OGH 4Ob190/97p

OGH4Ob190/97p26.6.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek und Dr.Niederreiter sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr.Griß und Dr.Schenk als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Monika S*****, vertreten durch Dr.Michael Augustin, Rechtsanwalt in Leoben, wider die beklagte Partei Alois L*****, vertreten durch Dr.Kurt Hanusch und Dr.Heimo Jilek, Rechtsanwälte in Leoben, wegen Räumung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Leoben als Berufungsgericht vom 11.April 1997, GZ 3 R 20/97s-19, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Leoben vom 15.November 1996, GZ 9 C 182/96x-14, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin ist schuldig, dem Beklagten die mit S 3.655,68 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 609,28 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Ehegatten Theresia und Karl S***** waren bis Ende der 70-iger Jahre je zur Hälfte Eigentümer der Liegenschaft EZ***** mit dem Haus L*****. Nach seiner Scheidung heiratete Karl S***** die Klägerin und übertrug ihr (in den 70-iger Jahren) gegen Leibrente seinen Hälfteanteil an dieser Liegenschaft.

Seit 5.4.1966 war der Beklagte an dieser Anschrift gemeldet. Vorerst stellte ihm Karl S***** als sein Arbeitergeber einen Raum zur Verfügung. Im September 1966 verlobte sich der Beklagte mit Brigitte S***** (nunmehr R*****), einer Tochter der damaligen Hauseigentümer. Diese stellten den Verlobten einen großen Raum zur Verfügung, der erst umgebaut und hergerichtet werden mußte. 1969 und 1970 baute der Beklagte mit seiner damaligen Gattin den leerstehenden großen Raum mit eigenen finanziellen Mitteln zu einer Wohnung um, indem er Küche, Wohnzimmer, Schlafzimmer, Bad und Kinderzimmer errichtete.

1980 wurde die Ehe zwischen dem Beklagten und Brigitte R***** geschieden. Mit seiner früheren Schwiegermutter Theresia S***** hatte der Beklagte weiterhin ein sehr gutes Verhältnis. Auch nach dem Auszug Brigitte R*****s benützte der Beklagte die Wohnung - zusammen mit Theresia S***** und zeitweise mit seinem Sohn - weiter.

Als Theresia S***** der Klägerin ihren Hälfteanteil an der Liegenschaft zum Kauf anbot, stellte sie ihr die Bedingung, daß der Beklagte in der Wohnung bleiben dürfe. Sie wies sowohl gegenüber ihren Familienangehörigen als auch gegenüber dem Kaufinteressenten Johannes T***** darauf hin, daß sie ihren Anteil nur unter der Bedingung veräußere, daß der Beklagte in der Wohnung bleiben könne.

Johannes T***** besichtigte am 25.2.1992 das Haus, erstellte einen Plan der im ersten Stock gelegenen Wohnung und erwarb mit Kaufvertrag vom 9.3.1992 den Hälfteanteil von Theresia S***** nach dem Wortlaut des schriftlichen Vertrages lastenfrei, jedoch unter der mündlichen Bedingung, daß der Beklagte weiter in der Wohnung verbleiben könne.

Mit Kaufvertrag vom 15.9.1995 übertrug Johannes T***** seinen Hälfteanteil an die Klägerin, die sich die Zahlung des Restkaufpreises von S 600.000,-- bis zur lastenfreien Übergabe des Kaufgegenstandes vorbehielt.

Johannes T***** wußte als Nachbar, daß der Beklagte in der Wohnung im Hause L***** lebte und sah bei der Besichtigung, daß das Bett im Schlafzimmer des Beklagten kurz zuvor benützt worden war.

Erst nach dem Tod von Theresia S***** forderte die Klägerin den Beklagten erstmals auf, die Wohnung zu räumen.

Mit der Behauptung, daß der Beklagte die im ersten Stock des Hauses L***** gelegene Wohnung titellos benütze, begehrt die Klägerin, den Beklagten schuldig zu erkennen, diese näher beschriebene Wohnung zu räumen und ihr geräumt zu übergeben. Weder die Klägerin noch die Voreigentümer hätten dem Beklagten jemals die Zusage gegeben, daß er die Wohnung ohne Entgelt benützen dürfe.

Der Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Die früheren Hauseigentümer hätten ihm im Jahre 1966 für die Errichtung und Instandsetzung der Wohnung ein lebenslanges, ein entgeltliches Wohnrecht eingeräumt. Er habe daher infolge 30-jähriger Benützung ein Wohnrecht ersessen. Theresia S***** habe ihren Hälfteanteil nur unter der Bedingung veräußert, daß er weiter kostenlos die Wohnung benützen dürfe. Auch die Klägerin habe davon gewußt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte noch fest, daß im Hinblick auf die Errichtung der Wohnung durch den Beklagten zwischen den damaligen Eigentümern und ihm vereinbart worden sei, daß er Zeit seines Lebens in der von ihm adaptierten Wohnung bleiben könne, ohne hiefür ein Entgelt leisten zu müssen. Diese Vereinbarung sei in den späteren Jahren von Theresia S***** des öftern bestätigt worden, die immer wieder erklärt habe, daß der Beklagte und sein Sohn nach einem Verkauf des Hauses in der Wohnung bleiben könnten. Die Klägerin habe zum Zeitpunkt des Abschlusses ihres Kaufvertrages mit Johannes T***** ebensogut wie zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrages zwischen Theresia S***** und Johannes T***** gewußt, daß dem Beklagten von seinen Schwiegereltern das Wohnrecht an der Wohnung eingeräumt worden sei.

