OGH 9ObA101/97m

OGH9ObA101/97m25.6.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisions- und Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.Maier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr.Bauer und Dr.Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter Mag.Wolfgang Stelzmüller und Dr.Manfred Dafert als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Rudolf Z*****, Arbeiter, N*****gasse *****, ***** vertreten durch Dr.Vera Kremslehner ua, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei F***** GmbH, ***** vertreten durch Dr.Helmut Meindl, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 145.510,-- sA, infolge Revision und Rekurses (Interesse: S 145.013,-- sA) der beklagten Partei gegen den Beschluß und das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22.November 1996, GZ 9 Ra 235/96m-31, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 19.März 1996, GZ 14 Cga 121/94d-25, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung

I.) den Beschluß gefaßt:

Der Rekurs wird zurückgewiesen;

II.) zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei, die mit S 8.370,-- (darin S 1.395,-- Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Rechtliche Beurteilung

zu I.: Da der von der beklagten Partei geltend gemachte Nichtigkeitsgrund nach § 477 Abs 1 Z 5 ZPO bereits vom Berufungsgericht verneint wurde und insoweit ein Beschluß vorliegt, der gemäß § 519 ZPO unanfechtbar ist (SZ 59/104; Kodek in Rechberger, ZPO Rz 2 zu § 503 mwN), erweist sich der dagegen erhobene Rekurs als unzulässig.

zu II.: Das Berufungsgericht hat die Frage, ob dem Kläger Ansprüche nach § 1162b ABGB zustehen, zutreffend bejaht. Es reicht daher insofern aus, auf die Richtigkeit der eingehenden Begründung der angefochtenen Entscheidung hinzuweisen (§ 48 ASGG).

Ergänzend ist den Ausführungen der Revisionswerberin entgegenzuhalten:

Nach den für den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen der Vorinstanzen setzte der Arbeitskollege W*****, der sich über ungeschicktes Vorgehen des Klägers ärgerte, den Anfang der Verbalinjurien und reagierte der Kläger darauf seinerseits mit einer Beschimpfung. Die Tätlichkeiten des Klägers erfolgten ebenfalls erst, nachdem der Arbeitskollege mit einem tätlichen Angriff begonnen hatte. Die nur geringfügige Intensität dieser Angriffe läßt sich einerseits an den minimalen Folgen (Schwellungen im Kopfbereich) aber auch daran erkennen, daß sich die Streitenden schließlich ohne Zutun eines Dritten trennten und in der Lage waren, weiter ihre Arbeit zu verrichten. Abgesehen davon, daß der Kläger - bei strafrechtlicher Betrachtung - den Schuldausschließungsgrund des § 115 Abs 3 StGB für sich in Anspruch nehmen könnte, trifft hier das essenzielle Tatbestandsmerkmal der Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung durch den Arbeitgeber (Kuderna, Entlassungsrecht**2 60) nicht zu. Die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung durch den Lehrberechtigten ist auch eine wesentliche Voraussetzung für die Entlassung des Lehrlings (Arb 10.445). Dieses Kriterium ermöglicht die Abgrenzung zwischen einem in abstracto wichtigen Entlassungsgrund und einem in concreto geringfügigen Sachverhalt (Kuderna, EntlassungsR**2 60 ff, Berger/Fida/Gruber, Berufsausbildungs- gesetz, Rz 47 zu § 15). Das Tatbestandsmerkmal der Unzumutbarkeit beruht auf der Überlegung, daß der Auflösungsgrund derart schwerwiegend sein muß, daß auch für einen außenstehenden Dritten die Fortsetzung des Lehrverhältnisses bis zu dessen Zeitablauf nicht zumutbar scheint. Für das Fehlen der Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung des Lehrlings können im besonderen Schuldintensität, nähere Umstände, unter denen die Tat begangen worden ist, etc von Bedeutung sein (ARD 3826/17). Neben dem zu verneinenden Entlassungsgrund nach § 15 Abs 3 lit b BAG könnte die Beklagte die Entlassung auch nicht auf die Bestimmung des § 15 Abs 3 lit a BAG stützen. Selbst wenn die vom Kläger verursachte Schwellung im Bereich des Kopfes seines Arbeitskollegen als Verletzung zu qualifizieren wäre, käme eine berechtigte Entlassung nur dann in Frage, wenn die Begehung der Straftat den Lehrling gegenüber dem Lehrberechtigten vertrauensunwürdig machte. Die schon erwähnte geringe Schuld- und Folgenintensität kann einen solchen Vertrauensverlust aber nicht rechtfertigen.

