OGH 7Ob165/97h

OGH7Ob165/97h23.7.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I. Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Birgit J*****, vertreten durch Tusch-Flatz-Dejaco, Anwaltspartnerschaft in Feldkirch, wider die beklagte Partei R***** AG, ***** vertreten durch Dr.Josef Bock und Dr.Thomas Wiesinger, Rechtsanwälte in Wien, wegen S 1,302,317,- s.A. (Revisionsinteresse S 932.317), infolge Revision der klagenden Partei gegen den bestätigenden Teil des Urteiles des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 21.Februar 1997, GZ 4 R 5/97k-14, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 20.August 1996, GZ 6 Cg 109/96h-7, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 22.542,26 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 3.757,04 USt) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Im Jahr 1991 schloß Helmut Sch***** zur Besicherung eines Unternehmenskredits mit der beklagten zwei Lebensversicherungsverträge auf Erleben und Ableben mit einer vereinbarten Laufzeit vom 1.5.1991 bis 1.5.2039 ab. Die Versicherungssumme betrug S 300.000,-, im Ablebensfall vor dem 1.5.2006 zusätzliche S 70.000,-.

Im Jahr 1992 wurde wegen einer Kreditausweitung eine zusätzliche Absicherung durch Lebensversicherungen erforderlich. Am 26.5.1992 füllte ein Mitarbeiter der Beklagten bei der R*****bank B***** einen Antrag auf Lebens- und Unfallversicherung auf Grund der Allgemeinen und Besonderen Versicherungsbedingungen aus. Bei dem Vordruck "ersetzt Polizze-Nr" waren die Polizzennummern der im Jahr 1991 geschlossenen Verträge eingetragen; darunter wurde vermerkt:

"storniert". Dieser neue Versicherungsantrag ging der Beklagten mit dem von ihr geforderten "großen ärztlichen Untersuchungsbericht" vom 17.8.1992 erst am 20.8.1992 zu. Am 27.8.1992 wurden von der Beklagten 3 neue Polizzen ausgestellt. In allen 3 Verträgen ist als Versicherungsbeginn der 1.6.1992 eingetragen. Die Polizze Nr. 1951893-5 hat eine Versicherungssumme von S 580.000 und eine Laufzeit bis zum 1.6.2039, die Polizze Nr. 1985872-9 eine Versicherungssumme von S 360.000 und eine Laufzeit bis zum 1.6.2002 und die Polizze Nr 1982540-5 ebenfalls eine Versicherungssumme von S 360.000 und eine Laufzeit bis zum 1.6.1998. Unter "bezugsberechtigt im Ablebensfall" wurde "gesetzliche Erbfolge" in den Versicherungsantrag und in die Versicherungspolizzen eingetragen.

§ 10 Abs 1 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Kapitalversicherung auf den Todesfall (Lebensversicherung; ALB-K) lautet:

Hat der Versicherte Selbstmord begangen, so haftet der Versicherer nicht, es sei denn, daß die Tat in einem die freie Willensbestimmung auszuschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit begangen worden ist oder daß der Versicherungsvertrag im Zeitpunkt des Selbstmordes - vom Tage des Beginnes des Versicherungsschutzes (§ 2 ALB-K) an gerechnet schon 3 Jahre ununterbrochen in Kraft gewesen ist.

§ 2 ALB-K lautet:

Abs 1: Der Versicherer gewährt vorläufigen Sofortschutz in der Höhe der für den Ablebensfall beantragten Versicherungssumme, höchstens jedoch bis zur Gesamtleistung (einschließlich der Leistungen aus allen beantragten Zusatzversicherungen) von S 300.000,- sofern die versicherte(n) Person(en) zum Zeitpunkt der Antragstellung voll arbeitsfähig war(en), nicht in ärztlicher Behandlung oder Kontrolle standen und insoweit Bestimmungen der für die beantragte Versicherung geltenden Versicherungsbedingungen die Leistungspflicht des Versicherers nicht einschränken oder ausschließen. Der Sofortschutz beginnt mit Einlangen des Antrages in einer Landesgeschäftsstelle des Versicherers, jedoch nicht vor dem beantragten Versicherungsbeginn. Er endet mit der Annahme des Antrages (Aushändigung des Versicherungsscheines) oder einer anderen schriftlichen Erklärung des Versicherers, insbesondere einer Zurückstellung oder Ablehnung des Antrages, jedenfalls jedoch nach Ablauf von sechs Wochen ab Antragstellung. ....