Rechtlich meinte der Erstrichter, dem Beklagten sei von seinen damaligen Schwiegereltern ein lebenslanges, unentgeltliches, dingliches Wohnrecht im Sinn des § 521 ABGB eingeräumt worden, sodaß er die Wohnung nicht titellos benütze. Auch wenn dieses Wohnungsrecht ursprünglich dem Beklagten und seiner Ehefrau eingeräumt worden sei, so sei es nach der Scheidung eben beim Beklagten verblieben. Johannes T***** habe den Hälfteanteil mit der Last des Wohnrechtes des Beklagten erworben; diese Last sei auch beim Verkauf an die Klägerin bestehen geblieben. Eine Ersitzung des Wohnrechts liege allerdings schon deshalb nicht vor, weil die Wohnung erst 1969/70 errichtet worden sei.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Es übernahm die Feststellungen des Ersturteils als das Ergebnis einer schlüssigen und unbedenklichen Beweiswürdigung. Rechtlich vertrat es die Auffassung, daß die Eheleute Karl und Theresia S***** ihrer Tochter und dem Beklagten kein dingliches, sondern ein obligatorisches, lebenslängliches und unentgeltliches Wohnrecht eingeräumt hätten. Ein solches gehe auf den Einzelrechtsnachfolger nur über, wenn dieser es vertraglich übernommen habe. Im vorliegenden Fall habe Theresia S***** Johannes T***** die Verpflichtung überbunden, das Wohnrecht des Beklagten nicht aufzulösen. Diese Verpflichtung T*****s sei auf die Klägerin übergegangen, habe sie doch vertraglich dessen Rechte und Pflichten übernommen (Punkt II des Vertrages vom 15.9.1995). Dafür spreche auch der Umstand, daß sie sich verpflichtete, bei einem lastenfreien Übergang einen höheren Kaufpreis zu zahlen (Punkt VII. des Vertrages). Sie habe daher keinen Räumungsanspruch gegen den Beklagten.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene Revision der Klägerin ist nicht berechtigt.

Die geltend gemachte Mangelhaftigkeit liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO). Ein Mangel des Berufungsverfahrens wäre nur dann gegeben, wenn sich das Berufungsgericht mit der Beweiswürdigungsrüge nicht oder nur so mangelhaft befaßt hätte, daß keine nachvollziehbaren Überlegungen über die Beweiswürdigung angestellt und im Urteil festgehalten sind (Kodek in Rechberger, Rz 3 zu § 503 mwN aus der Rsp). Davon kann aber hier keine Rede sein, weil das Berufungsgericht ohnehin ausgeführt hat, aufgrund welcher der im einzelnen aufgezählten Aussagen es die gerügten Feststellungen für zutreffend hält.

Auch den Rechtsausführungen der Klägerin kann im Ergebnis nicht gefolgt werden.

Nach den - für den Obersten Gerichtshof bindenden - Tatsachenfeststellungen der Vorinstanzen haben die früheren Hauseigentümer Karl und Theresia S***** mit dem Beklagten, nachdem dieser in dem ihm zur Verfügung gestellten großen Raum eine Wohnung errichtet hatte, vereinbart, daß er lebenslänglich und unentgeltlich darin verbleiben könne. Zu prüfen ist daher, welcher Natur das dem Beklagten damit eingeräumte Recht ist:

