OGH 10ObS187/97s

OGH10ObS187/97s8.7.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Ehmayr und Dr.Danzl als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter SR Dr. Raimund Kabelka (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Karl-Heinz Schubert (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Karin H*****, vertreten durch die Sachwalterin Margarethe H*****, ebendort, diese vertreten durch Dr.Manfred Harrer, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Pflegegeld, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25.März 1997, GZ 12 Rs 68/97z-14, womit das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 29.Oktober 1996, GZ 9 Cgs 365/95g-11, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben, sondern das angefochtene Urteil mit der Maßgabe bestätigt, daß das über die Pflegestufe 3 hinausgehende Mehrbegehren der Klägerin abgewiesen wird.

Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 23.2.1944 geborene Klägerin wird aufgrund einer Psychose mit Defektzustand (ohne völlige Desorientiertheit bis Fremd- oder Autoaggression) von ihrer Mutter "rund um die Uhr" betreut. Sie ist nicht in der Lage, ihren Haushalt zu führen, und es muß ihr jeder Griff, den sie tun muß, vorher gesagt werden; sie kann auch nur deshalb zu Hause wohnen, weil sie von einer Pflegerin "rund um die Uhr" betreut wird. Dafür ist bei ihr die dauernde Bereitschaft, nicht jedoch die dauernde Anwesenheit einer Pflegeperson erforderlich. Für Betreuungs- und Hilfsverrichtungen ist ein monatlicher Aufwand von (im Revisionsverfahren unstrittig, daher auch nicht weiter aufgeschlüsselt) 123 Stunden erforderlich.

Mit Bescheid vom 19.10.1995 gewährte die beklagte Partei der Klägerin ab 1.5.1995 das Pflegegeld der Stufe 2.

In ihrer Klage stellt die Klägerin, vertreten durch ihre mit Beschluß des Bezirksgerichtes Linz vom 25.7.1991 zu 1 SW 26/90 bestellte Sachwalterin, das Begehren auf Zuerkennung eines höheren Pflegegeldes im gesetzlichen Ausmaß.

Das Erstgericht verurteilte die beklagte Partei zur Zahlung des Pflegegeldes der Stufe 4 ab 1.5.1995 im gesetzlichen Ausmaß. Es führte - im Rahmen der rechtlichen Beurteilung - aus, daß die Klägerin eine Person benötige, welche die Tagesstruktur für sie einteile und kontrolliere und welche die Klägerin zu sinnvollen Tätigkeiten motiviere und anleite, um ein "Entgleiten" zu verhindern; dafür sei eine weitere Stundenzahl von 4 pro Tag erforderlich, sodaß sich ein Gesamtpflegebedarf von 243 Stunden, sohin über 180 Stunden pro Monat ergebe.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei teilweise Folge. Hinsichtlich des über die Stufe 2 hinausgehenden Pflegegeldes vom 1.5. bis 30.6.1995 hob es das angefochtene Urteil als nichtig auf und wies die Klage insoweit mangels Rechtswegzulässigkeit (§ 4 Abs 2 BPGG in der Stammfassung) zurück; im übrigen gab es der Berufung teilweise Folge und änderte das Urteil dahin ab, daß es die beklagte Partei bloß zur Zahlung des Pflegegeldes der Stufe 3 ab 1.7.1995 verpflichtete; eine spruchmäßige Abweisung des Mehrbegehrens erfolgte nicht.

Abweichend vom Erstgericht berücksichtigte das Berufungsgericht den zusätzlichen Zeitaufwand von 4 Stunden täglich für die Anleitung und Motivation zur sinnvollen Beschäftigung nicht, da die diesbezüglichen Ausführungen des Sachverständigen auf die Erforderlichkeit einer Beschäftigungstherapie hinausliefen, um ein Entgleiten in psychotische Zustände zu verhindern; derartige therapeutische Maßnahmen stellten jedoch keine Pflegeleistungen dar, die bei der Beurteilung des Pflegegeldes zu berücksichtigen seien.