Abs 2: Der Versicherungsnehmer hat unverzüglich, nachdem ihm die Annahme seines Antrages angezeigt worden ist, gegen Aushändigung des Versicherungsscheines den Einlösungsbetrag nebst Ausfertigungsgebühr ... und die etwaigen öffentlichen Abgaben zu bezahlen. Mit Eingang dieser Zahlung, jedoch nicht vor dem im Versicherungsschein angegebenen Zeitpunkt des Beginnes der Versicherung beginnt die über den Sofortschutz hinausreichende Leistungspflicht des Versicherers

..."

Am 2.9.1992 zog die Beklagte im Wege eines Bankabbuchungsauftrages die Prämien für die 3 Lebensversicherungsverträge vom 27.8.1992 ein (Summe aller Erstprämien abzüglich der im Juni, Juli und August 1992 eingezogenen Prämien aus den alten Verträgen).

Am 17.6.1995 beging Helmut Sch***** Selbstmord.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten als bezugsberechtigte Erbin und Zessionarin der weiteren bezugsberechtigten Erbin Michaela J***** die Zahlung der Versicherungssumme von insgesamt S 1,302.317 s.A. Der Selbstmord des Versicherungsnehmers liege außerhalb der 3-Jahresfrist des § 10 ALB-K. Infolge der vereinbarten Rückwärtsversicherung ab 1.6.1992 sei die genannte Frist ab diesem Zeitpunkt zu berechnen. Mit der Ausstellung der Polizze im Jahr 1992 sei das seit 1.5.1991 bestehende Versicherungsverhältnis lediglich verändert worden. Daher sei es unzulässig, bei der Berechnung der 3-Jahresfrist auf den Eingang der ersten Prämien bei der Beklagten abzustellen.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Der für die Berechnung der 3-Jahresfrist maßgebende Beginn des Versicherungsschutzes sei gemäß § 2 ALB-K erst mit dem Eingang der Erstprämien eingetreten. Da von diesem Zeitpunkt an bis zum Selbstmord des Versicherten nicht 3 Jahre verstrichen seien, hafte die Beklagte nicht für den geltend gemachten Anspruch.

Das Erstgericht wies das Klagebegehrens zur Gänze ab. Im Versicherungsantrag vom 26.5.1992 sei festgehalten, daß die (3) neuen Versicherungspolizzen die zwei alten Versicherungspolizzen ersetzten und die alten Versicherungsverträge storniert würden. Da auch die Versicherungssummen erweitert und das Vertragsende geändert worden seien, sei mit der Ausstellung der gegenständlichen Polizzen das alte Vertragsverhältnis nicht bloß geändert, sondern seien neue Versicherungsverträge abgeschlossen worden. Eine Rückwärtsversicherung liege in Wahrheit nicht vor. Mit 1.6.1992 sei nur der vereinbarte "Sofortschutz" in Kraft getreten. Die Frist des § 10 ALB-K habe gemäß § 2 ALB-K aber erst mit der Bezahlung der Erstprämien begonnen. Daher bestehe keine Haftung der Beklagten.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin teilweise Folge und verurteilte die Beklagte zur Bezahlung des Betrages von S 370.000 s. A. Das Mehrbegehren von S 932.317 s.A. blieb abgewiesen. Weiters sprach das Berufungsgericht aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Mit § 10 ALB-K hätten die Versicherer auf den ihnen durch § 169 VersVG im Fall des Selbstmordes des Versicherten gewährten Schutz in eindeutiger Weise dahin verzichtet, daß die Wartefrist vom Tage des Beginnes des Versicherungsschutzes (§ 2 ALB) an zu berechnen sei. Der Versicherungsvertrag müsse zum Zeitpunkt des Selbstmordes bereits 3 Jahre ununterbrochen in Kraft gewesen sein. Abgesehen vom "vorläufigen Sofortschutz" beginne der Versicherungsschutz demnach erst mit dem Eingang des "Einlösungsbetrages", also der Erstprämie, bei der Versicherung. Wollte man diese Frist aber bereits mit dem Beginn des Sofortschutzes berechnen, wäre die Versicherungsleistung mit diesem Betrag (hier S 300.000,-) begrenzt. Der Klägerin stehe aber aus anderen Gründen ein höherer Anspruch unabhängig davon zu, daß die 3-jährige Frist ab dem 1.6.1992 zu laufen begonnen habe.