Das Berufungsgericht hat offenbar allein daraus, daß die Vertragsparteien die Einverleibung einer Dienstbarkeit im Grundbuch nicht ins Auge gefaßt haben, geschlossen, daß dem Beklagten nur ein obligatorisches Wohnrecht eingeräumt wurde. Es trifft allerdings zu, daß bei Fehlen einer auf Einverleibung der Dienstbarkeit (§ 481 Abs 1 ABGB) gerichteten Absicht nur eine obligatorische Dienstbarkeit begründet wird, jedoch kein dingliches Recht entsteht (Pimmer in Schwimann, Praxiskommentar zum ABGB, Rz 1 zu § 472 mwN aus Rsp; SZ 44/41; MietSlg 34.052 ua). Zu beachten ist hier aber, daß die Vertragsparteien juristische Laien waren und daher den für Dienstbarkeiten geltenden Eintragsgrundsatz nicht kennen mußten. Die - auch in der Folge insbesondere von Theresia S***** immer wieder zum Ausdruck gebrachte - Absicht, dem Beklagten ein lebenslängliches Wohnrecht zu übertragen, spricht gegen die Annahme, die Parteien hätten dann, wenn sie an den Fall einer Veräußerung des Hauses an Dritte gedacht hätten, vereinbart, daß der Beklagte nur für die Zeit ihres Eigentumsrechtes, die - von ihm selbst errichtete - Wohnung benützen dürfe; vielmehr spricht alles dafür, daß sie in diesem Fall klargestellt hätten, daß auch ihre allfälligen Einzelrechtsnachfolger an diese Abmachung gebunden sein sollten. Bei der gebotenen ergänzenden Vertragsauslegung ist auf Grund des von den Parteien verfolgten Zweckes zu fragen, welche Lösung redliche und vernünftige Parteien vereinbart hätten (SZ 57/71; EvBl 1993/78 uva). Der Verwirklichung des Parteiwillens entspricht aber nur die Einräumung eines dinglichen Rechtes. Ihre Absicht war ja - wenn sie das auch nicht rechtlich abgesichert zuwegebrachten - darauf gerichtet, dem Beklagten ein gegenüber dem jeweiligen Eigentümer wirkendes, also ein dingliches Recht, einzuräumen (vgl SZ 68/194; 1 Ob 14/97h). Eine am Zweck der Rechtseinräumung orientierte Auslegung (Welser, Vertragsauslegung, Gutglaubenserwerb und Freiheitsersitzung bei der Wegeservitut, JBl 1983, 4 ff [7] führt mangels gegenteiliger Anhaltspunkte zum Ergebnis, daß die Eheleute S***** dem Beklagten ein dingliches Recht einräumen wollten.

Nach § 479 ABGB werden Abweichungen von der Natur einer - im ABGB geregelten - Servitut nicht vermutet; wer sie behauptet, dem obliegt der Beweis. Aus der Einräumung einer Dienstbarkeit folgt demnach im Zweifel die Verpflichtung des Servitutsbestellers zur Einwilligung in die Einverleibung dieses Rechtes; es ist dann Sache des Verpflichteten, zu behaupten und zu beweisen, daß die Absicht auf die Begründung eines bloß obligatorischen Rechtes für den Berechtigten gerichtet war (MietSlg 35.045; Pimmer aaO Rz 5 zu § 479; ähnlich Petrasch in Rummel, ABGB**2, Rz 2 zu § 479). Ein solcher Beweis ist der Klägerin nicht gelungen.

Der Klägerin mußte schon bei Erwerb der Liegenschaftshälfte Karl S*****s bekannt werden, daß der Beklagte in dem Haus wohnt. Theresia S***** betonte auch ihr gegenüber immer wieder, daß der Beklagte ein Recht zum lebenslänglichen Benützen der Wohnung hatte. Bei dieser Sachlage kann sie sich nicht auf den Grundbuchsstand berufen.

Ganz abgesehen davon, daß die Klägerin bei Erwerb ihres Eigentumsrechtes von dem Recht des Beklagten wußte, käme ihr der Vertrauensschutz nach § 1500 ABGB auch dann nicht zustatten, wenn sie nur den Wohnungsgebrauch durch den Beklagten wahrgenommen hätte, ohne dessen Rechtsgrund genau zu kennen. Wie der Oberste Gerichtshof in Abkehr von seiner früheren Rechtsprechung ausgesprochen hat, können auch persönliche Dienstbarkeiten wie jene der Wohnung offenbar sein (SZ 68/194; 1 Ob 14/97h). Um den Liegenschaftserwerber des Schutzes nach § 1500 ABGB teilhaftig werden zu lassen, ist es erforderlich, daß diesem sowohl im Zeitpunkt des Grundstückserwerbes als auch in jenem der Antragstellung auf Einverleibung seines Eigentumsrechts eine allenfalls vom Grundbuchsstand abweichende wahre Sachlage unbekannt war. Der Erwerber wird jedoch nicht gestützt, wenn seine irrige Vorstellung über den Umfang eines fremden Rechtes auf Fahrlässigkeit beruht; für einen Fahrlässigkeitsvorwurf genügt bereits die Kenntnis einer nicht völlig geklärten Rechtslage (SZ 68/194 mwN).

Die Klägerin muß daher in jedem Fall die dem Beklagten von den früheren Eigentümern eingeräumte Dienstbarkeit gegen sich gelten lassen.

Auf die Frage, ob die Übernahme einer obligatorischen Verpflichtung durch Johannes T***** und ihren Eintritt in dessen Rechte und Pflichten schon ausreichten, um ihren Räumungsanspruch zu verneinen, braucht demnach nicht mehr eingegangen zu werden. Es ist auch nicht zu untersuchen, wie weit die in SZ 48/78 vertretene Auffassung, eine vertragliche, nicht verbücherte, nur obligatorische Dienstbarkeit sei gegenüber dem (Einzel-)Rechtsnachfolger des Bestellers wirksam, wenn dieser von der Dienstbarkeit Kenntnis hat oder wenn diese offenkundig war, aufrecht erhalten werden könnte.

Diese Erwägungen führen zur Bestätigung des angefochtenen Urteils.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

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