Die gegen dieses Urteil von der Klägerin erhobene, auf den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte und von der beklagten Partei nicht beantwortete Revision ist gemäß § 46 Abs 3 ASGG auch ohne Vorliegen der Voraussetzungen des Abs 1 leg cit zulässig, jedoch nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Zunächst ist vorauszuschicken, daß der Revisionsantrag auf

"vollinhaltliche Klagsstattgebung" gerichtet ist. Tatsächlich wird

jedoch die vom Berufungsgericht - zutreffend (zur

Rechtswegzulässigkeit für über die Stufe 2 vor dem 1.7.1995

hinausgehende Begehren, siehe ausführlich 10 ObS 2351/96z = ARD

4810/32/97 = ZAS B 1997/13 = DRdA 1997, 140 = infas 1997/S 25) -

vorgenommene Klagszurückweisung dieses Begehrensteiles für die Zeit vom 1.5. bis 30.6.1995 inhaltlich im Rechtsmittel nicht releviert. Das Rechtsmittel richtet sich vielmehr in seiner Rechtsrüge ausschließlich gegen die vom Erstgericht bejahte, vom Berufungsgericht hingegen verneinte Zuzählung eines weiteren Pflegeaufwandes von (zusammen) 120 Stunden für "Motivation und Anleitung" zu den nunmehr unstrittigen 123 Stunden betragenden und damit die Pflegegeldstufe 3 (über 120 Stunden) rechtfertigenden sonstigen Hilfs- und Betreuungsleistungen.

Im übrigen ist die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes zutreffend (§ 48 ASGG).

Zwar ist die vom Berufungsgericht für seine Argumentation als tragend zitierte Entscheidung 10 ObS 2393/96a (= ARD 4818/24/97) auf den vorliegenden Fall nicht unmittelbar anwendbar, weil sie einen anderen Sachverhalt, nämlich das systematische Training eines spastisch behinderten Kleinkindes mit seiner Mutter im Rahmen der sog Bobath-Therapie betraf. Das Berufungsgericht hat jedoch zutreffend auf die Bestimmung des § 4 EinstV verwiesen. Danach ist die (hier ausschließlich im Vordergrund der Beurteilung stehende) Anleitung und Beaufsichtigung von Menschen mit geistiger oder psychischer Behinderung bei der Durchführung der in den §§ 1 und 2 EinstV angeführten Verrichtungen der Betreuung und Hilfe selbst gleichzusetzen. Hiefür ist nach den maßgeblichen Feststellungen der Vorinstanzen aber nur der im Revisionsverfahren unstrittige Gesamtstundenaufwand von 123 Stunden pro Monat in Ansatz zu bringen. Der einzig noch strittige (und mit weiteren 120 Stunden taxierte) Monatsaufwand ist nach den Feststellungen der Tatsacheninstanzen aber nicht für die Durchführung der im einzelnen aufgezählten Hilfs- und Betreuungsverrichtungen, zu denen die Klägerin selbst nicht (mehr) in der Lage ist, sondern ausschließlich für Motivation und Anleitung zu sinnvollen (sonstigen) Tätigkeiten erforderlich (also im wesentlichen Gestaltung des übrigen, nicht durch Verrichtungen im Sinne der §§ 1, 2 EinstV ausgefüllten Tagesablaufes). Die Klägerin ist in der Lage selbständig - also nicht erst aufgrund "Anleitung und Motivation" - ihre Mahlzeiten einzunehmen, die Notdurft zu verrichten und die im Haus der Mutter gelegene Wohnung zu beheizen. Sie ist also doch zu ganz wesentlichen Verrichtungen im persönlichen Lebensbereich fähig. Anders als im Falle der Entscheidung SSV-NF 9/66 = SZ 68/137 kann die Klägerin hier nicht die in den §§ 1 und 2 EinstV angeführten Verrichtungen nur besorgen, wenn sie wegen ihrer im psychischen Bereich liegenden Behinderung entsprechend (zusätzlich) angeleitet und beaufsichtigt wird und die Betreuungsperson demgemäß während dieser Verrichtungen auch anwesend ist; die diesbezügliche (therapeutische) Betreuung erstreckt sich bei ihr vielmehr ausschließlich auf nicht in den §§ 1, 2 leg cit erfaßte - sonstige - Lebensbereiche, für welche jedoch - wie das Berufungsgericht (auch durch die Wahl des Begriffes einer "Beschäftigungstherapie" hiefür) richtig erkannt hat - eine pflegegeldrelevante Rechtsgrundlage fehlt. Damit übersteigt aber der durchschnittliche monatliche Pflegebedarf bloß die für die Stufe 3 maßgebliche Stundenanzahl von 120 Monat, sodaß ihr auch nur das Pflegegeld in dieser Stufe zugesprochen werden konnte. Das darüber hinausgehende Mehrbegehren besteht nicht zu Recht und war - zur Verdeutlichung, da vom Berufungsgericht spruchmäßig unterlassen - insoweit im Spruch des Revisionsurteils im Sinne eines ausdrücklichen Abweisungsausspruches nachzuholen. Da der Pflegebedarf der Klägerin sohin durchschnittlich nicht mehr als 180 Stunden pro Monat beträgt, kann es auch nicht zum Zuspruch einer höheren als der zuerkannten Pflegegeldstufe führen.

Der Revision war damit ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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