Die Entlassung war daher rechtsunwirksam und gab den entlassenen Lehrling das Wahlrecht, anstelle auf einer Fortsetzung des Lehrverhältnisses zu bestehen, auf der Grundlage der akzeptierten Auflösung des Lehrverhältnisses Ersatzansprüche nach § 1162 b ABGB geltend zu machen (Kuderna aaO 166 mwN). Daß Anrechnungsvorschriften (wie §§ 1155, 1162 b ABGB, § 29 Abs 1 AngG) zur Anwendung kommen, setzt voraus, daß der Arbeitgeber Anrechnungen gegen die Forderung des Arbeitnehmers einredeweise geltend macht (Martinek/M.Schwarz/W.Schwarz AngG7, 667). Die Behauptungs- und Beweislast dafür, daß sich der grundlos entlassene Dienstnehmer auf seine vertragsmäßigen Entgeltsansprüche bestimmte Beträge anrechnen lassen muß, trifft dabei den Dienstgeber (SZ 41/69 = Arb 8.535 = DRdA 1969, 249 [Kuderna], Arb 9.883, Arb 10.311, RdW 1983, 115 uva). Insbesondere hat der Arbeitgeber zu behaupten und zu beweisen, daß der Arbeitnehmer eine sich ihm konkret bietende, zumutbare Verdienstmöglichkeit absichtlich, dh um die Anrechnung zu verhindern, ausschlägt oder es in der gleichen Absicht unterläßt, sich um einen anderen Verdienst zu bemühen (Arb 10.311). Hiezu hat die Beklagte - ohne nähere Konkretisierung im vorgenannten Sinne - zunächst (AS 117) den auch aufgenommenen Beweis durch Anfrage bei Arbeitsämtern beantragt, "daß dem Kläger mehrfach Lehrstellen in der Kfz-Branche, nicht speziell abgestellt auf Ford-Betriebe, angeboten wurden, die dieser jedoch nicht angenommen hat". Dieses den Kriterien der § 226 Abs 1 ZPO nicht entsprechende, jedoch auch für wirksame Einwendungen im Sinne des § 243 Abs 2 ZPO notwendige (JBl 1972, 478, 9 ObA 237/88) Vorbringen, führte zu keinem für die Beklagte befriedigenden Beweisergebnis (ON 19), sodaß sie in der Folge die Anträge stellte, den Kläger ergänzend dazu zu vernehmen, "warum er die angebotene Lehrstelle nicht angenommen und seit wann er Arbeitslosengeld bezogen hätte" (AS 129) und eine neuerliche Anfrage des Arbeitsamtes einzuholen, "wann und bei wem dem Kläger eine Lehrstelle angeboten wurde und welche Bezüge der Kläger vom Arbeitsamt bis 31.3.1995 erhalten habe" (AS 137). Darin liegt ein unzulässiger Erkundungs-(Ausforschungs-)beweis, der dazu diente, neue, bisher nicht vorgebrachte Informationen zu erhalten (1 Ob 578/86, 9 ObA 237/88). Das weitere Vorbringen, der Kläger hätte seinen Präsenzdienst wesentlich früher antreten müssen (AS 220), bildet eine im Revisionsverfahren unbeachtliche Neuerung (§ 504 Abs 2 ZPO). Die von der Beklagten vermißten Feststellungen sind daher nicht Ergebnis einer unrichtigen Rechtsansicht der Vorinstanzen, sondern Folge mangelnden bzw unzulässigen Vorbringens der beweispflichtigen Beklagten.

Daß mögliche Ansprüche des Klägers gegenüber der Beklagten im Wege einer Legalzession gemäß § 16 Abs 2 zweiter Satz AlVG auf den Bund übergangen wären, wurde von der Beklagten erstmalig, und somit unter Verstoß gegen das Neuerungsverbot, im Berufungsverfahren vorgebracht (AS 171). Derartige Einwendungen gegen die Aktivlegitimation des Klägers hätten ebenfalls im Verfahren erster Instanz erhoben werden müssen. Dort wurde von der Beklagten aber weder behauptet noch bewiesen, daß eine für die Legalzession notwendige Verständigung des Arbeitgebers im Sinne des § 16 Abs 2 zweiter Satz AlVG erfolgt ist. Auf das fehlende bzw. untaugliche Vorbringen bezüglich der Höhe möglicher Anrechnungsbeträge in Form von Arbeitslosengeld wurde bereits hingewiesen.

Die Kostenentscheidung ist in den §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO begründet.

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