Daraus, daß neue Polizzen ausgestellt worden seien und im Versicherungsantrag von einer Stornierung der alten Verträge die Rede sei, könne kein sicherer Schluß auf einen Neuabschluß gezogen werden. Selbst wenn eine Novation anzunehmen wäre, sei bei der neuen Versicherung die dem Versicherer erkennbare Absicht des Versicherungsnehmers zu unterstellen, daß der (geringere) Versicherungsschutz aus dem alten Vertrag nicht vor dem Inkrafttreten der (höheren) Deckung aus dem neuen Vertrag verloren gehen solle. Bloße Schuldänderungen ließen zwar das ursprüngliche Schuldverhältnis fortbestehen, dieses sei aber, weil es eben geändert worden sei, in manchen Beziehungen doch als neues zu behandeln.

Werde demnach davon ausgegangen, daß im Jahr 1992 eine Novation eingetreten sei, müsse unterstellt werden, daß der Versicherungsnehmer auf den von ihm bereits auf Grund des Vertrages aus dem Jahr 1991 erworbenen Versicherungsschutz nicht habe verzichten wollen. Zum alten Versicherungsvertrag habe aber auch die Anwartschaft auf Versicherungsschutz im Falle des Selbstmordes gehört. Daß die bereits im Rahmen des alten Vertrages laufende Frist des § 10 ALB-K durch den Neuabschluß habe unterbrochen werden sollen, dürfe nicht angenommen werden. Umgekehrt habe der Versicherungsnehmer auch nicht davon ausgehen dürfen, daß die Beklagte die erst durch den Neuabschluß gegenüber der ersten Versicherung erhöhte Versicherungssumme im Falle eines Selbstmordes bereits nach Ablauf der nach dem alten Vertrag zu berechnenden 3-Jahresfrist zu leisten habe. Zum gleichen Ergebnis führe die Auffassung, daß im Jahr 1992 eine bloße Änderung und keine Novation eintreten habe sollen. In bezug auf die erhöhten Versicherungssummen müßten die Verträge nämlich als etwas "neues" angesehen werden. Auch unter diesem Gesichtspunkt könne der Beklagten nicht unterstellt werden, daß sie nach Ablauf der nach dem alten Vertrag zu berechnenden 3-Jahresfrist bereits mit den erhöhten Versicherungssummen zu haften habe, obwohl sie bis zur Erhöhung der Versicherungssumme eine entsprechende Prämie dafür nicht erhalten habe. Unter diesem Gesichtspunkt sei die mit dem Eingang der ersten Prämie zu berechnende 3-Jahresfrist zum Zeitpunkt des Selbstmordes des Versicherten wohl in bezug auf den Vertrag aus dem Jahr 1991 abgelaufen gewesen, nicht aber auch in bezug auf die Änderungen des Jahres 1992. Die Beklagte hafte daher nur für ursprüngliche Versicherungssumme von S 370.000 s.A.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen von der Klägerin erhobene Revision ist nicht berechtigt.

Die Revision macht im wesentlichen geltend, daß mit dem Versicherungsantrag vom 26.5.1992 nicht der Abschluß eines neuen Versicherungsvertrages, sondern bloß eine Änderung des bestehenden Vertrages in Ansehung der Versicherungssumme gewollt gewesen sei. Andererseits liege aber auch eine Rückwärtsversicherung vor. In jedem Fall sei die Frist des § 10 ALB-K zum Zeitpunkt des Selbstmordes des Versicherungsnehmers abgelaufen gewesen.

Dem kann nicht gefolgt werden:

Gemäß § 169 VersVG ist der Versicherer bei einer Versicherung für den Todesfall von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn derjenige, auf dessen Person die Versicherung genommen ist, Selbstmord begangen hat, sofern die Tat nicht in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit begangen worden ist.

