OGH 8Ob279/97f

OGH8Ob279/97f18.9.1997

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Steinbauer, Dr.Rohrer, Dr.Adamovic und Dr.Spenling als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Yvonne M*****, geboren am 15.Mai 1983, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses des mj.Kindes, vertreten durch den Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie 15.Bezirk, als Sachwalter gemäß § 212 Abs 2 ABGB, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 5.August 1997, GZ 43 R 680/97m-10, womit über Rekurs des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien der Beschluß des Bezirksgerichtes Fünfhaus vom 27.Juni 1997, GZ 1 P 92/96i-4, abgeändert wurde, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Text

Begründung

Die Obsorge für die mj.Yvonne steht der Mutter zu, die sich in der Zeit vom 13.3.1997 bis zum 9.8.1997 in Haft befand. Der Vater ist aufgrund eines anläßlich der Scheidung der Ehe der Eltern am 15.12.1983 geschlossenen Vergleiches verpflichtet, für die Minderjährige monatliche Unterhaltsbeträge von S 2.000 zu bezahlen.

Am 27.6.1997 beantragte die zu diesem Zeitpunkt durch die obsorgeberechtigte Mutter vertretene Minderjährige die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach § 4 Z 3 UVG. Die Mutter verwies auf ihre Haft und brachte vor, sie sei einkommens- und vermögenslos. Die mj.Yvonne werde derzeit von einer Nachbarin betreut.

Das Erstgericht gewährte der Minderjährigen für die Zeit vom 1.6.1997 bis zum 31.8.1997 Unterhaltsvorschüsse gemäß § 4 Z 3 UVG in Richtsatzhöhe. Da die Mutter in Strafhaft sei und deshalb ihre Unterhaltspflicht nicht erfüllen könne, seien die Voraussetzungen des § 4 Z 3 UVG gegeben.

Das Rekursgericht änderte in Stattgebung eines Rekurses des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien den Beschluß des Erstgerichtes im Sinne der Abweisung des Vorschußantrages ab und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Einer Bevorschussung nach dem UVG seien nur Ansprüche auf Geldunterhalt, nicht aber andere aus dem Unterhaltsbegriff ableitbare Ansprüche, etwa auf Betreuung oder Erziehung, zugänglich. Die obsorgeberechtigte Mutter habe in erster Instanz ausgeführt, sie sei einkommens- und vermögenslos. Daß sie vor ihrer Inhaftierung über einen beachtlichen Zeitraum ein Erwerbseinkommen bezogen und damit zum Unterhalt des Kindes beigetragen habe, weil durch das Einkommen des Vaters nicht alle (übrigen) Bedürfnisse des Kindes gedeckt hätten werden können, habe sie nicht vorgebracht. Nur dieser - hier nicht geltend gemachte - Fall würde die Gewährung der begehrten Vorschüsse unabhängig von der Höhe der Unterhaltspflicht rechtfertigen. Hier habe aber das Kind gegen die Mutter nur einen Anspruch auf Betreuung und Erziehung, so daß eine Bevorschussung nach § 4 Z 3 UVG nicht in Betracht komme. Der ordentliche Revisionsrekurs sei nicht zulässig, da Rechtsfragen der Qualifikation des § 14 Abs 1 AußStrG nicht gegeben seien.

Gegen diesen Beschluß richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des nunmehr durch den Jugendwohlfahrtsträger vertretenen Kindes mit dem Antrag, die erstinstanzliche Entscheidung wiederherzustellen. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Der außerordentliche Revisionsrekurs ist zulässig, weil das Rekursgericht die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes über die das Pflegschaftsgericht in Unterhaltsvorschußsachen treffende Anleitungspflicht nicht beachtet hat. Er ist im Sinne des darin enthaltenen Aufhebungsantrages auch berechtigt.

In der schon vom Rekursgericht zitierten Entscheidung 2 Ob 549-555/93 (EvBl 1994/15 = ÖA 1993, 148 = EFSlg 72.520) vertrat der Oberste Gerichtshof folgende Rechtsauffassung:

Nach dem UVG ist der gesetzliche Unterhalt minderjähriger Kinder zu bevorschussen (§ 1 UVG); die Gewährung der nach § 4 Z 3 UVG gebührenden Vorschüsse hat zur Voraussetzung, daß der Unterhaltsschuldner infolge eines strafgerichtlichen Freiheitsentzuges in der Dauer von mehr als einem Monat seine Unterhaltspflicht nicht erfüllen kann. Nach § 140 Abs 1 ABGB haben die Eltern zur Deckung der ihren Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse des Kindes nach ihren Kräften anteilig beizutragen; der Elternteil, der den Haushalt führt, in dem das Kind betreut wird, leistet grundsätzlich schon dadurch seinen Beitrag (§ 140 Abs 2 Satz 1 ABGB). Die Haushaltführung und die Kinderbetreuung befreit allerdings ua dann nicht gänzlich von der Unterhaltspflicht, wenn der andere Elternteil nicht alle (übrigen) Bedürfnisse des Kindes decken kann (§ 140 Abs 2 Satz 2 ABGB). Unter diesen Umständen kann somit der den Haushalt führende und das Kind betreuende Elternteil zu einer weiteren Unterhaltsleistung in Form eines Geldunterhaltes in Anspruch genommen werden. War die das Kind betreuende Mutter in diesem Sinne neben der Haushaltsführung und der Kinderbetreuung noch zur Leistung von Geldunterhalt verpflichtet, bestand somit eine gesetzliche (Geld-)Unterhaltspflicht, die einer Bevorschussung nach dem UVG zugänglich ist. Hat die Mutter dieser Unterhaltspflicht entsprochen, kann sie sie aber zufolge des strafgerichtlichen Freiheitsentzuges nicht mehr erfüllen, liegen die Voraussetzungen für die Gewährung der begehrten Vorschüsse nach § 4 Z 3 UVG vor.

Die Richtigkeit dieser auch vom erkennenden Senat gebilligten Rechtsansicht wird von der Revisionsrekurswerberin nicht bestritten. Sie wendet sich aber gegen die Meinung des Rekursgerichtes, daß nach der gegebenen Aktenlage das Fehlen der dargestellten Voraussetzungen der beantragten Bevorschussung angenommen werden müsse. Dieser Einwand ist zutreffend:

Richtig ist, daß die Mutter in ihrem (Protokollar-)Antrag vom 27.6.1997 lediglich vorgebracht hat, seit 13.3.1997 in Haft und einkommens- und vermögenslos zu sein. Die während der zu diesem Zeitpunkt schon über drei Monate dauernden Haft erfolgte Behauptung der Einkommenslosigkeit erlaubt aber keine verläßlichen Rückschlüsse darauf, ob die Mutter vor der Haft Einkünfte bezogen hat, ob sie mangels ausreichender Unterhaltsleistungen des Vaters zur Leistung von Geldunterhalt verpflichtet war und ob sie dieser Verpflichtung nachgekommen ist.

Soweit der Antragsteller die Voraussetzungen der Gewährung von Vorschüssen nicht aufgrund der Aktenlage, durch Urkunden oder sonst auf einfache Weise nachzuweisen vermag, hat er diese gemäß § 11 Abs 2 UVG durch eine der Wahrheit entsprechende Erklärung des Vertreters glaubhaft zu machen. Wenngleich damit das Antragsprinzip festgelegt ist, wird der Richter dadurch im Hinblick auf den im Außerstreitverfahren herrschenden Untersuchungsgrundsatz nicht von der Verpflichtung entbunden, auf die Substantiierung des Vorbringens hinsichtlich aller Anspruchsvoraussetzungen hinzuwirken (EvBl 1994/15 = ÖA 1993, 148 = EFSlg 72.588; RIS-Justiz RS0037892).

Auch im vorliegenden Fall hätte daher die Mutter vom Erstgericht angeleitet werden müssen, in ihrem Protokollarantrag den für die Beurteilung dieses Antrages erforderlichen Sachverhalt vollständig zu behaupten. Da eine solche Anleitung unterblieb, ist eine verläßliche Beurteilung derzeit noch nicht möglich, so daß in Stattgebung des Revisionsrekurses die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben waren. Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren den Vertreter des Kindes zur vollständigen Behauptung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes anzuleiten und auf dieser Grundlage neuerlich über den Vorschußantrag zu entscheiden haben.

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