OGH 10ObS2393/96a

OGH10ObS2393/96a13.12.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Bauer und Dr.Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Peter Wolf (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Thomas Mais (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei mj. Hannah O*****, geboren am 3. April 1993, ***** vertreten durch den Vater Otto O*****, Angestellter, ebendort, dieser vertreten durch Dr.Michael Ritter, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei Land Salzburg, 5020 Salzburg, Chiemseehof, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Pflegegeld, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 2.Juli 1996, GZ 12 Rs 99/96g-14, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 29. Jänner 1996, GZ 18 Cgs 174/95-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Bei der am 3.4.1993 geborenen Klägerin besteht infolge einer vorzeitigen Lösung des Mutterkuchens und eines dadurch bedingten Sauerstoffmangels eine sogenannte Tetraspastik, das heißt eine Lähmung der gesamten Körpermuskulatur rechts etwas ausgeprägter als links. Das Kind kann aufgrund dieser Lähmungen nicht frei sitzen, nicht gehen und nicht greifen. Die Kau- und Schluckprozedur ist behindert. Im gesamten sind die motorischen Möglichkeiten weit unter jenen eines gesunden einjährigen Kindes. Infolge der Kau- und Schluckbeschwerden verlängert sich die Dauer einer Mahlzeit immer erheblich. Das Kind kann auch nicht selbständig ein Fläschchen halten. Aufgrund der Kau- und Schluckbeschwerden muß es vermehrt breiige und flüssige Nahrung zu sich nehmen. Bei fester Nahrung auch im kleingeschnittenen Zustand ist immer mit Verdauungsproblemen zu rechnen. Das Kind ist auf vermehrte Unterstützung aufgrund der motorisch eingeschränkten Fähigkeiten angewiesen (Umlagern, Ortswechsel in der häuslichen Umgebung). Im Vergleich zu einem gesunden Kind ist diese notwendige Unterstützung erheblich vermehrt; der hiefür notwendige tägliche Mehraufwand beträgt zumindest eine Stunde. Es besteht auch die Notwendigkeit, eine sogenannte Bobath-Therapie durchzuführen. Dies bedeutet, daß die Mutter nach heilgymnastischen Anleitungen mit dem Kind turnen muß und auch ein höherer Aufwand zum Spielen erforderlich ist, da sich das Kind nicht in dem Maß selbst beschäftigen kann wie ein gleichaltriges gesundes Kind. Es handelt sich dabei um eine Art spielerische Gymnastik. Grundsätzlich wird die Mutter von einer augebildeten Kraft für die Durchführung dieser Therapie eingeschult, die Therapie selbst wird dann von der Mutter ausgeführt. Ungefähr alle 1-2 Wochen wird bei einem Gespräch zwischen dem Therapeuten und der Mutter festgelegt, ob neue Übungen zu lernen sind; außerdem wird das Programm laufend geändert. Der Aufwand für diese Therapie beträgt zumindest eine Stunde täglich ohne Vorbereitungshandlungen. Der vermehrte Aufwand an Spielen, den das Kind zur geistigen Weiterentwicklung dringend benötigt, beträgt ebenfalls zumindest eine Stunde täglich.

Mit Bescheid vom 10.5.1995 lehnte die beklagte Partei den Antrag vom 16.3.1995 auf Gewährung von Pflegegeld ab.

Mit der gegen diesen Bescheid gerichteten Klage begehrt die Klägerin die Gewährung des Pflegegeldes im gesetzlichen Ausmaß seit 1.3.1995. Es bestehe ein Pflege-, Betreuungs- und Hilfsbedarf, der 50 Stunden monatlich bei weitem übersteige.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens.

Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, der Klägerin ab 1.3.1995 das Pflegegeld der Stufe 1 zu gewähren.