Mit § 10 ALB-K wird die Haftung des Versicherers für die Versicherungssumme auf die Fälle vertraglich erweitert, in denen der Versicherungsvertrag im Zeitpunkt des Selbstmordes - vom Tage des Beginns des Versicherungsschutzes (§ 2 ALB-K) an gerechnet - schon 3 Jahre ununterbrochen in Kraft gewesen ist. Gemäß § 2 Abs 1 ALB-K gewährt der Versicherer unter bestimmten Umständen vorläufigen Versicherungsschutz in der Höhe der für den Ablebensfall beantragten Versicherungssumme, höchstens jedoch bis zur Gesamtleistung (einschließlich der Leistungen aus allen beantragten Zusatzversicherungen) von S 300.000. Wie schon das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, hat der BGH zu der im wesentlichen gleichlautenden Bestimmung im § 8 dALB die Ansicht vertreten (VersR 1991, 574), daß die Vorverlegung des materiellen Versicherungsschutzes durch Parteienvereinbarung auf einen vor Zahlung der Erstprämie liegenden Zeitpunkt nicht die Wartefrist dieser Bestimmung auslöst. Der Wortlaut des § 8 dALB, der auf die Zahlung der Prämie abstellt, ist seiner Auffassung nach insoweit eindeutig. Auch § 2 Abs 2 ALB-K stellt für die über den Sofortschutz hinausgehende Leistungspflicht des Versicherers auf den Eingang der Erstprämie beim Versicherer ab. Der erkennende Senat schließt sich daher der dargestellten Auffassung des BGH an. Daß die Parteien des Versicherungsvertrages den Versicherungsbeginn mit 1.6.1992 festgelegt haben, bedeutet daher nicht, daß die Wartefrist des § 10 ALB-K von diesem Zeitpunkt an zu rechnen ist. § 10 ALB-K ist für einen verständigen Versicherungsnehmer im Hinblick auf § 169 VersVG aber auch dahin zu verstehen, daß die Leistungspflicht des Versicherers im Fall des Selbstmordes erst nach Ablauf von 3 Jahren nach dem durch die Zahlung der Erstprämie bewirkten Beginn des (vollen) Versicherungsschutzes besteht. Die Rückdatierung der Vertragsurkunde auf einen vor Vertragsabschluß liegenden Zeitpunkt, welche oft auch den Zweck hat, Wartefristen abzukürzen (Schauer, das österreichische Versicherungsvertragsrecht3, 158), kann daher unter diesen Umständen auf den Beginn dieser Wartefrist keinen Einfluß haben.

Aber auch aus dem Beginn des Sofortschutzes kann für den klägerischen Standpunkt nichts gewonnen werden, ging doch der Versicherungsantrag der Beklagten erst am 20.8.1992 zu. Von diesem Zeitpunkt an waren bis zum Selbstmord am 17.6.1995 noch nicht 3 Jahre abgelaufen.

Auch für den Fall, daß die Parteien des Versicherungsvertrages mit der Änderung im Jahr 1992 keinen neuen Versicherungsvertrag abgeschlossen, sondern nur eine Veränderung des bestehenden Schuldverhältnisses vorgenommen haben (siehe zur Abgrenzung OGH in VersR 1990, 549), hat die Wartefrist des § 10 ALB-K für die erhöhte Versicherungsleistung nicht schon vor der Zahlung der auf die erhöhte Versicherungssumme entfallenden Prämie begonnen. Wird ein bestehendes Versicherungsverhältnis durch Novation umgeändert, dann geht die ursprüngliche Deckung aus dem novierten Versicherungsvertrag erst mit dem Entstehen des neuen Versicherungsvertrages verloren; die Differenzprämie ist (nur) für das erweiterte Risiko als Erstprämie zu behandeln (SZ 57/123). Nichts anderes kann aber gelten, wenn die Änderungen eines Versicherungsvertrages nicht so wesentlich sind, daß nur von einer Schuldänderung bei Fortbestehen des ursprünglichen Schuldverhältnisses ausgegangen werden kann. Im Kernbereich der Änderung, insbesondere bei der Beurteilung der Pflicht zur Leistung der erhöhten Versicherungssumme, ist nämlich von einem neuen Versicherungsvertrag auszugehen. Insoweit bedarf es im Falle des Selbstmordes im Sinne des § 10 ALB-K auch, daß die Leistungspflicht des Versicherers für die erhöhte Versicherungssumme bereits 3 Jahre bestanden hat.

Ein Anspruch auf die erhöhte Versicherungsleistung besteht somit nicht. Der Revision der Klägerin war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte