ihres wirtschaftlichen Zweckes in der gewählten Ausdrucksweise sowie des Regelungszusammenhanges erfordert (vgl 7 Ob 26/97t). Sofern die grammatikalische Auslegung ein eindeutiges Ergebnis hervorbringt, erübrigt sich ein Rückgriff auf andere Interpretationskriterien (vgl VR 1994, 22 = VersR 1994, 335). Die hier für die Deckungspflicht der klagenden Partei bei einem mit vom Dieb gestohlenen Originalschlüssel ausgeführten Diebstahl maßgeblichen Worte "... anderwärts durch Einbruchsdiebstahl in Räumlichkeiten eines Gebäudes ..." ergeben bei grammatikalischer Auslegung folgendes Ergebnis: Das Wort "anderwärts" gibt den Begriff "anderswo" wieder (vgl Österreichisches Wörterbuch35, 104), d.h. an einer anderen Stelle befindlich (vgl Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache2 I, 174). Unter Räumlichkeiten eines Gebäudes können auch andere und zwar im Wohnungs- bzw Geschäftsverband der versicherten Örtlichkeit befindliche (versperrte) Räume verstanden werden, zu denen sich der Dieb durch erschwerten Diebstahl Zugang verschaffen hat. Wenn es sich auch beim gegenständlichen Metallschlüsselkasten im weiteren Sinn auch um einen Raum handelt, ist aber vom Sprachgebrauch her beurteilt, davon auszugehen, daß darunter ein Behältnis zu verstehen ist. Der Auffassung der klagenden Partei, daß nur der durch einen Einbruch in einen anderen Raum oder in ein Fahrzeug entwendete Originalschlüssel, mit dem letztlich der Diebstahl begangen wurde, die Deckungspflicht des Versicherers auslöst, nicht aber ein einem erschwerten Diebstahl gleichzuhaltendes Aufbrechen eines von der Gewerbebehörde in dieser Form angeordneten Behältnisses, das sich am Versicherungsort befindet, würde zu einem Wertungswiderspruch führen, weil nicht einsichtig ist, daß bei einem Einbruch zur Erlangung der Originalschlüssel in einem versperrten anderwärtigen Raum der Versicherungsschutz zu bejahen ist, nicht aber, wenn der Dieb einen Behälter aufbricht, der sich in einem unversperrten Raum befindet. In jedem der beiden Fälle wendet der Täter ungefähr das gleiche kriminelle Potential gegen die eine Sache gegen Wegnahme sichenden Hindernisse an. Dieser Wertungswiderspruch ergibt sich auch aus einem Vergleich mit der Bestimmung des Art 2 Abs 2 AEB. Dort wird der Versicherungsschutz, wenn ein Dieb auf normalem Weg in die versicherte Räumlichkeit gelangt ist und dann dort einen Einbruch begeht, nicht nur auf Einbrüche in versperrte Räume beschränkt, sondern auch auf Diebstähle aus aufgebrochenen Behältnissen ausgedehnt. Die Bestimmungen des Art 2 Abs 1 lit e und des Abs 2 der AEB stehen insofern miteinander im Zusammenhang, als dort der Versicherungsschutz für die Fälle geregelt wird, in denen es dem Dieb gelingt, ohne Einbruch in das versicherte Objekt zu gelangen. Im vorliegenden Fall durfte der Versicherungsnehmer davon ausgehen, daß eine ihm von der Gewerbebehörde bzw der Feuerpolizei aufgrund der offenkundigen Notwendigkeit, einen grundsätzlich versperrt zu haltenden Notausgang für den Brandfall begehbar zu machen, auferlegten Maßnahme sowohl der ihm als Versicherungsnehmer auferlegten Sicherungspflicht entspricht und daher auch keine Gefahrenerhöhung darstellt. Die zitierten Bestimmungen sind daher dahin auszulegen, daß ein Einbruchsdiebstahl, bei dem der Dieb nicht durch Einbruch, sondern mittels der Originalschlüssel in die versicherten Räumlichkeiten gelangt, im Sinne des Art 2 AEB auch dann vorliegt, wenn er die Originalschlüssel durch einen Einbruch in ein sicherndes Behältnis erlangt hat, zu dem er während der normalen Betriebszeit des versicherten Betriebs gelangt ist.

Der Revision der beklagten Partei war daher Folge zu geben und waren die Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinne einer Klagsabweisung abzuändern.

Die Entscheidung über die Prozeßkosten erster Instanz gründet sich auf § 41 ZPO, die über die Berufungs- und Revisionskosten auf §§ 41 und 50 ZPO.

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