Ausgehend von den oben wiedergegebenen, unstrittigen Feststellungen führte das Erstgericht in rechtlicher Hinsicht aus, daß die Klägerin über den Pflegebedarf eines nicht behinderten gleichaltrigen Kindes hinaus zusätzliche Hilfe bei der Einnahme von Mahlzeiten benötige (30 Stunden monatlich). Darüber hinaus benötige sie Mobilitätshilfe im engeren Sinn, da sie vermehrt auf die Unterstützung aufgrund der motorisch eingeschränkten Fähigkeiten angewiesen sei (Umlagern, Ortswechsel in der häuslichen Umgebung). Dieser Mehraufwand betrage ebenfalls mindestens eine Stunde täglich, also 30 Stunden monatlich. Darüber hinaus bedürfe das Kind Mobilitätshilfe im weiteren Sinn für Fahrten zum Arzt und zur Therapie. Dafür sei ein Fixwert von 10 Stunden anzusetzen. Insgesamt ergebe sich ein Pflegebedarf von 70 Stunden monatlich, sodaß die notwendige Stundenanzahl für die Pflegestufe 1, nicht jedoch für die Stufe 2 erreicht sei. Alle anderen festgestellten Verrichtungen seien nicht durch die Bestimmungen des Salzburger Pflegegeldgesetzes gedeckt, sodaß sie zur Bewertung nicht herangezogen werden könnten.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der klagenden Partei, die ein Pflegegeld der Stufe 2 anstrebte, nicht Folge. Nach § 1 Salzburger Pflegegeldgesetz (LGBl 1993/99) habe das Pflegegeld den Zweck, pflegebedingte Mehraufwendungen in Form eines Beitrages pauschaliert abzugelten, um pflegebedürftigen Personen soweit wie möglich die notwendige Betreuung und Hilfe zu sichern und die Möglichkeit zu verbessern, ein selbstbestimmtes, bedürfnisorientiertes Leben zu führen. Pflegebedürftige Personen im Sinne dieses Gesetzes sei gemäß § 2 Personen, für die auf Grund einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung oder einer Sinnesbehinderung ein ständiger Betreuungs- und Hilfsbedarf (Pflegebedarf) durch mindestens 6 Monate bestehe oder voraussichtlich bestehen werde. Nach § 4 Abs 2 SbgPGG habe die Landesregierung nähere Bestimmungen für die Beurteilung des Pflegebedarfes durch Verordnung festzulegen. Die Verordnung habe insbesondere zu beinhalten: 1. die Definition der Begriffe "Betreuung" und "Hilfe"; 2. Richtwerte für den zeitlichen Betreuungsaufwand ...... und 3. verbindliche Pauschalwerte für den Zeitaufwand der Hilfsverrichtungen .....

Gemäß § 1 Abs 1 der Salzburger Einstufungsverordnung (LGBl 1993/118) seien unter Betreuung alle in relativ kurzer Folge notwendigen Verrichtungen anderer Personen zu verstehen, die vornehmliche den persönlichen Lebensbereich betreffen und ohne die der pflegebedürftige Mensch der Verwahrlosung ausgesetzt wäre. Zu diesen Verrichtungen zählen insbesondere solche beim An- und Auskleiden, bei der Körperpflege, der Zubereitung und Einnahme von Mahlzeiten, der Verrichtung der Notdurft, der Einnahme von Medikamenten und der Mobilitätshilfe im engeren Sinn (Abs 2). Nach § 2 Abs 1 EinstV seien unter Hilfe aufschiebbare Verrichtungen anderer Personen zu verstehen, die den sachlichen Lebensbereich betreffen und zur Sicherung der Existenz erforderlich sind. Hilfsverrichtungen seien nach Abs 2 die Herbeischaffung von Nahrungsmitteln und Medikamenten, die Reinigung der Wohnung und der persönlichen Gebrauchsgegenstände, die Pflege der Leib- und Bettwäsche, die Beheizung des Wohnraumes einschließlich der Herbeischaffung von Heizmaterial und die Mobilitätshilfe im weiteren Sinn.

Wie der Oberste Gerichtshof bereits in seinen Entscheidungen 10 ObS 91/95 (=SSV-NF 9/66) und 10 ObS 139/95 (=SSV-NF 9/75) dargelegt habe, handle es sich, was auch aus dem Wort "insbesondere" in § 1 Abs 2 EinstV abzuleiten sei, um keine taxative Aufzählung sämtlicher Verrichtungen für die Beurteilung des Pflegeaufwandes, sondern es seien über die ausdrücklich angeführten Verrichtungen hinaus auch weitere Betreuungsmaßnahmen denkbar, die von der Regelung der Verordnung nicht erfaßt seien, jedoch bei der Beurteilung des Pflegeaufwandes berücksichtigt werden müßten. Wesentlich sei jedoch eine entsprechende Abgrenzung der "Pflege" im Sinne des Pflegegeldgesetzes von der Krankenbehandlung, Anstaltspflege und medizinischen Hauskrankenpflege. Was unter Krankenbehandlung zu verstehen sei, werde im § 133 ASVG näher ausgeführt. Danach sollten durch die Krankenbehandlung die Gesundheit, die Arbeitsfähigkeit und die Fähigkeit, für die lebenswichtigen persönlichen Bedürfnisse zu sorgen, nach Möglichkeit wiederhergestellt, gefestigt oder gebessert werden. Müsse hingegen die Behandlungsmaßnahme im Zeitpunkt ihrer Durchführung bereits als aussichtslos erkannt werden und ersetze daher beispielsweise ein Krankenhausaufenthalt nur die fehlende häusliche Pflege und Obsorge, liege ein Pflegefall oder Asylierung im Sinne des § 144 Abs 3 ASVG vor und es sei der Versicherungsfall der Krankheit nicht mehr gegeben. Nach der Rechtsprechung sei ein Behandlungsfall auch dann anzunehmen, wenn die Behandlung eine Besserung des Zustandes herbeizuführen oder zumindest eine Verschlechterung hintanzuhalten geeignet sei, mag auch das Grundleiden als solches nicht mehr behebbar sein. Die Krankheit im sozialversicherungsrechtlichen Sinn ende in dem Augenblick, in dem sie unheilbar geworden, also therapeutisch nicht mehr beeinflußbar sei. Im vorliegenden Fall sei zu prüfen, ob die von der Mutter des Kindes nach Anweisungen eines Therapeuten mit dem Kind durchgeführte Bobath-Therapie als Pflegeaufwand im umschriebenen Sinn anzusehen sei. Bei der sogenannten Bobath-Therapie handle es sich um ein therapeutisches Verfahren, das zur konservativen Behandlung der infantilen Zerebralparese entwickelt worden sei, insbesondere um ein systematisches Training zur Herstellung der normalen Tonuslage, zur Anbahnung höherintegrierter Bewegungs- und Haltungsreflexe und zur Unterdrückung pathologischer bzw primitiver Reflexmechanismen. Die Bobath-Methode werde auch als krankengymnastische Behandlungsmethode zur Verhinderung bzw Abschwächung spastischer Lähmungserscheinungen bei Patienten mit Apoplexie erfolgreich angewendet (Psychrembel, Klinisches Wörterbuch257 206). Diese medizinischen Ausführungen über Aufgabe, Inhalt und Einsatz der Bobath-Methode zeigten, daß es sich dabei um eine Therapie (Heilbehandlung) und nicht um eine bloße Betreuungsmaßnahme im Sinne einer Pflegeleistung handle. Bei Anwendung der oben zur Frage der Abgrenzung zwischen Behandlungs- und Pflegefall dargelegten Ausführungen stelle somit die Tätigkeit der Mutter bei der Durchführung dieser Therapie keine Betreuungsmaßnahme dar, die bei der Beurteilung des Pflegeaufwandes zu berücksichtigen wäre.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen dieses Urteil von der klagenden Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision ist nicht berechtigt.

Der Oberste Gerichtshof erachtet die Begründung des Urteiles des Berufungsgerichtes für zutreffend, weshalb es nach § 48 ASGG ausreichen würde, auf deren Richtigkeit hinzuweisen. In der Revision wird dagegen eingewendet, daß es Methoden gebe, die möglicherweise im Grenzbereich zwischen Heilbehandlung und Pflege liegen. Da es sich bei der sogenannten Bobath-Therapie um ein systematisches Training handle, müsse es nicht als Heilbehandlung im engeren Sinn angesehen werden, solle doch gerade dadurch sichergestellt werden, daß sich die Möglichkeit des Kindes verbessere, ein selbstbestimmtes, bedürfnisorientiertes Leben zu führen. Überdies sei zu bedenken, daß die Pflege eines minderjährigen Kindes nach § 146 Abs 1 ABGB besonders die Wahrung des körperlichen Wohles und der Gesundheit sowie die unmittelbare Aufsicht umfasse. Zur Wahrung des körperlichen Wohls und der Gesundheit der Klägerin sei aber die Bobath-Methode unbedingt notwendig. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung hätte auch dieser Mehraufwand von monatlich 30 Stunden berücksichtigt werden müssen, sodaß sich ein Pflegebedarf von insgesamt 100 Stunden und damit ein Pflegegeld in Höhe der Stufe 2 ergeben hätte.

Diesen Ausführungen muß entgegengehalten werden, daß sich die Umschreibung des Begriffes "Pflege des minderjährigen Kindes" im § 146 Abs 1 ABGB nicht auf die Bestimmungen über das Pflegegeld übertragen läßt. Das Pflegegeld hat den Zweck, in Form eines Beitrages pflegebedingte Mehraufwendungen pauschaliert abzugelten, um pflegebedürftigen Personen soweit wie möglich die notwendige Betreuung und Hilfe zu sichern und die Möglichkeit zu verbessern, ein selbstbestimmtes, bedürfnisorientiertes Leben zu führen (§ 1 SbgPGG und § 1 BPGG stimmen wörtlich überein). Was unter Pflegebedarf bzw Betreuung und Hilfe zu verstehen ist, wird zwar nicht im Gesetz, wohl aber in der Einstufungsverordnung definiert. Dies wurde vom Berufungsgericht zutreffend dargelegt. Übereinstimmung herrscht, daß es sich hier um zumindest im weiteren Sinn lebenswichtige Verrichtungen nichtmedizinischer Art handeln muß (vgl Tomandl, SV-System 7. ErgLfg 340; Pfeil, BPGG 80; Gruber/Pallinger BPGG 6, 15 ff mwN). Wie das Berufungsgericht weiters zutreffend ausgeführt hat, ist die Bobath-Methode ein therapeutisches Verfahren bzw eine krankengymnastische Behandlungsmethode. Unter Betreuung sind aber alle im relativ kurzer Folge notwendigen Verrichtungen anderer Personen zu verstehen, die vornehmlich den persönlichen Lebensbereich betreffen und ohne die der pflegebedürftige Mensch der Verwahrlosung ausgesetzt wäre. Zu solchen in § 1 Abs 2 EinstV beispielsweise genannten Verrichtungen können aber therapeutische Verfahren nicht gerechnet werden. Solche therapeutischen Maßnahmen können auch nicht als "Hilfe" im Sinne des § 2 Abs 1 EinstV gesehen werden, weil die Hilfsverrichtungen im § 2 Abs 2 taxativ aufgezählt sind (vgl Gruber/Pallinger BPGG Rz 16 zu § 4; Pfeil aaO 82 f; die Salzburger EinstV stimmt insoweit mit der EinstV zum BPGG vollkommen überein). Daraus folgt, daß kein Anspruch auf ein Pflegegeld in Höhe der Stufe 2 zusteht.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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